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Im Rahmen dieses Abschnitts werde ich darlegen, wodurch Jugendarbeit im kommunalen Kontext90als soziales Handeln charakteri-siert ist und welchen Beitrag sie zur Förderung selbstorganicharakteri-sierter Systeme Jugendlicher leisten kann; hierbei steht vor allem der An-satz von Krafeldzu einer Theorie cliquenorientierter Jugendarbeitim Mittelpunkt.

90 Die Fassung des Begriffs „Kommune” erfolgt in Ableitung aus Art. 28 GG. Diese Eingrenzung dient auch der Verständigung auf eine Fassung der Kommune im ländlichen Raum und folgt Überlegungen, wonach sich der ländliche Raum durch „räumliche, entwicklungsgeschichtlich ein-heitliche Ensembles mit spezifisch ,eigen-räumlichen‘ Ausprägungen ökonomischer und kultureller Traditionen, Kommunikationsgeflechten, Zu-sammengehörigkeitsgefühlen, Dialekten usw.” auszeichnet (vgl. Wiesheu-Struck, M.: Sozialarbeit auf dem Lande, Freising 1993, S. 11ff). Ob-gleich die begriffliche Fassung des „ländlichen Raums” erkennbar problematisch ist, soll zur Abgrenzung der Untersuchung dennoch auf diesen Begriff rekurriert werden (vgl. Ballke 2001, S. 299f).

3 . 3 . 1 Jugendar bei t

Jugendarbeit ist – unbeschadet ihrer Wurzeln im 19. Jahrhundert – ein Produkt des 20. Jahrhunderts, insbesondere als Reaktion auf die Herausbildung der modernen Industriegesellschaft und die in ihr angelegten Prozessen gesellschaftlicher und jugendlicher Eman-zipation. Seit ihren Anfängen ist sie „Hilfe für soziale Probleme im Jugendalter (Jünglings- und Lehrlingsvereine), soziale Kontrolle des aufmüpfigen und potenziell revolutionären Nachwuchs (Preußischer Jugendpflegeerlass 1911), politische Selbstorganisation und In-teressenvertretung (Arbeiterjugendbewegung), humanistische und bürgerliche Bildung und Versuch zur Schaffung eines eigenen Ju-gendreichs mit autonomen Jugendräumen (bürgerliche Jugendbewegung), schließlich Übungsfeld und Vorbereitung für die Welt der Erwachsenengesellschaft (Jugendverbände)“ und zielt „immer auf die Arrangements jugendlicher Selbsterziehung und Selbstorgani-sation“ (von Wensierski 2002, S. 36). Hier kann es nicht darum gehen, die Entwicklung der Jugendarbeit seit den Anfängen des 20.

Jahrhunderts nachzuzeichnen (vgl. Bauer 1991, Böhnisch 1984 und 1998c, Fehrlen/Schubert 1991, Hafeneger 1992, 1996a, 1997, 1998a, Herrmann 1991, Klönne 1991, Krafeld 1984, Münchmeier 1991a und 1992a); vielmehr geht es um eine Charakteristik der Jugendarbeit im Übergang vom 20. in das 21. Jahrhundert.

3.3.1.1 G esetz lic her Ra hmen: d a s K ind er - und Jug end hilf eg esetz a ls G esetz d er Selb sto rg a nisa tio nsf ö rd erung

Mit dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes/KJHG (Sozialgesetzbuch VIII/SGB VIII) im Oktober 1990 (neue Bundes-länder) und Januar 1991 (alte BundesBundes-länder) hat der Gesetzgeber die Jugendarbeit als Leistung der Jugendhilfe (gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 KJHG) zur Pflichtleistung erklärt und damit zu einer Leistung, die weitgehend der Disponibilität (kommunal-) politischer Ent-scheidungsprozesse als so genannter „freiwilliger Leistung“ entzogen ist. Durch § 11 Abs. 1 Satz 1 KJHG, wonach durch die Jugendhilfeträger (das heißt die Kreise, kreisfreien Städte und großen Städte) „die zur Förderung der Entwicklung junger Menschen erforderlichen Angebote zur Verfügung zu stellen“ sind, macht der Gesetzgeber deutlich, dass die Jugendhilfeträger „eine Bereitstellungspflicht“ haben (vgl. Jordan/Sengling 2000, S. 112)91.

