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Stoffliche Risiken5

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5.1

Stoffliche Zeitbomben

Viele Stoffe natürlicher oder anthropogener Her-kunft, die sich in Boden, Wasser, Luft oder in den Nahrungsmitteln befinden, stellen potentielle Ge-sundheitsrisiken für den Menschen dar. Wenn die Stoffe auf die biotische Umwelt einwirken, so kön-nen sie dort Organismen schädigen und zu negativen Veränderungen der Struktur und Funktion von Öko-systemen führen.

Bei vielen Stoffen ist die Abgrenzung zwischen Chance und Risiko besonders schwierig, da sowohl stofflicher Mangel als auch stofflicher Überfluß für Lebewesen und deren Gesellschaften schädlich sein können (Abb. 5.1-1). Auf die Schwierigkeiten, die stofflichen Risiken abzuschätzen, wies bereits

Para-celsus (1493–1541) hin, als er feststellte: „Alle Dinge sind ein Gift und nichts ist ohne Gift, allein die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift ist.“

Die Bewertung wird erschwert, da es auch Stoffe gibt, die in jedem Fall toxisch wirken, also keine Schwellenwerte aufweisen und bei denen Toleranz-werte bei den Schäden definiert werden müssen.

Dies ist z. B. bei den genotoxischen (mutagenen) Substanzen der Fall. Neben direkten Wirkungen von Stoffen, die in der Toxikologie als Dosis-Wirkungs-Beziehungen dargestellt werden, sind in den vergan-genen Jahren zunehmend solche stoffliche Risiken in das Zentrum des Interesses getreten, bei denen die Eintrittswahrscheinlichkeit oder das Schadensaus-maß nur schlecht abzuschätzen sind.Viele Stoffe wei-sen komplexe Verbreitungs- und Akkumulationsme-chanismen in der Umwelt auf und können in komple-xer Weise wirksam werden. Damit erhalten

wissen-limitierend optimal

optimal

tolerierbar

nicht tolerierbar

Konzentration

Physiologischer Effekt

günstig

toxisch

Nicht essentielle Elemente (z.B. Cd, Pb)

Essentielle Elemente (z.B. Cu, Zn)

Nährstoffe (z.B. N, P, K)

Abbildung D 5.1-1

Dosis-Wirkungs-Kurven für verschiedene Stoffgruppen. Essentielle Elemente sind unerläßlich für den Stoffwechsel.

Quelle: WBGU

119 Anthropogene Veränderung biogeochemischer Kreisläufe D 5.2

schaftliche Risikoberechnungen auch die Funktion von Früherkennungsindikatoren.

Menschen greifen bereits heute in beträchtlichem Umfang in die natürlichen biogeochemischen Kreis-läufe des Wassers, Kohlenstoffs, Stickstoffs und Schwefels ein. Da es sich beim Wasser und den ge-nannten Elementen um essentielle Lebensgrundla-gen für Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen han-delt, bleiben diese Eingriffe nicht ohne Folgen für die Ökosphäre. Menschen produzieren außerdem eine Vielzahl von Substanzen, die in der Natur nicht vor-kommen (Xenobiotika) und über deren Verhalten in der Umwelt erst Erfahrungen gesammelt werden müssen.

Nach den Erhebungen des Chemical Abstract Ser-vice sind heute über 11 Mio. chemische Substanzen beschrieben, mit einem Zuwachs von ca. 400.000 Substanzen pro Jahr, von denen ca. 100.000 in den Handel gelangen. In Deutschland werden jährlich 5.000 Substanzen mit einer Masse von mehr als 10 t produziert (Streit, 1994).

Bei fast allen chemisch-technischen Synthesen entstehen Nebenprodukte, deren Zusammensetzung nicht immer bekannt ist. Die hieraus resultierenden Risiken sind dementsprechend nicht abschätzbar.

Bei den bekannten chemischen Substanzen ist in den Industriestaaten der Umgang mit ihren stofflichen Risiken weitgehend geregelt. Dies kann für große Teile der Welt aber nicht angenommen werden. Auch bei den bekannten chemischen Verbindungen treten in einigen Fällen schleichende Veränderungen auf, deren Langzeiteffekte weder im Hinblick auf den Eintrittszeitpunkt noch auf die Schadenshöhe vor-hergesagt werden können.

