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Bildung von Risikotypen4

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Rein theoretisch lassen sich aus den 8 Kriterien eine unübersichtliche Zahl von Risikoklassen festlegen.

Bei 8 Variablen gibt es 28Möglichkeiten der Kombi-nation, sofern nur die 2 Alternativen „Normalfall“

und „Grenzfall“ unterschieden werden. Eine solche Vielzahl von Fällen würde dem Zweck der Klassen-bildung, ein überschaubares Raster an Risikotypen vorzulegen, nicht gerecht. In der Realität sind aber einige der Kriterien eng miteinander gekoppelt und andere Kombinationen sind zwar theoretisch mög-lich, aber es gibt keine und nur wenige empirische Beispiele, die in diese Kategorien fallen. Zudem reicht es für die Leitflächenbetrachtung aus, wenn je-weils bei einem Kriterium der Grenzfall erreicht wird, gleichgültig ob die anderen Kriterien zusätzlich in den Extrembereich fallen. Für die Klassifizierung wurde deshalb ein Zuordnungsverfahren gewählt, bei dem die einzelnen Risiken dort zugeordnet wer-den, wo sie in besonders hervorstechendem Maß ei-nen der möglichen Extremwerte erreichen oder überschreiten. Da das 3. Kriterium 3 Unterkategori-en besitzt, gibt es insgesamt 11 theoretisch dUnterkategori-enkbare Fälle, bei denen der Grenzbereich erreicht bzw. über-schritten werden kann. Diese Fälle sind in Tab. C 4-1 aufgeführt.

Der 1. Fall ist für globale Risiken nicht interessant, da ein Schadensereignis mit einer Wahrscheinlich-keit von nahezu 1 entweder lokal beschränkt ist oder aber sicher eine der vom Beirat bereits in früheren Gutachten verankerten Leitplanken überschreiten

würde (da die Folgen ja mit großer Sicherheit ein-treffen würden). Große Schadenspotentiale mit ei-ner Wahrscheinlichkeit nahe bei 1 dürften wohl kaum als akzeptabel eingestuft werden. Solche Risi-ken sind aber sehr selten. Es ist gerade das Kennzei-chen der meisten anthropogenen Risiken, daß der Umfang des Schadens negativ mit der Höhe der Wahrscheinlichkeit korreliert. Je größer der Scha-den, desto geringer ist meist die Wahrscheinlichkeit.

Fall 1 kann also aus der weiteren Betrachtung ausge-schlossen werden, sofern er nicht mit einer großen Verzögerungswirkung verbunden ist. Dann aber trifft Fall 10 zu. Ebenso kann der 2. Fall aus unserer Analyse herausgenommen werden. Eine Eintritts-wahrscheinlichkeit, die gegen 0 läuft, ist so lange völ-lig unbedenklich, solange das damit verbundene Schadenspotential nicht erheblich ist. Dieser Sonder-fall einer kleinen Wahrscheinlichkeit verbunden mit einem sehr hohen Schadenspotential ist durch den Fall 3 bereits vorgezeichnet. Alle anderen Fälle sind für die Kennzeichnung Globaler Risiken von Bedeu-tung.

Nachfolgend werden die aus Fall 3–10 resultieren-den Risikotypen jeweils mit Hilfe einer idealtypi-schen Tabelle beschrieben. In diesen idealtypiidealtypi-schen Tabellen werden die relevanten Kriterien und deren Eigenschaften aufgeführt. Darin sind jeweils die Ein-trittswahrscheinlichkeit, das Schadensausmaß, das Konfidenzintervall der Eintrittswahrscheinlichkeit und des Schadensausmaßes vertreten. Falls es die

Tabelle C 4-1 Extremfälle der ausgewählten Bewertungskriterien.