In Bezug auf die allgemeinen Ziele der Jugendhilfe wird die Jugendarbeit durch die Programmsätze des § 1 KJHG konkretisiert. Ich stimme Kappelerzu, der daraus zwei Prinzipien ableitet, die konstitutiv für die Entwicklung der Jugendarbeit und insbesondere auch für den hier erörterten Zusammenhang sind (im Übrigen auch im Kontext der normativen Setzungen einer systemischen Variante Sozialer Arbeit):

1. Das KJHG formuliert zunächst das „Recht auf eine individuelle Entwicklung, deren Charakter nicht vorgeschrieben, nicht von Mo-ral- und Erziehungsmächten von außen definiert oder auferlegt werden darf. Hier geht es um das Autochthone, um den eige-nen Weg und um eine Unterstützung dazu, die als Förderung definiert ist“, also das Gegenteil von Kontrolle und Eingreifen meint.

2. Die aus dem Recht auf individuelle Entwicklung erwachsende Persönlichkeit soll selbstverantwortlich und gemeinschaftsfähig sein, zum Beispiel Verantwortung für sich und andere übernehmen oder einen Ausgleich zwischen eigenen Bedürfnissen und dem Zu-sammenleben mit anderen herstellen. „Diese Entwicklungsziele werden als Erziehungsziele verstanden, bedürfen also zu ihrer Er-reichung der Erziehung“, wobei diese Einflussnahme das zunächst genannte Recht auf individuelle Entwicklung „nicht be- oder gar verhindern“ darf. („Das Prinzip der Ganzheitlichkeit soll absichern, daß Jugendarbeit sich umfassend an junge Menschen wendet und nicht lediglich einzelne Fähigkeiten oder Begabungen fördert“; vgl. Jans/Happe/Saurbier 2003, S. 10.) Diese Leit-normen, die auch und im besonderen Maße für die Jugendarbeit verpflichtend sind, „weil sie, im Unterschied zu anderen Leis-tungen der Kinder- und Jugendhilfe auf dem Prinzip der freiwilligen Teilnahme durch ihre AdressatInnen beruht“, konstituieren in der Jugendarbeit den „Vorrang des Grundsatzes der Förderung vor dem der Erziehung“. Die Vorschrift des § 11 KJHG über die Jugendarbeit greift diesen Vorrang der Förderung auf, verpflichtet die Jugendarbeit an den „Interessen der jungen Menschen

91 „Darin kommt ein hoher Grad der Verpflichtung der Träger der Jugendhilfezum Ausdruck“, auch wenn es sich nicht um eine „einklagbar indi-viduelle Leistungsberechtigung auf Erbringung von Angeboten der Jugendarbeit im Sinne eines subjektiv-öffentlichen Rechts“ handelt (vgl.

Krug u. a. 2003, S. 3 und 10; vgl. weiter Jans/Happe/Saurbier 2003, S. 14, Münder 1998, S. 158f).

Die Bestimmung in § 11 Abs. 1 Satz 1 KJHG „geht über eine programmatische Beschreibung hinaus, sie ist eine Aufgabenzuweisungund stellt damit zugleich eine objektive Rechtsverpflichtung des öffentlichen Trägersdar“; in der Vorschrift „kommt die objektive Rechtsverpflichtung hin-reichend deutlich zum Ausdruck91“. Hieraus leitet sich freilich „kein individueller subjektiver Rechtsanspruch“ ab, es „liegt damit keine einklagba-re individuelle Leistungsbeeinklagba-rechtigung vor“ (Münder 2000, S. 77). Andeeinklagba-rerseits wurde mit der Vorschrift in § 79 Abs. 2 Satz 2 KJHG zugleich der Versuch unternommen, „für die Jugendarbeit eine hinreichende Infrastruktur zu schaffen. Allerdings ergibt sich auch hieraus kein individu-eller Rechtsanspruch (z. B. von Einrichtungen der Jugendarbeit) auf entsprechende Bereitstellung von Mitteln. Auch diese Bestimmung ist (nur) eine objektive Rechtsverpflichtung des öffentlichen Trägers91. Damit kommen hier ... bei Verstößen nur aufsichtsrechtliche Maßnahmen in Be-tracht“ (Münder 2000, S. 79).

