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3. Land und Leute

3.2 Struktur und Dynamik

Offiziell wurde am 11. Mai 2000 die Milliardengrenze der Einwohnerzahl Indiens überschritten (Tabelle 3.2). Somit leben auf 2,4 Prozent der gesamten Fläche der Erde, die das Land einnimmt, 16 Prozent der Weltbevölkerung, etwa jeder sechste Erdenbewohner ist ein Inder. Mehr als 400 Millionen Menschen davon fristen ihr Leben unterhalb der von der UNO festgelegten Armutsgrenze.

Das Wachstum der indischen Bevölkerung

Jahr Bevölkerung Bevölkerungsdichte

(Einwohner/qkm) Anteil städtischer Bevölkerung

1901 238 Mio. 75 10,8%

1911 252 Mio. 80 10,2%

1921 251 Mio. 79 11,2%

1931 278 Mio. 88 12,0%

1941 318 Mio. 100 13,9%

1951 361 Mio. 117 17,3%

1961 439 Mio. 142 18,0%

1971 548 Mio. 177 19,9%

1981 683 Mio. 216 23,3%

1991 846 Mio. 267 25,7%

2001 1.027 Mio. 324 k.A.

Tab.3.2: Das Wachstum der indischen Bevölkerung (Census of India (2001))

In den 1950er Jahren entstanden die ersten Programme seitens der Regierung, die unter anderem die Einführung von Verhütungsmitteln beinhalteten. Die Regierung erhoffte sich ähnlich positive Effekte der Industrialisierung und verbesserte

Lebensverhältnisse wie in anderen Entwicklungsländern. Die Sterberate ist wegen der durchschnittlich höheren Lebenserwartung mit 63,99 Jahren erheblich gesunken, jedoch nicht die Anzahl der Geburten mit 2,85 Kindern pro Frau, welche in etwa gleich blieb (The World Factbook (2004)). Im Gegensatz zu den westlichen Industrieländern, die im 18. und 19. Jahrhundert eine ähnliche Entwicklung

durchmachten, pendelte sich in Indien das Verhältnis von Geburten und Todesfällen bisher nicht ein und somit wächst die Bevölkerung ständig weiter.

In den 1960er Jahren entwickelte die Regierung Pläne zur Senkung des Bevölkerungswachstums, erzielte jedoch keine wesentlichen Erfolge.

Familienplanungsgesetze seitens der indischen Regierung umfassten bereits 1972 die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches, das Heiratsalter des Mannes wurde auf 21 Jahre, das der Frau auf 18 Jahre heraufgesetzt. Verboten wurden auch die arrangierte Ehe und die Zahlung eines Brautpreises, obwohl diese Maßnahmen gerade in ländlichen Gebieten nach wie vor nicht beachtet werden. Gründe für den Misserfolg von Familienplanungsgesetzen sind unter anderem die Ablehnung der Bevölkerung von sogar kostenlos angebotenen Verhütungsmitteln. Nach

Untersuchungen der New Delhi Operation Research Group bekommen viele Paare so lange Kinder, bis sie zwei Söhne haben. Erst dann willigen einige in eine Sterilisation ein.

Das Problem des Bildungswesens Indiens besteht darin, dass es keine Schulpflicht gibt. Obwohl der Schulbesuch kostenlos ist, wird dieser von der ländlichen Bevöl-kerung kaum in Anspruch genommen. Wenn überhaupt wird nur die Grundschule besucht. In einem ländlichen Familienbetrieb wird jede Arbeitskraft benötigt, so dass für die Schule oft keine Zeit bleibt. Bis heute gibt es für den Großteil der indischen Bevölkerung keine Altersversorgung, so dass eine große Anzahl von Nachkommen nach wie vor den sichersten Altersschutz darzustellen scheint (Abbildung 3.3).

Abb.3.3 : Kinderarbeit

Die indische Regierung führt zur Beseitigung des Bildungsmissstandes zwar ein Alphabetisierungsprogramm durch, welches aber nur geringe Erfolge erzielt. Die schlechte Bildungssituation ist im Gesundheitssektor besonders ausschlaggebend.

