An der Befragung – als Vollerhebung geplant – beteiligten sich leider nur 70 Pflege
kräfte (Sozialstationen A: 24; B: 21; C: 25); damit liegt die Rücklaufquote bei 24%.
Die Altersverteilung der Befragten ist der Tab. 4.4 getrennt für die drei Sozialstatio
nen zu entnehmen.
Tab. 4.4 Altersstruktur der Befragten in den drei Sozialstationen (Angaben in %)
Station Altersklassen
20-29 30-39 40-49 50-59 über 60 Ohne Angabe
A 14,0 29,0 26,0 11,0 3,0 17,0
B 16,0 36,0 32,0 8,0 0 8,0
C 7,0 45,0 31,0 17,0 0 0
Die meisten Befragten sind zwischen 30 und 39 Jahre alt, die zweitgrößte Alters
gruppe sind die 40-49jährigen.
In den drei Sozialstationen arbeiten die meisten Befragten in der Hauspflege, in der Krankenpflege sind dagegen nur ca. ¼ der Befragten tätig. Trotz des wenig befriedi
genden Fragebogenrücklaufs spiegelt die Zusammensetzung der Respondenten die Struktur der Sozialstationen sehr gut wider. In der nachfolgenden Auswertung wer-den die Befragungsdaten aus wer-den drei Sozialstationen zusammengefasst; in die Auswertung gehen nur die Krankenpflege- und die Hauspflegekräfte ein.
4.1.3.2 Erlebte Belastungen und Beanspruchungen
Die personbezogenen Verfahrensteile des SPA erheben über die subjektive Re
flexion der Arbeitssituation die Belastungen der Mitarbeiter (SPA-P1) und die durch die Arbeitsmerkmale erlebte Beanspruchung. Die Ergebnisse sind in Tab. 4.5 auf-geführt.
Tab. 4.5 Einstufung erlebter Belastungen P1) und Beanspruchungen (SPA-P2) nach Tätigkeitsgruppen für alle drei Stationen
Analysebereich Hauspflege Krankenpflege
SPA-P1 SPA-P2 SPA-P1 SPA-P2
Entscheidungsspielraum (ESPR) 0 0 1 0
Komplexität/Variabilität (KV) 0 0 0 0
Qualifikationserfordernisse (QU) 0 0 0 0
Risikobehaftete Arbeitssituationen/besondere
Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit 1 1 1 1
(RA)
Belastende Ausführungsbedingungen (BA) 1 0 1 0
Soziale Beziehungen (S) 0 0 0 0
Fehlbelastungs-/Beanspruchungsstufe 2 1 3 1
Psychische Fehlbela
stung/Fehlbeanspruchung
hoch
wahr-wahr- wahr
scheinlich
scheinlich liegt vor
scheinlich 0=unkritische Belastung/Beanspruchung; 1=kritische Belastung/Beanspruchung im Analysebereich
Im SPA-P1 wurde für die Tätigkeitsgruppe Hauspflege eine Fehlbelastungsstufe von 2 („psychische Fehlbelastung hoch wahrscheinlich“), für die Tätigkeitsgruppe Kran
kenpflege dagegen eine Fehlbelastungsstufe von 3 („psychische Fehlbelastung liegt vor“) ermittelt.
Bezüglich der erlebten psychischen Fehlbeanspruchung (SPA-P2) ergab sich sowohl für die Tätigkeitsgruppe Hauspflege als auch für die Tätigkeitsgruppe Krankenpflege eine Fehlbeanspruchungsstufe von 1 („psychische Fehlbeanspruchung wahrschein
lich“).
Die Beschreibung der Arbeitssituation durch die Mitarbeiter (SPA-P1) erlaubt somit, zwischen den beiden Beschäftigtengruppen zu differenzieren: Die Krankenpflege
kräfte sehen im Vergleich zu den Hauspflegekräften vor allem im Analysebereich Entscheidungsspielraum stärkere Restriktionen.
Das erklärt sich mit den sehr engen Zeitvorgaben, die mit der Betreuung von mehr als doppelt so vielen Patienten (in Relation zu den Hauspflegekräften) innerhalb einer Schicht verbunden sind. Damit wird die auf der Screeningebene (SPA-S) sich abzeichnende höhere Belastung der Krankenpflegekräfte (vgl. die für beide Tätig
keitsgruppen abweichend bewerteten S Items) durch die Ergebnisse des SPA-P1 bekräftigt.
