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Schadenskategorien und Auswahlkriterien global relevanter 2 Umweltrisiken

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2.1

Schaden als Bewertungskategorie

Unter „Schaden“ versteht man zunächst die greifba-re Zerstörung oder Beschädigung einer konkgreifba-reten Sache. Die Begriffe „Körperschaden“, „seelischer Schaden“, „sittlicher Schaden“, „Zivilisations-“ und

„Kulturschaden“ zeigen jedoch, daß dieser einfache Schadensbegriff über das sinnlich Wahrnehmbare hinaus erweitert werden kann, im Sinn einer Beein-trächtigung der Funktionen oder Leistungen von Leib und Seele oder von ethischen und kulturellen Werten. Trägt man die gemeinsamen Merkmale der abstrakteren Schadensbegriffe zusammen, so ergibt sich ein allgemeiner Schadensbegriff, der sich wie folgt definieren läßt: „Zerstörung, Minderung und Beeinträchtigung von – der Real- oder Idealsphäre angehörenden – konkreten oder abstrakten Werten“

(Berg et al., 1994).

Um einen Schaden als solchen erkennen zu kön-nen, braucht es immer das bewertende Subjekt. Der Schadensbegriff ist daher in seiner Bedeutung an-thropozentrisch angelegt. Die geschädigten Objekte hingegen können auch außerhalb der Anthroposphä-re liegen, also z. B. TieAnthroposphä-re, die Umwelt oder Artefakte sein.

Die Naturwissenschaften definieren Schaden in der Regel als eine physisch meßbare Veränderung, die im allgemeinen gesellschaftlichen Konsens als nicht wünschenswert eingestuft wird (Renn, 1992).

Auch hier ist der Mensch Bewerter des Schadens, aber die Schadenskategorien sind auf die Bereiche beschränkt, bei denen es physische Äquivalente der Bewertungsdimensionen gibt (etwa Gesundheits-oder Umweltschäden) und gleichzeitig eine hohe Übereinstimmung darüber herrscht, daß diese Ver-änderungen negativ zu beurteilen sind. Die Höhe des Schadens ist in dieser Sichtweise also direkt von Aus-maß und Qualität der physischen Veränderung ab-hängig.

In der Ökonomie, den Sozialwissenschaften und der Philosophie ist der Schadensbegriff wesentlich weiter aufgefächert. Berücksichtigt werden hier auch

die ökonomischen oder sozialen Bewertungen von physischen Veränderungen, zusätzlich auch nicht physisch meßbare, symbolische oder immaterielle Einbußen von dem, was gesellschaftlich als wün-schenswert angesehen wird. Während die Ökonomie dabei auf den subjektiven Nutzenbegriff als gemein-samen Nenner aller Schadenskategorien zurück-greift, ist in den übrigen Sozialwissenschaften neben dem Nutzen auch die Verletzung von Werten oder Glaubensvorstellungen von Bedeutung (Dake, 1991). Auch die Verteilung dieser Verletzungen auf unterschiedliche Gruppen in der Gesellschaft ist ein wesentlicher Gegenstand sozialwissenschaftlichen Interesses.

In der Psychologie werden Schäden meist als sub-jektiv wahrgenommene und mit den eigenen Werten und Interessen gewichtete Konsequenzen einer Handlung oder eines Ereignisses definiert (Berg et al., 1995). Die Substanz des Schadens ist vom Subjekt abhängig und umfaßt demnach sowohl materielle (physische) als auch immaterielle (symbolische) Ver-änderungen der Umwelt. Darüber hinaus wird auch die Bewertung dieser Veränderungen vom Subjekt vorgenommen; sie richtet sich nach

• den für die eigene Person als relevant angesehe-nen Werten (etwa Erhalt der eigeangesehe-nen Gesund-heit),

• den von der Gesellschaft als relevant angesehenen Werten (etwa Erhalt der Versorgungssicherheit bei Energiesystemen),

• den eigenen Interessen (etwa materiellen Vortei-len),

• den Einstellungen zu den jeweiligen Verursachern und Betroffenen des Schadens,

• den Urteilen von relevanten Bezugsgruppen und den Medien.

