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7. Diskussion

7.1 Diskussion der Ergebnisse der Befragung

7.1.1 Allgemein

Die Befragung ergibt eine annähernd gleichmäßige Verteilung der Geschlechter. Das Durchschnittsalter liegt bei 24,0 Jahren und entspricht damit dem durchschnittlichen Alter der Gesamtbevölkerung Indiens mit 24,4 Jahren (The World Factbook (2004)).

Die Mehrzahl der Befragten besuchte wenigstens die Grundschule, obwohl der Großteil der 5000 Einwohner in der Landwirtschaft arbeitet. In Indien sind 60 Prozent aller Arbeiter in der Landwirtschaft tätig, sehr oft steht dabei die Arbeit vor der Schulbildung (The World Factbook (1999)). 40,5 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten (The World Factbook (2003)).

7.1.2 Mundhygienegewohnheiten

Im Vergleich mit Studien, die vor etwa 10 Jahren eine Verwendung des Zahnholzes bei über 50 Prozent der ländlichen Bevölkerung feststellten, wird ein Wandel in den Mundhygienemaßnahmen sichtbar (Addo-Yobo et al. (1991), Asadi, Asadi (1997), Otuyemi et al. (1994)). Der Großteil der befragten Personen im ländlichen Padhar, nämlich 86,0 Prozent, gab an, sich mit der Zahnbürste „mit oder ohne Hilfsmittel“ die Zähne zu reinigen. Ein ähnliches Ergebnis konnte von Tubaishat et al. 2005 in Jordanien festgestellt werden, wo 72 Prozent der 138 befragten Personen angaben, sich mit der Zahnbürste die Zähne zu reinigen. Der hier aufgenommene Prozentsatz liegt im Vergleich zu der Studie von Synovate (2003) deutlich höher, bei der nur 50 Prozent der Landbevölkerung angaben, eine Zahnbürste als moderne Variante der Zahnreinigung zu verwenden, 37 Prozent verwenden noch traditionelle Methoden wie das Neemholz, Kalk oder Asche. In der vorliegenden Studie verwenden nur 3,7 Prozent das traditionelle Zahnholz „Datun“, übereinstimmend mit der Befragung von Tubaishat et al. 2005, wo drei Prozent noch das Zahnholz zur Reinigung verwendeten. Es stellt sich die Frage, ob es demzufolge sinnvoll ist, die klinische Studie als Vergleich zwischen Zahnbürste und Datun zu machen. Dazu sollte aber erst ein kritischer Blick auf den Wahrheitsgehalt dieses Ergebnisses gemacht werden, insbesondere sollte hier der Hintergrund der Befragung betrachtet werden.

Padhar ist ein kleines Dorf, in dem Neuigkeiten sofort weitergegeben werden,

insbesondere wenn Ausländer das Dorf erreichen, die Bevölkerung von Padhar kennt praktisch keine Touristen. Einmal im Jahr kommt ein Ärzteteam aus Deutschland, um kostenlos mittelose Patienten mit Lippen-, Kiefer- und

Gaumenspalten zu operieren und die Technik einheimischen Ärzten beizubringen.

Insofern wird der Einfluss aus Europa, hier insbesondere aus Deutschland, positiv bewertet. Dazu kommt, dass die Untersucherin dieser Studie im Vorjahr kostenlos Patienten mit mitgebrachten Spenden zahnärztlich betreut hat. Teilweise sogar mit Methoden, die dort noch nicht angewendet werden. So konnten anstelle üblicher Extraktionen konservierende Maßnahmen, wie Pulpaüberkappungen und

endodontische Behandlungen, durchgeführt werden, was zu einem bleibend positiven Eindruck führte. Weiterhin bleibt zu beachten, dass die Befragung sich während der klinischen Studie ereignete. Es sprach sich also schnell herum, was der Grund dieser Studie war. Es ist bekannt, dass die Menschen in Europa sich die Zähne mit einer Zahnbürste reinigen. In der indischen Kultur orientiert man sich vielfach an der westlichen Kultur, das könnte viele Inder zu der Annahme verleiten, dass die Zahnbürste besser als das in Indien verwendete Datun sei. Diese

Beeinflussung bestätigte sich auch schon in der klinischen Studie. Eine Vielzahl der Probanden wollte eher die Zahnbürste verwenden. Das könnte auch zeigen, dass gerade viele junge Leute sich an dem „westlichen Vorbild“ orientieren und ihre traditionellen Methoden außer Acht lassen.