Die erlebte Beanspruchung, die in den Daten des SPA-P2 abgebildet wird, differen
ziert hingegen nicht zwischen den Beschäftigtengruppen: Sie fühlen sich gleicher
maßen „Wahrscheinlich beansprucht“. Hier ist zu berücksichtigen, dass das Bean
spruchungserleben in der Regel beeinflusst wird durch ein subjektives Beurteilungs
raster, in dem berufstypische Belastungen und damit verbundene Beanspruchungen eher als „normal“, also zu dieser Tätigkeit gehörig eingeordnet werden.
Für das Zusatzmodul wurden 9 Items formuliert. In Tabelle 4.6 sind die Items sowie deren Mittelwerte (Skalierung von 0=trifft nicht zu bis 3=trifft zu) für die Stichprobe dargestellt; die Nummerierung entspricht der Position dieser Items im SPA-P1.
Tab. 4.6 Mittelwerte der berichteten Belastungen im Zusatzmodul für Orts- und Zeitflexibilität (SPA-P1)
Items Mittelwert
6. Ich bin bei der Erledigung meiner Aufgaben häufig auf mich gestellt. 2,65
11. Ich muss meinen Arbeitsort häufig wechseln. 1,79
18. Ich muss mich ständig auf neue Bedingungen und Arbeitsabläufe einstellen. 1,99 20. Durch den häufigen Wechsel des Arbeitsortes gerate ich oft in Zeitdruck. 1,63 23. Mein Dienst beginnt häufig an unterschiedlichen Einsatzorten. 1,71
34. Ich habe lange Arbeitswege zu meinem Einsatzort. 1,44
40. Für die Erfüllung meiner Arbeitsaufgaben stehen mir keine modernen Informations-und Kommunikationstechnologien (Telefon, Funk, Computer, Fax) zur Verfügung. 1,44 43. Ich arbeite in unregelmäßigem Dienst nach Sonderregelungen. 0,60 51. Ich arbeite regelmäßig an Wochenenden und Feiertagen. 1,91
Die Mittelwerte der Antworten zu den Items 6, 18 und 51 kennzeichnen offensichtlich Bedingungen, die in hohem Maße für die untersuchte Stichprobe zutreffen; sie be
schreiben typische Anpassungserfordernisse, die mit orts- und zeitflexiblen Tätigkei
ten verbunden sind. Die überwiegend zustimmend beantwortete Aussage „Ich bin bei der Erledigung meiner Aufgaben häufig auf mich gestellt.“ erfasst einen hoch rele
vanten Sachverhalt flexibler Arbeit.
Die zu den Items des Zusatzmoduls berichtete Beanspruchung (Ergänzung zu SPA-P2; Skalierung von nicht beanspruchend (0) bis sehr beanspruchend (2)) für die Gesamtstichprobe ist in Tabelle 4.7 enthalten.
Tab. 4.7 Mittelwerte der erlebten Beanspruchung im Zusatzmodul für Orts- und Zeitflexibilität in der Gesamtstichprobe (SPA-P2; n=538)
Name des Items Mittelwert
6. Ich bin bei der Erledigung meiner Aufgaben häufig auf mich gestellt. 0,62
11. Ich muss meinen Arbeitsort häufig wechseln. 0,38
18. Ich muss mich ständig auf neue Bedingungen und Arbeitsabläufe einstellen. 0,33 20. Durch den häufigen Wechsel des Arbeitsortes gerate ich oft in Zeitdruck. 0,31 23. Mein Dienst beginnt häufig an unterschiedlichen Einsatzorten. 0,31
34. Ich habe lange Arbeitswege zu meinem Einsatzort. 0,31
40. Für die Erfüllung meiner Arbeitsaufgaben stehen mir moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (Telefon, Funk, Computer, Fax) zur Verfügung. 0,28 43. Ich arbeite in unregelmäßigem Dienst nach Sonderregelungen. 0,24 51. Ich arbeite regelmäßig an Wochenenden und Feiertagen. 0,96
Die Urteile zu den erlebten Beanspruchungen sind durchweg im unkritischen Be
reich, lediglich die Arbeit an Wochenenden und Feiertagen wird als deutlich bean
spruchend erlebt, die anderen Merkmale werden zwar als Belastungen benannt, jedoch im Sinne berufstypischer Anforderungen nicht als herausgehoben beanspru
chend erlebt.
