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3.2.1 HIV/AIDS

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3Seuchen als globales Risiko

3.2.1 HIV/AIDS

In den 60er Jahren befand sich der Kampf gegen In-fektionskrankheiten mit der Ausrottung der Pocken durch die WHO, der Beherrschung der Kinderläh-mung (Polio) und des Wundstarrkrampfs (Tetanus) durch effiziente Impfungen auf einem vorläufigen Höhepunkt des Erfolgs. Allerdings waren auch da-mals die Grenzen der Infektionsbekämpfung bereits erkennbar. Sie zeigten sich im Mißerfolg des WHO-Programms bei der Ausrottung der Malaria und in der beginnenden Zunahme bakterieller Resistenzen.

1979 erschien in einer der führenden medizinischen Zeitschriften ein Editorial, das mit dem Titel über-schrieben war: Pandora’s box reopened? Der Autor konstruierte ein bis dahin hypothetisches Szenario einer globalen Rückkehr der Seuchen. Das Entste-hen „neuer“ SeucEntste-hen wurde befürchtet (Schwartz, 1979). 1983 stand fest, daß es eine neue Seuche mit pandemischem Ausbreitungspotential gab, die durch das Human Immunodefiency Virus Typ 1 (HIV)

ver-87 Schadenspotentiale, gegenwärtiger Umgang und Charakterisierung der Risiken D 3.2

ursacht wird und mit hoher Sicherheit zum Tode führt.

HIV-Viren sind Retroviren. Sie sind nach einem Enzym benannt (Reverse Transkriptase), das sie ent-halten. Retroviren sind seit 1910 aus tierexperimen-tellen Systemen bekannt, wo sie als Tumor-induzie-rende Agenzien identifiziert wurden (Peyton Rous, 1966 Nobelpreis). Humanpathogene Retroviren wurden erstmals 1980 von Gallo beschrieben (hu-man T-cell lymphotropic virus, HTLV-1 bis HTLV-3).

Zunächst wurde nur ihre Tumor-induzierende Wir-kung erkannt (adulte T-Zell-Leukämie der karibi-schen Bevölkerung) und später erst wurde HTLV-3, umbenannt in HIV-1 (Brun-Vezinet et al., 1984; Gal-lo und Reitz, 1985), als Erreger des AIDS-Syndroms identifiziert. Die HIV-1-Infektion (im folgenden als HIV bezeichnet) ist nach heutigem Wissensstand be-reits in den 40er Jahren durch den Wirtswechsel eines Virus vom Tierreich (Schimpansen, Zentralafrika) auf den Menschen durch genetische Adaption des Erregers an den neuen Wirt entstanden (Williams et al., 1983; Zhu et al., 1998).

Von den oben genannten humanpathogenen Re-troviren hat nur HIV eine globale Bedeutung er-reicht. Es infiziert Zellen des Immunsystems in Blut, Lymphknoten und Milz. Dies geschieht ausschließ-lich über direkten Kontakt mit infiziertem Blut oder infizierten anderen Körperflüssigkeiten. Das Virus-genom, das Ribonukleinsäure enthält, wird durch vi-ruseigene, Reverse Transkriptase umgeschrieben und als Provirus in das Genom der Wirtszelle inte-griert. Nach einer HIV-Infektion nimmt die Immun-reaktion des Organismus einen charakteristischen zyklischen Verlauf, der durch ein Wechselspiel zwi-schen Virus und Immunsystem gekennzeichnet ist.

Dabei wechseln sowohl Viruslast als auch Anzahl im-munkompetenter Zellen im Blut schubweise (antige-nic drift), und auf der viralen Seite treten charakteri-stische Verschiebungen in der Antigenwirkung des Virus, z. T. durch das Entstehen von HIV-Mutanten auf (antigenic shift). Nach der Infektion bestimmt also ein evolutionärer Prozeß zwischen Virus und Immunsystem die Dauer zwischen Infektion und dem Auftreten der Krankheitssymptome (Latenz-zeit). Während dieser Latenzzeit entsteht eine zu-nehmende Schwächung des Immunsystems durch ei-nen ständigen Verlust an immunkompetenten Zel-len. Die Immunantwort des Organismus wird durch Mutation und Integration des Virus in das Wirtsge-nom zunehmend umgangen. Entscheidend ist, daß die Schwächung des Immunsystems zur Zunahme von sog. opportunistischen Infektionen mit Erregern führt, die normalerweise nicht humanpathogen sind, jedoch für den AIDS-Kranken unbehandelt mit ei-ner 100%igen Letalität behaftet sind (z. B. Pneumo-cystis carinii).

