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Biologische Risiken4

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4.1 Einleitung

In diesem Kapitel werden Risiken behandelt, die von lebenden Organismen ausgehen oder die sich aus biologischen Prozessen und Reaktionen ergeben und auf den Menschen und andere Organismen einwir-ken. Diese Risiken betreffen das gesamte Spektrum der Lebewesen, von Mikroorganismen bis hin zum Menschen. Es kann im folgenden daher nur exempla-risch und unter dem Aspekt der globalen Risikotypi-sierung auf einige Problemfelder hingewiesen wer-den. Die Risiken, die sich speziell für die Menschen und ihre Gesundheit ergeben, wurden in Kap. D 3 ge-sondert dargestellt.

Landnutzungsänderungen und die mit ihnen ver-bundenen Habitatzerstörungen und -fragmentierun-gen sind derzeit die Hauptursache des fortwähren-den Verlusts biologischer Vielfalt (Heywood und Watson, 1995). Die Risiken, die hieraus für Mensch und Natur erwachsen (z. B. die genetische Erosion, das Arten- und Sortensterben und der weltweite Ver-lust von Ökosystemfunktionen), sollen im Gutachten 1999 des Beirats ausführlich behandelt werden. Aber auch in der folgenden Risikoklassifizierung kommt dem Verlust biologischer Vielfalt als möglichem Schaden und als Risikoverstärker eine wichtige Be-deutung zu.

Eine strikte Trennung von natürlichen biologi-schen Risiken und solchen, die aus der Nutzung bio-logischer Ressourcen entstehen, ist nicht immer möglich und im Rahmen einer Risikoabschätzung auch nicht sinnvoll. Diese Einschätzung erfolgt vor dem Hintergrund, daß nahezu alle Biota der Erde di-rekt oder indidi-rekt durch den Menschen überformt oder zumindest beeinflußt werden (Abb. D 4.1-1). Es gibt heute keinen Teil der Erde mehr, in dem der an-thropogene Einfluß nicht bemerkbar ist: der Mensch ist – global gesehen – zum bestimmenden Faktor der Biosphäre geworden (Vitousek et al., 1997).

Darüber hinaus erlangen biologische Risiken erst durch den Einfluß des Menschen global relevante Ausmaße. Die Invasion nichtheimischer Arten

bei-spielsweise wird dadurch ein globales Risiko, daß es an vielen Orten der Welt bei unterschiedlicher Ar-tenkombination zu einer Gefährdung der einheimi-schen Arten kommt und daß dies durch den interna-tionalen Handel und Verkehr ausgelöst wird.

Für die folgende Risikoklassifizierung werden beispielhaft 2 Risiken ausgewählt, die letztlich durch veränderte Wechselwirkungen (z. B. Konkurrenz, Räuber-Beute-Beziehung) zwischen anthropogen beeinflußten Arten und Arten aus einheimischen Le-bensgemeinschaften entstehen:

1. Massenentwicklungen von Arten und Populatio-nen (Pathogene, Schädlinge, Unkräuter, nichthei-mische Arten),

2. Freisetzung und Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Pflanzen, bei denen der Mensch nicht nur evolutionäre und geografische Grenzen zwi-schen den Organismenreichen (Mikroorganis-men, Tiere, Pflanzen) durchbricht, sondern auch neue DNA-Sequenzen implementiert.

Landtransformation

Wasserverbrauch CO2-Konzentration

Stickstoffixierung Pflanzeninvasion

Aussterben von Vögeln Meeres-fischerei

0 20 40 60 80 100

Änderung [%]

Abbildung D 4.1-1

Einfluß des Menschen auf die Biota der Erde. Dargestellt sind die anthropogenen Veränderungen wichtiger

Kompartimente der Biosphäre in Prozent des vom Menschen unbeeinflußten Zustands (globale Umwandlung der Landoberfläche, Veränderung der atmosphärischen CO2 -Konzentration, weltweite Nutzung des verfügbaren Oberflächensüßwassers, terrestrische Stickstoffixierung, eingeschleppte Pflanzenarten in Kanada, in den letzten 2.000 Jahren ausgestorbene Vogelarten weltweit, überfischte oder ausgerottete marine Fischbestände).

