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Stichprobe 2 – Beschäftigte in einem Verkehrsunternehmen

In den letzen Jahren sind die Arbeitsbedingungen und die damit verbundenen Bela­

stungen und Beanspruchungen von Linienbusfahrern im öffentlichen Personennah­

verkehr (ÖPNV) mehrfach Gegenstand von Diskussionen und Untersuchungen in Deutschland gewesen (Gießer-Weigl & Schmidt, 1989; Haas, Petry & Schühlein, 1989; Bailer & Tränkle, 1994).

Hintergrund ist die besondere Problematik der sog. „vorzeitigen Fahrdienstuntaug­

lichkeit“ bei Busfahrern, die vorzeitig aus medizinischen Gründen aus dem Fahr­

dienst ausscheiden müssen. Im günstigsten Fall erreicht jeder zehnte in öffentlichen Verkehrsunternehmen beschäftigte Busfahrer das gesetzliche Rentenalter als Fahrer (Bailer & Tränkle, 1994). Fasst man die bisher in einschlägigen Studien (Bailer &

Tränkle, 1992; Garbe, 1981; Haas et al., 1989) mitgeteilten Werte zusammen, scheint es sich bei der Tätigkeit der Busfahrer um eine solche zu handeln, die nur rund 20 Jahre lang ausgeübt werden kann. Die Beschäftigten sind dann im Durch-schnitt zwischen 48 und 54 Jahre alt. Die Unternehmen des ÖPNV stehen vor fol­

genden besonderen Schwierigkeiten (vgl. Bailer & Tränkle, 1994):

� jährlich scheiden ca. 2,2% aller Busfahrer wegen vorzeitiger Fahrdienstuntauglich­

keit aus dem Fahrdienst aus,

� fahrdienstuntaugliche Beschäftigte müssen in der Regel weiterbeschäftigt werden,

� die von ehemaligen Fahrern erbrachten Leistungen (Hilfstätigkeiten) sind ver­

gleichsweise teuer,

� wegen der ungleichmäßigen Nachfrage nach Personentransportleistungen (mor­

gendliche und abendliche Spitzenzeiten) müssen bezogen auf die Gesamtdienst­

masse vergleichsweise viele Fahrer beschäftigt werden.

Verschiedene Untersuchungen befassen sich in den letzten Jahren mit den besonde­

ren Belastungen und Beanspruchungen, die durch den Fahrdienst auftreten. Im We­

sentlichen handelt es sich dabei um groß angelegte Befragungen in mehreren Ver­

kehrsunternehmen, die vier Hauptbelastungsfelder (Hemmrich, 1993) beim Fahrper­

sonal verdeutlichen:

a) Psychische Belastungen und Beanspruchungen

Die psychischen Belastungen dominieren im subjektiven Empfinden der Fah­

rer/innen. Die wichtigsten psychischen Belastungsfaktoren sind die Verantwortung bei der beruflichen Tätigkeit, der Zeitdruck durch den Fahrplan, das Verkehrsauf­

kommen und Gefahrensituationen im Straßenverkehr sowie Konfliktsituationen mit Fahrgästen. Meist kommt es zu einer Kombination mehrerer dieser Faktoren, was für das Fahrpersonal besonders beanspruchend ist.

b) Physische Belastungen und Beanspruchungen

Die physische Belastung der Fahrer/innen ist zurückzuführen auf die einseitige, statische Sitzhaltung und eine möglicherweise vermehrte Muskelanspannung par­

allel zur psychischen Belastung (Giesser-Weigl & Schmidt, 1989). Eine besondere Rolle spielen dabei der Fahrersitz/Arbeitsraum, die Zwangshaltung und Vibratio­

nen. Durch technisch-ergonomische Fortschritte bei der Arbeitsplatzgestaltung konnte die physische Beanspruchung des Fahrpersonals zwar erheblich reduziert, jedoch nicht abgestellt werden. Ein großes Problem bleibt die extreme Bewe­

gungsarmut bei der Arbeit. Die Tätigkeit des Fahrens belastet v.a. einzelne Kör­

perbereiche (Wirbelsäule, Nacken-Schulter-Bereich etc.).

c) Belastungen und Beanspruchungen durch Umwelteinflüsse

Die vielen Umwelteinflüsse, denen das Fahrpersonal täglich ausgesetzt ist, wirken sich – wie auch die Arbeitszeit – sowohl auf die Physis als auch auf die Psyche der Fahrer/innen aus und verstärken somit die oben genannten Belastungsfakto­

ren. Aufgrund ihrer besonderen Bedeutung sind sie jedoch als

Hauptbelastungs-felder anzusehen. Besonders belastende Umwelteinflüsse sind das Klima, Lärm und die Lichtverhältnisse.

d) Belastungen und Beanspruchungen durch die Arbeitszeit

Der unregelmäßige Dienst – ca. 93% der Fahrer/innen verrichten ihre Tätigkeit im Schichtdienst – ist ein zentrales Problem des Fahrpersonals im ÖPNV. Aufgrund der u.U. täglich wechselnden Arbeitszeiten gestaltet sich auch der Tagesablauf des Fahrpersonals schwierig. Das führt zum Teil zu erheblichen Auswirkungen auf das Familienleben, auf soziale Kontakte außerhalb der Familie und auf die Frei­

zeitgestaltung (Hemmrich, 1993, S. 65).