Die HIV/AIDS-Pandemie setzt sich aus vielen re-gionalen Epidemien zusammen. Diese unterscheiden sich erheblich hinsichtlich des zeitlichen Beginns, der Hauptübertragungswege sowie der Entwicklung von Neuinfektionen. In verschiedenen Teilen der Welt sind demnach erhebliche Unterschiede im Schadens-potential erkennbar (Tab. D 3.2-1). Dies ist bedingt durch soziale Verhaltensweisen (z. B. Drogenmiß-brauch, Promiskuität) und – von grundlegender Be-deutung – durch gravierende Unterschiede in der Aufklärungsfähigkeit und der Umsetzung von Selbstschutzmaßnahmen. Dies wird insbesondere bei Frauen der asiatischen und afrikanischen Länder sehr deutlich. Nach Schätzung der WHO (WHO, 1997a) sind 30,6 Mio. Menschen weltweit mit HIV in-fiziert bzw. bereits an AIDS erkrankt. Von diesen le-ben 68% in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara und weitere 24% in Süd-, Südostasien und Lateinamerika. 41% der HIV-infizierten Menschen sind Frauen.

Das Muster, nach dem die Ausbreitung erfolgt, ist aufgrund ausschließlich anthropogener Faktoren ländertypisch, regional unterschiedlich und auch wandelbar. Abgesehen von der Übertragung durch Blutkonserven sind ungeschützte Sexualkontakte (insbesondere bei Promiskuität und Prostitution) und gemeinsame Benutzung von Injektionsbestek-ken die fast ausschließlichen Übertragungswege. In Nordamerika und Europa sind überwiegend Risiko-gruppen erkrankt, in denen die genannten Verhal-tensweisen oft kombiniert vorkommen (homo- und bisexuelle Männer, Drogenabhängige). Andererseits sind in Nordafrika, entsprechend regionaler sozio-kultureller Besonderheiten, eine oder mehrere Ver-haltensweisen auch in Teilen der heterosexuellen Be-völkerung verbreitet (WHO, 1997b).

Bereits gegen Ende der 80er Jahre haben in Euro-pa und Nordamerika die Zahlen der HIV-Infizierten und die AIDS-Krankheit ihren Höhepunkt erreicht, sie erreichten hier 1993/1994 ein Plateau mit einer Vorkommenshäufigkeit von 0,3–0,6% (Abb. D 3.2-1). Etablierte präventive Maßnahmen wie Auf-klärung und Beratung über Risiken und Schutzmög-lichkeiten, medizinische Versorgung Betroffener, effektive Behandlung von Begleiterkrankungen und -infektionen und strenge Kontrolle von Blutproduk-ten führBlutproduk-ten zum Erfolg. Der gegenwärtige Verlauf in Europa und den USA liefert ein Beispiel dafür, daß sich die Ausbreitung des Virus durch den Einsatz und die Weiterentwicklung der genannten Maßnahmen prinzipiell begrenzen läßt. Seit 1996 nimmt in Euro-pa und Nordamerika die Mortalität sogar deutlich ab. Letzteres ist sicher im wesentlichen auf die Ein-führung wirksamer Therapien, insbesondere der Kombinationstherapien von Chemotherapeutika mit Proteasehemmern, zurückzuführen. Allerdings

neh-88 D Globale Risikopotentiale

men die Infektionsinzidenzen nicht im gleichen Maß ab. Der Anteil heterosexueller Übertragung steigt z. B. in den USA sogar langsam an (Abb. D 3.2-2).

Global gesehen wächst der durch die HIV/AIDS-Pandemie verursachte Schaden. Bei geschätzten 16.000 neuen Infektionen pro Tag wird für das Jahr 2000 mit über 40 Mio. Fällen gerechnet (WHO, 1997a). Der gegenwärtige Höhepunkt der Epidemie liegt in den Ländern südlich der Sahara (Tab.