Dabei stellt vor allem die Bildung der Frauen einen wichtigen Faktor in der

Familienplanung dar. Die Auswertung der Daten der Volkszählung ergab, dass die Kindersterblichkeit bei Müttern mit Schulbildung wesentlich geringer war. Eine Investition in die Bildung, vor allem in die der Frauen, bedeutet aber nicht nur den Rückgang der Kindersterblichkeit, sondern letztendlich auch der Geburtenrate (Abbildung 3.4).

Abb.3.4 : Schülerinnen in Padhar

Ein weiteres Problem besteht darin, dass Indien zwar ein Staat ist, aber es sich dabei nicht um ein einheitliches Staatengebilde handelt. Die Vielzahl an ethnischen

Gruppierungen und die unvollkommene Beseitigung des Kastensystems scheinen kausal einwirkend. Die Divergenz der Staaten besteht in der Religion

beziehungsweise Stammesabstammung und somit auch in der Kultur, was sich zusätzlich an der großen sprachlichen Vielfalt zu erkennen gibt.

3.3 Zahnmedizinische Versorgung

80 Prozent der Kinder und 60 Prozent der Erwachsenen haben Karies, 90 Prozent der Erwachsenen über 30 Jahre leidet an Parodontopathien. Zudem sind 35 Prozent aller auftretenden Tumore im Körper Tumore der Mundhöhle (Lal et al. (2004)). Nach einer Untersuchung von Shah kamen im Jahr 2001 27.000 Einwohner auf einen Zahnarzt in städtischen Gebieten, in ländlichen sind es sogar 300.000 Einwohner pro Zahnarzt. Dazu im Vergleich Deutschland: Hier kamen statistisch gesehen 2002 in den alten Bundesländern 1.294 Einwohner auf einen Zahnarzt. In den neuen Bundesländern beträgt das Verhältnis 1.215 Einwohner pro Zahnarzt (Statistisches Bundesamt (2002)).

72 Prozent der indischen Bevölkerung lebt in ländlichen Regionen; nur 10 Prozent der indischen Ärzte sind für 72 Prozent der Landbevölkerung verfügbar.

Die indische Regierung versucht seit Jahren, die Infrastruktur der

Gesundheitseinrichtungen zu verbessern. Diesen Bemühungen folgten allerdings kaum Effekte. Zwar versorgte man die Gebiete mit Gesundheitszentren, hier fehlen jedoch ausgebildete Fachkräfte in der Zahnheilkunde sowie Instrumente und Materialien. Dabei sollte beachtet werden, dass die Kosten für die

Prophylaxeprogramme sehr viel niedriger im Vergleich zu den Kosten einer

zahnärztlichen Therapie liegen. Von dem Pro- Kopf Einkommen (GDP) werden 5,2 Prozent für die Gesundheit ausgegeben, davon werden 17 Prozent von öffentlichen Gesundheitsträgern übernommen, die restlichen 83 Prozent müssen aus eigener Tasche bezahlt werden. Es gibt bereits Überlegungen zur Einführung von

Krankenversicherungen, mit denen auch zahnärztliche Behandlungen abgedeckt werden sollen. Seit 1995 bearbeiten verschiedene Arbeitsgruppen das Problem in Form eines National Oral Health Care Programms zur Verbesserung der Situation mit Thesen und Zielen in den drei Bereichen Bildung, Prävention und Kuration. Das eigentliche Problem besteht jedoch darin, die vorhandenen Informationen in jeder Kommune und bei jeder Familie Indiens in die Praxis umzusetzen. Es bestehen Überlegungen, diese Zielgruppen über Massenmedien wie Fernsehen, Radio und Zeitung zu erreichen. Zusätzlich sollte spezielles Personal geschult werden, um vor Ort die Bevölkerung zu unterrichten. Prophylaktische Maßnahmen sollen von geschulten Lehrern regelmäßig in den Schulen durchgeführt werden, dort sollen auch spezielle Bücher in Englisch und der lokalen Sprache in den Schulen zur Unterstützung der Prophylaxemaßnahmen eingeführt werden. Leider hat von 1996

bis 2003 keine Veränderung im oralen Gesundheitssektor stattgefunden (Lal et al.

(2004)).