Die geringe Verwendung der traditionell verankerten Methode in Padhar kann auch Aufschluss über veränderte Lebensgewohnheiten bei gleichzeitig ungenügend durchgeführten oral präventiven Maßnahmen geben. In Saudi Arabien führte al- Otaibi 2004 eine Studie durch, in der in einer Umfrage von 1200 Personen ebenfalls nach den oralen Reinigungsmethoden und dem Prophylaxebewusstsein der

Bevölkerung gefragt wurde. In der Befragung verwendeten im Gegensatz zu dieser Studie noch 65 Prozent der Personen, auch durch religiöse Einflüsse motiviert, das Miswak täglich. Eid et al. stellten 1990 fest, dass trotz der Einführung moderner Zahnreinigungsmethoden trotzdem viele Moslems immer noch gewohnheitsmäßig das natürliche Miswak verwenden. Die Hygienemaßnahmen in Padhar und in Indien, insbesondere die Zahnreinigung, bleiben im Gegensatz zu den vorherigen Aussagen heutzutage vom religiösen Einfluss unberührt und orientieren sich vielmehr an Massenmedien und Mundpropaganda. Selbst in kleinen Dörfern wie Padhar haben mittlerweile die Massenmedien Einzug gehalten in Form von Film und Fernsehen.

Jeder hat Zugang zu diesen Medien, sei es auch nur am nächsten Verkaufsstand des Dorfes. Durch die zwischen den sehr beliebten indischen „Bollywood-Filmen“

gezeigte Werbung wird den Menschen der Gebrauch der Zahnbürste als moderne Variante näher gebracht. Dies dient vorwiegend kommerziellen Zwecken ohne entsprechende Unterweisung im richtigen Gebrauch dieser Methode. Hinzu kommt, dass es üblich ist, sich eine Zahnbürste innerhalb der Familie zu teilen. Es steht in Frage, ob die 86,0 Prozent der Befragten, die angaben, eine Zahnbürste zu

verwenden, eine eigene Zahnbürste besitzen. Diesem Aspekt sollte aber gesteigerte Aufmerksamkeit gewidmet werden, da durch Schmierinfektionen beim gemeinsamen Zahnbürstengebrauch parodontalpathogene und kariogene Keime innerhalb der Familien übertragen werden.

Auch der Wert von 23,6 Prozent der Verwendung der „Zahnbürste“ ohne Paste zeigt die ungenügende Aufklärung. Dabei spielt auch der Kostenfaktor eine Rolle, viele Familien können sich eine Zahnpaste nicht leisten. Zudem wird für eine Vielzahl von Zahnpulvern geworben, die so genannten Manjan-Produkte, die mit dem Finger (10,3 Prozent in der Befragung) oder der Zahnbürste (7,8 Prozent in der Befragung) verwendet werden (Abbildung 7.1).

Abb.7.1: Manjanverwendung

Bei der Häufigkeit der Mundreinigung wurde vom überwiegenden Teil der Befragten (69,0 Prozent) angegeben, sich „1 x täglich“ die Zähne zu reinigen, die restlichen 31,0 Prozent gaben „2 x täglich“ an. Dies kann ein Hinweis auf die mangelhafte Auf-klärung der Bevölkerung hinsichtlich der Durchführung oraler Hygiene sein. Auch die Untersuchung von Synovate (2003) berichten, dass 75 Prozent der befragten

Personen in Indien maximal einmal am Tag die Zähne reinigen. Diese Zahlen bestätigen die Erkenntnisse von Lal et al. (2004)), dass in Indien nur knapp sechs Prozent der Kinder zwischen 6 bis 11 Jahren ihre Zähne regelmäßig putzen. Ein ähnliches Ergebnis zeigte die Untersuchung von Micheelis et al. in Deutschland, die 1993 herausfanden, dass altersabhängig zwischen 70,7 und 76,5 Prozent der deutschen Bevölkerung seltener als zweimal täglich die Zähne putzen. Damit ist die von König (1987) vorgegebene allgemeine Empfehlung der mindest zweimaligen Zahnreinigung pro Tag nicht erfüllt. Das sind deutlich schlechtere Werte als die von Uhl und Einwag 1991 in Deutschland ermittelten, wo 60 Prozent der Befragten angaben, sich zweimal täglich die Zähne zu putzen, 26 Prozent dreimal und 10 Prozent einmal täglich.

