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Migrationserfahrung

Im Dokument Mütter und Töchter (Seite 54-59)

5. ERGEBNISSE DER QUALITATIVEN ANALYSE

5.2. Sozio-demographische Merkmale und Lebensverläufe

5.2.6. Migrationserfahrung

Das folgende Kapitel beinhaltet einerseits den Migrationsprozess der Frauen und Mädchen an sich – sofern die Töchter einen solchen aufweisen und noch nicht in Österreich geboren sind – und andererseits spezifische Lebensbedingungen in Österreich zu Beginn deren Aufenthalts.

Bezüglich des Migrationsprozesses lässt sich sagen, dass ein Teil der Frauen mit oder durch ihre Stammfamilien im Kindheits- oder Jugendalter nach Österreich immigrierte. Jene Mutter, die als Kleinkind zuzog, wird – genauso wie ein Vater der bereits in Österreich aufwuchs – von den Töchtern als liberaler und verständnisvoller ihnen gegenüber beschrieben und den Grund hierfür sehen die Töchter explizit in diesem Aufwachsen des Elternteils in Österreich (vgl. Kapitel 5.3.2.

Elternbeziehungen). Die Frauen sind im Durchschnitt seit circa 20 Jahren in Österreich sesshaft.

Der Großteil der Frauen migrierte gemeinsam mit dem Ehemann oder folgte ihm nach. Dabei gaben immer finanzielle Gründe den Ausschlag. Außerdem erfolgten diese Prozesse häufig in Form einer Kettenmigration, das heißt, dass die MigrantInnen FreundInnen, Bekannte oder Verwandte hatten beziehungsweise haben, die bereits vor ihnen nach Österreich migrierten. Kettenmigration kann als direkte Folge von Arbeitsmigration betrachtet werden, weil die Wahrscheinlichkeit für Arbeitsmigration durch persönliche Beziehungen der MigrantInnen in den Einwanderungsländern und jenen potentiellen MigrantInnen in den Herkunftsregionen erhöht wird (vgl. Massey 1990, 1993). Hier kommen soziale Netzwerke zum Tragen, die den Migrationsbewegungen förderlich sind. Wasserman und Faust definieren ein soziales Netzwerk wie folgt: “A social network consists of a

4 Erklärung der Interviewerin: „görücü“ kann man ungefähr so übersetzen: „Seh-Methode-Heirat“, das

heißt nichts anderes als: wenn es in einem Haushalt ein heiratsfähiges Mädchen gibt, dann kommen viele heiratswillige Männer, die gerade auf der Suche nach einer Ehefrau sind auf Besuch, um das Mädchen zu sehen. Entweder weil das Mädchen ihnen empfohlen wurde oder weil sie es irgendwo

finite set or sets of actors and the relation or relations defined on them” (1994: 20).

AkteurInnen in den Netzwerken können einerseits Familienangehörige, andererseits FreundInnen oder Bekannte oder auch Personen aus dem selben Ort im Herkunftsland sein und haben weitere Funktionen im Rahmen des Migrationsprozesses, wie etwa bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche. In einer Studie von Hofinger et al. (1997) gaben 38% der EinzeleinwanderInnen an, dass die Anwesenheit von Verwandten und/ oder Bekannten in Österreich der Grund für ihre Migrationsentscheidung gewesen sei. Die Kettenmigration mittels Familienangehöriger darf nicht mit dem Familiennachzug verwechselt werden. Der Familiennachzug betrifft ausschließlich enge Familienangehörige wie EhepartnerInnen und minderjährige Kinder. 1994 erfolgte eine Quotierung des Familiennachzugs, um die Neueinwanderungsraten zu beschränken (vgl. Jawhari 2000). Im Jahr 2006 liegt die Quote für Familienzusammenführung bei 4.425 Personen und damit um 1.035 Personen unter der Quote vom Vorjahr (vgl.

Hauptausschuss genehmigt Niederlassungsverordnung 2006).

„Warum bist du nach Österreich gekommen?

Weil mein Mann hier war und ich bin ihm gefolgt.