Zu der individuellen Bewertung des Schadens kom-men die durch Gruppen oder Organisationen vorge-nommene Wahrnehmung und Bewertung hinzu. Da-bei ist nicht nur in Analogie zum Individuum die Ebene des wertenden Subjekts von dem Individuum auf ein kollektives Subjekt verlagert, es kommen auch ganz andere Schadenskategorien ins Spiel. Es geht nämlich nicht nur darum, wie hoch der

wahrge-48 C Risiko: Konzepte und Anwendungen

nommene Schaden insgesamt bewertet wird, son-dern auch, wie sich der Schaden in unterschiedlicher Weise auf gesellschaftliche Gruppen auswirkt. Die Frage nach der Symmetrie der Verteilung von Scha-den und Nutzen auf die verschieScha-denen gesellschaftli-chen Gruppen hat oft mehr soziale und politische Sprengkraft als die aggregierte oder durchschnittli-che Höhe der Schäden. Neben das Verteilungspro-blem treten symbolische Schadenskategorien wie der Verlust der Glaubwürdigkeit von Institutionen, die Auswirkungen von Ereignissen auf politische Mobi-lisierbarkeit oder Apathie (z. B. Politikverdrossen-heit) sowie auf die politische Beherrschbarkeit der mit dem Schaden verbundenen Konflikte.

Welche Schadenskategorien sind nun für die glo-balen Umweltrisiken von Bedeutung? Der Beirat hat sich im wesentlichen auf die Risiken beschränkt, die einerseits globale Auswirkungen haben und die andererseits im Verlauf der Schadenskette umwelt-relevante Auswirkungen umfassen. Im nächsten Teil-kapitel soll aus der Vielzahl der möglichen globalen Schadenskategorien eine sinnvolle Auswahl getrof-fen werden.

2.2

Relevante Schadenskategorien

Bei der Betrachtung eines bestimmten Risikos muß danach gefragt werden, welcher Art die mögliche Schädigung sein kann, wie diese durch den Men-schen wahrgenommen und wie sie bewertet wird. Für die Bestimmung der Art der möglichen Schädigung kann folgende Kategorisierung hilfreich sein:

1. Effektiv- oder Realschaden: Einbuße an realen Le-benswerten. Gemeint sind dinglich greifbare oder physisch bzw. psychisch erlebte Beeinträchtigun-gen des materiellen Reichtums oder des körper-lich-seelischen Status. Hierher gehören: Sachschä-den und leibseelische SchäSachschä-den, also Beeinträchti-gung eines Rechtsgutes, Rechts oder rechtlich ge-schützten Interesses einer Person oder Gesellschaft durch eine andere Person oder Ge-sellschaft.

2. Eventualschaden: Verlust einer tatsächlichen oder vermeintlichen Chance; Nichterreichung des mög-lichen Nutzens. Personenschäden (leibseelische Schäden) führen meist zu Leistungsausfällen oder -minderungen und verursachen somit für das be-troffene Individuum einen Einkommensausfall, für die Gesamtheit eine potentielle Einbuße an Gütern und Diensten.

3. Ausgleichsschaden: Aufwand zur Beseitigung ein-getretener Schäden. Dieser besteht in dem Auf-wand, den der Ersatz oder die Wiederherstellung des Zerstörten oder Beschädigten erfordern. Ein

Ausgleichsschaden entsteht nur bei Sachschäden.

Diese 3 Schadenskategorien schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern beleuchten den gleichen Sachverhalt aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie stellen unterschiedliche Bewertungsmuster für die Erfassung und Qualifizierung von Schäden dar. Ne-ben der Kategorisierung nach Schadensarten ist es sinnvoll, zwischen materiellen und immateriellen Schäden zu differenzieren.

Wie aber bewertet man Schadenspotentiale, die nicht eindeutig in geldwerten Verlusten gemessen werden können? Der Verlust des Vertrauens in die Integrität politischer Entscheidungsträger etwa ist nicht monetär zu bestimmen, sondern kommt bei-spielsweise darin zum Ausdruck, daß Wahlbeteiligun-gen sinken oder RegierunWahlbeteiligun-gen in kurzen Zeitabstän-den neu gebildet werZeitabstän-den. Für diese und ähnliche For-men der ideellen Schädigung sind Maßstäbe zu be-stimmen, die wie bei den Vermögensverlusten eine Bildung von Bewertungsklassen erlauben. Damit wird auch deutlich, daß je nach zu untersuchendem Risiko ganz spezifische Konstellationen von Indika-toren herangezogen werden müssen, die häufig nur mit entsprechendem Expertenwissen formuliert wer-den können. In der Praxis ist darauf zu achten, daß das Schadenspotential mit einer überschaubaren An-zahl von Indikatoren so gemessen werden kann, daß eine Einordnung in Relevanzklassen möglich wird.

