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Stichprobe 3 – Beamte im Polizeidienst

1. Erhebung 2. Erhebung Signifikanz

4.3 Stichprobe 3 – Beamte im Polizeidienst

In den letzten Jahren wird vermehrt über die physischen, v.a. jedoch über die psychi­

schen Belastungen von Schutz- und Rettungsberufen berichtet (u.a. Kop, Euwema &

Schaufeli, 1999; Schaufeli & Buuk, 2002; Schaarschmidt & Fischer, 2001). Speziell der Polizeidienst gehört zu einer Berufsgruppe, welche hohe emotionale, kognitive und soziale Belastungspotentiale aufweist (vgl. Steinbauer, 2001; Hallenberger &

Mueller, 2000). Die psychosozialen Belastungsfaktoren im Polizeidienst lassen sich in zwei Bereiche aufteilen: Auf der einen Seite sind es Faktoren, die mit den be­

rufstypischen Tätigkeiten und Aufgaben in Zusammenhang stehen, wie psychische und physische Bedrohungen in konfliktreichen Auseinandersetzungen sowie Hilfelei­

stungen in emotional belastenden Situationen, auf der anderen Seite sind es Bela­

stungen, die sich aus der administrativen, hierarchischen Struktur der Polizeiorgani­

sation ergeben (vgl. Symonds, 1970; Lewis, 1973; Reiser, 1974; Kroes & Gould, 1979; Violanti & Aron, 1993, 1994; Steinbauer, 2001; Sennekamp & Martin, 2003).

4.3.1 Untersuchungsfeld

Die Untersuchung wurde in einem Polizeipräsidium im Land Brandenburg mit 150 Beamten des Streifendienstes durchgeführt. Der Streifendienst ist 24 Stunden am Tag im Einsatz und deshalb arbeiten die Beschäftigten dieses Dienstes im Wechsel­

schichtsystem.

Die Arbeitszeit der Beschäftigten im Streifendienst ist als unregelmäßiges Wechsel­

schichtsystem organisiert, wobei die wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden beträgt.

Unter der Woche, Montag bis Freitag, gibt es drei Schichten, die Frühschicht mit 7 Stunden Arbeitszeit (von 6.00 Uhr bis 13.00 Uhr), die Spätschicht mit 8 Stunden Arbeitszeit (von 13.00 Uhr bis 21.00 Uhr) und die Nachtschicht, mit 9 Stunden (von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr). An den Wochenenden wird im Zweischichtsystem gearbeitet (von 06.00 Uhr bis 18.00 Uhr und von 18.00 Uhr bis 06.00 Uhr). Regelmäßig nach jeder fünften Woche hat jede Schicht eine so genannte X- Woche, die für

Schulun-gen und Weiterbildung, dienstsportliche Aktivitäten, Mehrdienstausgleich und für die Verstärkung anderer Schichten verwendet werden sollte.

Der Wach- und Wechseldienst ist in fünf Dienstgruppen organisiert. Jede Dienst­

gruppe besteht aus einem Dienstgruppenleiter, einem Wachdienstführer und sieben Einsatzkräften. Der Dienstgruppenleiter ist der Vorgesetzte aller Beschäftigten einer Dienstschicht, er plant, koordiniert und kontrolliert den Dienstbetrieb. Er führt darüber hinaus mit allen Beschäftigten einer Dienstschicht Teamsitzungen durch. Weiterhin kann man den Dienstgruppenleiter als kommunikative Schnittstelle verstehen, der zwischen der Leitstelle und den anderen Bereichen des Präsidiums sowie dem In­

nenministerium und der Presse vermittelt. Er hat die Richtigkeit der Einsatzunterla­

gen zu prüfen, d.h. Prüfung des Zielvorhabens und der Recht- und Zweckmäßigkeit von Polizeieinsätzen. Der Wachdienstführer steht in der Hierarchieebene unter dem Dienstgruppenleiter und über den Einsatzkräften und ist vor allem für die innerbe­

triebliche Koordination, d.h. für den ordnungsgemäßen Ablauf des Dienstbetriebes in einer Dienstschicht verantwortlich (Erstellung des Dienstplanes seiner Dienstgruppe, Dokumentation der geleisteten Überstunden, Wechselschichtzeiten, Dienst zu un­

günstigen Zeiten, Fortbildung). Außerdem kontrolliert er die Durchführung und Erle­

digung der Einsätze und ist für deren Dokumentation verantwortlich. In der Regel sollte er, besonders bei größeren Einsätzen, die Einsatzkräfte in den Streifenwagen unterstützen, d.h., er überwacht die Informationsübermittlung, gibt Anweisungen und sollte bei komplexen Einsätzen die Leitung übernehmen. Die Einsatzkräfte unterste­