4.1.3.3 Somatische und psychische Beschwerden
Die 23 somatischen und psychischen Beschwerden (s. Anlage 4) werden zu 5 Be
schwerdegruppen (Psychische, Muskel-Skelett-System, Herz-Kreislauf System, Magen-Darm System, Augen) zusammengefasst. Die gemittelte Häufigkeit der Be
schwerden sind in Tab. 4.8 enthalten. Entsprechend der fünfstufigen Antwortmodali
tät (von 1=fast täglich bis 5=praktisch nie) spiegeln die geringsten Mittelwerte die höchste Beschwerdenhäufigkeit wider.
Tab. 4.8 Häufigkeit der Beschwerden in den Tätigkeitsgruppen Haus- und Kran
kenpflege
Beschwerdegruppe Hauspflege
(N=49)
Krankenpflege (N=21)
Muskel-Skelett 3,03 3,22
Psychische Beschwerden 3,28 3,42
Magen-Darm 3,59 3,95
Herz-Kreislauf 4,01 4,17
Augenbeschwerden 4,07 4,23
Deutlich wird, dass die Häufigkeit der berichteten Beschwerden sowohl in der Kran
kenpflege als auch in der Hauspflege insgesamt gering ist. Statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Tätigkeitsgruppen sind nicht nachzuweisen, wenn auch durchgehend die Hauspflegekräfte (geringfügig) häufiger Beschwerden angeben.
Innerhalb des geringen Beschwerdeniveaus dominieren erwartungsgemäß Muskel-Skelett Beschwerden (der Wert 3 bedeutet, dass die Beschwerden etwa 2 mal/Monat auftreten). Diese sind nicht nur weit verbreitet, sondern können hier zusätzlich erklärt werden durch die teilweise schwere körperliche Arbeit bei der grundpflegerischen
Betreuung der Patienten. Den zweiten Rangplatz nehmen die psychischen Be
schwerden ein.
Eine identische Rangfolge ermittelte Kalytta (2000) an Mitarbeitern der stationären Altenpflege. Die Ergebnisse entsprechen darüber hinaus im Wesentlichen denjeni
gen, die an großen Stichproben Berufstätiger immer wieder gefunden wurden (vgl.
u.a. Jansen, 1999).
4.1.3.4 Emotionale Erschöpfung und Klientenaversion
Als weitere mögliche Beanspruchungsfolge, die insbesondere im Humandienstlei
stungsbereich mit den für diese typischen „nicht reziproken Beziehungen“ (Brucks, 1998) zwischen Pflegekräften und zu Pflegenden zu erwarten ist, wurden das Aus-maß der „Emotionalen Erschöpfung“ und der „Aversion gegenüber Patienten und Klienten“ erhoben. Die über die Pflegekräfte gemittelten Ergebnisse sind in Tab. 4.9 zusammengestellt. Die 7stufigen Antwortmodalität reicht von völlig unzutreffend (1) bis völlig zutreffend (7).
Tab. 4.9 Mittelwerte in den Skalen Emotionale Erschöpfung und Klientenaversion Tätigkeit Emotionale Erschöpfung Klientenaversion
Hauspflege (N=49) 40,70 13,17
Krankenpflege (N=21) 36,68 12,23
Die Bewertung der Skalen erfolgt in drei Ausprägungen: positive Ausprägung, neu
traler Bereich, kritische Ausprägung. In Tab. 4.10 sind die Summenscores der Be
wertungsbereiche angegeben.
Tab. 4.10 Bewertungen der Ausprägungen (BHD nach Hacker et al., 1995) Positive
Ausprägung
Neutraler Bereich
Kritische Ausprägung
Emotionale Erschöpfung 12-26 27-43 44-84
Klientenaversion 5-9 10-17 18-35
In Übereinstimmung mit dem Bewertungsvorschlag der Autoren (Hacker et al., 1995) liegen die Ausprägungen für „Emotionale Erschöpfung“ für beide Beschäftigtengrup
pen im neutralen Bereich (Werte von 27-43), jedoch reichen die Werte der Hauspfle
gekräfte deutlicher an den als kritisch bewerteten Bereich heran (ab einem Wert von 44), der eine erhebliche emotionale Erschöpfung signalisiert. Obwohl statistisch signifikante Differenzen zwischen den Tätigkeitsgruppen nicht nachweisbar sind, können die höheren Werte der Hauspflegekräfte mit den engeren, länger andauern
den Kontakten zu den Pflegenden erklärt werden.