D 3.2-1). Die Infektionsrate unter Erwachsenen ist in Afrika auf 7,4% angestiegen. In einzelnen Ländern, z. B. in Uganda, sind bereits gravierende gesellschaft-liche Veränderungen (Altersstruktur, Dezimierung der wirtschaftlich und gesellschaftlich aktiven Bevöl-kerung) eingetreten. AIDS hat die Lebenserwartung in einigen Ländern erheblich verkürzt, z. B. um 22 Jahre in Simbabwe (UNDP, 1998). Die Ausbreitung der Infektion in den bevölkerungsreichsten Regio-nen der Erde wie Süd-, Südostasien und China hat erst Ende der 80er Jahre begonnen und entwickelt regional eine große Dynamik. Beispielsweise stieg die Vorkommenshäufigkeit von HIV in Vietnam in bestimmten Gesellschaftsgruppen innerhalb von 2 Jahren von 1% auf 44%. Die Zahl der

HIV/AIDS-Fälle in Indien wird derzeit auf 3–5 Mio. geschätzt.

Bei Fernfahrern in Madras, die sich systematisch durch Prostituierte infizieren, wurde ein Anstieg der Infektionsrate von 1,5% im Jahr 1995 auf 6,2% in 1996 beobachtet.

3 wesentliche biologische Risikoverstärker für die HIV-Infektion sind zu nennen: Latenzzeit, geneti-sche Instabilität und Koinfektionen.

Latenzzeit

Die bis 10jährige Latenzzeit (Zeitraum zwischen HIV-Infektion und klinischer Manifestation des AIDS-Syndroms) ermöglicht bei unzureichender Kontrolle der HIV-Durchseuchung eine unbemerkte Ausbreitung des Virus (eine transkontinentale HIV-Vorkommenshäufigkeit bestand bereits lange vor der ersten epidemiologischen Erfassung des AIDS-Syndroms). Daraus ergibt sich, daß das ausschließli-che Erfassen der Inzidenz AIDS-Erkrankter und das Nichterfassen der HIV-infizierten Fälle im Latenz-stadium zur stark verzögerten Registrierung neuer epidemiologischer Entwicklungen führt. Das „Zeit-fenster“ zwischen Infektion und Nachweisbarkeit von Antikörpern beträgt mehrere Wochen. Eine Tabelle D 3.2-1

Regionale HIV/AIDS-Statistiken und -Merkmale.

Quelle: UNAIDS, 1997

Region Ausbruch HIV/AIDS- Verbreitungs- Anteil der HIV-negative Haupt-der Epidemie infizierte rate bei Frauen Kinder, überträger

Erwachsene Erwachsenen [%] durch AIDS

und Kinder [%] Halb- oder

Vollwaisen

Afrika/ Späte 70er, 20.800.000 7,4 50 7.800.000 Heterosexuelle

Subsahara Frühe 80er

Nordafrika, Späte 80er 210.000 0,13 20 14.200 IV-Drogen

Mittlerer Osten

Süd- und Süd- Späte 80er 6.000.000 0,6 25 220.000 Heterosexuelle

Ostasien

Ostasien, Späte 80er 440.000 0,05 11 1.900 IV-Drogen und

Pazifik Homosexuelle

Lateinamerika Späte 70er, 1.300.000 0,5 19 91.000 Homo-und

Frühe 80er Heterosexuelle

Karibik Späte 70er, 310.000 1,9 33 48.000 Heterosexuelle

Frühe 80er

Osteuropa, Frühe 90er 150.000 0,07 25 30 IV-Drogen

Zentralasien

Westeuropa Späte 70er, 530.000 0,3 20 8.700 IV-Drogen

Frühe 80er

Nordamerika Späte 70er, 860.000 0,6 20 70.000 Homo- und

Frühe 80er Heterosexuelle

Australien, Späte 70er, 12.000 0,1 5 300 Homosexuelle

Neuseeland Frühe 80er

Gesamt 30.600.000 1,0 41 8.200.000

89 Schadenspotentiale, gegenwärtiger Umgang und Charakterisierung der Risiken D 3.2

Unfall HIV-Infektion Krebs

Herzkrankheit

Suizid Mord

Leberkrankheit Schlaganfall Diabetes

Jahr

Todesfälle pro 100.000 Einwohner

1982 1983198419851986 1987 1988 198919901991 1992 1993 1994 1995 1996 0

5 10 15 20 25 30 35 40

Abbildung D 3.2-1

Entwicklung der Todesfälle durch HIV in den USA (Männer, Altergruppe 25–44 Jahre).

