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System­, Branchen­ sowie Unternehmenstrans­

formationen halten Einzug in Energieversorgungs­

unternehmen (EVU)1, die Jahrzehnte lang ohne Komplikationen einen unveränderten Kurs fahren konnten. Mit der Liberalisierung der Strom märkte in den 1990ern (dena 2021) und nun durch die Digitali­

sierung wird die Entwicklung von EVU und deren Wirken und Handeln wesentlich beeinflusst. Dabei entscheidet die jeweilige, individuelle Reaktion von kleinen und großen Versorgern auf diese neuen Herausforderungen bzw. Chancen über deren zukünftige Marktposition. Denn dass Energieversor­

ger reagieren müssen, steht außer Frage. Wer sich nicht verhältnismäßig schnell und dazu noch mög­

lichst gewinnbringend den neuen Spielregeln an­

passt, wird früher oder später Marktanteile verlieren und hinter den Wettbewerbern zurückbleiben.

Vor der Energiewende sorgte ein natürliches Mono­

pol durch Stromnetze und die Aufteilung der Versor­

gungsgebiete für einen wettbewerbsfreien Raum, in welchem Energieversorger bedenkenlos agieren konnten. Kunden waren fest an den Dienstleister gebunden, Kundenmanagement eher auf den

1 Das EnWG definiert Energieversorgungsunternehmen als

„natürliche oder juristische Personen, die Energie an andere liefern, ein Energieversorgungsnetz betreiben oder an einem Energieversorgungsnetz als Eigentümer Verfügungsbefugnis besitzen […]“. Dies umschließt alle Elektrizitäts­ und Gas­

versorgungsunternehmen, die Übertragungs­, Elektrizitäts­

verteilernetze oder geschlossene Verteilernetze betreiben.

Energieversorgungsunternehmen (EVU) umfasst in diesem Kapitel alle Unternehmen, die in der Energieversorgung (Strom und Gas) tätig sind. Dies umfasst sowohl überregio­

nale Energieversorger als auch Regionalversorger wie Stadt­

werke oder Tochterunternehmen der Großversorger.

unwichtigeren Handlungsebenen verortet. Seit den neunziger Jahren wendet sich die Situation: die Strommärkte wurden liberalisiert, gefolgt von Gas, und Wettbewerb im Vertrieb wurde erstmals sicht­

bar. Preise können nun frei gestaltet werden, was auch eine neue Herangehensweise zur Erreichung und Bindung von Kunden erfordert. Alte Strukturen wie die Dominanz von Stadtwerken und Regional­

versorgern, die den Paradigmenwechsel in den 1990ern überstanden haben, verlieren wirtschaft­

lich an Boden. Die umfassende Einführung von Wettbewerb auf Erzeugungs­ und Verbrauchsseite für die Schaffung transparenter Preise oder die Zugangserleichterung von Drittanbietern am Markt rückt gerade jetzt durch die zunehmende Relevanz von erneuerbaren Energien mehr und mehr in den Mittelpunkt (Grashof 2014).

Konventionelle Erzeugung aus Kohle und Gas wird durch den Atomausstieg etc. in Zukunft vermehrt der Energie aus erneuerbaren Energieträgern weichen.

Das Zukunftsbild des Energiemarktes zeichnet sich durch eine (intelligente) Kopplung und Kommunika­

tion der Sektoren aus, Energie wird dezentral und Stromflüsse werden zunehmend flexibel gesteuert (Grashof 2015). Die Digitalisierung ist durchgehend im Rahmen der Verknüpfung von Energie, Telekom­

munikation und Automatisierung präsent. Der notwendige Aus­ und Umbau der Strominfrastruktur für eine erfolgreiche und nachhaltige Umstellung auf Energiegewinnung aus Wind, Sonne und Biomasse verleiht ihr zwangsläufig eine zentrale Rolle, wenn in Zukunft auf ein nachhaltiges dezentrales Energie­

system im Sinne der Sektorenkopplung und Smart­

Grid­Vernetzung gesetzt werden soll. Anwendungen aus den Bereichen IoT und Big Data sind maßgeb­

liche Treiber für die Integration und den Ausbau

2 / Zukunfts orientiertes IT-Management in Energie versorgungs unternehmen

dezentraler Anlagen wie z.B. digital gesteuerter PV­ oder Windkraftanlagen, um bedarfsgerecht und flexibel auf gewonnene Energien zugreifen zu können. Dabei müssen die einhergehenden Prozes­

se bei Handel, Beschaffung, Abrechnung und anderen Services mindestens genauso stark in den Fokus rücken, um zukünftig organisatorisch dieselbe Flexibilität wie der Anlagen­ und Netzbetrieb zu gewährleisten.