Quelle: Vitousek et al., 1997

99 Global relevante biologische Risiken D 4.2

4.2

Schadenspotentiale, gegenwärtiger Umgang mit und Charakterisierung von global relevanten biologischen Risiken

4.2.1

Risiken durch anthropogen beeinflußte Arten unter besonderer Berücksichtigung des Verlusts biologischer Vielfalt

4.2.1.1

Verlust von biologischer Vielfalt, Stabilität und Ökosystemfunktionen

Beobachtungen von Nahrungsnetzen lassen einen positiven Zusammenhang zwischen Artenvielfalt und Stabilität von Lebensgemeinschaften in den Ökosystemen gegenüber exogenen Störungen ver-muten (z. B. anthropogene Nutzung, Eutrophierung, Feuer). Dieser Zusammenhang ist allerdings nicht generalisierbar, da es sowohl Beispiele für stabile ar-tenarme als auch für instabile artenreiche Systeme gibt und sich die Artenvielfalt mit dem Grad der Stö-rungen ändert (Begon et al., 1996). Die inzwischen von vielen favorisierte Hypothese, die derzeit in Ökosystemen experimentell getestet wird, ist die In-termediate Disturbance Hypothesis von Connell (1978). Danach wird die größte Artenzahl erreicht, wenn Ausmaß und Häufigkeit der Störungen mittle-re Werte haben; Extmittle-remwerte fühmittle-ren zu geringen Ar-tenzahlen. Der Zusammenhang zwischen Störungs-frequenz und -stärke einerseits und der Artendiversi-tät andererseits ist also nicht linear. Wichtiger für die Stabilität von Lebensgemeinschaften erscheint die Komplexität, d. h. die Zahl der Strukturen,Arten und Wechselwirkungen zu sein. Letztlich wird der Zu-sammenhang zwischen Stabilität und Komplexität durch Art, Intensität und Frequenz der Störung einerseits und die spezifischen Anpassungen und Fä-higkeiten der betroffenen Arten andererseits be-stimmt. Zudem ist eine Differenzierung des Begriffs

„Stabilität“ notwendig (Pimm, 1991): Man unter-scheidet Konstanz (Unveränderlichkeit), Resistenz (Trägheit gegenüber Störungen) und Resilienz (Ela-stizität; Geschwindigkeit der Rückkehr zum Aus-gangszustand nach einer Störung). Für eine Risiko-abschätzung ist die Beobachtung wichtig, daß unter stabilen Umweltbedingungen v. a. komplexe, gegenü-ber exogenen Störungen labile Lebensgemeinschaf-ten vorkommen, während Biotope mit relativ varia-blen Umweltbedingungen eher durch einfache, ar-tenarme, aber robuste Lebensgemeinschaften besie-delt werden. Letztere sind gewissermaßen bereits an

exogene Störungen angepaßt. Die anthropogene Nutzung biologischer Ressourcen gefährdet dem-nach komplexe Ökosysteme, wie beispielsweise tro-pische Regenwälder oder Korallenriffe, mehr als ein-fachere Lebensgemeinschaften (z. B. Buchenwälder in der gemäßigten Zone).

Die Umweltbedingungen wirken sich auch auf das Reproduktionsverhalten aus. Stabile Umweltbedin-gungen fördern bei den betroffenen Arten die sog. K-Selektion (langlebige Arten mit geringer Zahl von Nachkommen zu einem späten Zeitpunkt). Variable Umweltbedingungen fördern die sog. r-Selektion (kurzlebige Arten mit vielen Nachkommen zu einem frühen Zeitpunkt) (MacArthur und Wilson, 1967).

Die K-selektierten Arten sind zwar zunächst relativ unempfindlich gegen Störungen, haben aber eine ge-ringe Kapazität, sich nach einer Störung zu erholen.

