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3   Ursachen und Konsequenzen agrarstruktureller Entwicklungen

3.2   Bestimmungsfaktoren des Strukturwandels

3.2.4   Standortfaktoren

Stärker als die meisten anderen Wirtschaftsbereiche zeichnet sich die landwirtschaftliche Pro-duktion dadurch aus, dass sie unter den vorherrschenden Bedingungen des jeweiligen Stand-ortes betrieben wird. Wenngleich die Landwirtschaft diesen Bedingungen nicht ausweichen kann, ist sie dennoch in der Lage sich anzupassen. Unter dem Einfluss unterschiedlicher na-türlicher Standortbedingungen sowie wirtschaftlicher Rahmenbedingungen ergibt sich daraus eine große Spannbreite verschiedener Betriebs- und Produktionsstrukturen.

Prinzipiell fallen unter Standortfaktoren solche Einflussgrößen, die eine unterschiedliche Vor-züglichkeit der Produktionsverfahren auf verschiedenen Standorten bedingen und dadurch eine Differenzierung der Erlöse und/oder Kosten zwischen diesen Standorten herbeiführen (HENRICHSMEYER 1977, S.171). REISCH und ZEDDIES (1992, S.17) unterscheiden allgemein:

 natürliche,

 wirtschaftliche und

 strukturelle Standortbedingungen.

Letztere resultieren dabei aus dem Wirkungsgefüge allgemeinwirtschaftlicher, sozialer sowie politischer Faktoren und sind im Gegensatz zu den von Natur aus gegebenen natürlichen Standortbedingungen anthropogen beeinflusst. Zusammengenommen bestimmen die genann-ten Faktoren die komparative Wettbewerbskraft verschiedener Standorte in Bezug auf die Produktionsausrichtung, die Intensität der Bewirtschaftung sowie die Betriebsformen respek-tive Betriebsstrukturen.

HENRICHSMEYER (1977, S.172) betont im Besonderen den Grad der Veränderbarkeit wirt-schaftlicher Standortfaktoren im Zeitablauf, wobei Veränderungen prinzipiell durch das Agrarpreisniveau, die Preisrelation und das regionale Preisgefälle hervorgerufen werden. Bei der Untergliederung unterscheidet er zum einen zwischen Standortfaktoren, die sich im Zeit-ablauf nicht oder nur wenig ändern und zum anderen Standortfaktoren, die sich im ZeitZeit-ablauf fortlaufend ändern. Zur ersten Gruppe zählt er beispielsweise die geographische Lage und natürliche Bedingungen, während die zweite Gruppe weiter in drei Untergruppen

aufgeglie-dert wird. Dazu zählen Standortfaktoren, die sich ohne erklärbare wirtschaftliche Einflüsse ändern, solche, die durch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung beeinflusst werden sowie solche, die aufgrund des agrarwirtschaftlichen Strukturwandels hervorgerufen werden. Expli-zit sind dies Zielsetzungen und Verhaltensweisen der Wirtschaftsubjekte, die institutionellen Rahmenbedingungen, die technologischen und demographischen Entwicklungen und ebenso die allgemeinen wirtschafts- und agrarpolitischen Zielvorstellungen.

Aufgrund verschiedener Gliederungsmöglichkeiten zuvor genannter Faktoren, die je nach Betrachtungsebene als sinnvoll erachtet werden können, wird an dieser Stelle eine zweckmä-ßig erscheinende Untergliederung in natürliche bzw. naturräumliche und wirtschafte Stand-ortfaktoren vorgenommen. Inhalt der nachfolgenden Ausführungen ist daher die Beschrei-bung relevanter Standortfaktoren und deren Wirkung auf den agrarstrukturellen Wandel.

3.2.4.1 Natürliche Standortfaktoren

Da die landwirtschaftliche Produktion weitgehend an die Fläche gebunden ist, kommt den natürlichen Standortfaktoren eine Sonderrolle zu, da sie sowohl die pflanzliche Erzeugung als auch weite Bereiche der tierischen Erzeugung unmittelbar beeinflussen (BRANDES et al. 1997, S.79). Daneben sind natürliche Standortfaktoren im Laufe der Zeit relativ stabil und unterlie-gen nur in begrenztem Maße einem Wandel (HENRICHSMEYER und WITZKE 1991, S.283).