hen dem Wachdienstführer, von dem sie so genannte Streifenpläne zu Beginn des Dienstes erhalten, die bereits grobe Richtlinien für den Ablauf des Dienstes enthalten (z.B. Objektschutz). Sie sind exekutive Kräfte, die für die Gewährleistung der öffentli­

chen Ordnung zuständig sind. Der größte Teil der Einsätze wird von der Leitstelle bzw. von der zuständigen Wache über Funk an die Einsatzkräfte übermittelt. Diese haben den Einsatzort so schnell wie möglich aufzusuchen und die dortige Situation aufzunehmen, und sie haben Informationen von beteiligten Personen zu sammeln;

sie können jederzeit mit der Leitstelle und dem Wachdienstführer Kontakt aufneh­

men, um den Einsatz aufzuklären. Nach Beendigung eines Einsatzes werden alle relevanten Informationen in Form eines Berichtes protokolliert.

4.3.2 Belastungen

4.3.2.1 Tätigkeitsbeobachtungen

Die Datenerhebung erfolgte im Zeitraum Juni bis August 2001. Die Tätigkeitsbeob­

achtungen beziehen sich v.a. auf die Wachdienstführer und die Einsatzkräfte. Da bedarfsweise die Wachdienstführer auch als Einsatzkräfte tätig sind, konnte keine Differenzierung zwischen diesen Gruppen wahrgenommen werden. Alle nachfolgen­

den Aussagen werden somit zusammengefasst.

Insgesamt 12 Schichtbeobachtungen wurden in drei Polizeiwachen durchgeführt. Pro Wache (Hauptwache, Wache I und Wache II) wurden 4 tätigkeitsbegleitende Beob­

achtungen jeweils in einer Früh-, Spät-, Nacht- und Wochenendschicht realisiert. Die Beobachtungen wesentlicher Merkmale der Arbeitssituation der Streifenbeamten, Streifenführer (Arbeitsauftrag, Arbeitsmittel, Ausführungsbedingungen, Konsequen­

zen der Aufgabenbearbeitung) sind die Basis für die SPA-S Bewertung.

4.3.2.2 Belastungsbewertung durch die Beobachter

Die aus den Beobachtungsinterviews abgeleitete Screening-Einschätzung der Bela­

stungssituation durch die externen Experten (Beobachter) ist in Tab. 4.32 dargestellt.

Die Auswertung und Einstufung auf der Grundlage des SPA-S ermittelt eine Fehlbe­

lastungsstufe von 2 („psychische Fehlbelastung hoch wahrscheinlich“). Grundlage dieser Bewertung ist ein sehr geringer Entscheidungsspielraum bei risikobehafteten Arbeitssituationen/hohen Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit.

Tab. 4.32 Auswertung und Einstufung SPA-S (Polizeidienst) Analysebereich

Entscheidungsspielraum (ESPR) Komplexität/Variabilität (KV) Qualifikationserfordernisse (QU) Risikobehaftete Arbeitssituatio­

nen/besondere Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit (RA)

Belastende Ausführungsbedingungen (BA) Fehlbelastungsstufe

Psychische Fehlbelastung

Wenn kritischer Wert erreicht = 1 1

0 0 1 0 2

hoch wahrscheinlich

0=unkritische Belastung; 1=kritische Belastung im Analysebereich

4.3.3 Mitarbeiterbefragung 4.3.3.1 Soziodemographische Daten

Die Fragebogenrücklaufquote beträgt leider nur 22%. An der Befragung beteiligten sich 33 Beschäftigte, davon 8 weibliche Beamte.

Die Altersverteilung der Befragten ist in Tab. 4.33 dargestellt. Der größte Anteil der Befragten gehört den Altersgruppen der 20-29jährigen und der 40-49jährigen an, gefolgt von der Altersgruppe der 50-59jährigen und der Altersgruppe der 30-39jährigen Beschäftigten.

Tab. 4.33 Altersstruktur der Mitarbeiter im Polizeidienst (N=33)

Alter 20-29 30-39 40-49 50-59 über 60 Ohne Angabe

% 27,3 15,2 27,3 18,2 3 9,1

total 9 5 9 6 1 3

4.3.3.2 Erlebte Belastungen und Beanspruchungen

Die Ergebnisse der subjektiven Einschätzung der erlebten Belastungen der Mitar­

beiter im Polizeidienst (SPA-P1) ist in Tab. 4.34 dargestellt. Für die Beamten wurde im SPA-P1 eine Fehlbelastungsstufe von 3 („psychische Fehlbelastung liegt vor“) ermittelt.