Die r-selektierten Arten besitzen eine geringe Wider-standsfähigkeit gegen Störungen, erholen sich aber relativ schnell (Begon et al., 1996; vgl. hierzu auch die C-S-R-Strategie nach Grime, 1977). Durch die zahl-reichen anthropogenen Störungen wie Nutzung,

Feu-gering hoch

0 5 10 15 20 25

Pflanzenbiomasse

gering hoch

0 5 10 15 20 25

Artenzahl

Nitratausnutzung

a

b

Abbildung D 4.2-1

a Biomasse der Vegetation und b Nitratausnutzung als Funktion der Artenzahl. Vermutlich führen unterschiedliche Wurzelstrukturen, gekoppelt an eine Veränderung in der Biomasse, zu einer besseren Ausnutzung der

Stickstoffressource. Bezüglich einer Risikoabschätzung der Nitratbelastung des Grundwassers ist besonders wichtig, daß dieser Zusammenhang nicht linear ist.

Quellen: a verändert nach Tilman et al., 1997; b verändert nach Tilman et al., 1996

100 D Globale Risikopotentiale

er oder Stoffeinträge ergibt sich ein weltweiter Trend der einseitigen Förderung rasch regenerierfähiger Lebensgemeinschaften mit r-Selektion und damit eine qualitative Veränderung der Biodiversität („Homogenisierung“ der Lebensgemeinschaften).

Dieser Exkurs in die Populationsbiologie soll zei-gen, daß es bei der Analyse und Bewertung biologi-scher Risiken auf die Charakteristika der Arten (z. B.

genetische Ausstattung), auf die Komplexität der ökologischen Strukturen, die Variabilität der Um-weltbedingungen und die Art und Intensität der Stö-rungen ankommt.

Für eine Risikoabschätzung der Nutzung biologi-scher Systeme müssen auch die Ergebnisse der welt-weiten Forschung zu Zusammenhängen zwischen Biodiversität und Funktion eines Ökosystems heran-gezogen werden (z. B. Schulze und Mooney, 1994;

Mooney et al., 1996; Chapin et al., 1998). Die bisheri-gen Ergebnisse weisen darauf hin, daß eine Bezie-hung zwischen Artenzahl und Ökosystemfunktionen besteht, diese aber nichtlinear ist (Abb. D 4.2-1–4).

Eine Risikoabschätzung des Einflusses von Störun-gen und Artenverlusten auf Ökosystemfunktionen ist daher extrem schwierig. Es zeigt sich, daß mit we-nigen Arten zwar höchste Produktivität erreicht wer-den kann (z. B. in der Landwirtschaft), diese aber in-stabil gegenüber variablen Umweltbedingungen ist.

Für eine nachhaltige Produktivität, die der räumli-chen und zeitliräumli-chen Variabilität von Standort und Klima gerecht wird, ist eine bedeutend höhere Ar-tenzahl (bzw.Anzahl von Genotypen) notwendig (in-surance hypothesis, Abb. D 4.2-2). Unstetigkeiten in der Beziehung zwischen Artenzahl und

Ökosystem-funktionen können sich auch aus den komplexen Wirkungen der Zusammensetzung oder der Häufig-keitsverteilung der Arten ergeben (Abb. D 4.2-3).

Wird durch eine Störung eine dominante Art ausge-löscht (z. B. bei Waldschäden), sind die Auswirkun-gen auf die Ökosystemfunktionen bedeutend größer als wenn eine seltene Art (z. B. eine Orchidee) fehlt.

Stirbt jedoch eine Art aus, die im Ökosystem eine Schlüsselfunktion innehat (Schlüsselart oder keysto-ne species), so werden trotz ihrer relativ geringen Gesamtbiomasse die Ökosystemfunktionen viel stär-ker beeinträchtigt als wenn Arten ausfallen, deren Funktion kompensierbar ist (z. B. die Mykorrhizapil-ze, die durch Stickstoffdepositionen in Wäldern be-einflußt werden). Bislang gibt es aber keine Möglich-keit, Schlüsselarten eines Ökosystems zu identifizie-ren, bevor sie verlorengegangen sind oder aus dem Ökosystem entfernt wurden. Eine Vorhersage der Auswirkungen von Störungen auf Ökosystemfunk-tionen ist damit sehr unsicher.

Aufgrund der komplexen Zusammenhänge zwi-schen Artenzusammensetzung, Reproduktionsver-halten, Konkurrenzsituation und Umweltverände-rungen kann es zudem zu nicht vorhersagbaren Ein-zelereignissen (Singularitäten) kommen, bei denen es in Art eines Schalters (flip-flop) zu einem Umkip-pen zwischen unterschiedlichen Zuständen kommen kann (Abb. D 4.2-4). Ein Beispiel hierfür wäre die Entstehung eines Graslands nach Insektenfraß in ei-nem borealen Wald (Pastor et al., 1996). Die Wahr-scheinlichkeit solcher Einzelereignisse ist für margi-nale Standorte besonders hoch, auf denen der Mensch hochproduktive Arten anbauen möchte.

