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Im Rahmen dieses Abschnitts referiere ich, ob, und sofern in welcher Form, aktuellere Forschungsergebnisse Aufschluss darüber ge-ben, wie die Rolle beruflich in der Jugendarbeit tätige Fachkräfte in Bezug auf die Förderung solcher Selbstorganisationsprozesse gestaltet ist.

3 . 4 . 1 Jugendhi l fe - und Jugendar bei ts for sc hung

Lüdersmoniert, dass die qualitative Kinder- und Jugendhilfeforschung kaum in den Veröffentlichungen auftaucht; er meint, dass sie

„sowohl methodologisch als auch methodisch - aufs Ganze gesehen - ein bislang bestenfalls unterentwickeltes Bewußtsein von sich

selbst“ hat (vgl. Lüders 1997a, S. 795).Jakobverweist dagegen darauf, dass qualitative Untersuchungen seit Anfang der 80er Jahre – vor allem im Kontext eines Neubeginns der Biographieforschung – „eine weite Verbreitung in der Sozialpädagogik gefunden“

haben, und registriert eine ausgeprägte Orientierung am interpretativen Paradigma. Seit Ende der 80er Jahre lasse ein Trend hin zu ausgearbeiteten sozialwissenschaftlichen Forschungsverfahren beobachten; entstanden sei eine vielfältige Forschungslandschaft, die das von Hornstein in den 80er Jahren diagnostizierte Defizit an empirischer erziehungswissenschaftlicher und sozialpädagogischer Forschung aufgehoben habe (vgl. Jakob 1997b, S. 125 und 148ff, Hornstein 1985, Lüders 1998).

Die Schwerpunkte bewegten sich im Dreieck von zuständigen Institutionen, Professionellen bzw. beruflich oder ehrenamtlich Tätigen und Adressaten, wobei Untersuchungen zu den institutionellen Strukturen pädagogischen Handelns (vgl. z. B. Jungblut 1982, Wolff 1983, Klatezki 1993), den Adressaten sozialer Arbeit (vgl. z. B. Helsper u. a. 1991, Nölke 1994), zum praktischen Handeln (vgl. z. B.

Lau/Wolff 1983, Sahle 1987, Wortmann 1996, Kurz-Adam 1997; zum Transfer von [wissenschaftlichem] Wissen in praktisches Handeln vgl. z. B. Kroner/Wolff 1989, Schmitz u. a. 1989, Lüders/Santen 1996, Merten 1998) sowie dessen Rekonstruktion unter biographischer Perspektive (vgl. z. B. Reim 1993, Heinemeier 1994, Nagel 1996, Thole/Küster-Schapfl 1996 und 1997, Acker-mann/Seeck 1999a, Hutter 1992) im Zentrum stehen (vgl. Lüders 1997a, S. 780, 796ff und 806, Jakob 1997b, S. 141).

Forschung zu bzw. über Jugendarbeit (so genannte Jugendarbeitsforschung) ist in diesem Rahmen als eher „randständig“ anzusehen (vgl. z. B. Hornstein/Schefold 1993, Flösser u. a. 1998, Scherr/Thole 1998, Pothmann/Thole 2001, S. 73). Zudem weisen ihre (vor al-lem qualitativen99)Studien „eine ausgeprägte Heterogenität auf - sowohl was die bearbeiteten Fragestellungen betrifft als auch was die zugrundeliegenden theoretischen Bezugsrahmen und die Forschungssettings anbelangt“ (Jakob 1997b, S. 128). Lediglich über die in den 90er Jahren gestellte Fragen, inwieweit qualitative Forschungsverfahren geeignet seien, die Praxis sozialer Arbeit zu verbessern und welchen Stellenwert die Verfahren qualitativer Sozialforschung für die sozialpädagogische Praxisbzw. für die Be-gründung einer praxisnahen Theorie der Sozialarbeit erlangen könnten, ließ sich ein relevanter Rückfluss auf die Jugendarbeit fest-stellen, denn diese Diskussionen mündeten dort in der Forderung nach einer Integration ethnografischer (lebensweltorientierter) Feldzugänge in die pädagogische Alltagspraxis (vgl. z. B. Schumann 1994, 1995a und 1998, Ortmann 1996 und 2000, Weskamp 1996, Appel 2000, Deinet 2000b und 2000e, Friebertshäuser 2000a und 2000b, Klawe 2000, Küster 2000a und 2000b, Lindner 2000a, Müller/B. K. 2000a, Schröder/A. 2000).

