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3 Informationsverarbeitung bei Doppelaufgaben

3.1 Leistung und Interferenz in Doppelaufgaben

3.1.1 Allgemeine Befunde

In der Psychologie hat die Beschäftigung mit Doppelaufgaben eine lange Geschichte, beginnend mit der häufig zitierten Studie von Telford (1931; für eine Übersicht hierzu siehe z.B. Pashler, Johnston, & Ruthruff, 2000). Im klassischen experimentellen Doppelaufga-benparadigma werden einer Versuchsperson zwei Stimuli in rascher Folge präsentiert, die beide beantwortet werden müssen. Um herauszufinden, welcher Grad zeitlicher Überlappung welche Kosten in der Leistung nach sich zieht, wird das Zeitintervall (SOA) zwischen der Präsentation des ersten (S1) und der des zweiten Reizes (S2) variiert.

Bei entsprechend kurzem SOA ist die Beantwortung des ersten Reizes zum Zeitpunkt der Präsentation des zweiten Reizes noch nicht abgeschlossen. Für diesen Fall steigt die Re-aktionszeit auf S2 mit abnehmendem SOA kontinuierlich an (z.B. Carrier & Pashler, 1995; De Jong, 1993; Logan & Gordon, 2001; Logan & Schulkind, 2000; McCann & Johnston, 1992;

Pashler & Johnston, 1989). Die Phase der Verzögerung der zweiten Reaktion (R2) in Abhängigkeit vom SOA wurde Psychologische Refraktärperiode (PRP) genannt. Analog dazu wird die charakteristische Reaktionszeiteinbuße bei R2 als PRP-Effekt bezeichnet. Bei ausreichend kurzem zeitlichen Abstand zwischen beiden Reizen weist die SOA-Funktion der Reaktionszeit auf S2 (RT2) eine Steigung von etwa -1 auf (Pashler, 1994a), d.h. bei einem SOA von beispielsweise 100 ms verlängert sich RT2 um 100 ms.

Die Reaktionszeit auf die erste Aufgabe (RT1) hingegen scheint durch die Präsenz einer zweiten Aufgabe gewöhnlich nicht oder deutlich weniger beeinflusst zu werden (z.B.

Carrier & Pashler, 1995; McCann & Johnston, 1992; Pashler & Johnston, 1989). In einigen Studien konnte jedoch auch eine maßgebliche Beeinflussung von RT1 beobachtet werden, z.B. eine Verlangsamung von RT1 bei Doppelaufgaben im Vergleich zur aufgabentypischen Reaktionszeit bei Einfachaufgaben (Logan & Schulkind, 2000; Pashler, 1984; Smith, 1969).

Diese Verlangsamung von RT1 interagiert ferner mit dem SOA, d.h. sie wird geringer, je später S2 präsentiert wird (Pashler, 1990, 1991; Smith, 1969; Tombu & Jolicoeur, 2002, 2005).

Des Weiteren wurde beobachtet, dass insbesondere bei der zweiten Aufgabe einer Doppelaufgabe verschiedene Schwierigkeitsmanipulationen unterschiedliche Effekte nach

sich ziehen. Wird beispielsweise die Wahrnehmung von S2 erschwert, z.B. indem der Kon-trast verringert wird, so hat dies häufig nur einen geringen Effekt auf RT2 im Vergleich zu einer Einfachaufgabensituation (De Jong, 1993; Pashler, 1984; Pashler & Johnston, 1989).

Wird hingegen die Antwortauswahl erschwert, z.B. über eine Erhöhung der Anzahl der Ant-wortalternativen, so werden in der Regel keine Unterschiede zur Einfachaufgabensituation be-richtet (für eine Übersicht hierzu siehe Pashler, 1998). RT1 wird durch Schwierigkeitsmanipu-lationen der zweiten Aufgabe in der Regel kaum beeinflusst; auch hier gibt es jedoch einige Ausnahmen (Logan & Gordon, 2001; Logan & Schulkind, 2000; Miller, 2006; Pashler, 1984;

Smith, 1969).