Schließlich ist von Bedeutung, ob der mögliche Schaden irreversibel oder aber behebbar bzw. kom-pensierbar ist. So kann durch Kontamination ein lo-kales Ökosystem der Erde irreversibel zerstört wer-den. Die natürlichen Lebensgrundlagen werden aber hierdurch nicht spürbar beeinflußt, wenn durch Sub-stitution oder Produktivitätssteigerung ein anderes Ökosystem eine Kompensation der ökologischen Leistungen ermöglicht. Irreversible Modifikationen des Erdsystems sind also immer dann von besonde-rer Relevanz, wenn sie nicht kompensiert werden können.

Kriterien zur Ermittlung des Schadenspotentials

1. Handelt es sich um einen Real-, Eventual- oder Ausgleichsschaden?

2. Liegt ein materieller Schaden vor? Wie hoch ist dieser?

3. Liegt ein ideeller Schaden vor (z. B. Kulturerbe)?

Wie läßt sich dieser messen und wie hoch ist er?

4. Wieviel Menschen sind vom Schaden betroffen und wie hoch ist das durchschnittliche Schadens-potential?

5. Sind die Schäden irreversibel oder nicht kompen-sierbar?

Wendet man diese Kriterien an, so zeigt sich, daß das Schadenspotential sehr unterschiedliche Formen

an-49 Probleme der Aggregation von Schadenskategorien zu einem Schadensindex C 2.3

nehmen kann.Am Beispiel des Erdbebenrisikos wird deutlich, daß hier nicht in erster Linie danach gefragt wird, wie stark das Beben sein muß, um einen be-stimmten Schaden hervorzurufen, sondern daß v. a.

danach gefragt werden muß, welche physischen und sozialen Potentiale durch das Erdbeben geschädigt werden können. Unabhängig davon, daß verschiede-ne Regioverschiede-nen der Erde mehr oder weniger anfällig ge-genüber solchen Naturrisiken sind, bezieht sich das Schadenspotential sowohl auf das naturräumliche als auch auf das zivilisatorische Inventar. Für Erdbeben bedeutet dies, daß viele Menschen durch das Risiko bedroht sind, in der Regel ein hoher materieller Schaden vorliegt, Kulturgüter in Mitleidenschaft ge-zogen werden und Schäden somit auch irreversibel sein können.

Im Gegensatz zum vorgenannten Fall ist das Scha-denspotential für das BSE-Risiko sehr viel schwerer zu bestimmen. Zwar ist davon auszugehen, daß zivi-lisatorische Schutzgüter nicht von diesem Risiko be-troffen sind. Das Schadenspotential für das natur-räumliche Potential ist z. Z. jedoch nicht bestimmbar, da das Wissen über das BSE-Risiko noch zu gering ist, um gesicherte Aussagen treffen zu können. Bei-spiele der Einschätzung dieses Risikos deuten aller-dings an, daß sowohl Real- als auch Eventual- und Ausgleichsschäden in vielen Ländern von erhebli-cher volkswirtschaftlierhebli-cher Bedeutung sein können.

2.3

Probleme der Aggregation von

Schadenskategorien zu einem Schadensindex Eine der großen Herausforderungen der Schadens-bewertung besteht in der Aggregation der verschie-denen Schadenskategorien zu einem Gesamtscha-densindex (Baram, 1980). Im Prinzip gehen alle Risi-koabschätzer davon aus, daß Entscheidungen unter Unsicherheit eine Abwägung von Nutzen und Scha-den voraussetzen. In der Ökonomie erfolgt dies auf der Basis von Risiko-Nutzen-Abwägungen, in der Psychologie nach dem gängigen Muster des subjekti-ven Erwartungsnutzens und in der Soziologie nach dem kollektiven Erwartungsnutzen von Gruppen oder Institutionen.