Den Stand der Jugendarbeitsforschung der zurückliegenden 15 Jahre katalogisiert Münchmeierim Kurzüberblick in vier Gruppen:

Implementierung von Konzepten, wobei sich der Großteil der Forschungsarbeiten mit der Frage beschäftigten, wie Jugendarbeit auf die veränderten Umstände, den Wandel der Jugendphase usw. in Bezug auf pädagogisch handlungsleitende Ziele, Verfah-ren, Angebotsstrukturen reagiert und die hieraus abgeleiteten Konzepte in Praxis umwandelt;

Teilnehmer- oder Mitgliederbefragungenals Untersuchungen zu Adressaten der Jugendarbeit;

Befragungen von ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitern, bei denen das pädagogische Handeln der Fachkräfte im Mittelpunkt stehen (er stellt dabei fest, dass deren Arbeitssituation, die Bedingungen ihres Handelns, der organisatorische, institutionelle bzw.

kollegiale Rahmen nur selten Gegenstand seien und eine sozialräumliche Jugendarbeitslandschaft gar nicht abgefragt werde);

und

Jugendstudienmit dem zentralen Interesse, den Grad und den ggfs. gegebenen Modus der Integration Jugendlicher in die beste-hende Gesellschaft zu untersuchen (vgl. Münchmeier 2003, S. 187f).

Abstrahierend von dem breiten Fundes in der Regel quantitativ ausgerichteter Jugendstudien100lässt sich an Bemerkenswerten fest-halten:

3.4.1.1 Stud ien z ur Imp lementierung vo n K o nz ep ten

Beispiele für diesen Forschungsbereich sind zum Beispiel die Untersuchung von Spechtund Miltner, die die Erfahrungen mit dem Aufbau erster Ansätze einer Mobilen Jugendarbeit (Streetwork-Arbeit) mit Jugendlichen darstellen, die von den verfügbaren Ju-gendhäusern nicht erreicht werden oder die dort geltenden Regeln (bewusst) übertreten haben, und das der Mobilen Jugendarbeit

99 Methodisch orientieren sich die qualitativen Studien an Ansätzen einer ethnographischen Feldforschung, wobei die Verfahren teilnehmender Beobachtungen, qualitativer Interviews und Gruppendiskussionen bestimmend sind (vgl. Jakob 1997b, S. 129f).

100 Vgl. seit 1990 – im Überblick: Brenner 1993b – z. B. Böhnisch/Funk 1989, Held/Horn 1990 Behnken u. a. 1991, DJI 1990 und 1992, Melzer u.

a. 1992, Förster 1992a und 1992b, Neubauer u. a. 1992, Shell-Jugendwerk 1992, 1997, 2000 und 2002, IfEP 1992, Merkens u. a. 1992, Förs-ter/Friedrich 1992 und 1996, Melzer u. a. 1992, Mierkens u. a. 1992, Böhnisch 1992, Baacke 1993, Büchner/Fuhs 1993, Büchner/Fuhs 1993a, Harbordt 1995, IPOS 1995, Gille u. a. 1996, Silbereisen u. a. 1996, Schmidtchen 1997, Kleinert u. a. 1998, Sibum u. a. 1999, Gaiser u. a.