Quelle: WBGU

Kriterium Extremfall Fall

Eintrittswahrscheinlichkeit W Hoch (gegen 1) 1

Gering (gegen 0) 2

Ausmaß der Schadensfolgen A Gegen hoch 3

Abschätzungssicherheit Bei Wahrscheinlichkeit gegen gering 4

Beim Ausmaß gegen gering 5

Ubiquität Globale Wirkung 6

Persistenz Sehr lange Abbaurate 7

Irreversibilität Schaden nicht rückholbar 8

Verzögerungswirkung Verzögerung über sehr lange Zeiträume 9 Mobilisierungspotential Hohe psychologische und politische Relevanz 10

59 Risikotyp Zyklop C 4.2

Charakterisierung des Risikotyps notwendig macht, ist ein weiteres relevantes Kriterium aus der obigen Auflistung hinzugezogen worden. Die Konfidenzin-tervalle von Eintrittswahrscheinlichkeit und Scha-densausmaß drücken dabei die jeweilige Abschät-zungssicherheit aus.

4.1

Risikotyp Damokles

Der 3. Fall aus Tab. C 4-1 ist theoretisch wie empirisch höchst relevant. Viele technische Risikoquellen sind mit einem sehr hohen Schadenspotential ausgestat-tet. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich dieses Potential aber als Schaden manifestiert, ist denkbar gering.

Kernkraftwerke, große Chemielager, Staudämme und Meteoriteneinschläge lassen sich hier als Bei-spiele nennen. Aus diesem Grund hat der Beirat die-sen Fall als einen der zu behandelnden Risikotypen ausgewählt. Wesentliches Kennzeichen dieses Risi-kotyps ist das hohe Schadenspotential bei niedriger Eintrittswahrscheinlichkeit. Der Schaden kann zwar theoretisch zu jedem Zeitpunkt eintreten, dies ist aber aufgrund der jeweiligen Sicherheitsmaßnahmen kaum zu erwarten.

Diesem Typ wird der Name „Damokles“ gegeben (Renn, 1990). Dem griechischen Mythos zufolge war Damokles von seinem König zu einem Bankett ein-geladen worden. Er mußte jedoch sein Essen unter einem scharf geschliffenen Schwert einnehmen, das nur an einem hauchdünnen Faden hing. Chance und Risiko hingen für Damokles eng zusammen, und das Damoklesschwert wurde zum Sinnbild für eine im Glück drohende Gefahr. Das Schadenspotential des Risikos für Damokles war das höchstmögliche, näm-lich der Verlust seines Lebens. Aber andererseits war die Eintrittswahrscheinlichkeit denkbar gering, denn der Mythos berichtet, daß der Faden, der das Schwert hielt, nicht riß. Ähnlich wie Damokles unter einem Schwert essen mußte, das nur an einem dünnen Fa-den hing und jederzeit auf ihn herunterfallen konnte

(obwohl der Faden offensichtlich so stabil war, daß dieses Ereignis niemals eintrat), so ähnlich wirken auch viele Großtechnologien auf die Gesellschaft.

Demgemäß ist mit diesem Risikotyp auch ein großer Mobilisierungseffekt auf die Bevölkerung verbun-den.

Die Schadensfolgen sind in der Regel direkt, kön-nen aber bei stofflichen Emissiokön-nen auch erst in Zu-kunft virulent werden. Dagegen sind sowohl die Wahrscheinlichkeiten als auch die Schadensausmaße hinreichend gut bekannt. Natürlich verbleiben auch hier Ungewißheiten und nicht vorhersagbare Ereig-nismöglichkeiten. Verglichen aber mit anderen Risi-ken sind die Möglichkeiten des Schadenseintritts weitgehend wissenschaftlich erforscht und in ihrer kausalen Struktur verstanden (Tab. C 4.1-1).

