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Spracherwerb

Im Dokument Mütter und Töchter (Seite 59-63)

5. ERGEBNISSE DER QUALITATIVEN ANALYSE

5.2. Sozio-demographische Merkmale und Lebensverläufe

5.2.7. Spracherwerb

Als die befragten Frauen nach Österreich migrierten, wiesen sie alle keinerlei Deutschkenntnisse auf. Jene, die Deutsch in ihrer Kindheit und Jugend in Österreich erlernten, bewerten ihre heutigen Sprachkenntnisse als sehr gut. Die anderen beurteilen sie meist danach, wie selbständig sie ihre Angelegenheiten erledigen können, was mittlerweile den meisten auch möglich ist und worauf sie sehr stolz sind.

Sprachkurse konnten die wenigsten Frauen zu Beginn besuchen, weil ihnen neben der Mehrfachbelastung durch Berufstätigkeit, Haushalt und Kinder keine zeitlichen und finanziellen Ressourcen zur Verfügung standen. Es war somit beim Spracherwerb die Eigeninitiative der Frauen selbst gefordert. Erst nach vielen Jahren des Aufenthalts haben einige einen Deutschkurs besucht, andere wiederum haben resigniert. Manche der Frauen hatten aktive Hilfe beim Erlernen der deutschen Sprache durch Schul- oder ArbeitskollegInnen, LehrerInnen oder ArbeitgeberInnen.

„Hast du einen Kurs oder so besucht, oder wie hast du die Sprache gelernt?

Ich habe einen Kurs besucht, aber erst viel später. Erst vor zwei Jahren ungefähr habe ich einen Kurs besucht.

Hast du damals kein Wort Deutsch gekonnt?

Nun, ich konnte schon ein wenig, aber nicht so gut. Also ein wenig in der Arbeit gelernt und von den Kindern, ein wenig zu Hause von alleine. Ich kann auch jetzt nicht super Deutsch sprechen, aber wenigstens soviel, dass ich

meine Probleme selber lösen kann. Ich habe immer alles selber erledigt und war auf niemanden angewiesen. Und jetzt in meiner jetzigen Arbeit, ich arbeite mit alten Menschen seit etwa drei Jahren (Anm.: in einem Altersheim). Und das hilft natürlich auch sehr.“ (Zeliha´s Mutter, 33)

„Die Zeit vergeht so schnell, ohne dass man es merkt vergeht sie und wenn ein Mensch es gewohnt ist zu arbeiten, dann kann er nicht zuhause sitzen.

Ja ich verstehe. Es ist meistens so. Sie haben erzählt als Sie gekommen sind hatten sie mit der Sprache große Probleme, sie haben sehr vieles nicht verstanden. Wie ist ihr Deutsch jetzt?

Momentan komme ich damit aus. Ich kann mich ein wenig in die Umgebung eingliedern.

Wie haben sie die Sprache gelernt?

Großteils in der Arbeit. Ich habe auch einen Kurs besucht, nach 23 Jahren.

Also zu Beginn....

In der ersten Zeit habe ich ohne einen Kurs zu besuchen von der Umgebung vor allem durch die Kinder, meine Geschwister, durchs Fernsehen gelernt. Es hat was mit deiner Umgebung zu tun.

Verstehe, also vor allem durch Zuhören.

Ja, durch Zuhören.“ (Pekay´s Mutter,44)

„Wie gut sprichst du Deutsch?

Nicht wirklich viel, ich verstehe ein wenig aber so großartig sprechen, nein.

Obwohl du so viele Jahre gearbeitet hast?

Ja ich hab gearbeitet, ich konnte schon meine eigene Arbeit machen, wenn ein Auftrag gekommen ist habe ich den erledigt, ich konnte meine Arbeit und damals hab ich nicht so viel Wert darauf gelegt die Sprache zu lernen, aber jetzt im Alter auch wenn ich wollte könnte ich die Sprache jetzt nicht mehr lernen

A geh!

Glaubst du ich könnte es noch lernen? (lacht)

Natürlich, es ist nie zu spät, vor allem in deinem Alter.

Ich fühle mich so alt, ich bin schon auf dem Weg ins Jenseits.

A geh dein Weg ist noch sehr lang.