Unter natürliche Standortbedingungen fallen im Wesentlichen die klimatischen Bedingungen, die Bodenqualität sowie die Topographie der Oberflächen. Während die klimatischen Bedin-gungen die Höhe und Verteilung der Niederschläge wie auch Temperaturen bedingen und in engem Zusammenhang mit der Qualität der Böden und deren Entstehungsgeschichte stehen, determiniert die Oberflächengestalt insbesondere die Nutzungsmöglichkeiten in Form der Mechanisierung der pflanzlichen Erzeugung, die Stallbaukosten oder Möglichkeiten einer alternativen Bodennutzung. Obwohl sich beispielsweise das Wasserangebot an einem be-stimmten Standort durch Ent- oder Bewässerung in gewissen Bereichen regulieren lässt, sind Temperatur- und Bodenverhältnisse weitgehend standortspezifisch fest (HENRICHSMEYER

1977, S.173). Neben den klimatischen Bedingungen hat der Boden für die Landwirtschaft somit eine unmittelbar produktive Funktion und erfüllt im Gegensatz zu anderen Sektoren nicht nur eine Standortfunktion. Diesbezüglich ist für die jeweiligen landwirtschaftlichen Produktionszweige von Bedeutung, welche Ansprüche an den jeweiligen Standort erfüllt wer-den müssen oder auch wie der jeweilige Standort diese Ansprüche befriedigen kann. Weil sich die Gegebenheiten auf verschiedenen Standorten unterscheiden, können für ein und das-selbe Produktionsverfahren Effizienzunterschiede auftreten. Aus dem Zusammenspiel natürli-cher und naturräumlinatürli-cher Faktoren resultiert daher letztlich unmittelbar die Ertragsfähigkeit und damit die Art, Intensität und Verteilung der Produktion im Raum.

3.2.4.2 Wirtschaftliche Standortfaktoren

Zusammen mit natürlichen Standortbedingungen determinieren die wirtschaftlichen Verhält-nisse die Möglichkeiten und Organisationsformen der landwirtschaftlichen Produktion. So

sind die natürlichen Bedingungen nicht unabhängig von den ökonomischen Standortfaktoren verteilt, was sich historisch in einer anfänglich verstärkten Besiedlung jener Gebiete äußerte, die über günstige natürliche Standortbedingungen verfügten (HENRICHSMEYER 1977, S.175).

Die ökonomischen Auswirkungen der Güte der vorzufindenden Bodenverhältnisse wurde von RICARDO (1959) und die der räumlichen Lage der Produktion von VON THÜNEN (1842) unter-sucht, deren Theorien zur Bodenrente wichtige Beiträge zur Bestimmung landwirtschaftlicher Produktionsstandorte und ebenso der Bewirtschaftungsintensität lieferten. In beiden Renten-theorien bildet dabei das Residuum aus Produktionserlös und Entlohnung der übrigen Produk-tionsfaktoren die an einem Standort erzielbare Bodenrente. Die Zusammenhänge über die Bildung sowie die Höhe der Bodenrente erklären damit ursächlich die räumliche Verteilung der Produktion, die Bewirtschaftungsintensität und die vorzufindenden Betriebsorganisatio-nen. RICARDO ging davon aus, dass sich in Abhängigkeit der Bodengüte die landwirtschaftli-che Nutzung der Böden anhand ihrer Fruchtbarkeit bestimmt. Aufgrund der begrenzten Ver-fügbarkeit von Böden gleicher Qualität werden bei steigender Bevölkerungsentwicklung zu-nehmend Böden geringer Qualität in Bewirtschaftung genommen. Der ökonomische Vorteil höherer Bodenqualität manifestiert sich bei gleicher Bewirtschaftungsintensität in einer Quali-tätsrente.

Den ökonomischen Vorteil einer günstigeren Lage hat RICARDO zwar in Form einer Lageren-te in die Betrachtung mit einbezogen, eine expliziLageren-te Isolierung des Faktors Verkehrslage be-schrieb jedoch erst VON THÜNEN (1826) formal. Mit seinem Modell des „isolierten Staates“

untersuchte VON THÜNEN unter der Prämisse einer homogenen Fläche mit gleicher Qualität die Art und Intensität der landwirtschaftlichen Bodennutzung in Abhängigkeit von der Ver-kehrslage bzw. Marktentfernung und den daraus resultierenden Transportkosten. Er ermittelte für ein gegebenes Agrarpreisniveau für landwirtschaftliche Erzeugnisse und konstante Trans-portkosten je Produkt- und Entfernungseinheit linear fallende „loco-Hof-Preise“ für die Er-zeuger mit zunehmender Entfernung vom zentralen Markt. Die Steigung der daraus abzulei-tenden fallenden Grundrentenfunktion bestimmt sich in Abhängigkeit der Höhe des Ertrages je Flächeneinheit und der Frachtsätze und bildet als Restgröße die Lagerente, während das Niveau der Grundrentenfunktion durch die Höhe der am Markt erzielbaren Preise bestimmt wird. Aus diesem Zusammenhang erklären sich die typischen „Thünen‘schen Ringe“, die so-wohl die Verteilung als auch die Entfernung der Produktion um den zentralen Markt determi-nieren. Veränderungen der Preisrelationen bzw. der Frachtsätze bedingen nun eine Verschie-bung der Produktiosstandorte und ebenso die Intensität der Produktionsverfahren.6

Trotz der geringer werdenden Bedeutung von Transportentfernungen und daraus resultieren-den Transportkosten erklären die beschriebenen Zusammenhänge die historische Entwicklung von Produktionsstandorten. Günstige natürliche Standortbedingungen gehen vielfach mit

6 Eine ausführlichere und tiefergehende Erläuterung der Grundrententheorien von RICARDO und VON THÜNEN

sowie deren kritische Diskussion unternimmt FARWICK (2011).