Eine gerechte, umfassende und nachvollziehbare Ermittlung und Bewertung von Schadenspotentialen sind bereits für einzelne Schadenskategorien äußerst schwierig. Folgende konzeptionelle und instrumen-telle Probleme sind besonders zu beachten (Renn, 1995):

• Einige Schadenskategorien werden von vielen In-dividuen und Gruppen als nicht „tauschfähig“ an-gesehen, wenn auch das Risiko, einen solchen Schaden zu erleiden, als verrechenbar angesehen

werden kann. In der Regel läßt sich anhand einer Tauschfunktion (mit der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts auf der Abzisse und der nut-zenäquivalenten Kompensationssumme auf der Ordinate) der Punkt bestimmen, an dem ein Risi-koträger nicht mehr bereit ist, eine monetäre Entschädigung für das aufzunehmende Risiko an-zunehmen. Da Individuen unterschiedliche Risi-kopräferenzen haben und somit auch die Schwel-lenwerte der Funktion variieren, bedarf es kollek-tiver Prozesse der Standardfestlegung, um eine für alle Individuen akzeptable Grenze der Kompen-sationsfähigkeit zu bestimmen. Diese Vereinba-rung gilt natürlich nur für solche Risiken, die sich nicht vollständig individualisieren lassen.

• Abwägungen lassen sich nicht durch formale Ver-fahren intersubjektiv verbindlich festlegen, was daran liegt, daß jede Gruppe unterschiedliche Ge-wichtungen zwischen den verschiedenen Scha-denskategorien vornimmt. Eine Überführung in Geldeinheiten oder in eine andere Verrechnungs-einheit setzt voraus, daß es ein theoretisch befrie-digendes und praktisch akzeptables Verfahren der Aggregation von individuellen Präferenzen gibt.

Dies ist leider nicht in Sicht.

• Neben der Höhe der Schäden spielt bei der Ver-rechenbarkeit auch die Verteilung von Schäden eine wichtige Rolle. Verfahren der Abwägung, die nur die Allokation optimieren (etwa aggregierte Kosten-Nutzen-Analysen), führen häufig zu un-gleichen Verteilungen von Lasten. Das gleiche gilt übrigens auch für reine Mehrheitsentscheidun-gen. Bei der Abwägung sind also die Verteilungs-fragen unbedingt mit zu berücksichtigen. Dies kann dadurch geschehen, daß alle Risikoträger oder ihre Vertreter an der Entscheidungsfindung beteiligt werden, also selbst mitbestimmen kön-nen, welches Verhältnis von Risiko-Nutzen-Ver-teilung sie für akzeptabel halten.

Wegen der Schwierigkeit, allgemein verbindliche Kriterien für die gegenseitige Abwägung von Schä-den ex ante festzulegen, wird häufig gefordert, derar-tige Verrechenbarkeiten im diskursiven Prozeß der Interessengruppen festzulegen. Aber auch eine sol-che Verschiebung der „substantiellen Legitimation“

auf „Legitimation durch Verfahren“ ändert nichts an der Tatsache, daß in einem Diskurs wiederum nach substantiellen Regeln der Verrechenbarkeit argu-mentiert werden muß. Der Vorteil einer diskursiven Lösung besteht jedoch darin, daß unterschiedliche Gerechtigkeits- und Abwägungsregelsysteme mit-einander im Austausch der Argumente konkurrieren können. Auf die Verfahren der Bestimmung eines Gesamtrisikos wird in Kap. G eingegangen.

50 C Risiko: Konzepte und Anwendungen

2.4

Auswahlkriterien global relevanter Umweltrisiken

2.4.1

Wahl der Kriterien

Um aus der großen Zahl möglicher Risiken die glo-bal relevanten Umweltrisiken auszuwählen, reicht die Kategorisierung der Risiken nach Risikotypen noch nicht aus. So gehören etwa Mord oder Suizid si-cher zu den wesentlichen Risiken in unserer Gesell-schaft, sie lassen sich auch in unsere Risikotypen ein-ordnen, sind jedoch für den Beirat nicht von Belang, weil keine Umweltveränderungen betroffen sind.

Daneben gibt es viele lokale, regionale und auch na-tionale Risiken, die besondere Aufmerksamkeit auf der jeweiligen politischen Ebene erfordern, die sich aber nicht global auswirken. Aus diesem Grund ist es notwendig, neben der Beschränkung auf Risiken im Grenz- oder Verbotsbereich auch noch 2 zusätzliche

„Filter“ einzubauen:

1. Der Globalfilter überprüft die Risiken auf ihren transnationalen Charakter. Die Risikoausmaße reichen über die Grenzen eines Landes hinaus oder können nur durch ein globales Risikomana-gement beherrscht werden.

