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2 Auswahl durch visuelle selektive Aufmerksamkeit

2.3 Verarbeitung irrelevanter Information: Automatisch, unwillkürlich oder strategisch?

2.3.2 Strategische Mitverarbeitung

Nach der Theorie der Auslastung eignet sich das Flankerparadigma gut zur Untersu-chung von Strategien bei der Reizauswahl, da die passiven Bedingungen allein aufgrund der

geringen perzeptuellen Auslastung noch keine ausreichende Selektivität bewirken sollten.

Kognitive Kontrolle ist demnach für den Grad der Mitverarbeitung der Flankerreize maßgeb-lich verantwortmaßgeb-lich. Geht man hingegen von der Annahme aus, dass der FKE bereits ohne Zutun von Aufmerksamkeit zustande kommt und somit einen fixen, strategie-unabhängigen Aspekt der Informationsverarbeitung darstellt, sollte er folglich durch top-down Kontrolle nicht wesentlich modifiziert werden können.

Es stellt sich daher die Frage, ob strategische Effekte im Flankerparadigma beobachtet werden können. Zum Einfluss von Strategien im Flankerparadigma existieren nur wenige Untersuchungen (siehe weiter unten im Text). Deren Ergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass eine intentionale Beeinflussung des Grads der Flankermitverarbeitung und somit des FKE möglich ist. Der Grundgedanke dieser Untersuchungen besteht darin, dass es sich bei der Fokussierung auf den Zielreiz bei gleichzeitiger Ausblendung der Flanker um nur eine mög-liche Strategie handelt. Die Aufmerksamkeit kann zwischen Zielreiz und Flankern aufgrund strategischer Erwägungen auch geteilt werden. Doch weshalb sollten die Flanker absichtlich mitverarbeitet werden, wenn sie in der typischen Flankeraufgabe explizit irrelevant sind? Of-fensichtlich versprechen sich die Personen aus der Parallelverarbeitung von Zielreiz und Flankern in manchen Fällen einen Vorteil.

Ein solcher Vorteil aus der Mitverarbeitung der Flanker kann sich z.B. dann ergeben, wenn deren Auftreten mit einer bestimmten Antwort auf den Zielreiz korreliert ist, d.h., mit hoher Wahrscheinlichkeit die richtige Reaktion vorhersagt. Miller (1987) verwendete in einer Studie Flankerreize, die zwar nicht explizit mit einer Antwort verknüpft waren, aber überzu-fällig häufig gemeinsam mit einem bestimmten Zielreiz auftraten und daher auch mit einer bestimmten Antwort korrelierten. Die Ergebnisse zeigten, dass die Versuchsteilnehmer die Flanker als Hinweisreize für die richtige Antwort auf den Zielreiz nutzten. So zeigte sich, wenn die Flanker mit der gegenteiligen Antwort als der Zielreiz assoziiert waren, eine Ver-langsamung der Reaktionszeit. Carlson und Flowers (1996) konnten ferner zeigen, dass eine solche Korrelation zwischen Flankern und richtigen Antworten einen Effekt unabhängig davon hat, ob die Versuchsteilnehmer über diesen Zusammenhang explizit informiert worden waren oder nicht. Es handelt sich dabei wohl um eine Form von Strategie, die in kontinuier-licher Weise entsteht und nicht bewusstseinspflichtig ist (siehe Strayer & Kramer, 1994b).

Strategische Anpassungen in Flankeraufgaben wurden auch von Gratton und Mitarbei-tern (Gratton et al., 1992) beobachtet. Theoretischer Ausgangspunkt hierzu war ihr Zwei-Stu-fen-Modell der Informationsverarbeitung, das in Analogie zur FIT (Treisman & Gelade, 1980) folgende Annahmen macht: Auf einer ersten und zeitlich frühen Stufe werden alle im visuellen Feld verfügbaren Merkmale – also auch Zielreiz und Flanker – parallel verarbeitet, gefolgt von einer zweiten, zeitlich späteren Stufe mit fokussierter Verarbeitung. Nach dieser Vorstellung sind auf der ersten Stufe die verschiedenen Merkmale des visuellen Feldes noch nicht zu Objekten gebunden. Erst auf der späteren Stufe werden vollständige Objekte identifi-ziert (siehe auch Kapitel 2.1.1 der Einführung). Eine Fokussierung der Aufmerksamkeit auf den Zielreiz ist somit erst ab Erreichen der zweiten Verarbeitungsstufe möglich; erfolgt die Antwort aber bereits davor, so ist sie durch Zielreiz und Flanker in etwa gleichermaßen deter-miniert. Wird auf der frühen Stufe geantwortet, führt dies zwar zu schnellen Reaktionen bei gleichzeitig jedoch hohem Fehlerrisiko. Spätere Reaktionen fallen entsprechend langsamer aus, sind dabei aber wesentlich weniger fehleranfällig. Aus diesem Modell wurde vorherge-sagt, dass Personen im Falle niedriger Fehlerwahrscheinlichkeit (vorwiegend kongruente Reizkonstellationen) aus strategischen Erwägungen heraus bereits auf der frühen Stufe reagie-ren sollten. Eine Antwort auf der spätereagie-ren Stufe hingegen sollte bei hohem Fehlerrisiko (vor-wiegend inkongruente Reizkonstellationen) bevorzugt werden.

