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2 Auswahl durch visuelle selektive Aufmerksamkeit

2.2 Der Einfluss irrelevanter Reize in Einfachaufgaben

2.2.1 Das Eriksen Flankerparadigma

Methodisches Prinzip

Das Flankerparadigma wurde von Eriksen und Eriksen (1974) eingeführt und zog seit-her zahlreiche Folgeuntersuchungen nach sich. Im Laufe der Zeit wurde eine Vielzahl von Variationen des klassischen Paradigmas entwickelt. Das Grundprinzip ist dabei jedoch stets ähnlich und lässt sich, wie folgt, beschreiben: Es wird ein Zielreiz präsentiert, der so rasch und so richtig wie möglich anhand einer Wahlreaktionsaufgabe beantwortet werden soll. Der Zielreiz wird dabei flankiert von zumeist zwei oder auch mehr aufgabenirrelevanten Ablenk-reizen, genannt Flanker. Als Reize dienen üblicherweise alphanumerische Zeichen.

Bei welchem der Reize es sich um den Zielreiz handelt, wird durch die räumliche Position oder durch Hinweisreize angezeigt. In der klassischen Variante der Flankeraufgabe wird der Zielreiz mittig dargeboten, sowie rechts und links angrenzend jeweils ein oder meh-rere Flanker (siehe Abbildung I-1). Die Flanker sind dabei üblicherweise redundant, d.h. das-selbe Zeichen erscheint in mehrfacher Ausführung. Ein Beispiel einer solchen Reizanordnung wäre z.B. der Buchstabe „H“, links und rechts umgeben von zwei Buchstaben der Ausprä-gung „S“. Im Flankerparadigma besteht üblicherweise keine oder nur wenig Ortsunsicherheit, da der Zielreiz entweder stets an derselben Stelle erscheint oder ein Hinweisreiz die entsprechende Position markiert. Die Reizauswahl läuft also in der Regel über die räumliche Position des Zielreizes ab.

Die Güte der Selektionsleistung bzw. der Einfluss der Flanker wird gemessen, indem die Leistung unter dreierlei Aufgabenbedingungen verglichen wird: Kongruent, inkongruent und neutral (siehe Abbildung I-1). Die Kongruenz bezieht sich auf die Antworten, die mit den Reizen assoziiert sind. Kongruent bedeutet, dass Zielreiz und Flanker dieselbe Antwort akti-vieren, während im inkongruenten Fall die Flanker mit einer anderen Antwort als der Zielreiz verknüpft sind. Ein Beispiel wären Zahlen als Reizmaterial für Zielreiz und Flanker und eine Paritätsbeurteilung (gerade/ungerade) als Aufgabe. Handelt es sich bei dem Zielreiz um eine gerade Zahl, so soll eine linke Taste, handelt es sich um eine ungerade Zahl, eine rechte Taste gedrückt werden. Sind sowohl Zielreiz als auch Flanker gerade bzw. ungerade, entspricht dies einer kongruenten Situation, da beide entweder mit „links“ oder mit „rechts“ assoziiert sind.

Ist jedoch der Zielreiz gerade und die Flanker ungerade bzw. umgekehrt, so werden gegen-teilige Reaktionen aktiviert, was eine inkongruente Situation darstellt. Darüber hinaus kann es

sein, dass sich die Flanker antwortneutral verhalten, d.h. wenn im aktuellen Beispiel anstatt Zahlen andere Symbole als Flanker präsentiert werden.

Abbildung I-1: Diese Abbildung veranschaulicht das methodische Prinzip im Eriksen Flankerparadigma anhand eines Beispiels. Für Details siehe den Text.

Misst man Reaktionszeit und Fehlerrate unter den drei verschiedenen Bedingungen, so ergibt sich typischerweise die längste Reaktionszeit bzw. die höchste Fehlerrate unter gruenter Reizbedingung. Der Unterschied in der Leistung zwischen kongruenten und inkon-gruenten Bedingungen, insbesondere in der Reaktionszeit, wird als Flanker-Kongruenzeffekt (FKE) bezeichnet (Eriksen & Eriksen, 1974; Eriksen & Schultz, 1979). Der FKE gilt als Maß für die Stärke der Interferenz durch die Flankerreize. Der FKE in Einfachaufgaben bewegt sich häufig im Bereich von 20-60 ms (z.B. Eriksen & Schultz, 1979; Flowers & Wilcox, 1982; Grice & Gwynne, 1985; Miller, 1987).

Reiz-Reaktions-Zuordnung:

Das Auftreten von Flankereffekten

Die Beantwortung eines Zielreizes wird bereits durch die räumlich nahe Anwesenheit eines anderen Reizes geringfügig beeinträchtigt, selbst wenn der andere Reiz mit dem Zielreiz identisch ist (z.B. Eriksen & Eriksen, 1974; Grice & Gwynne, 1985). Wird als Vergleichs-bedingung jedoch nicht die alleinige Präsentation des Zielreizes, sondern die Bedingung mit antwortneutralen Flankern gewählt, sind in der Regel keine Kosten identischer oder antwort-kongruenter Flanker zu beobachten – in bestimmten Fällen kann die Leistung sogar verbessert werden (Cohen & Shoup, 1997; Flowers, 1990; Grice, Boroughs, & Canham, 1984). Insge-samt fallen Effekte kongruenter Flanker deutlich geringer aus als Beeinträchtigungen durch inkongruente Flanker (z.B. Miller, 1991).