Im folgenden werden beispielhaft 3 unterschiedli-che, durch anthropogene Stoffemissionen induzierte globale Risiken beschrieben:

• die Veränderung der biogeochemischen Kreis-läufe von Kohlenstoff, Stickstoff und Schwefel,

• persistente organische Schadstoffe (POPs),

• endokrin wirksame Stoffe.

5.2

Anthropogene Veränderung biogeochemischer Kreisläufe

Kohlenstoff, Stickstoff und Schwefel werden von al-len lebenden Organismen für ihr Wachstum, ihre Entwicklung und Fortpflanzung in vergleichsweise großen Mengen benötigt. Gleichzeitig sind sie in vie-len terrestrischen Ökosystemen nur begrenzt verfüg-bar, so daß sich Organismen und Ökosysteme im Lauf der Evolution verschiedenartig an diese limitie-renden Verhältnisse angepaßt haben (z. B. stickstoff-arme boreale Nadelwälder). Durch die hohen

an-thropogenen Emissionen verschiedener Verbindun-gen dieser Elemente ist eine für die Biosphäre bis-lang nicht dagewesene Situation entstanden:

• Alle 3 Elemente sind zunehmend gleichzeitig in größeren Mengen (oder regional sogar im Über-schuß) verfügbar, was zur Eutrophierung von Ökosystemen führt.

• Die anthropogenen Veränderungen der Element-kreisläufe haben sowohl wachstumsfördernde Wirkungen (Düngungseffekte) als auch eine wachstumshemmende und destabilisierende Wir-kung, die über verschiedene Reaktionsprodukte und Wechselwirkungen vermittelt wird (z. B. Ver-sauerung und Kationenverarmung; Ulrich und Sumner, 1991).

• Die 3 Elemente und ihre Verbindungen haben pri-mär keine akute toxische Wirkung, sie können je-doch schleichend wirksam werden, so daß eine Er-kennung des Risikopotentials veränderter biogeo-chemischer Kreisläufe nur schwer und zumeist mit erheblicher zeitlicher Verzögerung möglich ist.

Solche schleichenden Risiken suggerieren, daß kein Handlungsbedarf besteht. Außerdem ist eine Umkehrung der in dem Ökosystem auftretenden Prozesse und Entwicklungen aufgrund von Se-kundäreffekten, wie der Akkumulation von Säu-ren oder möglicherweise dem Verlust von Biodi-versität, nicht oder nur innerhalb langer Zeiträu-me möglich (Alewell et al., 1997).

Die unmittelbaren Reaktionen und Reaktionsmu-ster von Organismen und Ökosystemen auf Verände-rungen der einzelnen Elementkreisläufe von Koh-lenstoff, Stickstoff und Schwefel sind zu einem gro-ßen Teil bereits bekannt (Kap. D 5.3.1). Wie die Bio-sphäre aber auf den neuartigen „Expositions-Cock-tail“ reagieren wird, ist weitgehend ungeklärt und kann aufgrund seiner Neuartigkeit nur mit großen Unsicherheiten abgeschätzt werden.

5.2.1

Anthropogene Quellen

Die Veränderung globaler biogeochemischer Kreis-läufe stellt, sowohl hinsichtlich der Ursachen als auch der Folgen, eine der wichtigsten Komponenten des Globalen Wandels dar und führt zur Destabilisierung der natürlichen Stoffkreisläufe. Allein die anthropo-gene jährliche Stickstoffixierung (Düngerindustrie, Leguminosenanbau, Verbrennungsprozesse) ist grö-ßer als die Stickstoffixierung aller natürlichen Pro-zesse (IPCC, 1996a). Die anthropogenen Ammoni-akemissionen betragen mehr als das Doppelte der natürlichen Quellen (70% der gesamten Ammoniak-Emissionen), und auch die anthropogenen

Freiset-120 D Globale Risikopotentiale

zungen von Stickoxiden (NOx) und Distickstoffoxid (N2O) (auch Lachgas genannt) erreichen in etwa die durch natürliche Prozesse hervorgerufenen Größen-ordnungen.