Weißt du warum dein Mann hierher gekommen ist?

Mein Mann hat in der Türkei mit Marmor gearbeitet und hier ist der Verdienst besser und die Arbeit auch, deswegen ist er hierher gekommen.

Ist er über Bekannte gekommen?

Sein Schwager hat ihn gebracht, der Mann seiner Schwester. Die Firma hat ihm eine Einladung geschickt. Mein Mann ist als Tischler gekommen, also nicht als Tourist oder so. Die Firma hat ihn geholt, damals gab es das noch, er ist binnen 3 Tagen hierher gekommen.“ (Bahar´s Mutter, 44)

“Ich würde gerne über deine Familie sprechen, erzähl mir von deinem Leben.

Ich bin 1944 in XXX [sehr große Stadt in der Türkei] geboren. Habe dort gelebt, dort geheiratet. 5 Kinder auf die Welt gebracht. Als erste meine älteste Tochter, dann die zwei Burschen und dann 2 Mädchen. Wir sind dann von XXX [sehr große Stadt in der Türkei] nach Österreich gekommen.

Wann?

Im Jahr 86 sind wir gekommen, mein Mann ist ein Jahr vor uns gekommen wir ein Jahr später, wir sind mit dem Hintergedanken ein paar Jahre zu arbeiten und dann zurück zu kehren, gekommen. Unser größter Gedanke war die Kinder zu beschulen, sowohl meiner als auch meines Mannes, denn wir zwei als Arbeiter, mein Mann hat gearbeitet.“ (Burcin´s Mutter, 61)

“...ja und dann. Ee.. begann die Reise (lacht). Mein Mann kam damals als ganz normaler Arbeiter, besser gesagt, wann kam er? 85 sowas kam er.

Damals gab es die Möglichkeit Familienmitglieder nachkommen zu lassen.

Seine Schwester war hier und ließ ihn hier nachkommen. Er kam und zwei

Jahre später ließ er uns nachkommen. Gemeinsam mit meinen zwei Kindern kam ich 86, 87 nach Österreich.“ (Fulya´s Mutter, 43)

Lediglich zwei Frauen immigrierten allein nach Österreich. Eine davon mit ihrer kleinen Tochter. Sie hatte sich von ihrem Mann getrennt und sah keine Möglichkeit, ihr Kind in der Türkei als Frau alleine aufzuziehen. Erst nach zwei Jahren kam ihr Mann nach Österreich nach und seither leben sie als Familie zusammen. Eine Frau ist als Angehörige der kurdischen Minderheit illegal nach Österreich eingereist, wo sie um Asyl angesucht hat.

Bis auf jene Frau, die erst vor 5 Jahren nach Österreich flüchtete und ihre Ankunft in Österreich trotz der sprachlichen Probleme und ihrer Arbeitslosigkeit als Neubeginn erlebt, hatten alle interviewten Mütter massive Eingewöhnungsschwierigkeiten. Bis heute leiden die Frauen zum Teil unter Heimweh, unter der Trennung von der Verwandtschaft und anderen Lebensbedingungen wie dem rauen Klima, dem fremden Essen etc.

„Wie hast du dich gefühlt als du hierher gekommen bist? Hattest du es schwer?

Natürlich. Als ich einen Türken oder eine Türkin gesehen habe war es so, als hätte ich meine Mutter oder meinen Vater gesehen. Und damals war ich jung, es war wie soll ich sagen eine noch größere Sehnsucht und Heimweh als heute. Mittlerweile die eigenen Kinder, meine Eltern und meine Schwester sind hier, es ist nicht mehr so schwer wie damals.

In der ersten Zeit hattest du keine Schwester hier?

Meine Schwestern waren nicht hier, ich war die erste und dann habe ich sie her geholt.“ (Bahar´s Mutter, 44)

„Wolltest du nicht weg?

Einerseits willst du, andererseits willst du nicht. Damals war es ein bisschen durcheinander (Anm.: meint die politische Situation). Da willst du einerseits weg und andererseits willst du bleiben. Aber was auch immer geschieht, wie gerne du auch immer weg möchtest, immer noch dort. Dort sein.

