• Keine Ergebnisse gefunden

6.6 Steiermark zwischen dem 14. Juli 1989 bis zum 1. Jänner 1995

6.6.1 Die steirischen Sozialpartner

Die steirischen Sozialpartner entschlossen sich am 18. September 1992, drei Ar-beitsgruppen zu gründen:

1. Arbeitsgruppe Kultur und Bildung

(Leiter der Bildungspolitischen Abteilung, Peter Hochegger) 2. Arbeitsgruppe Sozialrecht und Recht

(Leiter der Sozialpolitischen Abteilung, Franz Schrank) 3. Arbeitsgruppe Wirtschaftspolitik

(Leiter der Abteilung für Wirtschaftspolitik und Außenhandel, Heinz Rabus-say und Europareferentin Claudia Weyringer)

187 Interview LH Waltraud Klasnic (12.08.2015)

188 Vgl. Stenographisches Protokoll, 31. Sitzung Steiermärkischer Landtag XII. GP, 1. März 1994, 2246, (28.08.2015) [Online]

189 Vgl. NZ, Steirische EU-Reaktionen, 3. März 1994.

Österreich vom Antrag am 14. Juli 1989 bis zum Beitritt Hintergrund für die Bildung dieser Arbeitsgruppen war das Bestreben, die Anlie-gen der Steiermark bei den BeitrittsverhandlunAnlie-gen in Brüssel vertreten zu wissen und sich eine Stimme zu verschaffen.

Die Arbeitsgruppen wurden mit jeweils sechs bis sieben ExpertInnen besetzt, die bis zum Frühjahr 1993 einen umfangreichen Akt vorlegen sollten.

In diesem Dokument sollte enthalten sein:

 Auflistung der relevanten Gesetze und Vorgaben der EG

 Auswirkungen und Handlungsbedarf für die österreichische/steirische Rechtsgestaltung

 Forderungen an das österreichische Verhandlungsteam für den EG-Beitritt

Darüber hinaus waren für einen späteren Zeitpunkt gemeinsame, öffentlichkeits-wirksame Veranstaltungen der Sozialpartner geplant. Außerdem wurden innerhalb der steirischen Sozialpartner die Hauptverantwortlichen umfangreich über Maas-tricht und die Initiativen der Bundesregierung informiert.190

In Übereinkunft der Sozialpartner

 Arbeiterkammer Steiermark (Präsident Erich Schmid)

 Industriellenvereinigung Steiermark (Präsident Werner Tessmar-Pfohl)

 Österreichischer Gewerkschaftsbund Steiermark (LR Hans-Joachim Res-sel)

 Landwirtschaftskammer Steiermark (Präsident Gerhard Wlodkowski)

wurde die Zusammenarbeit zum Thema Europäische Union auf Anregung der Wirtschaftskammer Steiermark fortgeführt.

Am 3. Mai 1994 gab es im Zuge der Grazer Frühjahresmesse eine gemeinsame Pressekonferenz mit den oben genannten Personen der steirischen Sozialpartner.

190 Aufzeichnungen und Gespräch Dr.in Claudia Weyringer (Handelskammer Steiermark) (19.06.2015)

Diese Konferenz sollte die Einigkeit der Sozialpartner zum EU-Beitritt zeigen und die steirische Bevölkerung dazu motivieren, an der geplanten Volksabstimmung teilzunehmen und für den Beitritt abzustimmen.191

Die Pressekonferenz wurde auch dazu genützt, um eine weitere Veranstaltung mit dem Titel „Lobbyismus in der EU“ noch vor der Volksabstimmung anzukündigen.

Darin sollte es um die Zusammenarbeit der Sozialpartnerschaften mit der Öster-reichischen Akademie für Führungskräfte gehen.192

Vor allem der Präsident der Landwirtschaftskammer Steiermark, Gerhard Wlod-kowski, gab bei der Pressekonferenz am 3. Mai 1994 in der Grazer Messe zu be-denken, dass durch einen Beitritt zur EU laut Institut für Wirtschaftsforschung Preiseinbußen von bis zu 25 Prozent und Marktanteilsverluste bis zu 30 Prozent zu befürchten seien.

Weiters meinte er, dass der Rohertragsverlust für das erste Jahr nach der Mit-gliedschaft zur EU auf mindestens 9,5 Millionen Schilling geschätzt werde. Die Förderungen der EU in Milliardenhöhe würden die Kosten nicht decken können.