3.4 Ausbildung und Tätigkeit indischer Zahnärzte

Um in Indien als Zahnarzt tätig zu werden, benötigt man mindestens den Grad des Bachelor in der zahnmedizinischen Wissenschaft (BDS). Diesen erreicht man durch ein 4- jähriges Studium an einer staatlichen oder privaten zahnmedizinischen Hochschule. Vor Antritt des Studiums muss der zahnmedizinische Anwärter eine Pre-Medical/Pre-Dental Eingangsprüfung absolvieren. Die Zuweisung an eine

bestimmte Hochschule erfolgt nach Grad des Ergebnisses der Eingangsprüfung. Das BDS Universitätsprogramm ist ein 4-Jahres-Kursus, der in 4 Teile zu je 1 Jahr Dauer eingeteilt wird. Themen wie grundlegende Anatomie, Physiologie, Biochemie,

Pharmakologie und Mikrobiologie, inklusive praktischer Kurse zu den einzelnen Gebieten, werden in den ersten zwei Jahren gelehrt. Klinische Fächer und klinisches Training erfolgen in den letzten zwei Jahren. Es folgt ein Jahr Assistenzzeit zumeist an einer Hochschule, wobei alle Abteilungen durchlaufen werden (Internship).

Anschließend kann eine zweijährige Spezialisierung in den Fächern Orthodontie, Periodontics, Endodontics, Prosthodontics, Oral and Maxillofacial Surgery,

pädiatrische Zahnheilkunde oder Oral Pathology erfolgen, um den Stand eines MDS, Meister der zahnmedizinischen Wissenschaft, zu erlangen. Es existieren in Indien 122 Hochschulen, an denen Zahnmedizin gelehrt wird, jährlich verlassen 5600 junge Zahnärzte diese Institute (Zillen, Mindak (2000)). Das erste Dental College wurde in Kalkutta von Dr. R. Ahmed, dem Vater der modernen Zahnmedizin in Indien, im Jahr 1928 gegründet (Barthold et al. (2000)).

Das Arbeitsfeld eines Zahnarztes befindet sich entweder in einem staatlichen Krankenhaus, wo pro Monat etwa 6000 Rupien (100 Euro) verdient werden können oder in einem privaten Krankenhaus, wo etwa 3500 bis 4000 Rupien (58-67 Euro) pro Monat bezahlt werden. Spezialisierte Zahnärzte können mit einem Anfangsgehalt von 7000 Rupien (117 Euro) pro Monat rechnen. In einer eigenen Praxis kann ein gut eingerichteter Zahnarzt zwischen 20000 und 100000 Rupien (335-1.677 Euro) pro Monat erwirtschaften (Zahnmedizinischer Rat von Indien (2003)).

Nur 20 Prozent der indischen Bevölkerung wird von niedergelassenen Zahnärzten betreut, rund 80 Prozent lassen sich von so genannten Straßenzahnärzten

behandeln (Abbildung 3.5). Besonders in den Zentren und Basaren der ständig

wachsenden Städte findet man Amateurzahnärzte, die ihre Instrumente sowie zahntechnische Materialien und extrahierte Zähne auf Decken zur Schau stellen. Ein Teil dieser Zahnärzte hat eine Ausbildung durchlaufen oder in Zahnarztpraxen assistiert, einige haben als Techniker in der Zahnersatzherstellung gearbeitet.

Vielfach wird das Handwerk zusammen mit den Instrumenten vom Vater an den Sohn vererbt. Der Service solcher Straßenzahnärzte reicht von der Extraktion erkrankter Zähne über prothetische Wiederherstellung bis hin zu einfachen Amalgamfüllungen, wobei alle Regeln der Hygiene ignoriert werden. Einige

Straßenzahnärzte haben ihre Stände um den zusätzlichen Service der Tätowierung erweitert, dabei wird als Wundverband zumeist Zeitungspapier verwendet.