ökonomisch günstigen Standortbedingungen wie Marktnähe, die Erreichung von Bezugs- und Absatzmärkten für Produkte und Produktionsfaktoren einher, weshalb sich dort vermehrt Zen-tren des Handels und Gewerbes etablierten (HENRICHSMEYER 1977, S.175). Demgegenüber treten in peripheren Regionen potentielle Standortnachteile auf, die wegen dünnerer Besied-lung sowie weniger außerlandwirtschaftlicher Wirtschaftszweige eine ungünstigere Verkehrs-infrastruktur und ein geringeres außerlandwirtschaftliches Arbeitsangebot bedingen. Daneben werden Vor- und Nachteile des jeweiligen Standortes insbesondere durch die agrarstrukturel-len Standortbedingungen wie die durchschnittlichen Betriebs- oder Schlaggrößen beeinflusst, da sich aufgrund technischer Fortschritte im Zusammenhang mit Skaleneffekten immer grö-ßere Technologien durchsetzen. Erzielbare Kostenvorteile können in großbetrieblichen Struk-turen daher eher zur Geltung kommen als in kleinbetrieblichen StrukStruk-turen. In kleinstrukturier-ten Agrarregionen werden mögliche Koskleinstrukturier-tenvorteile dieser Technologien möglicherweise wettgemacht. Aufgrund einer unzureichenden Rentabilität führt dies möglicherweise zunächst zu einer extensiveren Bewirtschaftungsform und langfristig unter Umständen zu einem Brach-fallen landwirtschaftlicher Nutzfläche (vgl. REISCH und ZEDDIES 1992, S.18). Dies gilt insbe-sondere dann, wenn Anpassungen auf Änderungen externer Rahmenbedingungen ausbleiben oder sich Betriebe in einer Situation der Stagnation befinden und nicht genügend Produktions-faktoren, allen voran Boden, für Wachstumsbetriebe freigeben. In diesen Fällen liegt das Wertgrenzprodukt der Produktion jener Betriebe unter dem entsprechenden Zukaufspreis, jedoch über alternativen Entlohnungssätzen (HENRICHSMEYER 1977, S.181).

BALMANN (1995) kann in diesem Zusammenhang zeigen, dass aufgrund der Existenz von Status-quo-Renten7, heterogener Betriebsstrukturen und unvollkommener Information unter-schiedliche lokale Optima in der Betriebsgrößenentwicklung über den Bodenmarkt erreicht werden können. Diese können dazu führen, dass sich entwickelnde Agrarstrukturen auch bei bedeutenden Veränderungen der Produktionsumwelt nicht an effiziente Strukturen annähern und der Sektor stattdessen in einem „inferioren Zustand“ verbleibt (BALMANN 1995, S.42).

Die von BALMANN durchgeführten Simulationsrechnungen deuten somit auf das Vorhanden-sein von temporären Pfadabhängigkeiten hin, die ein Nebeneinander regionaler Strukturent-wicklungen zulassen.

Letztlich wirkt die Summe der an einem Standort vorherrschenden natürlichen und wirtschaft-lichen Rahmenbedingungen auf die räumliche Anordnung der Produktion sowie der Agrar-struktur und zugleich auf die Anpassungsfähigkeit jener. Die Ausprägungen der anzutreffen-den Standortbedingungen vermögen sich dabei zu verstärken aber auch zu kompensieren.

Ihren Ausdruck findet das Bündel aller Standortfaktoren in der Höhe der Grundrente, die die

7 Unter Status-Quo-Renten werden im Gegensatz zu Quasirenten (vgl. Fußnote 1) Renten verstanden, die einen nicht handelbaren Nutzen stiften, der aus dem Besitz von materiellen oder immateriellen Vermögensbestandtei-len erwächst. Ein Veräußern von Faktoren, die eine derartige Rente begründen, erscheint nur sinnvoll, sofern entsprechende Anreizmechanismen bspw. in Form einer Entschädigung vorliegen (MARGARIAN, 2010, S.28)

relative Vorzüglichkeit der Produktionszweige an einem Standort und damit die Verteilung der landwirtschaftlichen Produktion bestimmt.