Neben regulatorischen Vorgaben und zahlreichen Maßnahmen zur Verbrauchssenkung wird bei der Transformation ein deutlicher Kostensenkungsdruck geschaffen. Kundenbedürfnisse ändern sich und passen sich dem ökologischen und ökonomischen Wandel an – zunehmender Wettbewerb durch künftig neue Akteure und damit sinkende Loyalität zum ”Energieversorger des Vertrauens” erfordern ein zielgerichtetes Handeln von Seiten der EVU. Ein Großteil der Verbraucher (BDEW 2017) beginnt verstärkt, die Versorgungskette zu hinterfragen und verlangt Transparenz und angepassten Service.

Bonusprogramme für den Einbau von erneuerbaren Energieanlagen wie Photovoltaik mit zugehörigem Speicher, mehr Transparenz durch Energiemanage­

mentsysteme für Daten­ sowie Analyseabruf in Echtzeit via App oder die Förderung einer gemein­

schaftlich autarken Lebensweise als sogenannte Energiegemeinschaft stellen die Zukunft der Ener­

giewirtschaft auf Kundenseite dar (ebd.).

Auch Marktteilnehmer aus anderen Branchen weiten ihr Leistungsspektrum auf den Energiemarkt aus. So beispielsweise der Einzelhändler ALDI oder das Internetunternehmen GMX, die neuerdings auch Strom­ und Gasprodukte anbieten. Anbieter neuer Technologien der künstlichen Intelligenz oder Blockchain treiben die Digitalisierung und Daten­

sammlung auf dem Energiemarkt voran. Hersteller von modernen Stromspeichern wie Batterien von beispielsweise Tesla beginnen auch für private Haushalte zunehmend interessant und erschwinglich zu werden. In der Mobilitäts­ und Logistikbranche fördert der Trend zu Elektrofahrzeugen Innovationen

im Bereich alternative Antriebe sowie Smart Mobility, auf dem Wohnungsmarkt versuchen sich An wendungen für Smart Meter und Smart Home/

Smart Building zu etablieren.

Die fünf absatzstärksten Anbieter an den deutschen konventionellen Erzeugungskapazitäten beherrsch­

ten 2019 rund 61% des Stromerstabsatzmarkts, Tendenz fallend (BNA und BKA 2020). Die kleineren Wettbewerber müssen sich im Angesicht des Wegfallens weiterer konventioneller Kapazitäten und der steigenden Erzeugung durch Erneuerbare Energien ebenfalls ihren Platz im Markt sichern. Die Energiewende findet dabei vor allem in den Verteil­

netzen statt, an welche 97% der erneuerbaren Stromerzeuger angeschlossen sind. 45% der Netze bewirtschaften dabei kommunale Unternehmen (Doleski 2017).

Neben den größeren und ganz großen der Energie­

branche müssen also auch die etwa 900 Stadtwerke (VKU 2019) mit ihren unterschiedlichen Geschäfts­

feldern, die nicht nur die Energie, sondern oftmals auch Wasser, Breitband, Abfallwirtschaft, Bäder etc.

betreffen, spätestens jetzt Handlungsbedarf

erkennen und ihr Portfolio entsprechend der digitalen Transformation sinnvoll anpassen sowie intelligente und klare Lösungen für die neuen, komplexen Fragestellungen finden. Tun sie dies nicht, riskieren sie nachhaltige Marktanteilsverluste und Gewinn­

rückgänge, nicht rechtzeitig genutzte Chancen werden dann von neuen Wettbewerbern wahrgenom­

men. Um die Potenziale zu heben, ist es zwingend notwendig, nicht nur Geschäftsmodelle, sondern auch die Unternehmens­IT neu zu denken und damit eine Grundlage für ein neues, effizientes System bzw.

eine nachhaltige Digitalisierungsstrategie zu legen.

Diesen Sachverhalt kann man aus zwei Perspektiven betrachten, die zum Schluss zum gleichen Ergebnis führen. Denn ob nun die Digitalisierung die Energie­

wirtschaft oder die Energiewirtschaft die Digitalisie­

rung beeinflusst, ist schlussendlich egal – wichtig ist, dass stattfindende Veränderungen bei EVU eine entsprechende Reaktion hervorrufen.