4.2

Risikotyp Zyklop

Der 4. Fall aus Tab. C 4-1 bezieht sich auf eine hohe Unbestimmtheit gegenüber der Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit, während der maximale Schaden weitgehend bekannt ist. Eine Reihe von Na-turereignissen wie Vulkanausbrüche und Über-schwemmungen, aber auch das Auftreten von Seu-chen fallen in diese Kategorie, sofern über die Ein-trittswahrscheinlichkeit keine oder nur widersprüch-liche Informationen vorliegen. Häufig fehlt es an ausreichenden Kenntnissen über die kausalen Ein-flußgrößen oder an ausreichenden Beobachtungs-zeiträumen, um zyklische Regelmäßigkeiten festzu-stellen. Hier sind auch die Ereignisse oder Entwick-lungen zu fassen, bei denen der Mensch durch Ein-griffe in die Umwelt die relativen Häufigkeiten natürlich ablaufender Prozesse verändert, wohinge-gen die Auswirkunwohinge-gen dieser Prozesse weitgehend bekannt und in ihrem Ausmaß auch abschätzbar sind. Durch anthropogene Klimaveränderungen her-vorgerufene Veränderungen von Meeresströmungen können hier als Beispiel dienen. Ebenso lassen sich Tabelle C 4.1-1

Idealtypische Tabelle für den Risikotyp Damokles. Legende s. Kasten C 4-1.

Quelle: WBGU

Eigenschaften

Kriterium Gering Eher gering Eher hoch Hoch Ungewiß

Eintrittswahrscheinlichkeit W Abschätzungssicherheit von W Schadensausmaß A

Abschätzungssicherheit von A

60 C Risiko: Konzepte und Anwendungen

in diese Kategorie eine Reihe von chemischen oder biologischen Risiken einordnen, bei denen das maxi-male Schadensausmaß bekannt, aber die Dosis-Wir-kungs-Beziehung noch unklar bzw. umstritten ist.

Dieser Risikotyp wird „Zyklop“ genannt. Die grie-chische Antike kannte Riesen, die trotz all ihrer Kraft damit gestraft waren, daß sie nur ein einziges, rundes Auge hatten, weshalb sie Rundaugen oder Zyklopen genannt wurden. Mit nur einem Auge läßt sich nur eine Seite der Wirklichkeit erfassen und da-mit keine räumliche Perspektive wahrnehmen. Mit Blick auf Risiken gelingt es nur, eine Seite zu bestim-men, während die andere ungewiß bleibt. Oft werden

im Ausmaß überschaubare Risiken, deren Eintritts-wahrscheinlichkeit aber ungewiß ist oder sich lau-fend ändert, weitgehend unterschätzt. Dies geschieht um so eher, je größer der Verzögerungseffekt ist. Das Mobilisierungspotential ist gering. Die Auswirkun-gen können aber beachtlich sein, wenn Ubiquität und Persistenz hoch sind und der zu erwartende Schaden irreversibel ist (Tab. C 4.2-1).

Kasten C 4-1

Legende zu den Tabellen mit den Anwendungen der Kriterien auf Risikopotentiale

Die Tabellen erhalten Informationen zu 5 Dimensionen:

1. Die beiden klassischen Risikofaktoren Eintrittswahr-scheinlichkeit und Schadensausmaß. Diese sind hier durch die beiden Größen W und A gekennzeichnet.

2. Die Abschätzungssicherheit dieser beiden Faktoren.

Eine hohe Abschätzungssicherheit bedeutet, daß die Wahrscheinlichkeitsangabe für ein bestimmtes Scha-densereignis (bzw. für eine bestimmte Schadenshöhe) oder die Angabe einer Schadenshöhe für eine bestimm-te Wahrscheinlichkeit mit großer Verläßlichkeit getrof-fen werden können. Eine niedrige Abschätzungssicher-heit bedeutet, daß die Angaben für die Wahrscheinlich-keit eines bestimmten Ereignisses oder umgekehrt die Schadenshöhe für eine bestimmte Wahrscheinlichkeit stark streuen. Im ersten Fall sind die Fehlerbalken um einen Wert auf der Schadensausmaß-Eintrittswahr-scheinlichkeits-Funktion sehr klein, im 2. Fall sehr groß.

In den Tabellen wird die Abschätzungssicherheit jeweils für die beiden Größen W und A angegeben.