Ja, du hast recht, man sollte sich Mühe geben die Sprache zu lernen, denn auch unsere Ahnen sagten: „Wer eine Sprache spricht ist ein Mensch wert und wer zwei Sprachen spricht ist zwei Menschen wert. Ich hab früher sehr viel gearbeitet, oft 10 bis 12 Stunden pro Tag.“ (Bahar´s Mutter, 44)

„Und wie lange arbeitest du hier schon?

Ich arbeite seit 97, 98 hier und es ist mein erster Arbeitsplatz.

Gab es am Anfang Schwierigkeiten?

Ja am Anfang gab es Sprachschwierigkeiten, aber ee die Sekretärin von der Firma, wirklich, in bezug auf das Lernen der Sprache, hat sie mir sehr geholfen. Ja wenn ich zum Beispiel ein falsches Wort auf Deutsch gesagt habe, dann hat sie mich immer verbessert. Das ist nicht richtig, man sagt so!

Also wirklich, sie hat mir sehr geholfen. Ich kann sagen, ich habe dank ihrer Hilfe, der Hilfe meiner Kinder und meiner Arbeitskollegen keine Probleme

Die bereits erwähnten Sprachschwierigkeiten führten beziehungsweise führen einerseits zu Problemen bei der Arbeitssuche und bei der Erledigung alltäglicher Dinge, andererseits verstärkten sie die Unsicherheits-, Einsamkeits- und Fremdheitsgefühle.

Ihren Spracherwerb beschreiben die meisten Töchter als „automatisch“, wobei dieser meist im Kindergarten und ohne Probleme erfolgte. Lediglich eine Mutter erzählte nach dem tatsächlichen Interview mit Stolz, dass sie mit der Tochter ausschließlich Deutsch gesprochen habe. Diese Tochter ist es aber auch, die im Interview die größten Defizite in Deutsch zeigte, was etwa den Wortschatz und die Grammatik betrifft. Sie hat ebenfalls massive schulische Probleme im Fach Englisch. Dies ist ein Beispiel für jene Spracherwerbstheorie die besagt, dass wenn in der Muttersprache nicht eine „kognitiv-schulische“ Sprachkompetenz erreicht wird (sprich kontextfreie Grammatikbeherrschung, erweiterter Wortschatz etc.), dann ist das Ergebnis eine unvollständige Beherrschung der Mutter- als auch der Zweitsprache (vgl. Cummins 1984a,b).

Zusammenfassend konnten folgende bedeutende Unterschiede der sozio-demographischen Merkmale und Lebensverläufe festgestellt werden:

• Während die Mütter überwiegend in ländlichen Kontexten in der Türkei mit zahlreichen Geschwistern aufwuchsen, verbrachte der Großteil der Töchter ihre Kindheit in einem städischen Umfeld in kleineren Familien.

• Sowohl die Mütter als auch die Tochter trugen und tragen viel Verantwortung für ihre Familien, sowohl für die Herkunftsfamilie als auch für die eigene.

• Die Mütter konnten aus den verschiedensten Gründen ihre bestehenden Ausbildungswünsche nicht verwirklichen, wobei (im Gegensatz dazu) die Töchter die Gelegenheiten dazu haben.

• Die Heirat und Familiengründung erfolgte bei den befragten Müttern sehr früh, während die Töchter diese Lebensphasen auf die Zeit nach ihrer geplanten, länger andauernden Ausbildungszeit verschieben, welche stark von den Müttern forciert wird.

• Die Mütter erlebten bedingt durch ihren Migrationsprozess häufig Dequalifizierung sowie schlechte und gesundheitsbelastende Arbeitsbedingungen.

• Die Mütter beschreiben zum Großteil ihre Deutschkenntnisse – bedingt durch Faktoren wie ihr Alter bei der Einreise nach Österreich, ihrem Bildungsstand und fehlender Möglichkeiten zum Spracherwerb – als bis dato problematisch.

Dagegen erfolgte der Spracherwerb bei den Töchtern im Zug ihrer Sozialisation in Österreich meist unkompliziert.

• Als Erfolgserlebnisse empfinden die Mütter, wenn sie autonome Entscheidungen treffen konnten, finanziell unabhängig sind, dass sie ihr Leben in Österreich selbständig meistern konnten und können, den Erwerb von Deutschkenntnissen und anderen Fähigkeiten sowie die Absolvierung einer Ausbildung. Die Töchter erleben in erster Linie eine abgeschlossene weiterführende Ausbildung als persönlichen Erfolg.

Im Dokument Mütter und Töchter (Seite 59-63)