Quelle: CDC, 1996

Homosexuelle Männer

Homosexuelle Männer mit intravenösem Drogengebrauch Intravenöser Drogengebrauch Heterosexueller Kontakt

Jahr

Prozent der Fälle

1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 0

10 20 30 40 50 60 70 80

Abbildung D 3.2-2

Entwicklung der HIV-Infektionen in verschiedenen Risikogruppen in den USA.

Quelle: CDC, 1997

90 D Globale Risikopotentiale

Überwachung von Blutkonserven und -produkten, die auf dem Nachweis von HIV-Antikörpern beruht, kann deshalb auch heute noch keine absolute Sicher-heit verbürgen.

Genetische Instabilität

Die genetische Instabilität der Retroviren ist bedingt durch die Fehleranfälligkeit der beiden zentralen Transkriptionsvorgänge im Infektionszyklus (reverse Transkription des RNA-Genoms bzw. Transkription der Provirus-DNA) und DNA-Rekombinationser-eignissen zwischen Subtypen innerhalb eines infizier-ten Organismus. Im folgenden werden die Konse-quenzen erläutert, die die genetische Instabilität für die Persistenz des Virus hat. Diese Fakten verdeutli-chen sehr eindrucksvoll, daß der Retrovirusgrundla-genforschung auch weiterhin hohe Priorität einzu-räumen ist. Im einzelnen ermöglicht die genetische Instabilität

• eine schnelle Anpassung des Virus an sich ändern-de Selektionsdrücke;

• die Umgehung einer langfristigen effektiven, na-türlichen Immunität durch schnelle Änderung im-munogener viraler Epitope (Bestandteile der Vi-rusmembran, die das Immunsystem stimulieren);

• eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Resistenzen gegen antivirale medikamentöse Therapien und Erschweren der Entwicklung eines Impfstoffs;

• die Übertragung zwischen Arten (z. B. zwischen Affe und Mensch);

• eine Weiterentwicklung des Virus und das Entste-hen neuer Subtypen mit negativ veränderten Ei-genschaften (z. B. erhöhter Virulenz durch verän-derte oder erweiterte Zellspezifität).

Koinfektionen

Die Schwächung des Immunsystems durch HIV führt nicht nur zu einer Zunahme opportunistischer Infektionen sondern begünstigt auch „alte“ Erreger, wie v. a. die Tuberkulose. Sie ist die häufigste Todes-ursache HIV-infizierter Individuen (40% in Nord-afrika und 30% aller HIV-Infizierten). In den asiati-schen Ländern mit ihren großen Ballungszentren und zunehmender HIV-Infektion sind 23aller Tuber-kulosefälle der Welt zu finden. Tatsächlich wirken hier 2 Seuchen synergistisch, was nicht nur das Scha-densausmaß der HIV-Infektion erheblich verstärkt, sondern z. Z. auch die Epidemiologie der Tuberkulo-se massiv beeinflußt.

Neuerdings ist deutlich geworden, daß die starke Verbreitung konventioneller sexuell übertragbarer Krankheiten (STD), z. B. Syphilis und Gonorrhö, die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung des HIV-Vi-rus um den Faktor 10–100 erhöht. STD-Erkrankun-gen sind aufgrund der mangelhaften Behandlung in

Entwicklungsländern ein Schlüsselmechanismus bei der schnellen heterosexuellen Ausbreitung von AIDS. In einer Studie in Mwanza, Tanzania wurde durch die frühe Behandlung von STD in einer ländli-chen Population ein Rückgang der Rate neuer HIV-Infektionen um 42% beobachtet (WHO, 1997b).

Die anthropogenen Risikoverstärker führen zu ei-ner hohen Teilungsrate mit entsprechendem Selek-tionsdruck bei den HIV-Subtypen. Dies birgt wiede-rum ein biologisches Risikopotential, denn aufgrund der bekannten Mutagenität des Virus ist es nicht aus-zuschließen, daß neue Subtypen mit geändertem Vi-rulenzverhalten entstehen. Ein derartiges Szenario beinhaltet auch die Möglichkeit neuer Infektions-wellen in denjenigen Ländern, in denen die Infek-tionsinzidenz z. Z. begrenzt werden konnte.