3. Die Gewißheit der Abschätzung der beiden Faktoren.

Ungewißheit herrscht dann vor, wenn entweder die Wahrscheinlichkeiten (Unbestimmtheit) oder die Scha-denspotentiale (Ahnungslosigkeit) noch unbekannt sind. Allerdings müssen zumindest begründete Vermu-tungen vorliegen, daß Schäden zu erwarten sind. Bei Ungewißheit ist die Abschätzungssicherheit definitions-gemäß extrem gering (nahe 0). In den Tabellen wird Un-gewißheit für jede Kenngröße getrennt aufgeführt.

4. Die Risikomerkmale Ubiquität, Persistenz, Irreversibili-tät, Verzögerungswirkung und Mobilisierungspotential.

Alle diese Größen sind in den Tabellen getrennt behan-delt.

5. Die Streubreite zwischen den Risikoquellen innerhalb ei-ner Risikoklasse. Die meisten Tabellen werden für eine Klasse von Risiken (etwa Überschwemmungen) oder für ein Risiko in unterschiedlichen sozialen Kontexten vorgenommen (etwa BSE in England oder Deutsch-land). Da die einzelnen Risikoquellen innerhalb einer Klasse unterschiedliche Werte auf den einzelnen Kenn-größen annehmen können, ist die Streubreite zwischen den Risikoquellen innerhalb einer Klasse durch Schat-tierungen von grau bis schwarz in den Querfeldern der Tabellen wiedergegeben. Je heller die Einstufung, desto

weniger Risikoquellen sind bei dieser Risikoklasse in der jeweiligen Rubrik zu erwarten. Je dunkler die Schat-tierung, desto eher nähert man sich dem Median der Ri-siken innerhalb einer Risikoklasse.

Auf der vertikalen Ebene der Tabellen sind die Abstufun-gen wiedergegeben. Sie reichen von gering bis hoch. Was gering bzw. hoch jeweils bedeutet, wird im folgenden noch einmal kurz erläutert:

• Ungewiß:

ungewiß heißt, daß eine Einordnung zwischen gering und hoch aufgrund der heutigen Kenntnisse nicht mög-lich ist und auch nicht durch sinnvoll angebbare Ver-trauensintervalle (liegt mit 90%iger Wahrscheinlichkeit zwischen x und y) eingegrenzt werden kann

• Eintrittswahrscheinlichkeit W:

gering heißt „sehr unwahrscheinlich“ (gegen 0), eher gering heißt „unwahrscheinlich“,

eher hoch heißt „wahrscheinlich“, hoch heißt „sehr wahrscheinlich“ (gegen 1).

• Schadensausmaß A:

selbsterklärend.

• Abschätzungssicherheit von W oder A:

gering heißt „schlechte“ Abschätzungssicherheit, eher gering heißt „noch relativ schlechte“ Abschät-zungssicherheit,

eher hoch heißt „relativ gute“ Abschätzungssicherheit, hoch heißt „gute“ Abschätzungssicherheit.

• Ubiquität:

gering heißt „lokal“, eher gering heißt „regional“,

eher hoch heißt „grenzüberschreitend“, hoch heißt „global“.

• Persistenz:

gering heißt „kurzfristig“ (<1 Jahr), eher gering heißt „mittelfristig“ (1–15 Jahre), eher hoch heißt „langfristig“ (15–30 Jahre), hoch heißt „mehrere Generationen“ (>30 Jahre).

• Irreversibilität:

gering heißt „wiederherstellbar“,

eher gering heißt „weitgehend wiederherstellbar“, eher hoch heißt „nur in Teilen wiederherstellbar“, hoch heißt „unwiederbringlich“.

• Verzögerungswirkung:

selbsterklärend.

• Mobilisierungspotential:

gering heißt „politisch nicht relevant“, eher gering „politisch eher nicht relevant“, eher hoch heißt „politisch eher relevant“, hoch heißt „politisch sehr relevant“.