Die Werte der Skala „Patienten-/Klientenaversion“ sind für beide Beschäftigtengrup
pen im neutralen Bereich angesiedelt (Werte von 10 bis 17).
Analoge Ergebnisse ermittelte Kalytta (2000) für Pflegekräfte in der stationären Al
tenpflege: Das berichtete Ausmaß erlebter emotionaler Erschöpfung erreichte eben-falls die Grenze des neutralen Bewertungsbereichs, Patientenaversion war nicht nachweisbar.
4.1.4 Fazit
Die ambulante Kranken- und Hauspflege ist mit einer Vielzahl arbeitsbezogener Belastungen verbunden. Neben den negativ zu wertenden Defiziten im Arbeitsinhalt (eingeschränkter Entscheidungsspielraum, zu geringe Anforderungen an die Kom
plexität und Variabilität der Arbeitsaufgaben), den tätigkeitsimmanenten Risiken durch fehlerhaftes Arbeitshandeln Patienten zu schädigen sind die belastenden Ausführungsbedingungen als Erschwerungen zu beurteilen. Die auf der Screeninge
bene durch die tätigkeitsbegleitenden Beobachtungsinterviews ermittelten Arbeits
belastungen werden durch die Befragungen der Mitarbeiter präzisiert; hier ist vor allem das dem Qualifikationsniveau der Krankenpflegekräfte wenig angemessene Qualifikationspotential der Tätigkeit zu nennen. Die erlebte Beanspruchung ist dem-gegenüber nicht so ausgeprägt, wie es zu erwarten gewesen wäre. Das lässt ver
muten, dass die Pflegekräfte nicht nur über ein günstiges persönliches Bewälti
gungsverhalten verfügen, sondern dass in ihrem Urteil auch die berufstypischen Anforderungen als gegeben und nicht veränderbar gesehen werden. Nicht auszu
schließen ist – wie in allen Befragungen – die Tendenz, sozial erwünscht zu antwor
ten.
Die Mängel und Schwachstellen, die sich aus der Arbeitsorganisation, der Verfüg
barkeit der Arbeitsmittel und dem Informationsfluss ergeben, sind hingegen verän
derbar. Die Rückmeldungen der Analyseergebnisse in den Sozialstationen kann als erster Schritt zur Optimierung der Arbeitsabläufe und verbessertem Informationsfluss gelten. Das dominante Belastungsmerkmal „Zeitdruck/Zeitnot“, das vor allem für die Krankenpflegekräfte zutrifft, ist jedoch mit diesen Maßnahmen nur zum Teil beein
flussbar, hier bedarf es einer Überprüfung und Korrektur der von den Pflegekassen vorgegebenen zeitlichen Richtwerte für ambulante Pflegetätigkeiten. Der hohe Anteil der Wegezeiten innerhalb der Arbeitszeit wird sich im Prinzip nicht verändern lassen, jedoch kann die uneingeschränkte Verfügbarkeit von Dienstfahrzeugen zumindest die Tätigkeit unterstützen.
Der Umgang mit den für Pflege und psychosoziale Betreuung hochbetagter Men
schen typischen Problemen, die hohen Erwartungen der Patienten an Dauer und Intensität des Kontakts mit der Pflegekraft sowie die häufig unangemessenen Forde
rungen der Angehörigen sind für die Pflegekräfte permanente Belastungsquellen.
Auch wenn in dieser Untersuchung keine bedeutsamen negativen Beanspruchungs
folgen (gesundheitliche Beschwerden, emotionale Erschöpfung und Patientenaversi
on als Burnoutsymptome) gefunden wurden, sollte jede Sozialstation verpflichtet sein, Unterstützungsmaßnahmen zu einer guten Belastungsbewältigung anzubieten.
Dazu gehören gezielte Fortbildungen zur geriatrischen Pflege, ausreichende (positi
ve) Rückmeldungen durch die Leiter der Einrichtungen, regelmäßige Teamberatun
gen, unterstützendes Verhalten der Kollegen und Supervisionen.