Die wichtigsten anthropogenen Quellen für Koh-lenstoff-, Schwefel- und Stickstoffverbindungen sind Verbrennungsprozesse in Industrie, Verkehr und Haushalten. Landnutzungsänderungen und -formen sind neben der Freisetzung von Kohlendioxid (CO2) eine der Hauptursachen für die Emissionen von Me-than (CH4), Kohlenmonoxid (CO) und N2O (Vitou-sek, 1994; Flaig und Mohr, 1996; Schlesinger, 1997).

Die Verbrennung von Biomasse (Brandrodung, Feu-erholz) spielt in manchen Regionen im Schwefel-und Stickstoffkreislauf eine wichtige Rolle. Der An-teil der Verbrennung von Biomasse an den globalen Emissionen von Schwefeldioxid (SO2) beträgt zwar lediglich 2–5%, in Amazonien oder Westafrika ist diese Verbrennung jedoch die wichtigste SO2-Quelle (Berner und Berner, 1996). Die stickstoffintensive Landwirtschaft der Industrieländer stellt eine der be-deutendsten Quellen für Stickstoffemissionen, insbe-sondere von Ammoniak (NH3) und N2O, dar (Iser-mann, 1993; Flaig und Mohr, 1996; van der Voet et al., 1996; van der Ploeg et al., 1997).

5.2.2

Globale Verteilung von Stickstoff und Schwefel Bei den Säuren und Säurebildnern dominieren die Schwefel- und Stickstoffverbindungen, die über trok-kene und nasse Deposition in die terrestrischen Öko-systeme gelangen. Der anthropogene Anteil an den gesamten Säureeinträgen liegt bei 40–50% (Berner und Berner, 1996).

Für die Darstellung der Verteilung und der Depo-sitionen wurden Modellrechnungen durchgeführt, die eine flächenhafte Darstellung ermöglichen (WMO, 1997). Die Deposition oxidierter Schwefel-verbindungen wurde mit dem gekoppelten Atmo-sphäre-Ozean-Zirkulationsmodell ECHAM4/

OPYC (Roeckner et al., 1996) simuliert, die Deposi-tion oxidierter Stickstoffverbindungen mit dem At-mosphärenmodell ECHAM4. Der globale Kreislauf der reduzierten Stickstoffverbindungen (Ammoniak und Ammonium) ist weniger gut bekannt. Die Am-moniumdeposition wurde mit dem globalen atmo-sphärischen Transportmodell MOGUNTIA (Zim-mermann et al., 1989) berechnet.

Die Deposition oxidierter Stickstoffverbindungen auf den Landmassen ist um den Faktor 5–25 größer als über den angrenzenden Ozeanen, die bei 5–100 mg N m-2Jahr-1liegen (Abb. D 5.2-1).

Reduzierte Stickstoffverbindungen weisen erhöh-te Depositionsraerhöh-ten von 500–1.000 mg N m-2Jahr-1

über weiten Teilen Europas, Chinas und Indiens auf (Abb. D 5.2-2). Dies ist auf die Emissionen aus Land-wirtschaft und Viehhaltung zurückzuführen, im Ge-gensatz zu den vorwiegend industriellen und ver-kehrsbedingten Emissionen oxidierter Stickstoffver-bindungen. Dennoch stimmen die Gebiete erhöhter Deposition von reduzierten Stickstoffverbindungen weitgehend mit denen der oxidierten Stickstoffver-bindungen überein. Ausnahmen bilden Teile Süd-amerikas und Afrikas. Es ist außerdem bemerkens-wert, daß die Zentren der Schafzucht in Australien und Neuseeland mit einer 4–10fach höheren Deposi-tionsrate für reduzierte Stickstoffverbindungen zu erkennen sind.

Die oxidierten Schwefelverbindungen werden auf der nördlichen Hemisphäre ähnlich verfrachtet wie die oxidierten Stickstoffverbindungen (Abb.

D 5.2-3). Die Südhemisphäre zeichnet sich dagegen durch mehrere räumlich eng begrenzte Zentren der Deposition aus, die die verdichteten Ballungsräume mit Industrieansiedlungen charakterisieren. Sie er-reichen allerdings mit rund 2.500 mg S m-2Jahr-1nicht das Niveau der Brennpunkte auf der nördlichen He-misphäre.