Maßnahmen

Die augenblickliche antiretrovirale medikamentöse Therapie stellt zweifellos einen Durchbruch dar, da sie die Zahl der opportunistischen Infektionen er-heblich senkt. Sie kostet jährlich pro Person minde-stens 12.000 US-$ und steht damit für die meisten HIV-infizierten Menschen dieser Welt nicht zur Ver-fügung. In einem nordafrikanischen Land, in dem ty-pischerweise ca. 10% der Bevölkerung mit HIV infi-ziert sind, werden nur rund 10 US-$ pro Jahr und Ein-wohner für die Gesundheitsfürsorge aufgewendet.

Bei den augenblicklichen Kosten würde dort das Budget für das Gesundheitswesen mehr als 100fach überschritten, um allein die HIV-infizierten Einwoh-ner zu behandeln.

Die Verbreitungswege der HIV/AIDS-Krankheit sind mittlerweile durch ausgedehnte epidemiologi-sche Untersuchungen bestens bekannt, und eine Rei-he wirksamer Maßnahmen zur Prävention sind er-probt. Es mangelt allerdings in vielen Ländern an der wirksamen Umsetzung. In Indien wird bei der augen-blicklichen Ausbreitungsgeschwindigkeit der HIV-Infektion im Jahr 2010 mit einem Anstieg der Ausga-ben im Gesundheitswesen um 30% gerechnet (Ains-worth, 1998). Offensichtlich ist der derzeitige Um-gang mit dem HIV/AIDS-Risiko weltweit sehr unterschiedlich und bedarf regional angepaßter Stra-tegien. Die Festlegung staatlicher Prioritäten ist not-wendig. Die Entwicklungsländer sollten die knappen Ressourcen zur Begrenzung der AIDS-Epidemie auf die Prävention konzentrieren, hier ist die Entwick-lung einer effizienten Infektionsvermeidung vorran-gig voranzutreiben. Instrumente von globaler Bedeutung sind hierfür gesetzliche Regelungen zur Prävention, Schutz vor Neuinfektionen durch Auf-klärung über Infektionsrisiken und Schutzmöglich-keiten sowie Beratung zur Stärkung der Eigenver-antwortung. Programme, bei denen präventive Maß-nahmen auf Personen mit hohem

Übertragungsrisi-91 Schadenspotentiale, gegenwärtiger Umgang und Charakterisierung der Risiken D 3.2

ko konzentriert wurden, haben sich als sehr effektiv erwiesen (z. B. Verwendung von Kondomen bei Pro-stituierten in Nairobi oder Thailand) und sollten da-her Priorität besitzen (Ainsworth, 1998). Eine abso-lut notwendige Voraussetzung für effektive Gegen-maßnahmen dieser Art ist die möglichst umfassende fortlaufende epidemiologische Überwachung der HIV/AIDS-Epidemie mit der Identifikation neuer und alter Risikogruppen.

Das in Atlanta, Vereinigte Staaten, etablierte Cen-ters for Disease Control and Prevention (CDC) ist beispielhaft für mögliche nationale und internationa-le institutionelinternationa-le Instrumente zur Überwachung der Bevölkerung hinsichtlich neuer und bereits beste-hender epidemiologischer Risiken. Das CDC über-nimmt routinemäßig Überwachungsdaten aus Krankheitsberichten, die es von lokalen Gesund-heitsbehörden erhält, und überprüft die Datengüte durch Vergleich verschiedener Quellen. Dem CDC ist die rasche Erkenntnis zu verdanken, daß es sich bei den neu beobachteten Symptomen um ein sich epidemisch ausbreitendes Syndrom handelte. Das CDC definierte 1981 AIDS aufgrund des Auftretens seltener opportunistischer Erkrankungen und Infek-tionen (z. B. Kaposi-Sarkom und Pneumocystis cari-nii-Pneumonie) in Gruppen junger, homosexueller Männer an der amerikanischen Westküste. In den USA war für neu diagnostizierte AIDS-Fälle eine Meldepflicht eingeführt worden, mit der Anfertigung einheitlicher Fallberichte. Diese enthalten Daten zur Demographie, den Namen des diagnostizierenden Labors, die Risikogeschichte und den klinischen Sta-tus des Patienten sowie Angaben zur Therapie. Stu-dien ergaben, daß 90% aller Erkrankungen, die nach der CDC-Definition AIDS bedeuten, tatsächlich ge-meldet werden. Aufgrund der nahezu vollständigen epidemiologischen Daten und den daraus abgeleite-ten Übertragungswegen konnte der öffentliche Ge-sundheitsdienst in den USA bereits 1983 Empfeh-lungen für die Vermeidung der Infektion geben.