Die Ergebnisse zur Leistung in Doppelaufgaben zeigen, dass der Parallelverarbeitung mehrerer Aufgaben Grenzen gesetzt sind. In der Regel können zwei Aufgaben gleichzeitig nicht genauso rasch bearbeitet werden wie eine isolierte Aufgabe. Möglicherweise verhindert eine Art „Engpass“ im Informationsverarbeitungssystem des Menschen eine „perfekte“

Parallelverarbeitung, so dass Kosten im Vergleich zur Einfachaufgabensituation entstehen.

Die Gesamtreaktionszeit in einer Doppelaufgabe fällt jedoch zumeist nicht länger aus als die addierte Reaktionszeit beider Aufgaben bei der Durchführung als Einfachaufgaben; in einzelnen Fällen wird sogar über Einsparungen berichtet (für eine Übersicht siehe z.B.

Kahneman, 1973; Kerr, 1973; Moray, 1967; Wickens, 1984). Eine effiziente Parallel-verarbeitung scheint vor allem bei der Wahrnehmung von Reizen möglich zu ein.

In den meisten Doppelaufgabenstudien wurden Aufgaben verwendet, die möglichst wenig gemeinsame Merkmale bzw. eine geringe strukturelle Überlappung aufwiesen. Dies ist dann der Fall, wenn das Reizmaterial beider Aufgaben über unterschiedliche Sinnesmodali-täten verarbeitet wird und die Ausführung der Antworten unterschiedliche Effektoren bean-sprucht, z.B. bei einer Kombination einer visuell-manuellen mit einer auditiv-verbalen Auf-gabe. Darüber hinaus spielt auch die Art der Beurteilung eine wesentliche Rolle, d.h. ob glei-che oder unterschiedliglei-che Antwortkategorien verwendet werden. Geht es z.B. in einer Dop-pelaufgabe mit Zahlen als Reizmaterial in einer ersten Aufgabe um die Beurteilung der Reize nach gerade/ungerade, so ist die inhaltliche Überlappung geringer, wenn eine zweite Aufgabe die Beurteilung von Zahlen nach kleiner/größer erfordert, als wenn dieselbe Aufgabe wieder-holt wird. Durch die Verwendung von Aufgaben mit geringer struktureller Überlappung sollte in der Regel gezeigt werden, dass selbst unter diesen Bedingungen Kosten bei der

gleichzei-tigen Bearbeitung zweier Aufgaben entstehen (z.B. Levy & Pashler, 2001; Ruthruff, Pashler,

& Klaassen, 2001a).

3.1.2 Spezifische Interferenz bei Aufgaben mit und ohne kategoriale Überlappung Allgemeine Kosten bei der Durchführung von Doppelaufgaben, wie z.B. der PRP-Effekt, verhalten sich sehr robust und lassen sich im PRP-Paradigma nahezu immer und mit einer praktisch beliebigen Kombination von Aufgaben nachweisen. Unter bestimmten Bedin-gungen können darüber hinaus jedoch noch weitere Interferenzeffekte auftreten, die von der inhaltlichen Beschaffenheit der Aufgaben abhängen und somit spezifischer sind.

Effekte dieser Art wurden beispielsweise von Hommel (1998) beobachtet. In einer Reihe von Experimenten wurde als Reizmaterial jeweils ein einzelner Buchstabe präsentiert, entweder ein H oder ein S, der in roter oder grüner Farbe erschien. Die erste Aufgabe bestand darin, eine linke oder rechte Taste auf die Farbe des Reizes hin zu drücken; als zweite Auf-gabe musste eine mündliche Wahlreaktion hinsichtlich der Identität des Buchstabens ausge-führt werden. Letztere erforderte entweder die Antwort „rechts“/„links“ (Experiment 1) oder

„rot“/„grün“ (Experiment 2), so dass R2 folglich mit den Kategorien von R1 bzw. von S1