2 /Zukunfts orientiertes IT-Management in Energie versorgungs unternehmen

1.2 Neue Anforderungen an alle Unternehmensbereiche / Das IT-Management

Die Digitalisierung sorgt für das Aufbrechen der einst festen System­ und Prozessgrenzen der bisherigen Wertschöpfungsstufen wie Netze, Vertrieb, konventionelle und nun verstärkt auch regenerative Erzeugung sowie Handel und Beschaf­

fung. Das Auflösen der Grenzen zwischen den Wertschöpfungsstufen, die Schaffung neuer Geschäftsmodelle und Wettbewerber sowie die Relevanz individueller Kundenwünsche werden durch die Digitalisierung laut BDEW durch neue Faktoren beeinflusst und verändert. Dazu zählen neue Technologien wie Big Data Analytics oder Cloud und Mobile Computing, neue Geschäfts­

prozesse und ­modelle weg vom assetbasierten Geschäftsmodell, energiewirtschaftliche Treiber wie die Flexibilisierungsnotwendigkeit oder das IT­ Sicherheitsgesetz und Kundennachfrage und Anbieterdruck wie die Reaktion auf Wünsche der digitalen Kunden (BDEW 2016). Dynamische Wertschöpfungsnetzwerke aus der Energiewirt­

schaft und anderen Branchen werden befördert und so Kom petenzen zusammengeführt und neue Geschäftsmodelle wie die Erzeugung in virtuellen Kraft werken, Smart Home und „Real Time Pricing“

oder Smart City generiert.

Dieser Wandel sollte sich auch an einer neuen Kunden zentrierung orientieren. Es findet ein Wechsel vom reinen Konsumenten zum aktiven Marktakteur statt. Das neue Marktumfeld, geprägt durch techni­

sche und digitale Neuerungen, zieht die Notwen­

digkeit nach sich, Kundenbedürfnisse neu auf­

zuschlüsseln und Produkte, Dienstle istungen und Geschäftsmodelle an diesen auszurichten (A.T.

Kearney, BDEW, IMP³rove 2019).

Neben dem Wandel nach außen Richtung Markt und Kunden beeinflusst die Digitalisierung auch EVU bei internen Prozessen und Vorgängen. Es kommen zahlreiche Geschäftsprozesse zu bestehenden hinzu, es werden noch mehr Daten gesammelt, die

verarbeitet und analysiert werden müssen. Die IT muss während der digitalen Transformation neue Schwerpunkte bilden und ihr Handlungsspektrum erweitern, um die Unternehmensdigitalisierung erfolgreich zu unterstützen. IT ist damit nicht länger eine einzelne Abteilung oder eine outgesourcte Fachkraft, welche Softwareentscheidungen trifft oder bei Problemen auftaucht. Vielmehr erstreckt sich die IT nun in jeden Unternehmensbereich, bestenfalls sogar in jeden einzelnen Prozess. Das betrifft die Veränderung der Unternehmenskultur, der Führung, der Organisation, der digitalen Kompetenzen und der Innovationsfähigkeit.

Die Sicherstellung einer positiven Einstellung von betroffenen Akteuren ­ einschließlich der Mitarbeiten­

den eines EVU ­ zur Gewährleistung der Umsetzung einer digitalen Transformation sei dabei schon an dieser Stelle als wichtiger Faktor genannt. Gerade weil die IT im Idealfall ein alles durchdringendes Netz im gesamten EVU formt und jeder Akteur an informa­

tionstechnischen Prozessen beteiligt ist, sollte die umfassende Implementierung eines sinnvollen IT­ Managements vollzogen werden. Die IT hat das Potenzial, zum strategischen Erfolgsfaktor zu werden.

Prozesse müssen weiterentwickelt und umgestaltet werden. Eine detailreiche Analyse sowie transparente Aufarbeitung sind dafür essenziell. Dadurch

kann das Unternehmen Kernprozesse identifizieren, Synergien und Abhängigkeiten erkennen und schluss­

endlich wichtige Optimierungspotenziale ableiten.