61 Risikotyp Pandora C 4.4

4.3

Risikotyp Pythia

Der 5. Fall aus Tab. C 4-1 bezeichnet ein Risiko, bei dem das Ausmaß des Schadenspotentials unbekannt ist. Folglich läßt sich auch die Eintrittswahrschein-lichkeit nicht genau bestimmen. Insofern geht man bei diesem Risikotyp von einer hohen Ungewißheit in Bezug auf die möglichen Schadenswirkungen und damit verbunden auch mit der Eintrittwahrschein-lichkeit für bestimmbare Schäden aus. Für diesen Typ wurde der Name „Pythia“ gewählt. Die Griechen des Altertums befragten in Zweifelsfällen ihre Orakel, deren bekanntestes das Orakel von Delphi mit der blinden Seherin Pythia war. Pythia berauschte sich an Gasen, um im dadurch hervorgerufenen Trance-zustand Voraussagen und Ratschläge für die Zukunft geben zu können. Pythias Weissagungen waren je-doch zwei- oder mehrdeutig. Es wurde zwar deutlich, daß möglicherweise eine große Gefahr drohen konn-te, nicht jedoch, wie groß deren Eintrittswahrschein-lichkeit, Schadensausmaß, Verteilung und Art des Schadens seien.

In diese Kategorie fallen Risiken, die mit der Möglichkeit plötzlicher nichtlinearer Klimaänderun-gen verbunden sind, etwa das Risiko eines sich auf-schaukelnden Treibhauseffekts oder der Instabilität des westantarktischen Eisschilds, mit weit

katastro-phaleren Folgen als bei einer schleichenden Kli-maänderung. Ebenso finden sich dort weitreichende technische Neuerungen in bestimmten Anwendungs-bereichen der Gentechnik, bei denen weder das ge-naue Ausmaß der Risiken noch die Eintrittswahr-scheinlichkeit für bestimmte Schadensereignisse be-reits heute bekannt sind. Schließlich fallen in diese Kategorie auch chemische oder biologische Stoffe, bei denen man bestimmte Auswirkungen vermutet, aber weder das Ausmaß noch die Wahrscheinlichkeit genauer zu bestimmen sind. Bestes Beispiel dafür ist das BSE-Risiko.

Der 6. Fall aus Tab. C 4-1 betrifft die Globalität der Wirkungen. Dieser Fall braucht hier nicht besonders herausgehoben zu werden, da der Beirat ohnehin nur solche Risiken betrachtet, die globale Auswirkungen haben oder globales Handeln erfordern. Im übrigen korreliert die Ubiquität gleichzeitig eng mit der Per-sistenz (für chemische Stoffe ist Ubiquität eine Funk-tion von Persistenz und Mobilität; Tab. C 4.3-1).

4.4

Risikotyp Pandora

Eine Reihe von menschlichen Eingriffen in die Um-welt führt zu weitreichenden und lange andauernden Schadensereignissen. Typische Beispiele dafür sind Tabelle C 4.2-1

Idealtypische Tabelle für den Risikotyp Zyklop. Legende s. Kasten C 4-1.

Quelle: WBGU

Eigenschaften

Kriterium Gering Eher gering Eher hoch Hoch Ungewiß

Eintrittswahrscheinlichkeit W Abschätzungssicherheit von W Schadensausmaß A

Abschätzungssicherheit von A

Tabelle C 4.3-1

Idealtypische Tabelle für den Risikotyp Pythia. Legende s. Kasten C 4-1.

Quelle: WBGU

Eigenschaften

Kriterium Gering Eher gering Eher hoch Hoch Ungewiß

Eintrittswahrscheinlichkeit W Abschätzungssicherheit von W Schadensausmaß A

Abschätzungssicherheit von A

62 C Risiko: Konzepte und Anwendungen

persistente organische Schadstoffe (POP) oder Ver-änderungen in Biosystemen, die über lange Zeiten stabil bleiben. In einer Expertise für den Beirat sind diese beiden Kategorien unter dem Begriff der Reichweite zusammengefaßt und mit quantitativen Maßen versehen worden (Müller-Herold, 1998).