Es kann festgehalten werden, dass es sich beim Fahrpersonal im ÖPNV um eine besonders belastete Personengruppe mit möglichen Auswirkungen auf die gesund­

heitliche Situation der Betroffenen handelt.

4.2.1 Untersuchungsfeld

Die Untersuchung wurde in einem im Land Brandenburg tätigen Verkehrsunterneh­

men (Busunternehmen, Hauptsitz Potsdam) mit 345 Busfahrern durchgeführt, wovon 95% in Vollzeit beschäftigt sind. In Interviews mit dem Personalleiter und dem Be­

triebsrat wurden u.a. nachfolgende Unternehmensdaten erfasst: Das Unternehmen wurde 1992 gegründet und ging aus einem ehemaligen VEB Kraftverkehr hervor; es hat neben dem Hauptsitz weitere fünf Betriebsteile in verschiedenen Städten im Land Brandenburg. Zwei Landkreise des Landes Brandenburg sind Hauptgesellschafter des Unternehmens. Tätigkeitsfelder sind Linien- und Schülerverkehr, Gelegenheits­

und Charterverkehr sowie Fahrschulausbildung. Derzeit werden 65 Linien mit 1800 Haltepunkten bedient und 20 Mio. Personen pro Jahr befördert.

40% der Busfahrer sind im Schülerverkehr eingesetzt, 50% im Linienverkehr und 10% im Gelegenheits- und Charterverkehr. 85% der Busfahrer verfügen über eine unbefristete Anstellung. Die durchschnittliche Unternehmenszugehörigkeit liegt bei 18 Jahren. Der größte Anteil der Busfahrer (85%) verfügt über einen Facharbeiterab­

schluss. Der Anteil ausländischer Busfahrer liegt bei 5%, der Anteil von behinderten Busfahrern bei 7%. Das Lohnkonzept ist den Regelungen des öffentlichen Dienstes angelehnt. Den Beschäftigten stehen in der Regel 25 bis 30 Urlaubstage zu. Die Möglichkeit zur regelmäßigen Weiterbildung wird zunehmend mehr angeboten. Ne­

ben fachlichen Weiterbildungsinhalten werden Kurse zur Stressbewältigung und zur gesunden Ernährung am meisten nachgefragt. Jährlich stattfindende arbeitsmedizi­

nische Untersuchungen und regelmäßige Arbeitsschutzunterweisungen sowie re­

gelmäßig stattfindender Dienstunterricht gehören zusätzlich zu den Verpflichtungen der Beschäftigten.

Die erste Datenerhebung wurde im Zeitraum Juni bis Anfang August 2001 durchge­

führt. Die zweite Datenerhebung erfolgte im Zeitraum September bis November 2002.

4.2.2 Belastungen

4.2.2.1 Tätigkeitsbeobachtungen

Es wurden 8 Beobachtungsinterviews auf unterschiedlichen, für das Unternehmen repräsentativen Buslinien durchgeführt. Jeweils 3 Beobachtungsinterviews fanden im Frühdienst (05.00 Uhr bis 14.00 Uhr), 3 Beobachtungsinterviews im Spätdienst (12.00 bis 21.00 Uhr) und 2 Beobachtungsinterviews im Nachtdienst (20.00 Uhr bis 05.00 Uhr) statt. Die tätigkeitsbegleitende Beobachtung bezog sich auf wesentliche Merkmale der Arbeitssituation der Busfahrer (Arbeitsauftrag, Arbeitsmittel, Ausfüh­

rungsbedingungen, Konsequenzen der Aufgabenbearbeitung). Die Ergebnisse der Beobachtungsinterviews bilden die Basis der Belastungsbewertung im SPA-S.

4.2.2.2 Zeitbudgetanalyse

Aus den gemittelten Zeitanteilen (in Relation zur Gesamtarbeitszeit) ergeben sich für die wesentlichen Tätigkeitskategorien für die Busfahrer die in Tab. 4.11 dargestellten Ergebnisse. Durchschnittlich befahren die Busfahrer pro Schicht 9 Routen.