anzuknüpfen“, betont die Bedeutung der Eigenaktivität bei der Ausgestaltung von Jugendarbeit mit dem Ziel von Selbstbestim-mung und Selbstorganisation und beschreibt Erziehung in diesem Rahmen als befähigen, anregen, hinführen, mithin allesamt er-zieherische Haltungen, die„dem Prinzip der Freiwilligkeit verpflichtet sind“ (vgl. Kappeler 2001b, S. 23f; vgl. auch die Begrün-dung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf für das KJHG, Bundestagsdrucksache Nr. 11/6576, S. 107, lt. Krug u. a. 2003, S.

6).

In § 11 KJHG werden als Ziele der Jugendarbeit die Befähigung zur Selbstbestimmung, die Anregung und Ermöglichung von gesell-schaftlicher Mitverantwortung und soziales Engagement benannt (vgl. BAGLJÄ 1994, S. 4). Sie „bietet Kindern und Jugendlichen Räume und Möglichkeiten, Toleranz und Solidarität, Bindungs-, Dialog- und Kompromißfähigkeit sowie die Wahrnehmung von Inte-ressen einzuüben und ungezwungen miteinander zu vertreten“ (ebenda, S. 1; ferner Münder 1998, S. 167, Jans/Happe/Saurbier 2003, S. 10).

Dieser Vorrang der Förderung gegenüber Erziehung hat weit reichende Konsequenzen, denn im Gegensatz zu anderen Bereichen der Jugendhilfe (z. B. Kindertagesstätten, Erziehungshilfe) und öffentlicher Erziehung und Bildung (zum Beispiel Schule) ist damit Ju-gendarbeit verpflichtet, sich einer Pädagogisierung und Verregelung insbesondere der „Jugendräume“ (als sozialen Arrangements, nicht nur im physischen Sinne) zu entziehen und Bedingungen herzustellen, die es in der Interaktion mit Jugendlichen erlauben, die-sen Selbstbestimmung und Selbstorganisation zu ermöglichen (Kappeler spricht auch davon, dass sie „so weit wie möglich herr-schaftsfrei sein sollen“). Die „Räume“ der Jugendarbeit müssen also offen sein, was aber nur zu erreichen sei, wenn Jugendarbeiter und Jugendliche diese Räume gemeinsam gestalten können92(vgl. Kappeler 2001b, S. 25f; ferner Triphaus 2001, Münder 1998, S.

162, Krug u. a. 2003, S. 13).

Der Jugendarbeit weist der Gesetzgeber damit eine doppelte Funktion zu: Einerseits soll sie junge Menschen befähigen, alltagsori-entiert Probleme aufzugreifen und Konflikte lösen zu können, während sie selbst als Jugendarbeit auf Instanzen einwirken und sie beeinflussen soll (§ 1 Abs. 3 Nr. 4). Münder und andereverstehen diesen Auftrag, Limitierungen zu bearbeiten, als Mandat für die Jugendarbeit, „um sich offensiv mit diesen Lebenswelten auseinanderzusetzen und Kindern und Jugendlichen Raum zu geben, sich mit ihren Konflikten in diesen Bereichen zu befassen“ (Münder 1998, S. 166).Müllerspricht davon, dass den meisten Ansätze der Ju-gendarbeit dieses Grundverständnis gemein sei, als „parteilich-solidarische Unterstützung (mit unterschiedlicher inhaltlicher Füllung) der Eigenrechte der Jugendlichen gegen die Zwänge und Ansprüche der Erwachsenenwelt“ zu geben (Müller/B. K. 1989a, S. 32) verstehen“ (Nagl 2000, S. 26). Instrumentell reichen ihre im Gesetz vorgesehenen Angebotsformen, diesen Anspruch einzulösen, im Wesentlichen vonmitgliederbezogene Angeboten(die in der Regel in und von den Jugendverbänden erbracht werden) über offene Jugendarbeit(die eher als Schwerpunkt der kommunalen Jugendarbeit anzusehen ist) bis hin zugemeinwesenorientierten Angeboten, wobei die im Gesetz enthaltene Formulierung, dass es sich um Schwerpunkte handelt, deutlicht macht, dass der Katalog nicht ab-schließend zu verstehen ist (vgl. BAGLJÄ 1994, S. 4, Jans/Happe/Saurbier 2003, S. 24f, Münder 1998, S. 161 und 164f, Krug u. a.