Abb. 3.5:

Straßenzahnarzt in Delhi

4. Literaturübersicht

4.1 Prophylaxe der Erkrankungen der Zahnhartsubstanz und des Zahnhalteapparats

4.1.1 Ätiologie der Karies und der Parodontopathien

Miller postulierte 1889 die chemisch-parasitäre Theorie der Kariesentstehung, die bis heute anerkannt ist. Karies benötigt als multikausales Geschehen das

Zusammenwirken obligater Faktoren (Wirt, Mikroorganismen, Substrat, Zeit). Fehlt eine dieser vier Grundvorrausetzungen, kommt es nicht zur Kariesentstehung (Keyes (1962), König (1987)). Dies konnte bewiesen werden durch einen Versuch mit steril aufgezogenen Ratten, bei denen trotz Zugabe von kariogener Nahrung keine Karies entstand (Orland et al. (1954)). Die Haupterreger der für eine kariöse Läsion

ursächlichen Bakterien sind Streptokokkus mutans, außerdem Lactobazillen sowie Actinomyceten und Hefen. Durch die Bildung von organischen Säuren werden die Zahnhartsubstanzen durch fermentative Kohlenhydratspaltung entkalkt, so dass es zu einer Demineralisation der Zahnhartsubstanzen kommt. Fäulniserregende Bakterien zersetzen anschließend das aufgeweichte Gewebe. Bei dauerhaftem Einfluss der Säuren unter länger bestehender Plaque kann das natürlicherweise vorkommende Gleichgewicht von De- und Remineralisation über den Speichel die Defekte der herausgelösten Hydroxilapatitkristalle nicht mehr ausgleichen. Nach Erreichen der Schmelz-Dentin-Grenze oder der Wurzelzement-Dentin-Grenze breitet sich die Karies entlang der Dentintubuli in Richtung Pulpa aus.

Die Entstehung von Parodontalerkrankungen ist wie die Karies durch

Mikroorganismen in der Plaque bedingt und benötigt obligate Wirkfaktoren (Wirt, Mikroorganismen, Substrat, Zeit). Fehlt eine dieser Grundvorrausetzungen, kann eine Parodontalerkrankung nicht entstehen (König (1987)). Eine plaqueassoziierte Gingivitis führt zu ödematöser Schwellung und Exsudation der Gingiva und zur Ausbildung gingivaler Taschen, in denen sich eine subgingivale Mikroflora etabliert.

Löe et al zeigten 1965, dass sich bei Probanden, die ihre Mundpflege einstellten, aus der entstandenen Plaque eine Gingivitis entwickelte. Lindhe et al. (1973) zeigt anhand von Tierversuchen an Beaglen, dass eine chronische Gingivitis in eine Parodontitis übergehen kann. Die subgingivale Flora führt zur Vermehrung von parodontalpathogenen Keimen wie Actinobacillus actinomycetemcomitans,

Porphyromonas gingivalis und Bacteroides forsythus, die bis auf einige Ausnahmen gramnegativ und anaerob sind. Durch die Stoffwechselprodukte der bakteriellen Proliferation in den subgingivalen Bereich kommt es zum Entstehen einer

fortgeschrittenen Läsion, die bei weiterer Progression zu Attachmentverlusten führt.

Entzündungsreaktionen und Immunreaktionen führen zur Verstärkung der parodontalen Destruktion, welche lokalisiert oder generalisiert auftritt. Erworbene Risikofaktoren, wie beispielsweise Diabetes mellitus, verhaltensbedingte

Risikofaktoren, wie Tabakkonsum, und genetische Risikofaktoren verstärken den Verlauf der Erkrankung und verschlechtern die Prognose.

4.1.2 Prophylaxemaßnahmen allgemein

Die Verhütung der Erkrankungen der Zahnhartsubstanz und des Zahnhalteapparats ist möglich, da es sich um infektiöse Prozesse mit Oralpathogenen handelt. Die Hauptverursacher von Karies und Parodontalerkrankungen, Mutans-Streptokokken, A. actinomycetemcomitans und P.gingivalis werden von Mensch zu Mensch, zumeist durch Schmierinfektion übertragen (Müller (2001)). Deren Unterdrückung und

Kontrolle gliedert sich in drei Arten von Präventionsmaßnahmen. Primäre Prävention zielt auf die Verhinderung der Karies- beziehungsweise Parodontitisentstehung ab.