Biodiversität der dominanten Lebensform

Jährliche Nettoprimärproduktivität

Erreichbar durch intensives Management

Standortvariabilität Interannuelle Variabilität

Sukzessionsstadien

Substitution zufälliger Artenselektion

Abbildung D 4.2-2

Konzeptionelles Schema zur Abhängigkeit der mittleren Nettoprimärproduktion (NPP) von der Diversität der Pflanzenarten bzw. der Genotypen in der dominanten Lebensform.

Die Mechanismen sind möglicherweise kombiniert.

An einem Standort und innerhalb 1 Jahrs können wenig diverse Ökosysteme durch intensive

Bewirtschaftung fast die gleiche NPP erreichen wie hochdiverse Ökosysteme.

Unter natürlichen Bedingungen jedoch erhöhen Klima- und Ressourcenvariabilität und die Sukzessionsdynamik nach Störungen die Biodiversität, in deren Abhängigkeit sich die NPP ändert. Je höher das gesamte Spektrum von Klima- und Standortvariabilität ist, desto mehr Arten bzw. Genotypen sind für eine hohe NPP erforderlich.

Quelle: Heywood und Watson, 1995

101 Global relevante biologische Risiken D 4.2

Falls in Zukunft eine weitere Intensivierung der Landwirtschaft an ökologische und ökonomische Grenzen stößt, wird sich die Bewirtschaftung margi-naler Standorte weltweit verstärken, mit entspre-chend verstärktem Risiko (Sahel-Syndrom: WBGU, 1994, 1996b). Die Diskussion zur nachhaltigen Nut-zung der Biodiversität wird wesentlicher Bestandteil des Jahresgutachtens 1999 des Beirats sein.

4.2.1.2

Zyklische Populationsentwicklungen

Die Beziehung zwischen den Organismen in einem Ökosystem wird im wesentlichen durch Ressourcen-verfügbarkeit, Konkurrenz, Prädation (Räuber-Beu-te-Beziehung) und Parasitismus bestimmt. In unge-störten, stabilen Ökosystemen befinden sich die mei-sten Arten und Individuen in einem dynamischen Gleichgewicht. Natürliche zyklische

Massenentwick-lungen, die v. a. in der Tierwelt weit verbreitet sind (z. B. Lemminge, Borkenkäfer), stellen eine extreme Ausprägung dynamischer Gleichgewichte dar. Sie werden meist ausgelöst, wenn die Wetterbedingun-gen und das Nahrungsangebot die Vermehrung stark fördern. Darüber hinaus werden sie durch die Inter-aktion mit einem oder mehreren Gegenspielern ge-steuert (Räuber-Beute- bzw. Parasit-Wirts-Bezie-hungen).

Eine besondere Form der Räuber-Beute-Bezie-hung ergibt sich beim Fischfang in den Ozeanen (Vi-tousek et al., 1997). Ausgehend von einer Phase I der natürlichen Fischdichte wird ein Fischgebiet zu-nächst entwickelt, indem mögliche andere Gegen-spieler dezimiert werden. Die Erträge der wirtschaft-lich genutzten Fischart steigen (Phase II). Dies führt über eine mehr oder weniger lange Zeit zu einer ho-hen Fangrate (Phase III), die aber abrupt, über sehr kurze Zeit zusammenbricht (Phase IV). Ein Grund für den Zusammenbruch ist, daß in der späten Phase III immer mehr Jungfische gefangen werden und da-mit die Reproduktion verhindert wird. Soda-mit kommt es im Wechsel zu Massenvermehrungen und starken Populationszusammenbrüchen. Derzeit sind etwa 60% der Ozeane im Fischbestand gefährdet.