Besondere Beachtung verdienen dabei die Risi-ken, bei denen gleichzeitig eine hohe Persistenz, Ubi-quität und Irreversibilität (7. und 8. Fall aus Tab. C 4-1) gegeben sind. Sind diese beiden Kriterien erfüllt, ist dies auch ein Indikator dafür, daß eine Kompen-sationsfähigkeit für die aufgetretenen Schäden kaum vorliegen kann. Zwar gibt es einige Risiken, die le-diglich persistent, aber keineswegs irreversibel sind (beispielsweise könnte man radioaktiven Abfall durch hohen Energieeinsatz in Isotope mit geringen Halbwertszeiten transformieren), aber die Großzahl der hier einzuordnenden Risiken ist durch hohe Wer-te der KriWer-terien PersisWer-tenz und Irreversibilität ge-kennzeichnet. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob die Folgen verzögert eintreten oder nicht. Der Beirat hat diese Risiken als „Pandora“ bezeichnet. Die alten Griechen erklärten viele Übel ihrer Zeit mit dem Mythos der Büchse der Pandora. Diese Büchse, die von der von Zeus geschaffenen schönen Pandora auf die Erde gebracht wurde, enthielt nur Übel. Solange die Übel in der Büchse blieben, war keinerlei Scha-den zu befürchten. Wurde jedoch die Büchse geöff-net, wurden alle in ihr enthaltenen Übel freigesetzt, die irreversibel, persistent und ubiquitär die Erde heimsuchen. Die einmal freigesetzten Übel bilden eine ständige Bedrohung der Menschheit. Oft sind die Auswirkungen dieser Risiken noch unbekannt oder es gibt bestenfalls Vermutungen über ihre mög-liche schädmög-liche Wirkung. Das Ausmaß der Schäden geht zwar nicht gegen unendlich, ist aber groß genug, um eine gegensteuernde Risikopolitik zu rechtferti-gen. Beispiele für diesen Risikotyp sind persistente Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, Xenobiotika

und viele kulturell bedingte Risiken, sofern sie uni-versell eingegangen werden, wie Konzentration auf einige wenige Getreidesorten, global sich ausbreiten-de Eß- und Lebensgewohnheiten und anausbreiten-deres mehr (Tab. C 4.4-1).

4.5

Risikotyp Kassandra

Der 9. Fall aus Tab. C 4-1 betrifft ein Risiko, bei dem zwischen dem auslösenden Ereignis und dem Scha-denseintritt eine relativ große Zeitspanne liegt. Die-ser Fall ist natürlich nur dann von Interesse, wenn das Schadenspotential und die Eintrittswahrscheinlich-keit relativ hoch sind. Wäre das Zeitintervall kleiner, würde man selbstverständlich regulativ eingreifen (Risiko im Verbotsbereich). Durch die hohe Zeit-spanne zwischen Auslöser und Folge wird aber der Eindruck der Sicherheit erzeugt. Vor allem läßt sich Inaktivität auch dadurch entschuldigen, daß man glaubt, man könne bis zum Eintritt des Schadens schon ein Gegenmittel finden. Beispiele für solche Effekte findet man sowohl im medizinischen als auch im geophysikalischen oder klimatischen Bereich. Ein Beispiel für einen solchen Effekt ist der schleichende anthropogene Klimawandel, der in vulnerablen Räu-men wie Küsten- und Gebirgszonen schwere Schä-den auslösen kann. Der Beirat hat diesen Typ „Kas-sandra“ genannt, weil den Warnern vor solchen Risi-ken selten Glauben geschenkt wird. Viele Schäden sind recht gewiß, liegen aber gleichwohl in so weiter Zukunft, daß vorerst niemand eine Bedrohung er-kennen will. Dies war das Problem der Kassandra, ei-ner Seherin der Trojaei-ner, die zwar die Gefahr eines Sieges der Griechen korrekt voraussagte, aber doch von ihren Landsleuten nicht ernst genommen wurde.