Diese Hypothesen wurden in einer Reihe von Experimenten überprüft, in denen die Wahrscheinlichkeit des Auftretens kongruenter bzw. inkongruenter Reize variiert wurde. Zum einen geschah dies über eine Erwartungsmanipulation, indem einer Gruppe von Versuchsteil-nehmern vor jedem Aufgabendurchgang ein Hinweisreiz dargeboten wurde, der mit hoher Validität (80%) die Kongruenz des aktuellen Durchgangs vorhersagte. In einer Vergleichs-gruppe erschienen dieselben Hinweisreize vor jedem Durchgang, hier jedoch mit einer Vali-dität von lediglich 50%, d.h. sie waren hier uninformativ. Beiden Gruppen wurden zusätzlich in insgesamt 20% der Durchgänge neutrale Hinweisreize dargeboten. Außerdem wurden sie über die Hinweisreize und deren Validität jeweils vorab informiert. Zum anderen wurde die Auftretenshäufigkeit einer bestimmten Reizkongruenz dadurch variiert, indem der Anteil kongruenter bzw. inkongruenter Durchgänge in einem Aufgabenblock insgesamt verändert wurde. Das heißt, der Anteil kongruenter Durchgänge in den verschiedenen Blöcken von Aufgaben war entweder 0%, 25%, 50%, 70% oder 100%. Über den relativen Anteil wurden die Versuchsteilnehmer ebenfalls vorab informiert.

Gemäß der theoretischen Annahmen wurde erwartet, dass die Versuchsteilnehmer in den mit hoher Wahrscheinlichkeit kongruenten Durchgängen im Wesentlichen eine Strategie des Antwortens auf der frühen Stufe bevorzugten, während sie bei hoher Wahrscheinlichkeit inkongruenter Durchgänge häufiger auf der späteren Stufe antworten sollten. Unterschiedliche Strategien dieser Art sollten sich deutlich auf die Reaktionszeiten und Fehlerraten nieder-schlagen: Werden kongruente Durchgänge erwartet, ist mit insgesamt niedrigeren Reaktions-zeiten zu rechnen sowie mit einer stark erhöhten Fehlerrate in den (wenigen) inkongruenten Durchgängen. Wird hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Präsentation einer inkon-gruenten Reizkonstellation erwartet, so sollten die Reaktionszeiten insgesamt länger ausfallen und die Fehlerrate deutlich sinken. Die Ergebnisse von Gratton und Mitarbeitern unterstützen diese Vorhersagen im Wesentlichen (Gratton et al., 1992). Offensichtlich nahmen die Ver-suchsteilnehmer – je nach ihrer Erwartung – eine unterschiedliche Gewichtung von Geschwindigkeit und Genauigkeit vor. Allerdings zeigte sich in späteren Studien, dass die Ergebnisse zum Teil durch überzufällig häufige Reizwiederholungen beeinflusst waren (siehe Mayr, Awh, & Laurey, 2003).

Auch Harms und Bundesen (1983) konnten beobachten, dass bei Erwartung vorwie-gend kongruenter Reize eine Tendenz zur Parallelverarbeitung besteht. Darüber hinaus zeigte sich, dass auch die Nutzung von Faktoren, die eine bessere Diskriminierbarkeit von Zielreiz und Flankern und daher eine leichtere Selektion ermöglichen, strategischen Erwägungen unterworfen ist. Zum Beispiel kann eine unterschiedliche Einfärbung von Zielreiz und Flan-kern die Reizauswahl und somit die Fokussierung auf den Zielreiz erleichtern – jedoch nur, wenn eine Person hiervon bewusst Gebrauch macht. Versprechen sich die Versuchsteilneh-mer aus der Filterung der Flanker aber keinen Vorteil, z.B. da nur kongruente Reize erwartet werden, werden die Flanker absichtlich mitverarbeitet und die farbliche Trennung hat nicht die entsprechende Auswirkung (Harms & Bundesen, 1983).