Die primären Präventionsmaßnahmen finden sich in der Verbesserung der persönlichen Mundhygiene und regelmäßiger Kontrolle beim Zahnarzt sowie im Bereich der gesundheitsfördernden und kariesprotektiven Maßnahmen wie

Fluoridapplikation und Ernährungsumstellung wieder. Die sekundäre Prävention zielt auf die Verhinderung der Progression von Karies und Parodontitis durch frühe Diagnostizierung von Erkrankungen der Zahnhartsubstanz und des

Zahnhalteapparats und durch professionelle Zahnreinigung ab. Der dritte Pfeiler der Prävention erfolgt während der systematischen Behandlung von Erkrankungen der Zahnhartsubstanz und des Zahnhalteapparats. Diese tertiäre Präventionsebene stellt sich, im Sinne der Komplikationsvorbeugung, in Form von minimal invasiver

Restaurationstechnik dar. Ein Beispiel einer solchen schadensgerechten Therapie ist die Vermeidung überhängender Füllungsränder durch Verwendung von Matrizen. Die gemeinsame Ursache für die Entstehung der meisten Parodontalerkrankungen und der Karies ist die Plaque mit ihren Stoffwechselprodukten. Wie auch von Axelsson et al. 1991 in der Karlstad-Studie nachgewiesen, kann durch geeignete Prävention Plaque dauerhaft reduziert werden.

Man unterscheidet weiter in Individualprophylaxe und Gruppenprophylaxe. Unter der Gruppenprophylaxe versteht man die Trinkwasserfluoridierung,

Speisesalzfluoridierung und Zahnputzprogramme in Schulen und Kindergärten. Die Betreuung von Kindern, die entweder keinen Kindergarten/keine Schule besuchen oder die Kindergärten/Schulen besuchen, in denen keine gruppenprophylaktischen Maßnahmen durchgeführt werden, soll durch Früherkennungs-Untersuchungen beim Kinderarzt und Zahnarzt abgedeckt werden (Arbeitsgemeinschaft der

Spitzenverbände der Krankenkassen in Zusammenarbeit mit dem Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e. V.(2002)). Die

Individualprophylaxe wird durch den Zahnarzt oder eine Dentalhygienikerin

ausgeführt, die den Patienten über die Ursachen von Parodontalerkrankungen und Karies informieren und in der geeigneten Mundhygiene instruieren. Professionelle Maßnahmen wie Zahnreinigung und lokale Fluoridapplikation erfolgen anschließend.

Das moderne Konzept der Individualprophylaxe gliedert sich noch in folgende

Maßnahmen: Bei der Primär-Primär-Prävention stellt der Zahnarzt den Infektionsgrad der Mutter fest mit anschließender Sanierung aller insuffizienten Faktoren der

Mundhöhle und Aufklärung der Mutter eines Kindes über mögliche Infektionswege (Schnuller, Sauger, Löffel). Die Primär-Prävention stellt das Kind in den Vordergrund mit dem Ziel der Vermeidung der Kolonisation von Streptokokkus mutans in der kindlichen Mundhöhle. Es wird der Infektionsgrad des Kindes bestimmt und bei zu hohem bakteriellem Befall mit Chlorhexidiglukonat-haltigen Mitteln behandelt. Die Quantität der Zahnplaque wird mittels geeigneter Indices wie dem PCR nach O`Leary et al bestimmt, die kariogene Qualität der Zahnplaque wird durch

Bestimmung der Streptococcus mutans und Lactobazillenzahl im Speichel anhand spezieller Tests (Dentocult) ermittelt. Durch die zusätzliche Bestimmung der Speichelsekretionsrate, der Pufferkapazität des Speichels, der Plaquebildungsrate, der Ernährungsanamnese (Häufigkeit des Konsums kariogener Lebensmittel) und der aktuelle Kariesbefall der Mundhöhle, beispielsweise anhand des DMF-T Index, kann man eine Aussage über das Kariesrisiko treffen (Hellwig et al. (1995)).

Mikrobiologische Tests werden im Rahmen der Parodontalprophylaxe eher selten eingesetzt und kommen nur im Rahmen der Parodontaltherapie zum Einsatz. Bei aggressiven und therapieresistenten Formen der Parodontitis sollte eine

mikrobiologische Diagnostik im Hinblick auf eine gezielte Therapie mit dem Einsatz von Antibiotika erfolgen. Chronisch marginale Parodontiden lassen sich durch systematische Therapie in Form von Scaling und Wurzelglättung beherrschen und benötigen keinen Erregernachweis (Müller (2001)).