2. Mit dem Umweltfilter wird sichergestellt, daß nur solche Risiken untersucht werden, bei denen in der Ablaufkette signifikante Umweltschäden zu erwarten sind.

Im folgenden sind diese beiden Auswahlfilter im ein-zelnen beschrieben. Alle Risiken, die im weiteren Gutachten analysiert werden, müssen beide Kriteri-en erfüllKriteri-en.

2.4.2 Globalfilter

Der Globalfilter läßt sich, da sich die auszuwählen-den Umweltrisiken eng an der Mensch-Umwelt-Schnittstelle orientieren, kausal mit den vom Beirat bereits identifizierten Kernproblemen des Globalen Wandels (WBGU, 1996b

)

in Verbindung bringen.

Die Kernprobleme kennzeichnen Krisenlagen in der Mensch-Umwelt-Wechselwirkung, die Ursache von globalen Umweltrisiken sein können. Da sie per defi-nitionem globale Bedeutung haben, sollte daraus auch eine global bedeutsame Wahrscheinlichkeit für eine Gefährdung ableitbar sein. Der Globalfilter prüft dementsprechend zunächst den Bezug von Ri-siken zu den Kernproblemen des Globalen Wandels.

Dafür muß gefragt werden, ob ein Umweltrisiko durch die Kernprobleme direkt verursacht oder

sig-nifikant erhöht wird. Neben der Veränderung des Eintretens von Gefahrenlagen spielt hier insbeson-dere eine Erhöhung der Verwundbarkeit eine wichti-ge Rolle (Kap. E 2). Sie kann in diesem Kontext mit dem Schadenspotential gleichgesetzt werden.

Die Veränderung des Klimas, der Verlust frucht-barer Böden, die Abnahme der biologischen Vielfalt, die Verknappung des Süßwassers, die Übernutzung der Weltmeere, die Zunahme von (menschlich mit-verursachten) Naturkatastrophen, das Bevölke-rungswachstum, zunehmende Migration (Umwelt-flüchtlinge), die Verstädterungsdynamik, die Gefähr-dung der Welternährung und der menschlichen Ge-sundheit sowie das zunehmende Wohlstandsgefälle zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sind die wesentlichen negativen Erscheinungsformen des Globalen Wandels (Kasten C 2.4-1). Sie verändern weltweit die Verwundbarkeit gegenüber den Folgen von Katastrophen und damit auch die Bewertung von Umweltrisiken hinsichtlich ihrer globalen Be-deutung.

Aus diesem Zusammenhang ergibt sich aber auch, daß ein adäquates Umweltmanagement globaler Umweltrisiken, die im oben aufgezeigten Zusam-menhang mit den Kernprobleme des Globalen Wan-dels stehen, eine überstaatliche Zusammenarbeit er-fordert (Kap. F).

Die Kernprobleme des Globalen Wandels weisen demnach 2 wesentliche Eigenschaften auf: Zum ei-nen haben sie transnationalen Charakter, zum ande-ren sind sie nur mit überstaatlichen Anstande-rengungen zu lösen. Umweltrisiken, die in direktem Zusammen-hang mit den Kernproblemen des Globalen Wandels stehen, sind daher immer von globaler Relevanz.

Der Globalfilter muß darüber hinaus aber auch solche Risiken berücksichtigen, die keinen direkten Bezug zu den Kernproblemen des Globalen Wandels aufweisen. Bestimmte Anwendungen der Gentech-nologie beispielsweise stehen in keinem direkten Zu-sammenhang mit den Kernproblemen des Globalen Wandels, können jedoch u. U. ein globales Risiko darstellen. Daher ist der Globalfilter um weitere Prüfkriterien zu erweitern, die sich u. a. auf das mit einem Risiko verbundene Bedrohungs- oder Bewäl-tigungspotential beziehen. Aus den obigen Aus-führungen werden 3 Fragestellungen als Filterkriteri-en formuliert.