Beim Zeitpunkt der Reinigung erklärten nur 30,2 Prozent der in dieser Studie Befragten, sich „morgens und abends“, die Zähne zu reinigen. Nur 22,0 Prozent gaben an, „vor und nach dem Essen“ die Zähne zu reinigen, was die empfohlene Vorgehensweise wäre. 67,3 Prozent der Befragten gaben „morgens“ an,

59,8 Prozent berichten sich „vor dem Essen“ die Zähne zu reinigen. Diese Ergebnisse zeigen wiederum das schlechte Wissen in Bezug auf eine suffiziente Zahnreinigung.

Anscheinend lernen die meisten Einwohner dieser Region ihre

Zahnreinigungsmethode von ihren Eltern beziehungsweise der Familie. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit dem Ergebnis einer Befragung von Schiffner et al.

(1982) innerhalb einer Bevölkerungsgruppe in der Bundesrepublik Deutschland.

Interessant ist die Angabe, dass 6,0 Prozent anführten, es „bei anderen abgeschaut“

zu haben. Es spricht für eine schlechte Infrastruktur hinsichtlich organisierter Prophylaxe in Schulen und öffentlichen Einrichtungen, dass nur 5,3 Prozent

äußerten, es „in der Schule vom Zahnarzt“ gelernt zu haben. Bemühungen in diesem Bereich wurden bisher in Padhar nicht staatlich, sondern privat durch den hiesigen Zahnarzt geführt, der mit selbst gemalten Tafeln versucht, Prophylaxe in der Schule zu betreiben (Abbildung 7.2).

Abb.7.2: bisherige Prophylaxeunterweisung

32,4 Prozent der Befragten äußerten, „nie“ zum Zahnarzt zu gehen beziehungsweise dort gewesen zu sein, weitere 56,9 Prozent erklärten, nur „sporadisch“ zum Zahnarzt zu gehen und lediglich 9,7 Prozent gaben an, „regelmäßig“ den Zahnarzt aufsuchen.

Solche Aussagen sprechen gegen ein gesundes Mundhygienebewusstsein der meisten Einwohner und stimmen überein mit den 2003 von Synovate festgestellten Angaben einer Befragung in 233 Orten in Indien. In dieser gaben nur zwei Prozent an, regelmäßig zum Zahnarzt gehen, 60 Prozent gaben an, noch nie dort gewesen zu sein.

In der Umfrage in Padhar konnte ermittelt werden, dass eine regelmäßig durch-geführte Kontrolle und Zahnreinigung im Sinne einer präventiven Versorgung nur von 15,6 Prozent in Anspruch genommen wird, während der Großteil mit 53,2 Prozent nur bei oralen Problemen wie Zahnschmerzen beim Zahnarzt erscheint. Laut Angabe sind 30,0 Prozent „noch nie dort gewesen“. Tubaishat et al. 2005 zeigt in seiner Umfrage in Jordanien übereinstimmend, dass die Mehrheit der Befragten, nämlich 63,2 Prozent, nur im Schmerzfall den Zahnarzt aufsuchen, nur 12 Prozent

regelmäßig zum Zahnarzt gehen und 12 Prozent noch nie dort waren. Sehr ähnliche Werte wurden von der WHO/USPHS 1980 in Deutschland ermittelt, wo in einer

Bevölkerungsbefragung in Hessen 55 Prozent angaben, bei „Symptomen“ zum Zahnarzt zu gehen. 39,0 Prozent gaben beim Grund des Zahnarztbesuchs

„Kontrolle“ an, nur 3 Prozent erschienen im Rahmen eines Recallprogramms beim Zahnarzt. Im Vergleich dazu stellt die IDZ Studie von 1997 fest, dass in Deutschland knapp 70 Prozent der Befragten zur Kontrolle zum Zahnarzt gehen und somit ein wesentlich höheres präventives Besuchsverhalten, auch im Vergleich mit der Befragungsgruppe in Padhar, zeigen. Ein weiterer Grund für dieses Verhalten in Padhar sind aber auch die Kosten einer Zahnbehandlung, die zwischen 50 Rupien (etwa ein Euro) für eine einfache Untersuchung und 300 Rupien (etwa 5,50 Euro) für eine Füllung oder Extraktion liegen. So zeigte Retna 2000, dass im indischen Kerala aus diesem Grund nur ein Drittel der behandlungsbedürftigen Kinder zu einer Behandlung beim Zahnarzt gingen. Auch dort zeigte die Untersuchung, dass der Großteil der 750 befragten Personen nur bei Schmerzen oder Problemen zum Zahnarzt gehen und nicht aus prophylaktischen Gründen.