2000a, 2000b und 2001, Zinnecker u. a. 2002, Zinnecker 2004; ferner: Brenner 1993a und 1993c, Drößler 1998; eine Bilanz der älteren Ju-gendforschung findet sich in Jaide/Veen 1989.

eigene Verständnis von Beziehungsarbeit heraus arbeiten (vgl. Specht 1979, Miltner 1981). Krafeld und anderereflektieren die ak-zeptierende Jugendarbeit mit „rechten“ und gewaltbereiten Jugendlichen und Cliquen (vgl. Krafeld u. a. 1993a, 1993b und 1996, Krafeld 1994 und 1996a). Deinet und andereuntersuchen die Implementierung von Konzepten der Sozialräumlichen Jugendarbeit im Alltag der offenen Jugendarbeit, auch im ländlichen Raum, wobei es sich in der Regel eher um elaborierte Praxisberichte, denn planmäßige Untersuchungen handelt (vgl. Deinet 1994b, 1996c und 2000d; vgl. ferner die Aufsätze in Deinet/Sturzenhecker 2000).

3.4.1.2 Stud ien z u d en Z ielg rup p en d er Jug end a rb eit

Eine Beispiel für diesen Forschungsbereich ist zum Beispiel die Untersuchung von Becker, Eigenbrodt und May, die der Frage nach-gehen, wie sich Gruppen von Jugendlichen in städtischen Milieus bedürfnis- und interessengerechte soziale Räume schaffen (vgl. Be-cker u. a. 1984a und 1984b).Tholenimmt die Stabilität einer informellen männlichen Jugendclique in einem sozialen Brennpunkt in den Blick (vgl. Thole 1991), Raddeanalysiert die politische Sozialisation in Jugendverbänden (vgl. Radde 1988), Schröderuntersucht in ausgewählten Jugendverbandsgruppen die Relevanz von Gruppenstrukturen für die Bindung an einen Verband bzw. für die Per-sönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen (vgl. Schröder 1991a), und Reichwein und Freundnehmen Jugendliche im Jugendverband der DLRG ins Blickfeld und stellen die Attraktivität des Jugendverbandes in Bezug auf die jugendkulturellen Interessen und Aktivitä-ten seiner Mitglieder und die Vorbereitung in Bezug auf die Übernahme der Erwachsenenrolle dar (vgl. Reichwein/Freund 1992;

zur Jugendfeuerwehr vgl. Homfeldt 1995). In ihrer Untersuchung geht Niemeyerder Frage nach, wie Mädchen und Frauen in Vor-standspositionen der Jugendverbände mitarbeiten und ihre Position finden (vgl. Niemeyer/B.1994). Nagllegt eine Literaturstudie (Dissertation) über den Stellenwert von Gruppenarbeit in Jugendverbänden vor, wobei er eher beiläufig deren Stellenwert für (in-nerverbandliche) Selbstorganisationsprozesse thematisiert (vgl. Nagl 2000).

Weinachtgeht im Rahmen seiner Dissertation in erster Linie der Frage nach, welche Bedingungen zum Erfolg einer Initiativgruppe Jugendlicher beitragen, wenn sie sich zum Ziel gesetzt hat, ein Jugendzentrum selbstorganisiert aufzubauen und zu erhalten und dabei eine emanzipatorische Perspektive zu bewahren; in zweiter Linie wird dabei auch das Funktionsverständnis von pädagogi-schen Fachkräften mit erörtert (vgl. Weinacht 2002a, 2001 und 2002b; vgl. 3.4.2.4).

Die 1999 bis 2001 durchgeführte und von Eisenbürger und Vogelsangpräsentierte Repräsentativbefragung von 14- bis 25jährigen Jugendlichen aus der Eifel, dem Hunsrück und der Stadt Trier, ergänzt um qualitative Interviews und teilnehmende Beobachtungen, verfolgt das Ziel, „die Jugend unter einer Normalitäts- und Alltagsperspektive zu charakterisieren“. Eisenbürger und Vogelsang hal-ten die Ergebnisse „auf viele andere Regionen in Deutschland übertragbar, für die ein starkes Oberzentrum und ein weites ländli-ches Einzugsgebiet typisch sind“ (vgl. Eisenbürger/Vogelsang 2002, S. 28ff, zit. S. 30); eine artähnliche Studie für den Hunsrück le-gen Schrapper und Spiesvor (vgl. Schrapper/Spies 2002).