In der Land- und Forstwirtschaft sind die wirt-schaftlichen Schäden durch Massenvermehrung von Schädlingspopulationen und ständige Konkurrenz

hoch

niedrig

niedrig hoch

Artenzahl

Ökosystemprozesse

Seltene Art

Dominante Art

hoch

niedrig

niedrig hoch

Artenzahl

Ökosystemprozesse

Kompensierbare Art

Schlüsselart

a

b

Abbildung D 4.2-3

Bedeutung der Dominanz und Funktion einzelner Arten für die Ökosystemfunktionen. (a) Wird durch eine Störung eine dominante Art ausgelöscht, sind die Auswirkungen auf die Ökosystemfunktionen bedeutend größer, als wenn eine seltene Art fehlt. (b) Stirbt jedoch eine Schlüsselart aus, so werden trotz ihrer vergleichsweise geringen Gesamtbiomasse die Ökosystemfunktionen viel stärker beeinträchtigt, als wenn Arten ausfallen, deren Funktion kompensierbar ist. Die Pfeile geben die Richtung der Änderung der

Ökosystemprozesse mit abnehmender Artenzahl an.

Quelle: Heywood und Watson, 1995

A B

Biodiversität

Ökosystemprozeßrate

gering hoch

Abbildung D 4.2-4

Hypothetische Beziehung zwischen Ökosystemfunktionen (ausgedrückt als Ökosystemprozeßraten) und Biodiversität.

Die durchgezogenen Linien stellen alternative stabile Zustände oder Beziehungen dar, zu denen ein Ökosystem nach moderaten Störungen wieder zurückkehrt. Die gestrichelte Linie beschreibt eine „Bruchstelle“ (instabiler Zustand). Wird ein Ökosystem über diesen Zustand hinaus weiter gestört, wird es in einen anderen, stabilen Zustand übergehen. Die Punkte A und B stellen Schwellenwerte dar.

Sinkt die Biodiversität unter den Wert von A, fällt das betreffende Ökosystem vom Zustand mit hohen

Ökosystemprozeßraten in einen Zustand mit geringen Raten.

Um den früheren Zustand wieder herzustellen, muß die Biodiversität den Schwellenwert B erreichen.

Quelle: Heywood und Watson, 1995

102 D Globale Risikopotentiale

durch Unkräuter durchaus abschätzbar. Es zeigt sich, daß trotz aller bisheriger Bekämpfungsmaßnahmen die aktuellen Erträge um etwa 45% unter den poten-tiell erreichbaren Erträgen liegen (Tab. D 4.2-1). Der Ertragsverlust erfolgt gleichermaßen durch tierische Schädlinge (15%), Pflanzenkrankheiten (14%) und durch Unkräuter (13%) (Tab. D 4.2-2). Ohne jegliche Schädlingsbekämpfung wären die Erträge um weite-re 25% geringer. Die bisherige Schädlingsbekämp-fung kann also bei weitem nicht die potentiellen Er-träge sichern. Dennoch ist eine zukünftige Steirung der Ernteerträge sehr schwierig, da die oben ge-nannten „Gegenspieler“ auf jeweils niedrigem Niveau bereits die Erträge senken, aber unterschied-licher Ansätze zur Bekämpfung bedürfen. Trotzdem erscheint in vielen nicht oder wenig industrialisierten Ländern die Intensivierung der Landwirtschaft auf den bestehenden Flächen aussichtsreicher und öko-logisch sinnvoller zu sein als eine Ausweitung auf marginale Böden (Gregory et al., 1998; zum Sahel-Syndrom s. WBGU, 1994, 1996b).

Am Beispiel der Kulturpflanzen zeigt sich deut-lich:

• Das Risiko eines Ertragsverlusts in der Land- und Forstwirtschaft durch Schadorganismen ist v. a. bei intensiver Wirtschaft in Monokulturen sehr hoch.

• Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von derarti-gen Schäden ist, auch weltweit betrachtet, sehr

groß.

• Die Schäden sind weltweit regelmäßig von hohem Ausmaß.

Die Kriterien Persistenz und Ubiquität der Massen-entwicklungen heimischer Schädlinge sind im Ver-gleich zu den weiter unten beschriebenen Risiken der Massenentwicklungen nichtheimischer Arten eher gering. Nachhaltige land- und forstwirtschaftli-che Anbaumethoden (z. B. Fruchtwechsel, Mischkul-turen) und Risikomanagement (z. B. agrarmeteoro-logische Vorhersagen, Integrierter Pflanzenschutz, Nahrungs- und Saatgutdepots) können die Risiken reduzieren.