Auch in anderen visuellen Selektionsaufgaben als dem Flankerparadigma konnten ähn-liche strategische Effekte beobachtet werden. Im Stroop-Paradigma (Stroop, 1935) beispiels-weise werden den Versuchsteilnehmern Wörter präsentiert, deren Wortbedeutung in kon-gruenter, inkongruenter oder neutraler Beziehung zu bestimmten perzeptuellen Eigenschaften der Präsentation steht, so wird das Wort „rot“ in roter (kongruent) bzw. in grüner Farbe (inkongruent) präsentiert, oder das Wort „oben“ erscheint oben (kongruent) bzw. unten am Bildschirm (inkongruent). Anhand einer Wahlreaktion soll auf eine bestimmte perzeptuelle

Eigenschaft (Farbe oder Ort) reagiert werden, während die Wortbedeutung zu ignorieren ist.

Typischerweise sind die Reaktionszeiten und Fehlerraten in der inkongruenten im Vergleich zur kongruenten Bedingung erhöht. Variationen der Häufigkeit bzw. Erwartung bestimmter Kongruenzbedingungen führten hier zu ähnlichen Effekten wie im Flankerparadigma (Logan

& Zbrodoff, 1979, 1982; Logan et al., 1983; Logan, Zbrodoff, & Williamson, 1984). Er-scheint z.B. vor jedem Durchgang ein Hinweisreiz, der anzeigt, ob die zu erwartende Reiz-konstellation mit hoher Wahrscheinlichkeit kongruent oder inkongruent ist, so kann im der Stroop-Paradigma die irrelevante Dimension als Prädiktor für die Zielreizantwort genutzt werden (Logan & Zbrodoff, 1982).

Eine solche Strategie erweist sich dort als noch vorteilhafter als in der Flankeraufgabe, da die irrelevante Dimension (typischerweise die Wortbedeutung) von geübten Lesern ge-wöhnlich noch rascher als die Farbe oder der Ort der Reize identifiziert wird. Logan und Mit-arbeiter interpretierten ihre Ergebnisse im Sinne unterschiedlicher Aufmerksamkeitsstrate-gien, die je nach erwarteter Kongruenz variierten. Entscheidend dabei ist ihrer Auffassung nach, wie viel Aufmerksamkeitskapazität der irrelevanten im Verhältnis zur relevanten Di-mension zugeteilt wird: Je mehr der irrelevanten DiDi-mension Beachtung geschenkt wurde, desto mehr profitierte die Reaktionszeit von einer rascheren Identifikation der Antwort. Aller-dings stieg mit zunehmender Beachtung der irrelevanten Dimension auch das Fehlerrisiko.

Geschwindigkeit und Genauigkeit wurden hier nicht direkt angepasst, sondern eine Anpas-sung dieser Maße resultierte indirekt aus einer bestimmten Aufmerksamkeitsverteilung.

Gratton und Mitarbeiter (Gratton et al., 1992) hingegen erklärten die strategischen Effekte im Flankerparadigma nicht im Sinne einer Variation der Aufmerksamkeitsverteilung, sondern vielmehr als Outputgewichtung gemäß ihres Zwei-Stufen-Modells. Diese beiden Erklärungsansätze stehen jedoch nicht prinzipiell im Widerspruch zueinander. Es gibt starke empirische Evidenz für die Annahme, dass Reizmerkmale zunächst tatsächlich unverbunden verarbeitet werden (z.B. Treisman & Gelade, 1980). Die strategische Variation der Aufmerk-samkeitsverteilung auf einzelne Reize oder Reizdimensionen vollzieht sich vermutlich erst auf einer späteren Verarbeitungsstufe, wenn bereits Objekte geformt und identifiziert wurden und somit eine Unterscheidung zwischen relevanten und irrelevanten Reizen möglich ist. Es ist anzunehmen, dass sich eine frühe (und systemimmanente) Parallelverarbeitung grober, unverbundener Merkmale von einer strategischen Parallelverarbeitung identifizierter Objekte grundlegend unterscheidet. Wird auf der Stufe noch unverbundener Merkmale reagiert, ist mit

einer sehr niedrigen Reaktionszeit bei einer hohen Fehlerrate zu rechnen (siehe z.B. die Ergebnisse von Gratton et al., 1992). Werden hingegen Objekte strategisch parallel verarbei-tet, sind hohe Fehlerquoten nicht zwingend zu erwarten. Allerdings wäre in diesem Fall von höheren Reaktionszeiten auszugehen.