3.4.1.3 Stud ien z um so z ia len H a nd eln in d er Jug end a rb eit

Hierzu zählt zum Beispiel die Untersuchung von Kraußlach, Düwer und Fellberg, die die Anfänge im Jugendhaus als Prozess eines allmählichen Aufbauens von Vertrauen zwischen Pädagogen und „aggressiven“ Jugendcliquen darstellen (vgl. Kraußlach u. a.

1976/1990). Die pädagogische Arbeit in einem Jugendhaus in einem Berliner Arbeiterviertel skizziert Alyals Wahrnehmung päda-gogischer Verantwortung im Gegensatz zu laissez faire bzw. (Pseudo-) Politisierung. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen mit den Defiziten von Kindern und Jugendlichen aus oft unvollständigenFamilien entwickelt er die Perspektive „praktischer Erziehung“

als Form stellvertretender Erziehung durch Jugendarbeit. Den Mitarbeitern weist er die Rolle von öffentlichen Vätern und Mütternzu, die die Jugendlichen auf die Bewältigung der sie begrenzenden gesellschaftlichen Realität – zwischen Anpassung und Verweigerung – vorzubereiten hätten (vgl. Aly 1977).

Roth beschreibt den Orientierungsprozess von Novizen in der Jugendarbeit als schrittweisen„Ausstieg aus der Ratlosigkeit“ (vgl.

Roth/L. 1978), Hoppe und anderecharakterisieren die Einigungsprozesse zwischen Jugendhausbesuchern und den dort tätigen pä-dagogischen Fachkräften als situatives, kurzfristiges Handeln (vgl. Hoppe u. a. 1979, Hoppe/Stapelfeld 1979). Becker, Hafermann und Maybeschreiben Prozesse der Aneignung eines Jugendhauses sowie Funktion und Rolle, die hierbei die im Haus tätigen Fach-kräfte dabei wahrnehmen (Becker/Hafermann/May 1984), Wortmann und Bergsowie (ausgeprägter noch) Knoll-Kristthematisieren die Ängste, die sie dabei in den alltäglichen Situationen empfinden (vgl. Wortmann/Berg 1982, Knoll-Krist 1985).Strackarbeitet heraus, dass das Jugendhaus für seine Besucher denCharakter eines „zweiten Zuhauses" und „Zufluchtsorts“ erlangt (vgl. Strack 1987), Deinetbeschreibt die Arbeit mit Kindern und jüngeren Jugendlichen (vgl. Deinet 1987a und 1987b; ferner: Deinet 1984 und 1989); insbesondere analysiert er im Rahmen seiner Dissertation, ob und wie Aneignungsprozesse im Rahmen der offenen Jugend-arbeit stattfinden können und welche Rolle hierbei die pädagogischen Fachkräfte spielen (vgl. Deinet 1992a; vgl. 3.4.2.2)

Müllerversucht im Rahmen seiner Untersuchung zu belegen, dass die fachlich-qualitative Entwicklung der Jugendarbeit im kleinstäd-tisch-ländlichen Raum der großstädtischen Entwicklung vorausgeeilt ist, weil der Innovationsdruck dort höher ist und die Jugendar-beit zwingt, sich flexibler und spezifischer den Verhältnissen anzupassen (vgl. Müller/B. K.1989a; vgl. 3.4.2.1).

Hafeneger, Stüwe und Weigelstellen einerseits die subkulturelle Alltagspraxis zweier Punkgruppen, die Stigmatisierungs- und Margi-nalisierungsprozesse, denen sie ausgesetzt sind, und andererseits die sozialpädagogische Arbeit mit ihnen sowie die damit verbun-denen Versuche, Integrationswege (bzw. Rückwege in die gesellschaftliche Normalität) für sie zu erschließen, in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung (vgl. Hafeneger/Stüwe/Weigel 1993).