2003, S. 15, Münder 1998, S. 161 und 164f). Bestimmend ist dabei:

„Wesentliches Element der Jugendarbeit i. S. d. § 11 ist die Mitbestimmung und Mitgestaltung und damit auch Mitverantwortung. (...) DerGesetzgeber erkennt damit in Abs. 1 Satz 2 an, daß ein Wandel in der Aufgabe der Jugendarbeit eingetreten ist“ (Krug u. a.

2003, S. 12).

Damit wird der Selbstorganisation Jugendlicher durch den Aufgabenbestand des Gesetzes bereits ein größerer Stellenwert als noch in der Vergangenheit im Jugendwohlfahrtgesetz eingeräumt, was unter anderem auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass der Bundesrat noch im Gesetzgebungsverfahren anregte, das Gesetz um die Formulierung zu erweitern, Jugendarbeit werde von Ver-bänden bzw. Gruppen und Initiativen der Jugend angeboten. In der Begründung hieß es dazu unter anderem, dass diese Ergän-zung „neben der notwendigen Erwähnung der Angebote öffentlicher Träger auch einen Hinweis auf selbstorganisierte Initiativen“

enthalte. Solche Initiativen stellen Netzwerke dar, die sich als Aktionsgemeinschaften von jungen Menschen nach den Regeln der Selbstorganisation zusammenfinden, ihre Arbeit gemeinsam gestalten und verantworten und dabei - im Unterschied Jugendverbän-den und -gruppen als Organisationen- nicht dauerhaft angelegt sind (vgl. Jans/Happe/Saurbier 2003, S. 22). Die Bundesregierung folgte dieser Anregung unter anderem mit dem Hinweis auf die selbstorganisierten Initiativen im Bereich der Jugendarbeit, die ins-besondere für die offene Jugendarbeit bedeutungsvoll seien (vgl. Krug u. a. 2003, S. 8f, Jans/Happe/Saurbier 2003, S. 22). Der gesetzliche Auftrag, Kinder und Jugendliche zu beteiligen und die Förderung selbstorganisierter Initiativen Jugendlicher stehen mithin in einem direkten Zusammenhang.

92 Exemplarisch (ohne eine Andeutung einer Musterhaftigkeit, denn auch anderenorts werden vergleichbare Beschreibungen aufgesetzt) lässt sich dies zum Beispiel in der Selbstbeschreibung des Aufgabengebietes von Fachkräften der Jugendarbeit in Baden-Württemberg (vgl. AG Kreisjugendreferenten 2000, Baltes/Laengerer/Welter 1993) im insbesondere in Bezug auf die Frage der Beteiligung von Kindern und Ju-gendlichen an den sie betreffenden Alltagsfragen (z. B. in der Kommunalpolitik) nachvollziehen (vgl. Fritzsche 2001, Hörstmnn/Stöckl/Wenzl 1998).

Unschwer lässt sich daher davon sprechen, dass der Gesetzgeber durch das KJHG im Bereich der (kommunalen) Jugendarbeit die Träger der (vor allem offenen) Jugendarbeit auffordert, die Selbstorganisation Jugendlicher zu fördern. So sehen das auch Jans, Happe und Saurbier, für die „Selbstorganisation als Prinzip der Jugendarbeit besagt, daß die Angebote in ihrer konkreten inhaltli-chen Ausrichtung und in ihrer Struktur vorrangig von den jungen Mensinhaltli-chen selbst bestimmt werden sollen“ (Jans/Happe/Saurbier 2003, S. 10; ferner: ebenda, S. 19ff, Thiersch 2002, S. 23f, Hillmeier 1991, S. 346; ferner: Bundesregierung 1990, S. 84 und 107).