Die Primärprophylaxe umfasst weiterhin die Information der Familienmitglieder zum Übertragungsrisiko und zu Übertragungswegen kariogener und

parodontalpathogener Keime durch Schmierinfektion wie durch den gemeinsamen

Gebrauch von Besteck, Zahnbürsten oder den Speichelübertritt durch Küssen. Eine altersgruppenspezifische Ernährungsberatung umfasst dabei zum Beispiel auch das Nursing-Bottle-Syndrom. Dies bezeichnet Läsionen insbesondere an

Oberkieferschneidezähnen durch eine dauernde Verabreichung kariogener und/oder säurehaltiger Nahrungsmittel zum Beispiel über Saugerflaschen.

Die Mundhygiene, gemeint ist die Reinigung des Gebisses, hat das Ziel, die Plaque (Materia alba) zu entfernen, welche aus einem Gemisch von Speichelbestandteilen (Muzin, Eiweiß, Fett), aus zersetzten Nahrungsbestandteilen und Bakterienansamm-lungen sowie deren Produkten bestehen. Diese BakterienansammBakterienansamm-lungen setzen sich im Wesentlichen aus Filzen von abgestorbenen und virulenten Mikroorganismen wie Streptokokken, Acidobakterien, Staphylokken, Leptotricheen zusammen (Sauerwein (1974)). Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sollen die Zähne nach jeder

Mahlzeit gereinigt werden, mindestens jedoch einmal am Tag. Eine optimale

Mundpflege erfordert eine Reinigungszeit von zwei bis vier Minuten (Beyeler, Mooser (1960)). Das geeignete und in Europa bekannteste Hilfsmittel ist die Zahnbürste zur Plaqueentfernung. Es gibt Handzahnbürsten und elektrische Zahnbürsten, für Kinder gibt es speziell geformte Zahnbürsten. Die Zahnbürste sollte aus „multitufted“

Bürsten mit mittelharten, abgerundeten Kunststoffborsten bestehen. Bürstenkopf und Bürstengriff sollten funktionell gestaltet sein, so dass alle Zahnflächen mühelos erreicht werden können. Ihre Lebensdauer beträgt etwa 8 Wochen, sollte jedoch spätestens dann ausgetauscht werden, wenn sich die Bürsten umbiegen (Lehmann, Hellwig (1993)). Zur mechanischen Entfernung des Biofilms der Plaque kommen verschiedene Zahnreinigungsmethoden in Frage wie zum Beispiel die modifizierte Bass-Technik. Elektrische Zahnbürsten erleichtern diesen Vorgang besonders für ältere oder motorisch eingeschränkte Personen. Die Interdentalraumhygiene wird mit Zahnbürsten nicht ausreichend erfasst und bedarf spezieller Hilfsmittel wie

Zahnseide, Zahnbürstchen oder Zahnhölzer (Linde (1983)). Fluoridhaltige Zahnpasten unterstützen die mechanische Plaqueentfernung.

Die Kariesinzidens hängt zusammen mit der Häufigkeit der Zuckerzufuhr. So wurde eine Karieszunahme in der Vipeholm-Studie (Gustafsson et al. (1954)) (Nikiforuk (1985)) aufgezeigt, bei der sich in einem Vergleich zwischen zwei Jahren ein

erhöhtes Auftreten neuer kariöser Flächen in dem Jahr zeigte, in dem die Probanden zusätzlich zu ihrer normalen Ernährung zuckerhaltige klebrige Zwischenmahlzeiten über den Tag verteilt bekamen. In der Hopewood-House Studie (Lilienthal et al.

(1953)) konnten bei einer Gruppe von Heimkindern weniger kariöse Defekte nachgewiesen werden, als bei einer Vergleichsgruppe, was auf die kaum

zuckerhaltige Ernährung im Heim zurückzuführen war. Der Typ und die Menge der Kohlenhydrate spielen eine wichtige Rolle, so gelten niedermolekulare

Kohlenhydrate wie zu Beispiel Saccharose als besonders kariogen und sollte deshalb in der täglichen Nahrung reduziert werden. Hochmolekulare Kohlenhydrate in Form der Stärke wie in Getreide, Reis oder Gemüse vorkommend, sind weniger kariogen, da sie erst durch die im Speichel enthaltene Amylase gespalten werden müssen und der Plaque nur oberflächlich aufliegen. So kann die Säureumwandlung der hochmolekularen Kohlehydrate im Gegensatz zu den niedermolekularen besser vom Puffersystem des Speichels kompensiert werden. Es muss nicht die Menge des Zuckers reduziert werden, sondern die Häufigkeit der zuckerhaltigen