Die Säureeinträge in die terrestrischen Ökosyste-me ergeben sich aus der Verbreitung der Stickstoff-und Schwefeldepositionen. Um die Bandbreite der möglichen Säurebelastungen zu verdeutlichen, wur-den die minimalen und die maximalen Säureeinträge errechnet (Abb. D 5.2-4). Dazu wurden im Mini-mumszenario Stoffumsätze im System Pflanze-Bo-den berücksichtigt, im Maximumszenario wurde Stickstoffsättigung des Systems angenommen. Die neutralisierende Wirkung durch die Freisetzung von basisch reagierenden Alkali- und Erdalkalikationen aus Bodenstäuben oder Flugaschen konnte aufgrund fehlender Daten bei den Depositionsberechnungen nicht berücksichtigt werden. Im Minimumszenario erreichen die Säureeinträge über den nordhemisphä-rischen Ballungsräumen Werte bis zu 450 mg H+m-2 Jahr-1. Sie liegen damit um den Faktor 40–200 über denen der unbelasteten kontinentalen Regionen. Im Maximumszenario treten durch die volle Säurewirk-samkeit von Ammoniumnitrat und Ammoniumsulfat Depositionsraten bis zu 1.000 mg H+m-2Jahr-1 auf.

Die Emissionen von Schwefel- und Stickstoffver-bindungen werden sich mit zunehmender Industria-lisierung, zunehmendem Verkehrsaufkommen und der Intensivierung der Landnutzung weiter erhöhen und können auch in den Entwicklungsländern der Südhemisphäre zu großflächigen Versauerungen und Nährstoffungleichgewichten führen. Diese sind mit einer einseitigen Anreicherung des Hauptnährstoffs Stickstoff und einem Anstieg von CO2in der Atmo-sphäre verbunden. Regional wird diese Entwicklung durch globale Biomasseströme im Zusammenhang

121 Anthropogene Veränderung biogeochemischer Kreisläufe D 5.2

10 100 1000 25000

0 25 50 250 500 5000

NOy-Deposition [mg N m-2 Jahr-1]

Abbildung D 5.2-1

Verteilung der mittleren jährlichen Deposition oxidierter Stickstoffverbindungen (NOy) im Zeitraum von 1980–1990.

Quellen: Max-Planck-Institut für Meteorologie und WBGU

1 10 100 1000 5000

0 2,5 5 25 50 250 500

NHy-Deposition [mg N m-2 Jahr-1]

Abbildung D 5.2-2

Verteilung der mittleren jährlichen Deposition reduzierter Stickstoffverbindungen (NHy) im Zeitraum von 1980–1990.

Quellen: Max-Planck-Institut für Meteorologie und WBGU

122 D Globale Risikopotentiale

mit dem internationalen Handel von Agrarproduk-ten modifiziert (KasAgrarproduk-ten D 5.2-1).

5.2.3

Auswirkungen von CO2-Emissionen auf terrestrische Ökosysteme

Neben der CO2-bedingten Erwärmung und der da-mit gekoppelten Umverteilung der Niederschläge (WBGU, 1998a), die zur Veränderung der Verbrei-tung und Struktur terrestrischer Ökosysteme führen können, kann die zunehmende CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu einer vermehrten Kohlenstoff-aufnahme der Pflanzen führen (CO2-Düngeeffekt).

Nach Angaben des IPCC (1996b) wurden in den 80er Jahren durch den CO2-Düngeeffekt jährlich etwa 0,5–2 Gt C durch die terrestrische Biosphäre gebun-den.

Die Photosynthesekapazität der Biosphäre ist je-doch begrenzt, und es wird damit gerechnet, daß die im Lauf des nächsten Jahrhunderts erwartete CO2 -Verdopplung in der Atmosphäre nur noch zu einer Erhöhung der Nettoprimärproduktion um 5% füh-ren wird (Mooney et al., 1998; WBGU, 1998a).

Gleichzeitig wird erwartet, daß die geringen Zu-wächse der Nettoprimärproduktion durch den weite-ren Temperaturanstieg und die damit verbundene

gesteigerte Atmung kompensiert oder übertroffen werden (Scholes et al., 1998). Unklar ist, wie sich die oben dargestellte Stickstoffeutrophierung und die gleichzeitig ablaufende Versauerung und Nährstoff-auswaschung langfristig auf Kohlenstoffbindung, Ar-tenzusammensetzung sowie Struktur und Funktion terrestrischer Ökosysteme auswirken. Bei der Größe der betroffenen Flächen kann daraus ein nicht abzu-schätzendes Risiko erwachsen.