überlappte. Als Ergebnis zeigte sich, das sowohl RT1 als auch RT2 deutlich niedriger ausfie-len, wenn die relevante Kategorie von S1 bzw. R1 mit R2 kongruent war. Hier entstand also ein Crosstalk-Effekt von R2 auf RT1. Unter Crosstalk versteht man, dass der Input, der bei Doppelaufgaben nur für eine der beiden Aufgaben bestimmt ist, fälschlicherweise auch auf die andere Aufgabe übertragen wird (Navon, 1984, 1985; Navon & Miller, 1987). Crosstalk geht also über die unspezifische Interferenz hinaus, die aufgrund des Ressourcenwettbewerbs zwischen den Aufgaben entsteht und sich z.B. im PRP-Effekt manifestiert. In der Regel han-delt es sich bei Crosstalk-Effekten um Kongruenzeffekte, d.h. der Reiz oder die geforderte Antwort der einen Aufgabe verhält sich kongruent oder inkongruent zu den entsprechenden Merkmalen der anderen Aufgabe.

Solche Crosstalk-Effekte in Doppelaufgaben wurden auch von Logan und Mitarbeitern berichtet (Logan & Delheimer, 2001; Logan & Gordon, 2001; Logan & Schulkind, 2000).

Logan und Schulkind (2000) verwendeten als Reizmaterial beispielsweise zwei nicht-identische Zahlen, die vertikal nebeneinander und mit variablem SOA präsentiert wurden. Die Zahlen sollten entweder nach ihrer Parität (gerade/ungerade) oder nach ihrer Größe (kleiner/größer als fünf) beurteilt werden. Die Versuchsteilnehmer bearbeiteten jeweils

Blöcke mit ausschließlich derselben Aufgabe für R1 und R2 (Aufgabenwiederholung) als auch Blöcke mit Aufgabenwechsel. In den Blöcken mit Aufgabenwiederholung wurden sehr hohe Crosstalk-Effekte beobachtet. In einer weiteren Studie (Logan & Gordon, 2001) wurden ähnliche Experimente mit Aufgabenwiederholung durchgeführt, und zwar sowohl als Doppelaufgaben als auch als Einfachaufgaben. Bei den Doppelaufgaben zeigten sich wiederum deutliche Kongruenzeffekte, nicht jedoch bei den Einfachaufgaben. Weitere Beispiele von S1-S2 Crosstalk – und darüber hinaus auch von R1-R2 Crosstalk – finden sich bei Hübner und Druey (2006), bei Miller und Reynolds (2003) sowie bei Lien und Mitarbeitern (Lien & Proctor, 2000; Lien, Schweickert, & Proctor, 2003).

Offensichtlich kommt es bei Doppelaufgaben mit überlappenden Eigenschaften der Aufgaben (z.B. bei Aufgabenwiederholung) zu Kongruenzeffekten, die auf einer Beeinflus-sung von R1 durch S2 bzw. R2 beruhen. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass diese Kon-gruenzeffekte in Doppelaufgaben tendenziell höher ausfallen als bei Einfachaufgaben, d.h., wenn ein S2 zwar präsentiert wird, aber nicht beantwortet werden muss (z.B. Hommel, 1998;

Hommel & Eglau, 2002; Logan & Gordon, 2001). Da der R2-R1 Kongruenzeffekt auf RT1 auf einer Aktivierung kongruenter bzw. inkongruenter Antworten beruht, muss während der ers-ten Aufgabe S2 bereits identifiziert bzw. eine dazugehörige Antwort aktiviert worden sein.

Es stellt sich die Frage, ob Crosstalk-Effekte nur in Doppelaufgaben mit gemeinsamen semantischen Merkmalen vorkommen, oder ob sich solche Effekte auch bei Doppelaufgaben ohne kategoriale Überlappung nachweisen lassen. Einige Studien haben sich dieser Frage bereits gewidmet (Miller, 2006; Miller & Alderton, 2006; Watter & Logan, 2006) und starke Evidenz für eine Generalisierbarkeit dieser Effekte gefunden. Miller (2006) verwendete PRP-Paradigmen, bei welchen die Aufgaben nicht aufeinander bezogen waren; Reizmaterial, S-R Regeln und Antworten unterschieden sich zwischen den Aufgaben. R2 erforderte jeweils eine Go/No-Go Reaktion, d.h. in manchen Durchgängen sollte reagiert werden, in anderen nicht.