Hat es dir leid getan, nach XX zu fahren?

Und wie (atmet tief ein und aus), und wie es mir leid getan hat. Ich habe Sehnsucht nach dort, immer noch. Wie viele Jahre sind seit meiner abreise vergangen, und immer noch habe ich Sehnsucht.“ (Zeliha´s Mutter, 33)

Neben diesen emotionalen Schwierigkeiten litten die Frauen zu Beginn ihres Aufenthalts in Österreich außerdem unter für sie schwer erträglichen Wohnverhältnissen in beengten, schlecht ausgestatteten und baufälligen Wohnungen, sowie unter Dequalifizierung, schwierigen Arbeitsbedingungen und langen Arbeitszeiten - was zu wenig Zeit für die Kindererziehung bewirkte - und

„Was Wohnung betrifft, haben wir sehr viel durchgemacht. Wir fanden keine Wohnung, damals waren die Wohnungen sehr eng. Und immer Untermiete.

Du wohnst ein, zwei Jahre dort und nach zwei Jahren endet der Vertrag. Also in Bezug auf Wohnung habe ich sehr viel mitgemacht. Aber was Arbeit betrifft habe ich keine Probleme erlebt. Oder im Kindergarten oder so kam auch nichts besonderes vor. Also nur das Wohnungsproblem.“ (Zeliha´s Mutter, 33)

„Viele hatten sehr große Träume über Europa - ich hatte diese nicht aber es war trotzdem ein großer Schock, ich war zwar bei meinem Geliebten es war am Anfang so für mich als wäre ich vom Dorf in etwas noch zurückgebliebeneres gekommen, denn wir haben in Zimmer und Küche gewohnt, meine Schwiegereltern hatten zwar Zimmer, Küche, Kabinett und das Kabinett hatte eine eigene Küche aber vor allem dass das Klo draußen war, war sehr eigenartig, dass die Küche im Vorraum der Wohnung war, war auch sehr eigenartig. In dem Dorf wo ich herkomme hatten die Häuser einen riesigen Vorraum und von diesem dann 4,5 Zimmer und alle hatten eine Tür, es gab mindesten ein Bad, aber hier hatten die meisten Wohnungen kein Bad ich hab sogar Wohnungen gesehen, die kein Wasser hatten, kein Gas, was für mich am eigenartigsten war, war die Küche im Eingangsbereich und das Klo am Gang, ich fragte die Tochter meiner Schwägerin als ich die Wohnung ansah wo ist das Bad, sie brachte mich ins Kabinett und zeigte mir die Dusche im Eck. Ich fragte sie wo das Bad ist und sie sagte da ist es ja und zeigte auf die Dusche da ist das Bad was suchst du denn? Das waren sehr eigenartige Sachen für mich. Die Gebäude waren sehr dunkel, kleine Fenster, keine Balkone sie sagen zwar immer Kulturstadt aber ich glaube diese Kultur haben sie von den Türken gelernt.“ (Abide´s Mutter, 37)

Die jetzige Wohnsituation wurde von keiner Frau als problematisch beschrieben, was darauf schließen lässt, dass sich diese verbessert hat. Die berufliche Stellung der Frauen hat sich jedoch für die meisten nicht verändert, sie sind häufig Arbeiterinnen geblieben und leiden unter der Belastung durch schlechte Arbeitsbedingungen.

„Wie ist es in der Arbeit, wie geht es dir da?

Ja natürlich, was auch immer, wir sind Fremde. Aber im Vergleich zu anderen Arbeiten haben wir einen guten Job. Wir haben nicht soviel Probleme.“

(Kayra´s Mutter, 42)

„Arbeitest du Vollzeit?