5.2.4

Fallbeispiel: Destabilisierung von Waldökosystemen

Veränderungen der Austauschprozesse von Energie und Stoffen können zu irreversiblen Veränderungen der Struktur und Funktion von Ökosystemen führen, wenn die Belastungen den Bereich der systeminter-nen Regelungs- und Reparaturmöglichkeiten über-schreiten. Zusätzlich können stoffliche Belastungen nicht nur interne Veränderungen verursachen, son-dern auch Schadstoffemissionen aus Böden induzie-ren, die terrestrische und aquatische Nachbarsyste-me sowie das Grundwasser und die Atmosphäre be-lasten. Da diese Prozesse in der Regel nur langsam verlaufen und gepuffert sind, ist es schwierig, Verän-derungen und Wirkungen zu erkennen, so daß die

Ri-10 100 1000 25000

0 25 50 250 500 5000

SOy-Deposition [mg S m-2 Jahr-1]

Abbildung D 5.2-3

Verteilung der mittleren jährlichen Deposition oxidierter Schwefelverbindungen (SOy) im Zeitraum von 1980–1990.

Quellen: Max-Planck-Institut für Meteorologie und WBGU

123 Anthropogene Veränderung biogeochemischer Kreisläufe D 5.2

siken stofflicher Belastungen häufig unterschätzt werden.

Nicht nur die Strukturen von Waldökosystemen werden verändert, sondern auch ihre Funktionen (Lebensraum-, Regelungs-, Nutzungs- und Sozial-funktion). Die Versauerung der Böden und die damit

verbundene mangelhafte oder unausgewogene Nährstoffzufuhr destabilisieren Waldökosysteme und machen sie anfällig gegenüber biotischen und abiotischen Stressoren. In Regionen mit geringer Pufferfähigkeit und Tiefgründigkeit der Böden tre-ten Versauerungen auch im Grundwasser oder in

1 10 100 1000 5000

0 2,5 5 25 50 250 500

H+-Deposition [mg H+ m-2 Jahr-1]

a

b

Abbildung D 5.2-4

Verteilung der jährlichen Säuredeposition (H+) im Zeitraum von 1980–1990. a Minimumszenario, b Maximumszenario.

Quellen: Max-Planck-Institut für Meteorologie und WBGU

124 D Globale Risikopotentiale

Oberflächengewässern auf. Die aus den Emissionen oxidierter Schwefel- und Stickstoffverbindungen entstehenden Säuren gelangen direkt durch Nieder-schläge in die Böden, während die Emission redu-zierter Stickstoffverbindungen in der Atmosphäre neutralisierend wirkt und erst durch die Oxidation im Boden (Nitrifikation) zur Versauerung beiträgt.

Eine weitere indirekte Säurequelle ist die Aufnahme von gasförmigem SO2, NOxund gelöstem NH4+durch die Pflanze, welche durch Aufnahme von Kationen oder die Abgabe von H+kompensiert wird. Um die gesamte Säuredeposition zu erfassen, sind außerdem die Pflanzen zu berücksichtigen, weil sie durch Filter-wirkung die Säurebelastung modifizieren. So sind in Deutschland für Buchenbestände um 1,1–2,0fach, für Fichtenbestände um 2,1–3,6fach erhöhte Depositio-nen im Vergleich zu Freilanduntersuchungen ermit-telt worden (Veerhoff et al., 1996).

Da globale Daten für die Ermittlung der Säure-neutralisationskapazität (SNK) von Böden nicht vor-liegen, wurden auf der Grundlage der FAO-Weltbo-denkarte (1995) nährstoffarme und pufferungs-schwache Regionen identifiziert. Berücksichtigt wur-den dabei die Oberböwur-den (0–30 cm) als ökologisch

wichtigste Bereiche für Vegetation und Bodenlebe-wesen. Es wurden Pufferungskapazitäten von Böden berechnet und mit der Säurebelastung (Abb. D 5.2-4) sowie den globalen Waldflächen in Beziehung ge-setzt, um abzuschätzen, wo die Pufferkapazität über-schritten wird (Waldinventar: WCMC, 1997; Abb.