Müller, Rosenow und Wagner untersuchen Parallelen und Disparitäten in der Entwicklung zweier ländlicher Jugendclubs in Ost- und Westdeutschland und arbeiteten dabei den herausragenden Stellenwert in der dörflichen Öffentlichkeit/Kultur verwurzelter „Dreh-punktpersonen“ heraus, die die Entwicklung des Jugendclubs begleiten und absichern helfen (vgl. Müller u. a. 1994a und 1994b; vgl.

3.4.2.3).

In seiner (aufgrund seines Todes) unvollendet gebliebenen Untersuchung (Dissertation) behandelt Wortmann– weitgehend theore-tisch – den von ihm diagnostizierten Widerspruch zwischen den in der Jugendhilfe tätigen Akteuren und der ihren Rahmen abste-ckenden gesellschaftlichen Institutionen und Prozesse. Dabei forscht er den Handlungen der Professionellen nach, wie sie auf die hieraus resultierenden Zwänge reagieren und eine Haltung einnehmen, die Jugendhilfe als Versuch interpretiert, betroffenen Kin-dern und Jugendlichen Schutz vor institutionellem Zwang zu bieten, wie er beispielsweise von Polizei oder Justiz ausgehe. Wortmann misst dabei vor allem Haltungen als handlungsleitenden Orientierungsmustern Bedeutung zu, vor allem mündend in Parteilichkeit und Solidarität, die er absetzt von Fürsorge als Inbegriff von Kontrolle, Eingriff, Maßnahme und Enteignung (vgl. Wortmann 1996, S. 77ff).

In ihrer Untersuchung analysiert Kaiserschließlich den Wandel von ehemaligen, in der Tradition der außerschulischen Volksbildung der DDR betriebenen, Pionierhäusern zu Einrichtungen einer offenen Jugendarbeit, wobei sie die Ansprüche der Nutzer mit den Er-wartungen der professionellen Fachkräfte in Kontrast setzt. Bilanzierend kommt sie zu der Einschätzung, dass die Erfahrungen, die die in früheren Pionierhäusern tätigen Fachkräfte gesammelt haben, (und insofern auch spezifische Arbeitsformen, z. B. sich in einem Fortbestehen überwiegend bildungsorientierer Angebotsformen äußernd) den Nach-Wende-Wandel nach 1990 grundsätzlich ü-berdauert haben und einen anerkannten Stellenwert für sie besitzen; ein Großteil der Fachkräfte ist auf einen Handlungsmodus festgelegt, der eine eigenständige und (im Verhältnis zu den alten Bundesländern) andere Jugendarbeit in denen neuen Bundeslän-dern verlangt (vgl. Kaiser 1999, S. 55ff).

3.4.1.4 Def iz ite

Wenn alsoMünchmeier zu der Einschätzung eingelangt, „dass es nicht allzu viel wissenschaftliche Literatur über Kinder- und Ju-gendarbeit gibt“ und nur wenige Forschungsprojekte bzw. –berichte101vorliegen, die Jugendarbeit direkt zum Gegenstand empiri-scher Forschung machen (vgl. Münchmeier 2003, S. 182f), dann stimmt das– angesichts der vorangestellten kurzen Übersicht – in dieser engen Fassung zweifelsfrei nicht, obgleich sich andererseits kaum sagen lassen wird, „die“ Jugendarbeit sei gut untersucht.

Aber er hat wohl Recht, dass Jugendarbeit in der Regel keinInteresse an einem forschungsbezogenen Dialog mit der Wissenschaft (Forschung) hat; er konstatiert, dass sie sich vor dem Hintergrund einer in der Regel fiskalisch begründeten Infragestellung „lieber nicht in die Karten sehen lassen“ will, die Einrichtungen der Jugendarbeit den Missbrauch fürchteten und deshalb „die Schotten dicht“

machten, nicht ohne aber die Forderung zu formulieren, Forschung solle stattdessen Legitimationsstudien (-wissen) liefern, die die Notwendigkeit von Jugendarbeit dokumentierten. Auch Forschung formuliere unerfüllbare Forderungen solcher Art, zum Beispiel durch die Erwartung, Jugendarbeit möge sich „wie ein Glasbau“ präsentieren und alle Interna nach außen offenbaren (vgl.