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz ist also als ein „Selbstorganisations-Gesetz“zu begreifen und verpflichtet zur Selbstorganisations-förderung (obgleich es keinen klaren Begriff von Selbstorganisation entwickelt und in Bezug auf deren konkrete Form der Förde-rung offen bleibt).

Der Anspruch auf und die grundsätzliche Form der Förderung von Selbstorganisationsprozessen lässt sich aber auch aus dem der Jugendhilfe seit deren Charakterisierung im Achten Jugendbericht eigenen Konzept der lebensweltorientierten Jugendhilfeableiten, das Jugendhilfe „auf die aktiven Gestaltungsleistungen und die aktivierbaren Potenziale der Subjekte mit Blick auf ihre Normalisie-rung, Integration, Lebensbewältigung etc.“ ausrichtet (Bundesregierung 2002, S. 107). Dieses Konzept bezieht sich auf die Strukturen heutiger Lebenswelt und ihre Ungleichheiten; es bietet Hilfen vor allem für Menschen an, die mit den gegebenen Ressourcen nicht zurechtkommen und am Rand leben. In diesem Sinne inszeniert Jugendhilfe soziale Beziehungen unter Menschen, die in gleiche Probleme involviert sind (z. B. in der Nachbarschaft, unter Kollegen), „sie arrangiert Räume, Situationen und Gelegenheiten für Kin-der und Heranwachsende; sie engagiert sich in den Anstrengungen um lebensweltliche Erfahrungen und Räume in Institutionen und sozialen Netzen, auch im Stadtteil, in der Stadt, in der Region“ (vgl. Thiersch 2002, S. 24ff, zit. ebenda, S. 26f), und sie sie mischt sich ein (so genannterEinmischungsauftrag, auch unter Bezugnahme auf § 1 Abs. 1 Nr. 4 KJHG; vgl. hierzu Mielenz 1981, Jordan 1996, S. 303) in Prozesse der Gestaltung der Lebensverhältnisse (vgl. Thiersch 2002, S. 220f). Daraus folgen die Strukturmaximen der Ju-gendhilfe, die die Autoren des Achten Jugendberichts als 1. Prävention, 2. Dezentralisierung/Regionalisierung, 3. Alltagsorientierung in institutionellen Settings und Methoden, 4. Integration und Normalisierung, 5. Partizipation und 6. Lebensweltorientierung zwischen Hilfe und Kontrolle beschreiben (vgl. Bundesregierung 1990, S. 85ff). Dabei „zielt die Handlungsmaxime Prävention darauf, daß die frühzeitigen - also die begleitenden, unterstützenden und ambulante - Maßnahmen ausgebaut und die gravierenderen, stationären abgebaut werden“ und Unterstützung in der Normalität zur Verfügung steht (vgl. Thiersch 2002, S. 30f, zit. S. 30), mithin adäquate Formen der Förderung von Selbstorganisationsprozessen entwickelt und angeboten werden.

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz und der der Jugendhilfe eigene Konzeptansatz der lebensweltorientierten Jugendhilfe klären al-so eindeutig, wenngleich in der konkreten Form eher unbestimmt, dass es eine zentrale Aufgabe der Jugendhilfe – bzw. der Jugend-arbeit – ist, Selbstorganisationsprozesse zu fördern.

3.3.1.2 K ennz eic hen: Jug end a rb eit ist Arb eit Erwa c hsener mit Jug end lic hen

Ein solches Verständnis knüpft – in aktualisierend-akzentuierender Sprachregelung – durchaus an vorgängige Aufgabenbestimmun-gen vor, wie sie für JuAufgabenbestimmun-gendarbeit vorlieAufgabenbestimmun-gen, zum Beispiel der „klassischen“ Definition von Giesecke, wonach JuAufgabenbestimmun-gendarbeit diejeniAufgabenbestimmun-gen von der Gesellschaft Jugendlichen und Heranwachsenden angebotenen „Lern- und Sozialisationshilfen“ umfasst, die außerhalb von Schule und Beruf erfolgen, die Jugendliche unmittelbar ansprechen und von ihnen freiwillig wahrgenommen werden (Giesecke 1980a, S. 14 und S. 84f).