Tab. 4.11 Anteil der Tätigkeitskategorien an der Gesamtarbeitszeit bei Busfahrern

Tätigkeitskategorien Arbeitszeitanteile (in %)

Dienstvorbereitung/Nachbereitung 5

Leerfahrten 7

Wartezeiten vor Beginn einer neuen Route 18

Pausen 8

Beförderung der Kunden 62

Aus den Zeitanteilen wird deutlich, dass fast ein Fünftel der Arbeitszeit durch Warte­

zeiten (z.B. vor Beginn einer neuen Route) charakterisiert ist. Leerfahrten (z.B. von Betriebshof zur ersten Haltestelle) machen ca. 7% der Arbeitszeit aus.

4.2.2.3 Ergänzende Informationen

Aus den Gesprächen/Interviews während der Tätigkeitsbegleitung seien exempla­

risch einige arbeitsbedingte Belastungen und Ressourcen mitgeteilt, die von den Beschäftigten benannt wurden (Kasten 4.3).

Kasten 4.3 Belastungen und Ressourcen

Belastungen Ressourcen

Durch Fahrgäste

unfreundliche Fahrgäste, „genervte“ Fahrgäste freundliche Fahrgäste, die sich lobend über

Beschwerden der Fahrgäste die Fahrweise des Busfahrers äußern

falsche Erwartungen (z.B. Busfahrer soll auch außerhalb der Haltestellen anhalten)

Durch Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen

unklare Pausenregelungen (oft werden War­

tezeiten als Pausenzeiten betrachtet)

fast täglich auf andere Busse einstellen

Kasse und der entsprechende Computer sind schwer zu bedienen

mängelbehaftete Türen in den Bussen

� fehlende bzw. unzureichende Informationen zur Verkehrssituation (z.B. Stau, Baustellen)

Zugluft in den Bussen

schlechte Belüftung der Busse

� Mitsprache bei Schichtplangestaltung

möglichst gleiche bzw. ähnliche Touren bzw.

Linien für jeden Busfahrer

� zügige Unterstützung durch Einsatzplanung (z.B. wenn Busfahrer auf der Tour Probleme haben)

Übergreifend

viele verschiedene Fahrausweise

Zeitdruck durch unverschuldete Verspätungen

unzureichende Pausenversorgung

Kollegen kennen sich alle relativ gut und sind schon lange im Unternehmen

sicherer Arbeitsplatz (zum Zeitpunkt der ersten Erhebung)

man ist auf der Tour „sein eigener Chef“

4.2.2.4 Ergebnisse der Belastungsbewertung durch die Beobachter (SPA-S) Die aus den Beobachtungsinterviews abgeleitete Screening-Einschätzung der Bela­

stungssituation durch die externen Experten (Beobachter) ist in Tab. 4.12 dargestellt.

Tab. 4.12 Auswertung und Einstufung SPA-S (Busfahrer)

Analysebereich

Entscheidungsspielraum (ESPR) Komplexität/Variabilität (KV) Qualifikationserfordernisse (QU)

Risikobehaftete Arbeitssituationen/besondere Anfor­

derungen an die Handlungszuverlässigkeit (RA) Belastende Ausführungsbedingungen (BA) Fehlbelastungsstufe

Psychische Fehlbelastung

Wenn kritischer Wert erreicht = 1 1 0=unkritische Belastung; 1=kritische Belastung im Analysebereich

Die Auswertung und Einstufung auf der Grundlage des SPA-S ermittelt eine Fehlbe­

lastungsstufe von 3 („psychische Fehlbelastung liegt vor“). Grundlage dieser Bewer­

tung ist ein sehr geringer Entscheidungsspielraum bei geringer Komplexität und hohen Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit sowie vielen Belastungen durch Ausführungsbedingungen der Tätigkeit. Auf der Ebene der Analysebereiche werden durchgehend kritische Belastungsausprägungen festgestellt.

4.2.3 Mitarbeiterbefragung

In die Befragung wurden nur die Busfahrer einbezogen.

4.2.3.1 Soziodemographische Daten (erste Datenerhebung)

Die Fragebogenrücklaufquote des sehr umfangreichen Instrumentariums ist mit 29,8% nicht zufriedenstellend.

An der Befragung beteiligten sich 103 vorwiegend männliche Beschäftigte (nur 9 Busfahrerinnen).

Die Altersverteilung der Befragten ist in Tab. 4.13 dargestellt. Der größte Anteil der Befragten gehört der Altersgruppe der 40-49jährigen an, gefolgt von der Altersgruppe der 30-39jährigen und der Altersgruppe der 50-59jährigen Beschäftigten.

Tab. 4.13 Altersstruktur der Mitarbeiter des Busunternehmens bei der ersten Datenerhebung (N=103)