D 5.2-5a). Hierbei handelt es sich um eine konserva-tive Abschätzung, da beispielsweise auf Waldstand-orten mit Säuredeposition in Mitteleuropa die pH-Werte und die Basensättigung deutlich niedriger lie-gen als in der FAO-Bodenkarte (UN-ECE und EC, 1997). Unter Verwendung eines mittleren IPCC-Sze-narios über zukünftige Emissionen (IS92a; IPCC, 1992) wurde in gleicher Vorgehensweise die Säure-belastung für die Jahre 2040–2050 abgeschätzt (Abb.

D 5.2-5b).

Große Bereiche der noch vorhandenen Wälder in den temperaten Regionen erhalten Säureeinträge von mehr als 50 mg H+m-2Jahr-1. In Mitteleuropa lag die modellierte Säurebelastung zwischen 1980–1990 bei 250–500 mg H+ m-2 Jahr-1 (Maximumszenario).

Diese Werte stimmen gut mit den Ergebnissen aus dem Solling-Projekt mit 480 im Jahr 1980 bzw.

260 mg H+m-2Jahr-1 im Jahr 1991 überein (Mander-Kasten D 5.2-1

Stickstoffimporte über den Welthandel mit landwirtschaftlichen Produkten

Die landwirtschaftliche Produktion ist stark von der Stick-stoffversorgung der Pflanzen und Tiere abhängig. Während Pflanzen den aufgenommenen Stickstoff vollständig ver-werten, benötigen Tiere sehr viel Stickstoff, da sie ihn nur sehr ineffizient verwerten. So enthalten die tierischen Pro-dukte aus der intensiven Tierproduktion nur 1614des verfüt-terten Stickstoffs. Um den hohen Fleischkonsum in Europa zu decken, ist daher nicht nur eine intensive Massentierhal-tung notwendig, sondern es werden auch stickstoffreiche Futtermittel wie Soja- und Ölsamenschrote aus dem Aus-land importiert. 1992–1993 importierten die europäischen Staaten 2,4 Mio. t Stickstoff im Jahr in Form von Futtermit-teln (Lammel und Flessa, 1998). Das entspricht bezogen auf die landwirtschaftliche Nutzfläche Europas einem Stickstof-fimport von rund 13 kg N ha-1Jahr-1. Umgekehrt exportierte Lateinamerika 2,4 Mio. t N in Form von Futtermitteln.

Weltweit betrug der interkontinentale Handel mit den wich-tigsten landwirtschaftlichen Gütern 1992–1993 rund 11 Mio.

t N Jahr-1(Düngemittel 6,3 Mio. t, Futtermittel 4,6 Mio.

t, Frischfleisch und Lebendvieh ca. 0,5 Mio. t; Lammel und Flessa, 1998).

Damit wird der Stickstoffkreislauf nicht nur regional, sondern auch global entkoppelt. In den Empfängerländern steht Stickstoff im Überschuß zur Verfügung und verursacht eine Belastung des Grundwassers mit Nitrat, eine Eutro-phierung von Oberflächengewässern (WBGU, 1998a) und verstärkt die Ammoniakfreisetzung in die Atmosphäre mit den damit verbundenen Risiken für natürliche und naturna-he Ökosysteme (Fangmeier et al., 1994; Kasten D 5.2-2). Da in der Massentierhaltung die tierischen Exkremente

über-wiegend in Form von Gülle anfallen, deren Lagerung und Ausbringung mit besonders hohen Ammoniakfreisetzungen verbunden ist, sind die Futtermittelimporte mit einem größeren Risikopotential verbunden als die Menge allein erwarten läßt. In England beipielsweise ist die Tierhaltung für 95% der landwirtschaftlichen Ammoniakemissionen verantwortlich (Skinner et al., 1997), auch für Deutschland wird der Anteil auf etwa 90% geschätzt (Flaig und Mohr, 1996). Zudem sind die Tierproduktion und damit auch die Futtermittelimporte regional sehr unterschiedlich verteilt.