Tab. 4.34 Einstufung erlebter Belastungen der Beamten (SPA-P1) (N=33)

Wenn kritischer Wert erreicht = 1 1

0=unkritische Belastung; 1=kritische Belastung in den Analysebereichen

Die Ergebnisse bezüglich der erlebten psychischen Fehlbeanspruchung (SPA-P2) sind in der Tab. 4.35 dargestellt. Es zeigt sich eine Fehlbeanspruchungsstufe von 0 („psychische Fehlbeanspruchung unwahrscheinlich“). Keiner der Analysebereiche erreicht den kritischen Wert.

Selbst der für den Polizeidienst typische Analysebereich Risikobehaftete Arbeitssi­

tuationen/besondere Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit spiegelt sich im Urteil der Beamten nicht als deutlich beanspruchend wider. Auch hier ist zu vermer­

ken, dass diese berufstypischen Anforderungen als normal in die Beurteilung des Beanspruchungserlebens eingehen. Zu berücksichtigen ist auch, dass im Untersu­

chungszeitraum keine außergewöhnlichen Einsätze notwendig waren.

Tab. 4.35 Einstufung erlebter Beanspruchungen der Beamten (SPA-P2) (N=33) Analysebereich

Wenn kritischer Wert erreicht = 1

0=unkritische Beanspruchung; 1=kritische Beanspruchung im Analysebereich

Für das Zusatzmodul wurden 9 Items formuliert. In Tab. 4.36 sind die Items sowie deren Mittelwerte (Skalierung von 0=trifft nicht zu bis 3=trifft zu) für die Gesamtstich­

probe dargestellt; die Nummerierung entspricht der Position dieser Items im SPA-P1.

Tab. 4.36 Mittelwerte der berichteten Belastungen im Zusatzmodul für Orts- und Zeitflexibilität (SPA-P1)

Items Mittelwert

6. Ich bin bei der Erledigung meiner Aufgaben häufig auf mich gestellt. 2,06

11. Ich muss meinen Arbeitsort häufig wechseln. 0,66

18. Ich muss mich ständig auf neue Bedingungen und Arbeitsabläufe einstellen. 2,44 20. Durch den häufigen Wechsel des Arbeitsortes gerate ich oft in Zeitdruck. 0,72 23. Mein Dienst beginnt häufig an unterschiedlichen Einsatzorten. 0,97

34. Ich habe lange Arbeitswege zu meinem Einsatzort. 0,94

40. Für die Erfüllung meiner Arbeitsaufgaben stehen mir keine modernen Informations-und Kommunikationstechnologien (Telefon, Funk, Computer, Fax) zur Verfügung. 0,69 43. Ich arbeite in unregelmäßigem Dienst nach Sonderregelungen. 2,00 51. Ich arbeite regelmäßig an Wochenenden und Feiertagen. 2,38

Die Mittelwerte der Antworten zu den Items 18, 51 und 6 kennzeichnen offensichtlich Bedingungen, die in hohem Maße für die untersuchten Stichproben zutreffen; sie beschreiben typische Anpassungserfordernisse, die mit orts- und zeitflexiblen Tätig­

keiten verbunden sind.

Die zu den Items des Zusatzmoduls berichtete Beanspruchung (Ergänzung zu SPA-P2; Skalierung von nicht beanspruchend (0) bis sehr beanspruchend (2)) für die Gesamtstichprobe ist in Tab. 4.37 enthalten.

Tab. 4.37 Mittelwerte der erlebten Beanspruchung im Zusatzmodul für Orts- und Zeitflexibilität (SPA-P2)

Name des Items Mittelwert

6. Ich bin bei der Erledigung meiner Aufgaben häufig auf mich gestellt. 0,28

11. Ich muss meinen Arbeitsort häufig wechseln. 0,14

18. Ich muss mich ständig auf neue Bedingungen und Arbeitsabläufe einstellen. 0,13 20. Durch den häufigen Wechsel des Arbeitsortes gerate ich oft in Zeitdruck. 0,17 23. Mein Dienst beginnt häufig an unterschiedlichen Einsatzorten. 0,13

34. Ich habe lange Arbeitswege zu meinem Einsatzort. 0,13

40. Für die Erfüllung meiner Arbeitsaufgaben stehen mir moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (Telefon, Funk, Computer, Fax) zur Verfügung. 0,28 43. Ich arbeite in unregelmäßigem Dienst nach Sonderregelungen. 0,25 51. Ich arbeite regelmäßig an Wochenenden und Feiertagen. 0,80

Die Urteile zu den erlebten Beanspruchungen sind durchweg im unkritischen Be­

reich, lediglich die Arbeit an Wochenenden und Feiertagen wird als deutlich bean­

spruchend erlebt, die anderen Merkmale werden zwar als Belastungen benannt, jedoch im Sinne berufstypischer Anforderungen nicht als herausgehoben beanspru­

chend erlebt.