Damit nimmt sie, so die Autoren des Achten Jugendberichts, aufgrund ihres Selbstverständnisses und Handlungsansatzes „eine be-sondere Stellung in der Jugendhilfe ein“:

Sie „bietet Raum für den Kontakt mit Gleichaltrigen, setzt auf selbstorganisierte Lernprozesse. Schwierigkeiten und Probleme aus Familie, Schule und Arbeit können ‚wie von selbst‘ zur Sprache kommen, so daß Hilfe zur Lebensbewältigung in der Gruppe der Gleichaltrigen, ggf. auch nun erwachsenen Mitarbeitern geleistet wenden kann“ Bundesregierung 1990, S. 118).

„Der Lern- und Lebensort Jugendarbeit will die Trennung den Lebensbereiche ansatzweise und auf Zeit aufheben. Hier sollen und können Kinder und Jugendliche ihre Erfahrungen in unterschiedlichen Lebensbereichen wie Familie, Schule, Ausbildung, Betrieb, Partnerschaft, Sexualität zur Sprache bringen“ Bundesregierung 1990, S. 108).

Jugendarbeit „findet im Schnittpunkt unterschiedlicher Interessen statt. Da sind zunächst die Jugendlichen, die altersgemäße Frei-zeitmöglichkeiten suchen, Geselligkeit, Aktion, Erlebnis, aber auch Orientierung und Lebenshilfe, die ihre Vorstellungen in Ausei-nandersetzungen mit Erwachsenen im Jugendverband oder Jugendhaus umsetzen wollen. Da sind aber auch die Trägervorga-ben, die Anliegen der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen, der Eltern. Schließlich gibt es das gesellschaftliche Interesse an der lntegration Jugendlicher, auch an den Kompensation von Sozialisationsdefiziten“ (Bundesregierung 1990, S. 107).

Damit wird deutlich, dass sie zunächst eine Reaktion Erwachsener auf die kulturelle Eigengestalt der Jugend und insofern eingebun-den in die Eigenlogik der Erwachsenengesellschaft ist, Jugendliche in ihr System von Erwartungen und Ansprüchen zu integrieren; für präzise diesen Zweck stellt die Gesellschaft Mittel zur Verfügung, organisiert sie Ausbildung, kodifiziert sie gesetzliche

Rahmenbedin-gungen. Dieses unterschwellige Muster, Jugendarbeit damit als Instrument der Integration in eine bestimmte Vorstellungswelt zu ver-stehen (sie also sozialpolitisch in Pflicht zu nehmen) gilt es in der Entwicklung von Jugendarbeit zu diskutieren, zumal dann, wenn, wie weiter oben ausgeführt, in einem systemischen Verständnis von Sozialer Arbeit (auch pädagogische) Intervention stets auf überein-stimmende Deutung abstellt. In der Literatur wird hierzu auch darauf hingewiesen, dass Jugendarbeit zugleich auch immer „die ju-gendkulturelle Reaktion auf die pädagogische Durchdringung der jugendlichen Lebenswelten“ – insofern auch „Experimentierfeld neuer Fähigkeiten und Verhaltensweisen alternative(r) Möglichkeiten der Lebensgestaltung“ (Jordan/Sengling 2000, S. 114) – war und sich aus dieser Dialektik „die besondere Gestalt des pädagogischen Verhältnisses in der Jugendarbeit“ ergibt (von Wensierski 2002, S. 35). In diesem Spannungsfeld – zwischen erwachsenenzentrierter Integrationserwartung und jugendzentrierter Eigengestal-tung – und damit auch im Umgang mit dem diesem Spannungsverhältnis eigenen Limitierungen bestimmt sich gegenwärtig Jugend-arbeit.