Am Beispiel des CDC wird sehr deutlich, daß spe-zialisierten international operierenden Kontrollinsti-tutionen, die auf hohem wissenschaftlichem Niveau und mit hoher Effizienz über die Analyse epidemio-logischer Daten Kontrollfunktionen ausüben, eine Schlüsselposition zukommt. Derartige Institutionen sind bei der Kontrolle globaler Risiken erfolgreich, wenn sie eine Schnittstelle für Grundlagenwissen-schaften, nationale und übernationale Behörden bil-den.

Die Entwicklung und Umsetzung der epidemiolo-gischen Überwachung von präventiven Maßnahmen und von Forschungsprojekten erfordern besonders in strukturschwachen Ländern die Unterstützung durch internationale Institutionen oder bilaterale Hilfe. Die globale Überwachung der

HIV/AIDS-Epidemie erfolgt durch die WHO und UNAIDS (Jo-int United Nations Programme on AIDS). Epide-miologische Daten werden von regionalen Büros und den Gesundheitsministerien der Mitgliedsstaa-ten gemeldet. Mit dem Global Programme on AIDS (GPA) der WHO wurden in über 150 Ländern Akti-vitäten gegen AIDS finanziell gefördert. Das Ziel war die Etablierung nationaler AIDS-Programme, die Verbesserung der Kapazitäten für das Manage-ment und die Koordinierung internationaler For-schungsaufgaben. Das Programm endete formal mit der Gründung von UNAIDS im Jahr 1996. Die WHO unterstützt und arbeitet mit UNAIDS durch ihr Of-fice of AIDS and Sexually Transmitted Diseases (ASD) zusammen, das ebenfalls 1996 gegründet wur-de. UNAIDS wird des weiteren durch UNDP, UNI-CEF, UNESCO, UNFPA und die Weltbank unter-stützt.

Die globale epidemiologische Überwachung durch die WHO ist von der Vollständigkeit und Ver-läßlichkeit der Daten abhängig, die von den nationa-len Überwachungssystemen zur Verfügung gestellt werden. Die Schätzungen der Infektionsraten in Re-gionen ohne effektive Seuchenüberwachung basie-ren auf Modellrechnungen. Dabei wird die Entwick-lung in denjenigen Ländern zugrundegelegt, die be-reits über relativ umfangreiche Daten verfügen.

Dennoch mußte die WHO ihre Schätzung der HIV/AIDS-Infektionen für die Jahre 1996 von 22,6 auf 27 Mio. und die Schätzung der Neuinfektionen 1996 von 3,1 auf 5,3 Mio. korrigieren. Hauptgrund war die Fehleinschätzung der Entwicklung in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara. Für die Modellrechnung waren relativ umfangreiche Daten aus Uganda zugrundegelegt worden. In Uganda wur-den in wur-den letzten Jahren die Infektionsraten durch erfolgreiche präventive Maßnahmen unter Kontrolle gebracht. Die Berechnungen wurden jedoch durch die Situation in Nigeria und Südafrika verfälscht, wo erst seit kurzem aussagekräftige Daten zur Verfü-gung stehen (WHO, 1997a). Diese Vorgänge machen deutlich, daß die Erfassung vollständiger epidemio-logischer Daten für eine qualitätvolle Risikobe-schreibung unerläßlich ist.

3.2.2

„Hühnergrippe“ (Vogelinfluenza)

Influenzaviren umfassen eine größere Gruppe ver-schiedener Subtypen, die grippeartige Krankheitsbil-der mit Infektionen Krankheitsbil-der oberen Luftwege bis hin zur schwersten tödlichen Lungenentzündung erzeugen.