Kriterien des Globalfilters

1. Besteht für das Risiko ein Bezug zu den Kernpro-blemen des Globalen Wandels?

2. Ist das Bedrohungspotential des Risikos von glo-baler oder zumindest internationaler Relevanz?

3. Ist zur Beherrschung des Risikos ein globales Ma-nagement erforderlich?

51 Auswahlkriterien global relevanter Umweltrisiken C 2.4

Kasten C 2.4-1

Kernprobleme des Globalen Wandels Natursphäre

Klimawandel: Die Menschheit provoziert über die An-reicherung langlebiger Treibhausgase in der Atmosphä-re einen signifikanten Klimawandel, der sich schon heu-te vom „Rauschen“ der natürlichen Klimavariabilität ab-hebt. Rückkopplungen der anthropogenen Erderwär-mung mit der ozeanischen Zirkulation und der Dynamik der polaren Eismassen sind zu befürchten. Wie sich die prognostizierte Verschiebung der Klimagürtel und damit der Vegetationsbedeckung und der landwirtschaftlichen Anbauzonen, der Anstieg des Meeresspiegels und die Entwicklung von Wetterextremen auf Mensch und Natur regional und global auswirken werden, ist noch weitge-hend ungeklärt.

• Bodendegradation: Die Böden der Erde weisen in vielen Ländern bereits heute mittlere bis schwere Schädigun-gen auf. Die Situation verschlechtert sich von Jahr zu Jahr.Verursacht werden die Degradationen beispielswei-se durch die rasch wachbeispielswei-sende Weltbevölkerung und ihre wirtschaftlichen Aktivitäten, in deren Folge Übernutzun-gen und UmgestaltunÜbernutzun-gen von Pflanzendecken, Verdich-tungen und Versiegelungen von Böden sowie Belastun-gen durch toxische organische und anorganische Stoffe auftreten. Schwere Bodendegradationen bedeuten Zer-störung menschlicher Lebensgrundlagen und können damit Hunger, Migration oder kriegerische Auseinan-dersetzungen auslösen.

• Verlust von biologischer Vielfalt: Nutzungsänderungen auf großen Flächen der Erde (wie Rodung von Wäldern, Umwandlung von Weiden in Ackerland, Verlust von Feuchtgebieten usw.) sind u. a. ein Grund für den Verlust von Ökosystemen, das Artensterben und den Schwund des weltweiten Genpools. Damit geht der Verlust poten-tiell nutzbarer Arten oder Naturstoffen einher, die Re-gulierungsfunktion von Ökosystemen wird gefährdet, und es verschwinden immer mehr kulturell, ästhetisch oder wissenschaftlich wichtige Biotope. Der Verlust an Kulturpflanzensorten und Nutztierrassen führt zu einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber Schädlingen und Krankheiten und damit zu einer möglichen Gefährdung der Ernährungsgrundlagen der Menschen.

• Verknappung und Verschmutzung von Süßwasser: Durch Bewässerungslandwirtschaft, Industrialisierung und Ver-städterung werden die Süßwasservorräte lokal und re-gional übernutzt. In vielen Teilen der Welt kommt es ver-mehrt zu Wasserknappheit und Wasserverschmutzung.

Daraus entstehen zunehmend ökonomische, soziale und politische Konflikte um die knapper werdende Res-source Wasser, die auch globale Auswirkungen haben können.

• Übernutzung und Verschmutzung der Weltmeere: Der Ozean erfüllt wichtige ökologische (insbesondere klima-tische) Funktionen, ist aber auch eine bedeutende Nah-rungsquelle sowie eine Senke für anthropogene Abfälle.

Insbesondere die Küstenregionen und Randmeere wer-den durch Immissionen und direkte Einleitungen über Flüsse zunehmend mit Schadstoffen belastet. Über die Gefährdung der Regionen, in denen Fischfang betrieben wird hinaus, ergeben sich auch globale Auswirkungen, etwa hinsichtlich der Bedeutung des Fischfangs für die Welternährung.

• Zunahme anthropogen verursachter Naturkatastrophen:

Vieles deutet darauf hin, daß Naturkatastrophen durch menschliche Eingriffe in natürliche Systeme zunehmen.

Beispielsweise werden durch die Rodung von Wäldern im Himalaya Hochwasser in den Gebirgsvorländern mit existentieller Bedrohung für die Bevölkerung verur-sacht. Dies führt nicht zuletzt zu einem Migrationsdruck (Umweltflüchtlinge), der weite Teile der Völkergemein-schaft betrifft.

• Ressourcenübernutzung und Überbeanspruchung der na-türlichen Senken: Im Rahmen der Debatte um eine nach-haltige Entwicklung ist die Frage nach der Begrenztheit

• Ressourcenübernutzung und Überbeanspruchung der na-türlichen Senken: Im Rahmen der Debatte um eine nach-haltige Entwicklung ist die Frage nach der Begrenztheit

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