Nach Krcmar kann das IT­Management als Teil­

bereich der Unternehmensführung betrachtet werden, welcher den bestmöglichen Einsatz der Ressource Informatik gewährleisten soll. Zu den Aufgaben zählen dabei das Management der Informationswirtschaft, der Informationssysteme sowie der Informations­ und Kommunikationstech­

nik eines Unternehmens sowie generelle Führungs­

und Gestaltungsaufgaben (Mangiapane und Büchler 2015). Durch den Paradigmenwechsel erhält das IT­Management zunehmend Form und Funktion und wird nach dem Modell von Resch zwischen der IT

2 / Zukunfts orientiertes IT-Management in Energie versorgungs unternehmen

und dem IT­Kunden sowie der Gesamtorganisation eingeordnet. Das IT­Management übernimmt dabei eine wichtige Koordinationsfunktion und muss alle Bereiche aufeinander abstimmen und aktiv mana­

gen (Mangiapane und Büchler 2015).

Weiterhin wird zwischen dem strategischen und dem operativen IT­Management unterschieden. Das strategische IT­Management stellt die Synchroni­

sierung der Unternehmensziele mit der IT­Strategie sicher. Die Initiierung und Planung von IT­Vorhaben und deren Priorisierung für die Verbesserung der strategischen Position des Unternehmens durch die implementierten Informationssysteme sind zentral und stets auf eine kontinuierliche Anpassung und Verbesserung bedacht. Im operativen IT­Manage­

ment steht die wirtschaftliche Nutzung der IT­Res­

sourcen im Vordergrund und konzentriert sich auf die effektive Entwicklung von IT­Lösungen, einen reibungslosen IT­Betrieb und die Weiterentwicklung und Wartung von Informationssystemen.

Der strategische und der operative Aspekt sollten gleichermaßen beim IT­Management im Fokus stehen, um kurzfristige Erfolge und den langfristigen Erhalt des Unternehmens zu sichern (Tiemeyer 2017). Bei alldem darf das IT­Management seine eigene Digitalisierung nicht vergessen.

1.3 Methodik

Ziel des Kapitels zur Etablierung eines zukunftsfähi­

gen IT­Managements für EVU ist die Entwicklung und Beschreibung eines entsprechenden Vor­

gehensmodells, auf Basis dessen Energieversorger eine sinnvolle und nachhaltige Strategie für eine zielgerichtete Digitalisierung und schlagkräftiges IT­Management aufsetzen können.

Zu Beginn der Erarbeitung wurden im Rahmen von Workshops mit auf die Energiewirtschaft speziali­

sierten IT­Experten die relevanten Bestandteile eines Vorgehensmodells ermittelt, analysiert und zueinander ins Verhältnis gesetzt. Aufbauend auf dieser Grundstruktur folgten tiefgreifende

Sekundärrecherchen zu den einzelnen Phasen, ihren Elementen und jeweiligen Einflussfaktoren. Aktuelle Marktentwicklungen und Best­Practices sorgen für eine möglichst branchenspezifische Ausrichtung des Vorgehensmodells.

Um einen Überblick über den Status quo des IT­Managements in EVU zu bekommen, wurden im Rahmen von leitfadengestützten qualitativen Experteninterviews IT­Verantwortliche zu Treibern, Erfolgsfaktoren und Hindernissen der eigenen Digitalisierung befragt. Zudem standen Kooperatio­

nen mit anderen Akteuren sowie die Relevanz der Größe eines EVU für die Prozessdigitalisierung im Mittelpunkt. Die Interviews fanden telefonisch zwischen Januar und März 2020 statt, befragt wurden 12 IT­Verantwortliche der Branche. Die Ergebnisse der Befragung werden in Punkt 2 anony­

misiert zusammengefasst dargestellt.

Auf Basis der Sekundärrecherche, der Experten­

interviews sowie der Workshops werden in Punkt 3 im Rahmen der drei Phasen „Analyse, Definition und Umsetzung“ eines möglichen IT­Managements relevante Bestandteile aufgezeigt und detailliert erläutert.

In weiteren Workshops wurden schließlich einzelne Elemente der Phasen identifiziert, die sich durch ein besonderes Maß an Flexibilität auszeichnen (sollten) und so für das Vorgehensmodell und dessen Erfolg eine hohe Bedeutung aufweisen. Zu diesen zählen flexible Geschäftsprozesse, agile Frameworks der IT­Governance sowie agile IT­Landkarten. Diese werden in Punkt 4 genauer dargestellt.

2 /Zukunfts orientiertes IT-Management in Energie versorgungs unternehmen

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BESCHREIBUNG DES