In den Futtermittel exportierenden Ländern Lateiname-rikas spielt zwar der Stickstoffentzug keine Rolle (der Stick-stoff wird dem inerten N2-Pool der Atmosphäre entnommen und exportiert), dagegen tritt eine Vielzahl von Sekundäref-fekten auf, angefangen bei der Rodung von Primärwäldern zugunsten des Sojaanbaus (z. B. im Pantanal, Brasilien;

WBGU, 1998a), gefolgt von CO2-Freisetzung, Gefährdung der Biodiversität und Bodenversauerung und Basenverar-mung durch die stickstoffixierenden Leguminosen bis hin zu soziokulturellen Folgen wie z. B. dem Verlust von Gebieten indigener Völker. Die Risiken dieser Sekundäreffekte in den futtermittelexportierenden Ländern wurden bislang wenig beachtet, und das Schadensausmaß ist noch unbe-stimmt.

Die wirkungsvollste Maßnahme zur Verringerung des weltweiten Handels mit stickstoffreichen, landwirtschaftli-chen Produkten und den damit verbundenen Risiken ist eine Reduzierung des Fleischkonsums in den Importlän-dern. Zudem könnte in den Empfängerländern das Risiko der Belastung nicht landwirtschaftlicher Ökosysteme oder des Grundwassers durch die Verminderung von Stickstoff-überschüssen verringert werden. Als Maßnahmen können dazu beispielsweise die Steigerung der Düngeeffizienz, die standortspezifische Auswahl der Düngeform und kurze La-gerungszeiten der Exkremente dienen.

125 Anthropogene Veränderung biogeochemischer Kreisläufe D 5.2

scheid et al., 1995). Dabei ist auffällig, daß in Mittel-europa kaum säurebelastete Waldstandorte auf puf-ferungsschwachen Böden ausgewiesen werden (Abb. D 5.2-5), obwohl für die EU-Staaten 53% der Waldböden pH-Werte unter 4,0 und 42% eine Ba-sensättigung von weniger als 20% aufweisen (UN-ECE, 1997). Durch die starke Zergliederung der mit-teleuropäischen Wälder wurden die Flächenanteile von Waldböden in der FAO-Bodenkarte oft nicht

be-rücksichtigt. Diesen Waldflächen wurden daher die Bodenkennwerte der besser gepufferten und nähr-stoffversorgten Waldstandorte zugewiesen. Die Ab-bildungen verdeutlichen, daß sich die Bereiche, in de-nen die Grenzen der Pufferkapazität erreicht oder überschritten werden, in den nächsten 50 Jahren in die Tropen ausdehnen werden. Betroffen sind v. a.

Südamerika und Südostasien. Zusätzlich sind diese Wälder auch einem erhöhten Eintrag von Stickstoff

Pufferkapazität überschritten Säuredisposition < Pufferkapazität

1980–1990

a

2040–2050

b

Pufferkapazität überschritten Säuredisposition < Pufferkapazität

Abbildungen D 5.2-5

Überschreitung der Pufferkapazität von versauerten bzw. versauerungssensitiven Böden unter Waldökosystemen.

a Abschätzung für 1980–1990, b Abschätzung für 2040–2050.

Quellen: Institut für Bodenkunde und Waldernährung, MPI für Meteorologie und WBGU unter Verwendung der Daten von IPCC, 1992; FAO, 1995 und WCMC, 1997

126 D Globale Risikopotentiale

ausgesetzt, der als Pflanzennährstoff das Wachstum fördert, so daß Waldökosysteme mehr Kohlenstoff fi-xieren können. Dieses Potential wird vom IPCC (1996b) global auf 0,2–1 Gt C geschätzt. Diesem er-höhten Wachstum steht allerdings eine auf zahlrei-chen physiologiszahlrei-chen und ökosystemaren Wirkun-gen beruhende Destabilisierung entgeWirkun-gen (Tab.

D 5.2-1). Erhöhte Stickstoffeinträge verstärken au-ßerdem die Freisetzung von Distickstoffoxid und wirken damit in Bezug auf die Klimawirksamkeit der

D 5.2-1). Erhöhte Stickstoffeinträge verstärken au-ßerdem die Freisetzung von Distickstoffoxid und wirken damit in Bezug auf die Klimawirksamkeit der

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