Das politische Mobilisierungspotential der Öf-fentlichkeit im Hinblick auf Massenentwicklungen ist in Europa allgemein eher gering (z. B. Kartoffel-käferkalamitäten), teilweise aber auch hoch (z. B. Al-genblüten, Kap. D 4.2.1.3). In Ländern mit weitaus größeren Schäden durch Massenentwicklungen (z. B.

Heuschreckenplagen in vielen Länderen Afrikas) und geringem Risikomanagement ist auch in der Öf-fentlichkeit das Problembewußtsein größer.

Produktion [Mio. t]

Frucht Maximal Aktuell Ohne

Pflanzenschutz-maßnahmen

Mais 729 449 295

Reis 1.047 509 184

Weizen 831 548 400

Kartoffel 464 273 123

Cassava 623 157 21

Erdnuß 87 23 5

Hirse 184 58 9

Tabelle D 4.2-1

Die maximal erreichbare weltweite Produktion an Getreide und anderen Feldfrüchten im Vergleich zur aktuellen und zur geschätzten Ernte, wenn keine Pflanzenschutz-maßnahmen durchgeführt werden würden.

Quelle: Gregory et al., 1998

Frucht Aktuelle Ernteverluste [%] Absehbare Ernteverluste

ohne Pflanzenschutz [%]

Tierische Schädlinge Krankheiten Unkräuter Tierische Schädlinge Krankheiten Unkräuter

Mais 15 11 13 19 12 29

Reis 21 15 16 29 20 34

Weizen 9 12 12 11 17 24

Kartoffel 16 16 9 26 24 23

Cassava 13 12 10 50 50 70

Erdnuß 13 12 10 30 50 75

Hirse 13 12 10 30 50 80

Tabelle D 4.2-2

Weltweite aktuelle Ernteverluste durch tierische Schädlinge, Pflanzenkrankheiten und Unkräuter im Vergleich zu Ernteverlusten, die eintreten, wenn keine Pflanzenschutzmaßnahmen durchgeführt werden würden.

Quelle: Gregory et al., 1998

103 Global relevante biologische Risiken D 4.2

4.2.1.3 Algenblüten

Im aquatischen Bereich treten Massenvermehrun-gen hauptsächlich bei planktischen MikroalMassenvermehrun-gen auf (Algenblüten). Zunehmend werden aber auch Mas-senvermehrungen von bodenlebenden Makroalgen beobachtet.Algenblüten sind seit vielen hundert Jah-ren bekannt und stellen eine natürliche Ausprägung biotischer Variabilität in Ökosystemen dar. Es be-steht jedoch kaum ein Zweifel, daß toxische Algen-blüten und solche mit ernsten ökologischen Schäden in den letzten Jahrzehnten weltweit vermehrt auftre-ten, und zwar sowohl in Süßwasserökosystemen als auch in Küstengewässern und Randmeeren (Smay-da, 1990; Anderson, 1995). Zahlreiche Algenblüten werden durch bisher nichtheimische Arten verur-sacht (Bederman, 1990).

Von den geschätzten 4.000–5.000 Planktonarten sind etwa 300 Arten bekannt, die zu Massenvermeh-rungen befähigt sind. Nur etwa 60–80 Arten, also rund 2% der blütenbildenden Algen, werden als schädlich angesehen, etwa weil sie Toxine bilden oder nach ihrem Absterben zu Sauerstoffmangel und Fischsterben führen (Smayda, 1997). Unter den schädlichen Algen dominieren bewegliche Arten (Flagellaten) mit 90%. Blaualgen stellen die Mehr-zahl der übrigen Arten. Je nach Art, Wirkung und er-reichter Biomasse der Algen treten verschiedene Schadensbilder auf (Tab. D 4.2-3).