Zwischenmahlzeiten. Nach jeder zuckerhaltigen Mahlzeit folgt ein etwa halbstündiger pH-Wert-Abfall, wie in der Stephan-Kurve zu erkennen ist, der bei häufigem Verzehr von zuckerhaltigen Nahrungsmitteln über den Tag verteilt zu einer Summierung der Effekte der Demineralisation führen. Individuelle Faktoren wie Speichelfließrate, Speichelpufferkapazität, Speichel-pH-Wert oder Zahnfehlstellungen sind dabei besonders zu beachten.

Die Zufuhr von Fluoriden soll gewährleistet werden. Sie kann topisch

beziehungsweise lokal oder systemisch erfolgen. Die systemische Darreichungsform stellt sich durch Tabletten-, Trinkwasser-, Salz- und Milchfluoridierung, die topische durch lokale Fluoridapplikation in Form von Lacken, Gelees, fluoridhaltigem Schaum und Zahnpasten dar. Um eine Überdosierung zu vermeiden, ist eine gründliche Fluoridanamnese beim Patienten erforderlich (Wiegand, Attin (2003)). Eine

angemessene Fluoridprophylaxe kann wie im Schema der DGZMK Stellungnahme erfolgen (Gülzow et al. (2000)) (Abbildung 4.1).

Fluoridkonzentration im Trinkwasser (Mineralwasser), mg/l Alter

Tabelle 4.1: Richtwerte für Fluoridsupplemente (mg Fluorid/Tag) (Gülzow et al. - DGZMK Stellungnahme (2000))

Dabei sollte nur eine Form der systemischen Fluoridsupplementierung erfolgen (Fluoridtabletten, Fluoridsalz, fluoridhaltiges Mineralwasser oder Milch). Die Wirkung des Fluorids erfolgt im Wesentlichen durch Hemmung der Demineralisation und Förderung der Remineralisation sowie Beeinflussung von Stoffwechselvorgängen der Bakterien (Hellwig (1996)).

Die dritte Maßnahme der Individualprophylaxe ist die traditionelle Prophylaxe, welche auf die Vorbeugung und Entfernung von Streptokokkus mutans zielt. Die traditionelle Prophylaxe besteht aus Ernährungslenkung, Anwendung fluoridhaltiger Kariostatika, Fissurenversiegelung und geeigneten Mundhygienemaßnahmen, gegebenenfalls in Kombination mit Chlorhexidin-haltigen Mitteln.

4.1.3 Mundgesundheit und Mundgesundheitsprogramme in Industrieländern

In den Industrieländern entsprach die Ausbreitung von Karies dem Grad der Zivilisation. Der erhöhte Zuckerkonsum im 19. Jahrhundert in den industriell hoch entwickelten Ländern stand in engem Zusammenhang mit dem Anstieg der Karies zu dieser Zeit (Sognnaes (1949)). Heutzutage fiel die Kariesprävalenz trotz gleich bleibend hohen Zuckerkonsums, Beispiel Deutschland DMF-T für Zwölfjährige 1989 3,9 (Micheelis et al. (1991)) und 2000 1,2 (Pieper (2001)). Der Grund liegt in den seit den 60er Jahren kontinuierlich stärker durchgeführten Präventionsmaßnahmen.

Individualprophylaktische Maßnahmen sind in Deutschland seit 1989 Bestandteil der kassenzahnärztlichen Versorgungsleistungen in Form der IP-Leistungen.

Gruppenprophylaxe in Kindergärten und Schulen werden von Zahnärzten im Auftrag des Arbeitskreises Jugendzahnpflege durchgeführt. In der Schweiz zeigt sich durch Trinkwasserfluoridierung und Prophylaxemaßnahmen eine Kariesreduktion von 90 Prozent innerhalb von 30 Jahren (Büttner (1982)).

Gruppenprophylaxe in Kindergärten und Schulen werden von Zahnärzten im Auftrag des Arbeitskreises Jugendzahnpflege durchgeführt. In der Schweiz zeigt sich durch Trinkwasserfluoridierung und Prophylaxemaßnahmen eine Kariesreduktion von 90 Prozent innerhalb von 30 Jahren (Büttner (1982)).