Die finanziellen Unterstützungen würden die Übergangszeit in den folgenden vier Jahren aber abfedern. Die Existenz vieler bäuerlicher Familien müsse für die Zu-kunft gerettet werden. Gelänge dies nicht, dann hätte dies zur Folge, dass die Ju-gend die elterlichen Betriebe nicht übernehmen und bewirtschaften könnte. Dro-hende Folgen wie „Bauernsterben“ und „Landflucht“ durch die Abwanderung der Jugend wurden angesprochen.

Österreich habe bereits jetzt mehr Arbeitssuchende als Beschäftigte in der Land-wirtschaft.

Die steirische Landwirtschaft stehe vor ihrer bisher schwierigsten Aufgabe. Die Gesamtlösung könne aber mit Hilfe aller Beteiligten, wie EU, Bund, Land und

191 Aufzeichnungen und Gespräch Dr.in Claudia Weyringer (Handelskammer Steiermark) (19.06.2015)

192 Aufzeichnungen und Gespräch Dr.in Claudia Weyringer (Handelskammer Steiermark) (19.06.2015)

Österreich vom Antrag am 14. Juli 1989 bis zum Beitritt meinden zu schaffen sein. Es komme auch für die Landwirtschaft zu einer großen Veränderung und zu mehr Marktwirtschaftlichkeit.193

Für die Industriellenvereinigung Steiermark sprach sich Michael Mayer-Rieckh dezidiert für den EU-Beitritt aus. Durch die geographische Lage sei die Steiermark derzeit im Nachteil. Ein Nichtbeitritt habe schwerwiegende Konsequenzen für den Industriestandort Steiermark.

Umfragen unter den Mitgliedsbetrieben hätten gezeigt, dass bis zu 3.600 Arbeits-plätze abgebaut werden müssten und eine Abwanderung der Betriebe drohe. 70 Prozent der befragten Firmen gaben an, dass es zu Einbrüchen bei den Investitio-nen kommen werde. Bereits jetzt sei die Hälfte aller Betriebe durch den Drittland-status benachteiligt. Das Umfeld habe sich in den letzten fünf Jahren massiv ver-ändert. Die Freihandelsverträge von 1972 hätten durch den Binnenmarkt ihre Wir-kung verloren, und der Bruch des Blocksystems erfordere dynamische Entwick-lungen. Der Wettbewerb mit den NAFTA- und ASEAN- Staaten sein nur durch ei-ne gesamteuropäische Lösung möglich.194

Die positiven Auswirkungen durch den Zugang zum Binnenmarkt wurden auf der anderen Seite hervorgehoben. Vorhandene Arbeitsplätze sollten damit gesichert werden, sogar ein leichter Anstieg wurde prognostiziert. Die Abwanderung von Betrieben könne verhindert werden, die Investitionsbereitschaft am Firmenstandort werde wieder zunehmen.195

Erich Schmid, Präsident der Kammer der Arbeiter und Angestellten, unterstrich die enge Zusammenarbeit der steirischen Sozialpartner in Bezug auf die Europäische Integration seit dem Herbst 1992. Es sei die Aufgabe der einzelnen Interessens-vertretungen, ihre jeweiligen Gruppen zu benachrichtigen und sachlich fundierte

193 Aufzeichnungen und Gespräch Dr.in Claudia Weyringer (Handelskammer Steiermark) (19.06.2015), mit schriftlichen Aufzeichnungen zur Pressekonferenz der steirischen Sozial-partner vom 3. Mai 1994.

194 Aufzeichnungen und Gespräch Dr.in Claudia Weyringer (Handelskammer Steiermark) (19.06.2015), mit schriftlichen Aufzeichnungen zur Pressekonferenz der steirischen Sozial-partner vom 3. Mai 1994.

195 Aufzeichnungen und Gespräch Dr.in Claudia Weyringer (Handelskammer Steiermark) (19.06.2015) mit schriftlichen Aufzeichnungen zur Pressekonferenz der steirischen Sozial-partner vom 3. Mai 1994.

Informationen zu bieten. Dies treffe besonders auf das komplexe Themenfeld der Europäischen Integration zu.

Die Frage der Europäischen Integration bedürfe der Aufklärungs- und Informati-onsangebote, um Verunsicherung und Angst der einzelnen Bevölkerungsgruppen aufgrund mangelnder Kenntnisse auszuräumen. Er sehe für seine Interessens-gruppe, die Arbeitnehmerschaft, in der Information die beste Möglichkeit, für den EU-Beitritt zu werben. Dort, wo Nachteile zu erwarten seien, müsse entsprechen-de Hilfestellung geboten werentsprechen-den, und nötigenfalls sei dies auch politisch durchzu-setzen. Vielfältige Aktivitäten müssten dazu beitragen, dass die steirische Arbeit-nehmerschaft gründlich informiert werde.