Der Risikotyp Kassandra stellt damit ein Paradox dar: Sowohl Eintrittswahrscheinlichkeit als auch Eigenschaften

Kriterium Gering Eher gering Eher hoch Hoch Ungewiß

Eintrittswahrscheinlichkeit W Abschätzungssicherheit von W Schadensausmaß A

Abschätzungssicherheit von A Ubiquität

Persistenz Irreversibilität Tabelle C 4.4-1

Idealtypische Tabelle für den Risikotyp Pandora. Legende s. Kasten C 4-1.

Quelle: WBGU

63 Risikotyp Medusa C 4.6

Schadenspotential sind schon bekannt, aber weil die Schäden erst nach langer Zeit auftreten werden, ent-steht in der Gegenwart kaum Betroffenheit. Häufig haben Risiken vom Typ Kassandra auch relativ hohe Werte bei den Kriterien Ubiquität und Persistenz.

Sie führen auch zu ungerechten Verteilungen in Be-zug auf kommende Generationen (Verletzung der Nachhaltigkeit) (Tab. C 4.5-1).

4.6

Risikotyp Medusa

Der 10. Fall aus Tab. C 4-1 betrifft das Mobilisie-rungspotential. Diese Größe beschreibt das Ausmaß der individuellen Risikoaversion und des daraus mit verursachten politischen Protestpotentials, die beide mit dem Eingehen bestimmter Risiken in der Bevöl-kerung ausgelöst werden. Dieser Risikotyp ist nur dann von Interesse, wenn zwischen der Risikowahr-nehmung und den Ergebnissen der Risikoanalyse durch Experten eine besondere Kluft herrscht. Sind beide Abschätzungen kongruent, laufen politische und wissenschaftliche Prioritätenbildung parallel.

Werden von Experten als hoch angesehene Risiken in der Öffentlichkeit eher unterschätzt (wie bei

vie-len Genußmitteln oder bei Freizeitunfälvie-len), dann ist hier die Risikopolitik aufgerufen, durch geeignete Kommunikation und Bildungsmaßnahmen auf die Gefährlichkeit hinzuweisen. Dieser Fall ist aber in unserer Typologie bereits erfaßt, weil Risiken, die von Experten als besonders bedrohlich eingestuft werden, mit Sicherheit eines der anderen Kriterien erfüllen würden. Allerdings neigen auch Experten dazu, sowohl die Risiken vom Typ Pandora als auch vom Typ Pythia als geringfügiger einzustufen als ob-jektiv gerechtfertigt. Untersuchungen weisen näm-lich darauf hin, daß Experten häufig die Sicherheit ihrer Aussagen überschätzen und ungern Wissens-lücken zugeben oder Ungewißheiten in ihr Urteil aufnehmen. Insofern dient die hier vorgestellte Ty-pologie auch als eine Art Merkliste für Risikoexper-ten und für Risikolaien, eine der Bedrohung adäqua-te Risikoerfassung und -bewertung vorzunehmen.

Auch der Fall, daß Experten ein Risiko unterschät-zen, während die Laien das richtige Gespür für die Bedrohung haben, ist in dieser Typologie enthalten.

Der umgekehrte Fall ist aber bislang noch nicht zum Tragen gekommen. Viele Risiken, die bei allen übrigen Kriterien eher niedrige Werte erhalten, wer-den häufig in der Öffentlichkeit als besonders be-drohlich angesehen. Dabei kommt es zum einen zu Eigenschaften

Kriterium Gering Eher gering Eher hoch Hoch Ungewiß

Eintrittswahrscheinlichkeit W Abschätzungssicherheit von W Schadensausmaß A

Abschätzungssicherheit von A Verzögerungswirkung

Tabelle C 4.5-1

Idealtypische Tabelle für den Risikotyp Kassandra. Legende s. Kasten C 4-1.

Quelle: WBGU

Eigenschaften

Kriterium Gering Eher gering Eher hoch Hoch Ungewiß

Eintrittswahrscheinlichkeit W Abschätzungssicherheit von W Schadensausmaß A

Abschätzungssicherheit von A

Abschätzungssicherheit von A

Im Dokument Download: Vollversion (Seite 83-92)