Münchmeier 2003, S. 183f).

Andererseits scheint es an einer Forschung der Praxis selbstzu fehlen. Münchmeierspricht etwa von dem Umstand, dass Jugendar-beitsforschung insbesondere an den Universitäten und an den Fachhochschulen betrieben wird (vgl. ebenda, S. 191; bei den für den Gegenstand dieser Untersuchung relevanten Forschungsergebnissen ist zum Beispiel lediglich die Dissertation von Deinet aus der Praxis heraus entstanden). Womöglich hat diese Ferne, die ja auch eine Distanz zur Praxis ausdrücken kann (oder unter den Fach-kräften der Jugendarbeit so empfunden wird, wie es Münchmeierausdrückt) etwas mit dem angespannten Verhältnis zwischen Ju-gendarbeit und Forschung zu tun. Auch für Heinerist es eine Tatsache, dass „der berufliche Alltag und die Konsequenzen berufli-cher Routine außerhalb von Modellvorhaben und Innovationsprojekten weniger gut erforscht sind“. Es fehle ferner an tätigkeitsbe-zogenen vergleichbaren Daten, an einer Kontinuität der Fragestellungen und der Praxis selbst an Forschungskompetenz (vgl. Heiner 1988, S. 10f).

101 Münchmeiermeint nur „einzelne Versuche“ registrieren zu können und nennt die Untersuchungen von Reichwein und Freundbzw. Homfeldt

-„und das war es dann auch schon“ (Münchmeier 2003, S. 184).

Die Praxis selbst sieht diese Defizite. Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe(AGJ) bemängelt zum Beispiel in einem aktuellen Positi-onspapier, dass ein deutlicher Handlungsbedarf im Hinblick auf den effektiven Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis be-stehe und verweist darauf, dass die Transfermöglichkeit von Forschungsergebnissen seitens der Forschung einerseits und andererseits die Rezeptionsmöglichkeiten der Praxis für die neuen Erkenntnisse auszubauen seien (vgl. AGJ 2003b).

3 . 4 . 2 Rel evante S tudi en

In der kommunalen Jugendarbeit tätige Fachkräfte und deren Rekonstruktion beruflicher Praxen sind im Rahmen der Randständig-keit von Jugendarbeitsforschung kaum Thema wissenschaftlicher Studien (siehe oben). Mehr noch scheint dieser Befund für den hier im Rahmen der Untersuchung relevanten Kontext zu gelten. Unter Berücksichtigung der jetzt vorliegenden (in einem weiten Ver-ständnis relevanten) Literatur lässt sich dreierlei feststellen:

1. Mehr oder minderausgeprägten Bezug haben lediglich die Studien von Müller(vgl. Müller/B. K. 1989a und 1989b) und Müller, Rosenow und Wagner(vgl. Müller u. a. 1994a und 1994b) sowie die Dissertationen vonDeinet(vgl. Deinet 1992a; ferner Dei-net 1991, 1992b, 1993a und 1993b) und Weinacht(vgl. Weinacht 2001, 2002a und 2002b).

2. Dezedierte Studien zur Selbstorganisationsförderung im Kontext (kommunaler) Jugendarbeit liegen nichtvor.

3. Die Studien von Thole und Küster-Schapfl(vgl. Thole/Küster-Schapfl 1996 und 1997, Thole/Küster-Schapfl 1998, Thole 1998, Thole 1999b, Thole/Küster 2002b) sowie Ackermann und Seeck(vgl. Ackermann/Seeck 1999a und 1999b, Seeck 2000) neh-men Aspekte der beruflichen Ausbildung und Habitualisierung von Fachkräften auch der Jugendarbeit in den Blick, nicht aber die Rekonstruktion von fachlichem Handeln, schon gar nicht in Bezug auf die Förderung von Selbstorganisationsprozessen Ju-gendlicher. Sie mögen aber als Verweis hilfreich sein, wie Fachkräfte der Jugendarbeit im Rahmen von Ausbildung an Fach-hochschulen bzw. der Aneignung wissenschaftsgestützten Wissens ihren Zugang zur Förderung von Selbstorganisationsprozes-sen gestalten (können).