Dies werde mit Hilfe diverser Veranstaltungen, Broschüren zum Thema EU-Beitritt, umfangreicher Referententätigkeit der Mitarbeiter, Podiumsdiskussionen und gemeinsamer Informationsveranstaltungen der Sozialpartner und der Steier-märkischen Landesregierung versucht. In diesem Zusammenhang wurde auf die Europaausstellung, welche auf der Grazer Messe gezeigt wurde und in Kooperati-on mit der Steiermärkischen Landesregierung und den Sozialpartnern entstand, hingewiesen und zu ihr eingeladen.196

An diesem Pressegespräch war auch der ÖGB-Landessekretär Werner Albler vom Österreichischen Gewerkschaftsbund Steiermark beteiligt. Er sprach sich für ein klares „Ja“ bei der Volksabstimmung am 12. Juni 1994 aus. Es gäbe aber eine eindeutige Abgrenzung zu einer rein betriebswirtschaftlichen Sichtweise zur EU.

Vor allem die Möglichkeit der Mitgestaltung in der EU wurde als Argument für den Beitritt angeführt. Ferner solle der Wirtschaftsstandort Österreich konsolidiert wer-den.197

Ein „Soziales Europa“ mitzugestalten und mitzutragen sei das Ziel. Österreich sol-le sich für die soziasol-len Rahmenbedingungen innerhalb der EU stark machen und dabei eine aktive Rolle übernehmen. Die Bekämpfung illegaler Beschäftigung am Arbeitsmarkt sei notwendig. Die Bemühungen im Bereich der Aus- und

196 Aufzeichnungen und Gespräch Dr.in Claudia Weyringer (Handelskammer Steiermark) (19.06.2015) mit schriftlichen Aufzeichnungen zur Pressekonferenz der steirischen Sozial-partner vom 3. Mai 1994.

197 Aufzeichnungen und Gespräch Dr.in Claudia Weyringer (Handelskammer Steiermark) (19.06.2015) mit schriftlichen Aufzeichnungen zur Pressekonferenz der steirischen Sozial-partner vom 3. Mai 1994.

Österreich vom Antrag am 14. Juli 1989 bis zum Beitritt dung müssten weiter intensiviert werden. Die Anstrengungen im Bereich der Um-welt- und Konsumentenschutzpolitik sowie die Solidarität mit den Schwächeren innerhalb der Gemeinschaft müssten konsequent weiterverfolgt werden. Durch den Beitritt werde eine Hebung des Lebensstandards und sozialen Friedens er-wartet.198

Der Wirtschaftskammerpräsident der Steiermark, Franz Gady, plädierte ebenfalls für den EU-Beitritt. Mit dem Beitritt zur EU wäre auch der Beitritt zur Europäischen Zollunion gegeben. Damit fielen für die Wirtschaft die Grenzkontrollen und die Be-nachteiligung im „passiven Veredelungsverkehr“199 weg. Dies würde einer Entlas-tung von 30 Milliarden Schilling jährlich für die österreichische Wirtschaft bedeu-ten. Der Standort Steiermark würde für betriebliche Neuansiedlungen attraktiver und der bisherigen Randlage entkommen.

Eine WIFO-Studie vom Februar 1994 belege, dass Österreich in den 80er Jahren als Investitionsstandort im Vergleich zu den OECD-Ländern abgebaut habe. Au-ßerdem wies er darauf hin, dass es nötig sei, die BürgerInnen für ihre aktive und positive Teilnahme an der Volksabstimmung zu gewinnen. Für die Wirtschaft sei der Beitritt zur Europäischen Union unerlässlich. Es gehe auch um die Mitgestal-tung, die erst durch einen Beitritt möglich sei.200

Fazit: Die steirischen Sozialpartner sprachen sich geschlossen für einen Beitritt zur EU aus.

198 Aufzeichnungen und Gespräch Dr.in Claudia Weyringer (Handelskammer Steiermark) (19.06.2015) mit schriftlichen Aufzeichnungen zur Pressekonferenz der steirischen Sozial-partner vom 3. Mai 1994.

199 Anmerkung: „passiver Veredelungsverkehr“: Ein zollrechtliches Verfahren, bei dem Vor-, Roh-produkte aus einem Wirtschaftsraum exportiert werden, um in einem anderen weiterverarbei-tet („veredelt“) und anschließend wieder zurückimportiert zu werden.

200 Aufzeichnungen und Gespräch Dr.in Claudia Weyringer (Handelskammer Steiermark) (19.06.2015) mit schriftlichen Aufzeichnungen zur Pressekonferenz der steirischen Sozial-partner vom 3. Mai 1994.