Die Höhe der Flankereffekte hängt sowohl von dynamischen als auch von strukturellen Faktoren der Reizpräsentation ab. Einen dynamischen Faktor stellt das Zeitintervall zwischen der Präsentation des Zielreizes und dem Erscheinen der Flanker dar: Ein substantieller Faszi-litationseffekt durch identische oder kongruente im Vergleich zu neutralen Flankern ist nur dann zu erwarten, wenn diese bereits eine gewisse Zeit vor Erscheinen des Zielreizes präsen-tiert werden. Beim Interferenzeffekt durch inkongruente Flanker, dem FKE, sind dagegen die stärksten Effekte zu verzeichnen, wenn die Flanker gleichzeitig mit oder unmittelbar vor dem Zielreiz erscheinen (Eriksen & Eriksen, 1974; Flowers, 1990; Grice & Gwynne, 1985). Je später nach der Darbietung des Zielreizes die Flanker präsentiert werden, desto mehr ver-ringert sich der FKE oder verschwindet vollständig bei ausreichend langem Intervall (Eriksen

& Schultz, 1979). Dieses Zeitintervall zwischen Zielreiz und Flankern wird in der Regel als Stimulus Onset Asynchrony (SOA) bezeichnet.

Daneben beeinflussen auch strukturelle Eigenschaften des visuellen Feldes, wie z.B.

der räumliche Abstand der Reize, die Höhe des FKE maßgeblich. So ist der FKE dann am höchsten, wenn die Flanker etwa 0.06° Sehwinkel vom Zielreiz entfernt präsentiert werden.

Mit Vergrößerung des Abstandes reduziert er sich kontinuierlich und nähert sich bei etwa 0.5°

bis 1° Sehwinkel einer Asymptote an (Eriksen & Eriksen, 1974; Miller, 1991; Paquet &

Craig, 1997). Dabei spielt jedoch auch die Art der Aufgabe eine Rolle. Besteht beispielsweise eine Unsicherheit bezüglich des Darbietungsortes der Zielreize, so werden substantielle Effek-te auch bei größerem Abstand beobachEffek-tet (z.B. Eriksen & Hoffman, 1973). Gleichzeitig führt eine farbliche Trennung von Zielreiz und Flankern zu einer Verringerung des FKE (Harms &

Bundesen, 1983; Kramer & Jacobson, 1991), wobei sich die Farbbeziehung zwischen Zielreiz und Flankern als wichtiger erweist als die absolute Farbe der Reize (Harms & Bundesen, 1983).

Auch der Grad perzeptueller Auslastung kann sich auf den FKE auswirken (Lavie, 1995; Lavie & Tsal, 1994). Klassische Flankeraufgaben beinhalten in der Regel nur zwei Reize unterschiedlicher Identität und die geforderte Beurteilung ist perzeptuell häufig einfach.

Das bedeutet, es handelt sich hierbei um Aufgaben mit geringer perzeptueller Auslastung.

Wird die Anzahl distinkter Reize oder die Schwierigkeit der geforderten perzeptuellen Identi-fikationsleistung erhöht, so kann die Selektionsleistung verbessert und der FKE entsprechend gesenkt werden (Lavie, 1995; Lavie & Cox, 1997; Lavie & Fox, 2000; Lavie et al., 2004).

Nicht zuletzt kann die räumliche Aufmerksamkeit bereits durch vorab präsentierte Hinweis-reize direkt auf die räumliche Position des ZielHinweis-reizes ausgerichtet werden. Dies kann sogar zu einer Eliminierung des FKE führen (z.B. Paquet, 2001).

Insgesamt hängt die Entstehung des FKE und dessen Höhe von einer Vielzahl von Faktoren ab, insbesondere von solchen, die die Diskriminierbarkeit von Zielreiz und Flankern beeinflussen. Je besser Zielreiz und Flanker voneinander separiert werden können, desto leichter fällt eine Fokussierung der visuell-räumlichen Aufmerksamkeit auf den Zielreiz. Alle Mechanismen, die die Aufmerksamkeitsverteilung in passiver Art und Weise beeinflussen, können hier eine Rolle spielen (siehe auch Kapitel 2.1.1 der Einführung). Dies bedeutet jedoch nicht, dass ausschließlich bottom-up Faktoren bei der Entstehung des FKE eine Rolle spielen. Tatsächlich kann auch die top-down gesteuerte Ausrichtung der visuellen Aufmerk-samkeit entscheidend sein. Im Flankerparadigma ist dies jedoch – im Gegensatz zu den bottom-up Faktoren – weitaus weniger gut untersucht. Die Frage nach dem relativen Beitrag von automatischen und strategischen Einflüssen bei der Entstehung und Variation des FKE wird in Kapitel 2.3 der Einführung diskutiert.