3.4.2.1 B. K . Müller: Auf’ m L a nd ist mehr lo s (1989)

Burkhard K. Müllerführte im Winter/Frühjahr 1987/88 zehn Intensivinterviews, darunter acht Einzelinterviews mit (bei einer Aus-nahme) in der kommunalen Jugendarbeit („Jugendpflege“) verantwortlichen pädagogischen Fachkräften (fünf Männer, drei Frauen, in Gemeinden mit einer Größe von 5.300 bis 23.700 Einwohnern) sowie (zur Kontrolle) zwei Gruppeninterviews mit Teams städti-scher Jugendeinrichtungen (in Städten mit 30.000 und 50.000 Einwohnern) durch. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Tätigkeit von Jugendpflegern und Mitarbeitern, die in ländlichen102Gemeinden in der Jugendpflege arbeiten (vgl. ebenda, S. 15).

Im Rahmen seiner Untersuchung versucht er zu belegen, dass die fachliche, qualitative Entwicklung der Jugendarbeit im kleinstäd-tisch-ländlichen Raum der großstädtischen Entwicklung vorausgeeilt sei. Während die städtische Jugendhausarbeit in einer tiefen konzeptionellen Krise zu stecken scheine, entwickele sich die ländliche Jugendpflege teilweise„sehr munter und hat wohl über Ar-beitsüberlastung, aber kaum über Stagnation und Leerlauf zu klagen“ (ebenda, S. 10), was er auf strukturelle Faktoren zurückführt, die einen gewissen Innovationsdruck auf Jugendarbeit im ländlichen Raum ausüben, die sie zwingen, sich flexibler und spezifischer den jeweiligen Verhältnissen anzupassen, die sie gerade dadurch aber auch effektiver machen“. Zugespitzt lautet seine These: „Ge-rade die unmittelbare, persönliche Konfrontation mit „Außendruck“ - die herkömmlicherweise die Erklärung für relative Rückständig-keit ländlicher Jugendarbeit ist- hat dazu geführt, daß die fachlich interessantesten, innovativen Formen von Jugendarbeit heute im ländlichen Raum zu finden sind“ (Müller/B. K. 1989b, S. 126).

In Bezug auf das soziale Handeln in der Jugendarbeit („Jugendpflege“) tätiger Fachkräfte identifiziert Müllerim Kern fünf Bereiche:

1. diepolitische Dimension der Jugendarbeit, wobei die Beispiele deutlich machen, dass„Öffentlichkeits-Arbeit“ von den Fachkräf-ten nicht nur als strategische Legitimationsarbeit, sondern als Einmischung von Belangen und AktivitäFachkräf-ten Jugendlicher in den Dis-kurs der kommunalen Öffentlichkeit verstanden wird; das bedeute auch, die (in der Regel kommunal-) politischen Rahmenbedin-gungen zu verstehen: Pädagogische Ziele zu verfolgen, vor allem Jugendliche zu unterstützen, eigene Interessen zu vertreten, schließe immer den Umgang mit den „Machtverhältnissen“ und die Einführung der Jugendlichen in eben diese Machtverhältnisse ein (vgl. ebenda, S. 72 und 76)

102 Zur Bestimmung dessen, was er unter „Land“ bzw. „ländlichen Raum“ versteht, macht sich Müllerdie Definition von Steinzu eigen: „Wir verste-hen unter ländlicverste-hen Regionen zunächst räumliche, entwicklungsgeschichtlich einheitliche Ensembles mit spezifisch ‚eigenräumlicverste-hen’ Ausprä-gungen ökonomischer und kultureller Traditionen, Kommunikationsgeflechten, Zusammengehörigkeitsgefühlen, Dialekten usw., unter der Ein-beziehung von Dörfern, Klein- oder ,Landstädten’“ (Stein, G.: Jugendliche und ihre Familien in ländlichen Regionen; in Papenbreer u. a. [Hg.], Verselbständigung Jugendlicher. Materialien zum 7. Jugendbericht, München 1987, S. 198, zit. lt. Müller/B. K. 1989a, S. 13).