4.3.3.3 Somatische und psychische Beschwerden

Tabelle 4.38 enthält die gemittelte Häufigkeit der Beschwerden, zusammengefasst zu fünf Beschwerdengruppen. Entsprechend der fünfstufigen Antwortmodalität (von 1=fast täglich bis 5=praktisch nie) spiegeln die geringsten Mittelwerte die höchste Beschwerdenhäufigkeit wider.

Am häufigsten werden psychische Beschwerden und Beschwerden bezüglich Mus­

kel-Skelett genannt. Insgesamt ist auch in dieser Stichprobe das Beschwerdenniveau sehr niedrig. Hier ist zu berücksichtigen, dass Polizeibeamte durch die regelmäßigen arbeitsmedizinischen Untersuchung und dank des Dienstsportes eher zu einer „ge­

sunden“ Beschäftigtengruppe zu zählen sind.

Tab. 4.38 Häufigkeit der Beschwerden (N=29)

Beschwerden

M s

Muskel-Skelett 3,53 1,23

psychische Beschwerden 3,57 0,69

Magen-Darm 4,07 0,78

Augenbeschwerden 4,20 1,05

Herz-Kreislauf 4,32 0,68

4.3.3.4 Emotionale Erschöpfung und Klienten-/Kundenaversion

Der Mittelwert in der Skala Emotionale Erschöpfung beträgt 32,21 und in der Skala Klientenaversion 12,46.

Sowohl in der Skala Emotionale Erschöpfung als auch in der Skala Klientenaversion befinden sich die Beamten im neutralen Bereich (neutraler Bereich „Emotionale Er­

schöpfung“: 27-43; „Klientenaversion“: 10-17).

4.3.4 Fazit

Die Tätigkeit der Beamten im Streifendienst ist durch eine Vielzahl von arbeitsbezo­

genen Belastungen gekennzeichnet. Ähnlich wie in der ambulanten Kranken- und Hauspflege und bei den Busfahrern lassen sich auch bei den Beamten Defizite in Arbeitsinhalten (eingeschränkter Entscheidungsspielraum und besondere Anforde­

rungen an die Handlungszuverlässigkeit) sowie tätigkeitsimmanente Risiken finden.

Auch bei dieser Stichprobe werden die auf der Screeningebene durch die tätigkeits­

begleitenden Beobachtungsinterviews ermittelten Arbeitsbelastungen durch die Be­

fragung der Beschäftigten präzisiert. Die Beschäftigten nennen selbst als sehr bela­

stend, dass die Tätigkeit im hohen Maße durch äußere Einflüsse bzw. Ereignisse determiniert ist, wodurch sich die Arbeit schwer planen lässt. Die Beamten müssen vor allem kurzfristig Aufgaben ausführen und innerhalb kürzester Zeit relevante In­

formationen erfassen, bearbeiten und darauf reagieren. Damit verbunden ist, dass der Schichtablauf erheblichen Schwankungen unterliegt. In der Frühschicht und der Nachtschicht am Wochenende sind die meisten Einsätze zu realisieren, während-dessen in den verbleibenden Schichten eher Tätigkeiten auf der Wache sowie Strei­

fenfahrten überwiegen. In diesem Zusammenhang wäre eine Überprüfung der be­

stehenden Schichtzeiten vor dem Hintergrund der normalen Auftragslage angezeigt.

Aber auch der Zeitraum beim Wechsel von der Nachtschicht auf die Frühschicht sollte länger als einen Tag betragen um so arbeitsbedingte Belastungen und Bean­

spruchungen zu reduzieren. Personbezogene Interventionen im Rahmen von Semi­

naren zum gesünderen Umgang mit Stress oder zum Umgang mit Konflikten stellen eher die Ausnahme dar und sollten zur Regel werden. Nicht eingegangen wird hier auf den Umgang mit hoch belastenden Ausnahmesituationen, die mit dem Risiko posttraumatischer Beanspruchungsreaktionen verbunden sind. Bislang werden kaum präventive Maßnahmen zum Umgang mit derartigen Vorfällen angeboten. Dies könnte jedoch eine höchst bedeutsame (personbezogene) Intervention zur Optimie­

rung von Belastungsbewältigungen sein.