Mit dieser Versuchsanordnung sollte gestestet werden, ob R1 in den Durchgängen verlangsamt ist, die für R2 eine Hemmung der Antwort erfordern. Dies würde man erwarten, wenn ein inhibitorischer Prozess, assoziiert mit der zweiten Aufgabe, einen Crosstalk-Effekt auf die erste Aufgabe hat. Es stellte sich heraus, dass die Antworten auf die erste Aufgabe tatsächlich konsistent langsamer ausfielen, wenn der zweite Reiz keine Antwort erforderte.

In einer weiteren Studie konnten ähnliche Beobachtungen gemacht werden (Miller &

Alderton, 2006). Hier kamen ebenfalls PRP-Paradigmen mit unähnlichen Aufgaben zur Anwendung, wobei R2 hier darin bestand, einen leichten oder einen festen Tastendruck auszuüben. Die Kraftanforderungen in der zweiten Aufgabe hatten – unabhängig von motorischer Antwortkopplung – einen Effekt auf R1. So wurde R1 mit mehr Kraft ausgeführt, wenn R2 ebenfalls einen festen Tastendruck erforderte. In einem weiteren Experiment sollten die Versuchsteilnehmer nur auf einen Zielreiz reagieren, wobei sich die Flanker antwortkongruent oder -inkongruent zum Zielreiz verhielten. Bei diesen Einfachaufgaben traten keine Kongruenzeffekte auf; Miller und Alderton (2006) zogen hieraus den Schluss, dass es sich bei den Crosstalk-Effekten nicht um automatische Effekte handeln könne.

Auch Watter und Logan (2006) konnten zeigen, dass trotz Aufgabenwechsel und der Verwendung unterschiedlicher Kategorien Crosstalk-Effekte zwischen der ersten und der zweiten Aufgabe entstehen können. Ihre Untersuchung zielte insbesondere darauf ab, zwi-schen der Interferenz auf der Ebene von Reizkategorien bzw. auf der Ebene von Antwortkate-gorien zu differenzieren. In einem ersten Experiment wurde die Leistung bei gleichen bzw.

unterschiedlichen Aufgaben für S1 und S2 verglichen. Als Reizmaterial wurden Zahlen ver-wendet; bei den Aufgaben handelte es sich um Beurteilung der Reize nach gerade/ungerade und größer/kleiner fünf. Für die erste und die zweite Aufgabe standen insgesamt vier unter-schiedliche Reaktionstasten zur Verfügung. Eine Hälfte der Versuchsteilnehmer sollte auf beide Aufgaben mit unterschiedlichen Händen reagieren, die andere Hälfte sollte jeweils die-selbe Hand für beide Aufgaben verwenden; auf diese Weise wurde die Überlappung der Ant-wortkategorien zwischen beiden Aufgaben variiert. Insgesamt konnten die Ergebnisse starker Crosstalk-Effekte bei Aufgabenwiederholung repliziert werden. Diese Effekte fielen jedoch bei Aufgabenwechsel deutlich geringer aus. Im Falle eines Handwechsels unterschieden sich die Antwortkategorien zwischen den Aufgaben vollständig; unter diesen Bedingungen konn-ten keine signifikankonn-ten Kongruenzeffekte mehr beobachtet werden. In einem weiteren Experi-ment wurde die Bedeutung der Antwortkategorien näher untersucht, indem bei Aufgaben-wechsel verschiedene Hände, aber identische Kategorien verwendet wurden. Der Vorhersage gemäß kam es nun trotz Aufgaben- und Handwechsels zu signifikanten Kongruenzeffekten.

Offensichtlich ist für die Entstehung von Interferenzeffekten bei Doppelaufgaben die Ver-wendung gleicher Antwortkategorien ausschlaggebend.