In vielen Fällen sind Eutrophierung und Verände-rung der Nährstoffzusammensetzung an der Ent-wicklung schädlicher Algenblüten beteiligt (Paerl, 1997; Burkholder und Glasgow, 1997). So ist bei-spielsweise im Einzugsgebiet des Tolo Habor, Hong-kong, die Zunahme der Nährstoffeinträge aus an-thropogenen Quellen zwischen 1976 und 1986 mit der Zunahme von red tides (Wasserverfärbung durch Algenblüten) eng korreliert (Lam und Ho, 1989). In Japan zeigten Langzeituntersuchungen einen steti-gen Anstieg der red tides von 44 im Jahr 1965 auf über 300 im Jahr 1975 (Murakawa, 1987). Nach Re-duzierung der Nährstoffeinträge sank die Zahl der Red-tide-Ereignisse bis heute wieder auf die Hälfte.

Gefahr für Menschenleben konnte vielerorts durch kostenintensive Lebensmittelüberwachung abgewendet werden. Die größten ökonomischen Schäden durch Algenblüten treten bei Aquakultu-ren, in der Küstenfischerei und bei der Trinkwasser-gewinnung auf. In Muschelkulturen auf Seto Island, Japan, wurde der Verlust über eine 18jährige Periode auf über 100 Mio. US-$ geschätzt (Smayda, 1997). In der Bucht des Bundesstaats New York betrugen die Verluste in der Kammuschelfischerei jährlich etwa 2 Mio. US-$ (Kahn und Rockel, 1988). Experten des ECOHAB-Programms (Ecology and Oceanography of Harmful Algal Blooms) in den Vereinigten Staa-ten beschreiben den ökonomischen Effekt als „signi-fikant, aber schwer in der Gesamtheit zu beziffern“.

Die finanziellen Folgen einzelner Algenblüten er-möglichen zwar die Ermittlung der Größenordnung

Algen Wirkstoffe oder Wirkung Schaden

Algen verschiedener Gruppen, z. B. Sauerstoffmangel, gestörte Wasserverfärbung (red tides), Noctiluca (verursacht das „Meeresleuchten“), Nahrungsnetze, Giftstoffe Fischsterben, Absterben

wirbel-Chrysochromulina-Blüte in Europa 1988 loser Tiere, Destabilisierung

des Ökosystems

Kieselalge der Gattung Chaetoceros Mechanische Beeinträchtigung Fischsterben, Ausbleiben von

der Kiemen usw. Muscheljahrgängen

Dinoflagellat Gambierdiscus toxicus Ciguatoxin Ciguatera: Fischvergiftung besonders durch Verzehr von Raubfischen

Kieselalgen der Gattung Domoinsäure ASP (amnesic shellfish

Pseudo-Nitzschia poisoning) bei Menschen durch

den Verzehr von Muscheln, ebenfalls bei fischfressenden Seevögeln

Dinoflagellat Pfiesteria piscida Weitgehend unbekannt Läsion an Fischen, in der Folge Fischsterben; Neurotoxizität bei exponierten Menschen Blaualgen, z. B. Anabaena Hepatotoxine u. a. Leberschäden und Tod bei

Mensch und Vieh Tabelle D 4.2-3

Beispiele schädlicher Algenblüten.

Quelle: erweitert und verändert nach Horner et al., 1997

104 D Globale Risikopotentiale

der Gesamtschäden, nationale oder gar globale Ab-schätzungen der Gesamtkosten liegen jedoch nicht vor.

4.2.1.4

Invasion nichtheimischer Arten

Die Invasion nichtheimischer Arten bezeichnet im folgenden die beabsichtigte oder unbeabsichtigte an-thropogene Einführung, Etablierung und Arealaus-dehnung von Arten außerhalb ihres ursprünglichen Territoriums. Sie hat weltweit die Landbiota und Tei-le der Küstengewässer verändert und zählt nach Landnutzungsänderungen und Übernutzung von Po-pulationen zu den wichtigsten Ursachen für den Ver-lust biologischer Vielfalt (Heywood und Watson, 1995; Sandlund et al., 1996). Einige der bekanntesten Beispiele folgenschwerer Invasionen sind Wespen und das Possum in Neuseeland, Kaninchen in Austra-lien, mediterrane Unkräuter in Nordamerika und die Übertragung von Algen aus dem Pazifik in das Mit-telmeer.

Das Risikopotential der Invasion nichtheimischer Arten ist in den meisten Fällen auch mit einer

Das Risikopotential der Invasion nichtheimischer Arten ist in den meisten Fällen auch mit einer

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