Der Mensch wird von Typen des Influenza-A- und -B-Virus infiziert. Darüber hinaus infiziert Influenza A Schweine, Pferde, Meeressäugetiere und Vögel.

In-92 D Globale Risikopotentiale

fluenza-A-Subtypen unterscheiden sich durch Struk-turen auf ihrer Oberfläche, die biochemisch als Gly-koproteine identifiziert wurden und nach denen die Influenzasubtypen benannt sind. Diese Glykoprotei-ne funktionieren als BindungsproteiGlykoprotei-ne für die An-heftung des Virus an die Körperzellen, die sie infizie-ren. Damit bestimmen sie die Ausbreitung des Erre-gers im Organismus, seine Virulenz und folglich sein Gefährdungspotential. Solche Glykoproteine sind die Hämaglutinine H1–H15 und Neuraminidasen 1–9. Bei Vögeln können alle diese Typen zur Infek-tion führen. Beim Menschen werden die Epidemien durch die Influenza-A-Subtypen H1, H2 und H3 und durch Influenza B hervorgerufen. Die Subtypen H5 und H7 führen gelegentlich bei Vögeln zu sehr schweren Epidemien, speziell Hühner und Truthüh-ner sind betroffen.

Influenza-A-Infektionen haben ein relativ hohes Schadenspotential, da sie mit großer Regelmäßigkeit in ca. 15–20jährigen Abständen zu größeren Epide-mien oder PandeEpide-mien führen. In der Vergangenheit waren diese mit einer sehr unterschiedlichen, teilwei-se hohen Mortalitätsrate behaftet und stellen somit ein größeres Risikopotential dar. Im Nachhinein wa-ren größere Epidemien verschiedenen, meist völlig unbekannten Influenza-A-Subtypen zuzuordnen. So wurde Influenza-A-Subtyp H3N2 erstmals bei der 1968 in Hongkong aufgetretenen Epidemie identifi-ziert. Im Rahmen einer anderen Epdemie wurde 1957 Influenza A H2N2 als kausales Agens identifi-ziert und erstmals charakterisiert. Phylogenetische Studien haben gezeigt, daß diese neu entstandenen Subtypen von Vogel-Influenza-A stammten und nach Rekombination mit einem humanen Influenza-Virusstamm in die menschliche Population einge-drungen sind (Webster und Laver, 1972; Scholtissek et al., 1978) . Die derzeit favorisierte Hypothese für die Entstehung der pandemischen Influenzaviren von 1957 und 1968 geht davon aus, daß Schweine als ein „Mischkessel“ für die Rekombination zwischen Vogel- und humanem Influenzavirus dienten. Der Rekombinationsvorgang mit einem humanen In-fluenzavirus war bei größeren Epidemien der

Influenza-A-Infektionen haben ein relativ hohes Schadenspotential, da sie mit großer Regelmäßigkeit in ca. 15–20jährigen Abständen zu größeren Epide-mien oder PandeEpide-mien führen. In der Vergangenheit waren diese mit einer sehr unterschiedlichen, teilwei-se hohen Mortalitätsrate behaftet und stellen somit ein größeres Risikopotential dar. Im Nachhinein wa-ren größere Epidemien verschiedenen, meist völlig unbekannten Influenza-A-Subtypen zuzuordnen. So wurde Influenza-A-Subtyp H3N2 erstmals bei der 1968 in Hongkong aufgetretenen Epidemie identifi-ziert. Im Rahmen einer anderen Epdemie wurde 1957 Influenza A H2N2 als kausales Agens identifi-ziert und erstmals charakterisiert. Phylogenetische Studien haben gezeigt, daß diese neu entstandenen Subtypen von Vogel-Influenza-A stammten und nach Rekombination mit einem humanen Influenza-Virusstamm in die menschliche Population einge-drungen sind (Webster und Laver, 1972; Scholtissek et al., 1978) . Die derzeit favorisierte Hypothese für die Entstehung der pandemischen Influenzaviren von 1957 und 1968 geht davon aus, daß Schweine als ein „Mischkessel“ für die Rekombination zwischen Vogel- und humanem Influenzavirus dienten. Der Rekombinationsvorgang mit einem humanen In-fluenzavirus war bei größeren Epidemien der

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