„Inhaltlich wird Jugendarbeit verbunden mit Begriffen wie Autonomie der Jugendlichen, Flexibilität der programmatischen Inhalte, Herrschaftsfreiheit des Feldes, Abwesenheit von Leistungskontrolle und Konkurrenz, Orientierung an den Bedürfnissen der Jugendli-chen. Damit unterscheidet sich die Jugendarbeit strukturell von den meisten anderen sozialpädagogischen Feldern der Jugendhilfe“

(Münder 2000, S. 76). Besondere Merkmale der Jugendarbeit sind ihre Pluralität (in Bezug auf Konzepte, Träger, Methodik und Di-daktik, Veranstaltungsformen und Adressaten; vgl. von Wensierski 2002, S. 34), ihre Orientierung auf Prinzipien der Selbstorganisa-tion, Partizipation und Ganzheitlichkeit (vgl. Münder 2000, S. 76; vgl. auch Jordan/Sengling 2000, S. 111), ferner „Altersheterogeni-tät, Flexibilität der Angebote, Methoden und Kommunikationsformen, Orientierung an den Bedürfnissen der Jugendlichen, erfah-rungsbezogene Lernfelder mit Offenheit zur Aktion, Gruppenorientierung“ (Jordan 1996, S. 300f), schließlich die Vermittlung „kriti-sche(r) Sozialisationsinhalte (emanzipatorischer Anspruch) über ‚jugendgemäße‘ Angebotsformen (Spiel, Theater, Musik, Medienar-beit etc.)“, was sich darin äußert, dass sich neben den grundsätzlich für alle Jugendlichen offenen Angeboten auch solche entwi-ckeln, die auf bestimmte und bislang vernachlässigte Zielgruppen ausgerichtet sind, zum Beispiel den Ansätzen einer mädchen-spezifischen (feministischen) Jugendarbeit (vgl. Jordan/Sengling 2000, S. 122f). Jugendarbeit ist damit ein offenes System, das Ju-gendlichen nur gerecht werden kann, wenn es sich offen hält für die soziokulturellen Wandlungen, die komplexen und widersprüch-lichen Lebensbedingungen, Lebenslagen und Lebensstile von Jugendwidersprüch-lichen (vgl. Kappeler 2001b, S. 22), mit denen sie sich angemes-sen, partnerschaftlich und solidarisch auseinandersetzt (vgl. Jordan 1996, S. 304; ferner: Pleiner 2001b, S. 19f).

Als „Einmischungsstrategie“ hat sich –jedenfalls theoretisch– ein neues Handlungsverständnis entwickelt, das darauf abzielt, lebens-weltorientierte Hilfen als Voraussetzungen für ein selbst bestimmtes Leben anzubieten (vgl. Jordan 1996, S. 303, Grunwald/Thiersch 2004b, S. 23). Ähnlich argumentiert Münchmeiermit dem Hinweis auf die Diskussion über zeitgemäße Jugendhilfe im 8. Jugendbe-richt, wonach sich Jugendarbeit als lnfrastrukturarbeit zu begreifen habe und Situationen und Gelegenheitsstrukturen gestalten müs-se. Erziehung komme unter den gewandelten Bedingungen des Heranwachsens nur dann zum Ziel, wenn sie den pädagogischen Bezug in Richtung auf Hilfestellung zur Entdeckung und Realisierung eigener Möglichkeiten und Wege erweitere (vgl. Münchmeier 1990, S. 214).

Gleichwohl – und trotz dieser Ansprüche – entspricht der Alltag von Jugendarbeit nicht selten eher der Inpflichtnahme von Jugend-arbeit zu sozialintegrativen Zwecken, erschöpft sich ihr Handlungsspektrum „im Großen und Ganzen in diesen zugewiesenen und ...

auch übernommenen und bedienten Funktionen und Erwartungen von Prävention, Kompensation und Reparatur“, wie es Kappeler ausdrückt:

„Jugendarbeit ist heute zu einem stumpfen Instrument der Neutralisierung aller im Begriff der ‚Perspektivlosigkeit‘ zusammenge-fassten Wirkungen von Ausbildungsnotstand, Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, broken home, verregelten Räumen, Leistungs-druck und Unterforderung und schließlich allgemeiner Lieblosigkeit im Umgang mit Kindern und Jugendlichen im privaten und öf-fentlichen Leben geworden“ (vgl. Kappeler 2001a, S. 14ff, zit. S. 16).