2. Jugendarbeit als Vermittlungsleistung: Von Böhnisch und Münchmeierstammt die Überlegung, die Tätigkeit von Jugendarbeitern als „professionalisierte Erwachsenenrolle“ zur Vermittlung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen zu verstehen, da „der Sozial-staat nicht mehr darauf vertrauen kann, daß das Verhältnis der Generationen untereinander fraglos funktioniert, sondern her-gestellt werden muß“ (Böhnisch/Münchmeier 1987, S. 210f; vgl. Müller/B. K.1989a, S. 92).

3. Jugendarbeit als pädagogische Aufgabe: Müllerspricht davon, dass die in der Jugendarbeit tätigen Fachkräfte „immer dort im spezifischen Sinne ‚pädagogisch’ (handeln), wo sie nicht nur Räume und Ressourcen für jugendliche Eigentätigkeit bereitstellen, sondern wo sie Jugendliche anleiten und herausfordern, solche Ressourcen zu erkennen, zu erschließen und zu nutzen“. Er be-greift diese Funktion als „Erziehung zu demokratischer Kultur“ (ebenda, S. 92). Insoweit identifiziert er in dem Material eine pä-dagogische Doppelfunktion, die sich im Bereitstellen von Ressourcen und im Herausfordern von Ressourcen erschließenden Kompetenzen der Jugendlichen selbst äußert. Dabei verdeutlicht das Material, dass es hierbei durchaus um den Aufbau von Selbstverwaltung der Jugendlichen geht, dies aber – anders als in der 70er Jahren – kein gemeinsamer Wert sei, an den bei den Jugendlichen „angeknüpft“ werden könnte. Selbstverwaltung funktioniere nur in dem Maße, wie sie unmittelbar einsichtiger Teil der Gebrauchwertrealisierung von Angeboten der Jugend selbst: „So ist es für die Jugendlichen kein Wert, über den Schlüs-sel einer Einrichtung zu verfügen, Schlüs-selbst dafür verantwortlich zu sein, sondern ein Wert ist, am Wochenende rein zu können. Das Einhalten von Regeln ist zunächst ein Preis, der dafür gezahlt werden muß“ (vgl. Müller/B. K. 1989b, S. 133f, zit. S. 134).

4. der Jugendpfleger als Handwerker, Techniker, Künstler: Vielfältig wird deutlich, dass der Jugendpfleger ohne handwerklich-technisch und/oder künstlerische Fähigkeiten in der Praxis kaum bestehen kann; aber dies bedeutet auch, dass solche Kompe-tenzen nicht nur für sich genommen (z. B. im Verhältnis zu den Jugendlichen) wichtig sind, sondern integriert in pädagogischen, organisatorischen und kommunalpolitischen Momenten der Arbeit zur Geltung kommen, also insoweit auch eine spezifische Funktion gegenüber dem kommunalen Setting entwickeln (Müller/B. K.1989a, S. 101)

5. Jugendpflege als vernetztes Denken: Jugendpflege zeichnet nach Müller„vernetztes Denken“ aus, ein Handeln im Netzwerk. So ist für ihn zum Beispiel die Durchführung einer Schuljahrgangsabschlussfeier nicht nur ein jugendpflegerisches Angebot, sondern

5. Jugendpflege als vernetztes Denken: Jugendpflege zeichnet nach Müller„vernetztes Denken“ aus, ein Handeln im Netzwerk. So ist für ihn zum Beispiel die Durchführung einer Schuljahrgangsabschlussfeier nicht nur ein jugendpflegerisches Angebot, sondern