7.1.3 Ernährung

Die Befragung bezüglich der Ernährung sollte zeigen, inwiefern offensichtlich zuckerhaltige Nahrungsmittel verwendet werden. So genannte „versteckte Zucker“

wie in der Lebensmittelindustrie angewandt als Stabilisatoren,

Konsistenzverbesserer und Füllstoff, kommen in Padhar selten vor, da die meisten Lebensmittel nicht industriell vorbereitet gekauft werden, sondern frisch aus den dort erhältlichen Grundnahrungsmitteln und Gewürzen zubereitet werden. Die Zugabe von Haushaltszucker ist also offensichtlich.

Die Frage nach den offensichtlich zuckerhaltigen Nahrungsmitteln sollte im Fragebogen frei eingetragen werden, somit fehlt die Kontrollmöglichkeit des

Untersuchenden. Die Angaben der Befragten spiegeln die indische Kultur wieder, in der mit Vorliebe stark gezuckerter Tee, Softdrinks wie zum Beispiel Coca Cola und in Öl frittierte Süßigkeiten verzehrt werden. Interessant wird im Hinblick auf die

Mundhygiene die Frage nach der Häufigkeit des Zuckerkonsums, da nicht allein die Menge des Zuckers ausschlaggebend für die Kariogenität ist. Die Frequenz der offensichtlich zuckerhaltigen Nahrungsmittel bezieht sich weitestgehend auf den täglich mehrmaligen Konsum von indischen Tee, der zwei bis dreimal täglich stark gesüßt mit Milch getrunken wird. Dies bestätigt sich in der Auswertung, in der 38,4 Prozent, das sind 197 der Befragten, „täglich“ angaben, davon wiederum erklärten 113 befragte Personen „Tee“ zu konsumieren. Die am häufigsten genannte Kategorie war mit 51,3 Prozent „selten/ saisonal“, wobei sich „saisonal“ auf den

Konsum der Softdrinks bezieht (22 Befragte), die hauptsächlich im Sommer in den Monaten April bis Juni vertrieben werden. Indische Süßigkeiten werden „selten“

konsumiert (238 Befragte). Diese Süßigkeiten, die die Mehrzahl der in Padhar lebenden Inder verzehrt, sind einmal wöchentlich auf dem dort stattfindenden Markt erhältlich oder werden zuhause von den Indern zu feierlichen Anlässen zubereitet.

Die „Jalebi“ genannten Süßwaren werden in heißem Öl zubereitet und bestehen vorwiegend aus Zucker in Kombination mit Weizen- oder Reisprodukten (Abbildung 7.3). Aus diesen Nahrungsmitteln gewonnene Stärke quillt bei Hitze und bildet eine Art Kleister, was zu einer hohen Retentivität führt und somit in Verbindung mit den niedermolekularen Zuckern die Kariogenität dieser süßen Speisen erhöht.

Kommerziell vertriebene Süßigkeiten sind in ländlichen Gegenden aufgrund des Klimas und des Transports über weite Strecken selten erhältlich und kaum erschwinglich.

Abb.7.3: Jalebi – indische Süßigkeiten

Der hauptsächliche Verzehr von stärkehaltigen und faserreichen Nahrungsmitteln wie z.B. Kartoffeln und Reis ist als wenig kariogen einzustufen. Die darin enthaltenen höhermolekularen Kohlenhydrate in Form von Stärke müssen durch die im Speichel enthaltene Amylase erst gespalten werden, bevor sie von den kariogenen Bakterien verstoffwechselt werden können. Zudem wird durch den verstärkten Kauakt die Speichelsekretion angeregt. Protektive Wirkung durch proteinhaltige Nahrung ist durch den Konsum von Fleisch und Fisch der vorwiegend christlichen Bevölkerung in

dieser Region gegeben. Der Verzehr von Kartoffeln, Getreide, Eiern und diversen Gemüsearten aus dem in dieser Region vorherrschenden landwirtschaftlichen Anbau liefern ebenfalls darin enthaltene Proteine. Milchprodukte in der täglich frisch

zubereiteten Nahrung liefern zudem Kalzium.

Der Fluoridgehalt des Trinkwassers zeigt in dem gesamten Dorf Padhar < 0,1 ppm, somit besteht keine kariesprotektive Wirkung. Damit ist Padhar die Ausnahme, allein in Madhya Pradesh findet man bei 40-70 Prozent der Distrikte Fluorid im

Grundwasser, im Norden Indiens sind es sogar 70-100 Prozent der Distrikte.

Fluorose stellt ein gesundheitliches Problem in Indien dar und ist in 17 Staaten in Indien endemisch. Staatliche Programme befassen sich mit der Entwicklung von kommunalen und häuslichen Defluoridierungstechniken des Grundwassers (Lal et al.

(2004)).