Das mag auch an einem fehlendem Selbstverständnis der Jugendarbeit (vgl. 1.3) liegen. Zwar ist insbesondere von Böhnisch und Münchmeier(vgl. insb. Böhnisch/Münchmeier 1987 und 1993) ein Perspektivenwechsel hin zu einer gesellschaftstheoretisch wie ju-gendsoziologisch begründeten Konzeptualisierung der Jugendarbeit ausgegangen (vgl. auch Müller/B. K. 1996a und 1998a, Giesecke 1998). Angesichts der „Folgen gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse für die Jugendlichen (Verlust des bildungsopti-mistischen Lebensentwurfs, soziale Ungleichheiten, Integrationsprobleme) ist Jugendarbeit „einerseits Hilfe zur Lebensbewältigung;

andererseits hat sie die soziokulturelle Emanzipation, die Pluralisierung der Lebenslagen sowie veränderte Orientierungsmuster (Ge-genwartsorientierung) und eigenständige kulturelle Ausdrucksformen Jugendlicher heute in Rechnung zu stellen“ (Böh-nisch/Münchmeier 1987, S. 17). Hierbei habe sich das Konzept der Sozialraumorientierung „zu einem regelrechten Paradigma in-nerhalb der theoretischen Debatten der Jugendarbeit“ und zur „Grundlage für die Entwicklung jeweils spezifischer Konzepte für un-terschiedliche Zielgruppen und Sozialräume“ entwickelt, zum Beispiel für Jugendarbeit in ländlichen Räumen, mit ausländischen Ju-gendlichen oder mit Jugendcliquen, zum Beispiel das Konzept der cliquenorientierten Jugendarbeit (von Wensierski 2002, S. 37f).

Doch ist dieser Paradigmenwechsel nur fragmentiert im Alltag der Jugendarbeit sedimentiert, wie Krafeldkonstatiert:

„Ungemein tief verankert ist insgesamt in der Jugendarbeit ... immer noch ein Denken, das Felder der Jugendarbeit als Alternative statt als integrale Bestandteile von Alltagswelten Jugendlicher begreift. Gängige Begriffe wie Jugendzentrum, Einzugsbereich, Ju-gendliche-von-der-Straße-Holen transportieren Vorstellungen einer Staubsauger-Pädagogik, die mit ihrer Saugkraft im Idealfall alle Jugendlichen aus dem Boden ihrer Alltagswelten in die schützend-warme Innenwelt des Kastens in der Hand des dienstaus-übenden Pädagogen holen will. Und dieser pädagogische Jugendzentrismus trifft sich dann zu scheinbar trauter Einheit mit dem Bedürfnis von Jugendlichen nach eigenen Räumen für ihre Sozialgebilde, die Cliquen und Szenen“ (Krafeld u. a. 1995, S. 388).

Dieser pädagogische Jugendzentrismus freilich kann kaum überraschen, bleibt doch Jugendarbeit als soziales Handeln Erwachsener

„unweigerlich eine Ausdrucksform des jeweiligen Generationsverhältnisses. Jugendarbeit ist eine organisierte Form der Annäherung von Repräsentantlnnen der ‚alten Welt‘ an das ‚neue Leben‘“ (Kappeler 2001a, S. 19). Insofern wird auch jeder Versuch, Selbstor-ganisationsprozesse mit den Mitteln der Jugendarbeit zu fördern, stets eine Begegnung von Erwachsenen mit Jugendlichen sein

„unweigerlich eine Ausdrucksform des jeweiligen Generationsverhältnisses. Jugendarbeit ist eine organisierte Form der Annäherung von Repräsentantlnnen der ‚alten Welt‘ an das ‚neue Leben‘“ (Kappeler 2001a, S. 19). Insofern wird auch jeder Versuch, Selbstor-ganisationsprozesse mit den Mitteln der Jugendarbeit zu fördern, stets eine Begegnung von Erwachsenen mit Jugendlichen sein