Nein, nicht Vollzeit, bis zu Mittag arbeite ich, aber erst seit drei Jahren. Früher habe ich 48 Stunden in der Woche gearbeitet, ganze siebeneinhalb Jahre lang. Und davor habe ich auch 10 Stunden am Tag gearbeitet. In einer Schneiderei. Erst jetzt seit kurzem sind meine Arbeitsstunden so. Und in diesen drei Jahren habe ich einen Deutschkurs besucht. Am Nachmittag.“

(Zeliha´s Mutter, 33)

„Sind sie zufrieden mit ihrer Arbeit?

Ja ich bin zufrieden mit ihr. Bis auf meine gesundheitlichen Probleme.

Gesundheitsprobleme, was für welche?

Mit steigendem Alter! Ich hab Probleme mit meinem Knie und da ich älter werde wollte ich mich ein bisschen ausruhen und arbeite deswegen Teilzeit.“

(Pekay´s Mutter, 44)

Die von uns befragten Frauen berichten zum Großteil von innerethnischen Freundschaften. Sie erzählen zwar von positiven Beziehungen zu Arbeits-kollegInnen, aber nicht von engen Kontakten zu ÖsterreicherInnen im privaten Bereich. Als Grund dafür, ausschließlich FreundInnen türkischer Herkunft zu haben, nennen die Frauen ihre fehlende deutsche Sprachkompetenz, die einen Kontakt nicht ermöglichen würde.

„Und mit wem triffst du dich hauptsächlich?

Mit Menschen aus der Türkei.

Und mit Österreichern?

Nein mit Österreichern nicht.

Was sind die Gründe dafür glaubst du?

Ich kenne die Gründe dafür. Ich meine der Grund dafür ist vor allem, wie ich auch am Anfang gesagt habe, die Sprache, es gibt das Sprachproblem. Und das zweite, ich meine, wenn du nicht die Sprache kannst, weil du dich in Türkisch besser artikulieren kannst, und das in Deutsch zu machen. Und ich denke, dass die Menschen aus unseren Gebieten einen Minderwertigkeitskomplex haben, weil sie sich in Deutsch nicht ausdrücken können, oder nicht gut ausdrücken können. [...] und deshalb habe ich Schwierigkeiten Kontakt aufzunehmen. Ja, bei einigen Veranstaltungen bin ich mit Deutschen eh mit Österreichern zusammen oder mit Freunden von meinen Freunden. Aber eben weil ich diese Sprache nicht gut spreche, deshalb kann ich keine Kontakte knüpfen.“ (Derya´s Mutter, 35)

„Dann.. besuche ich meine Freunde. Meine Bekannten. Ich habe sehr viele Freunde und Bekannte. Sie mögen mich alle sehr. Gott sei Dank, ja so ist das, sonst gibt es nichts...

Mit wem treffen Sie sich hauptsächlich?

Ja es sind Türken, denn weil ich nicht gut Deutsch kann, habe ich nicht viel Kontakt mit Österreichern. Obwohl es gäbe da eigentlich Menschen, die ich treffen könnte, aber es ist ein reines Begrüßen, sonst nichts. Ich meine ich verstehe viel besser als ich reden kann. Ich habe auch Angst, dass ich beim Reden einen Fehler mache. Ich schäme mich dann. Deshalb sind es hauptsächlich Türken.“ (Dilara´s Mutter, 44)

Die meisten der Mütter verbringen ihre wenige Freizeit, die ihnen neben der Mehrfachbelastung durch Berufstätigkeit, Haushalt und Kindererziehung noch bleibt, hauptsächlich mit dem weiteren Familienkreis oder mit sozialem, beziehungsweise religiösem Engagement.

„Mit wem verbringst du deine Freizeit momentan?

Momentan mit meinen Kindern, früher mit meinem Mann, wir waren sehr viel unterwegs früher, jetzt zwar auch aber früher noch mehr. Jetzt sind wir nicht mehr so viel zusammen unterwegs ich bin vermehrt mit der Tochter, er mit den Burschen, sie lieben vor allem Fußball und das am besten jeden Tag, und ich

“Und darüber hinaus, in meiner Freizeit ee ich mache bei islamischen Aktivitäten mit. Frauenarbeit oder die Kinder betreffend. Wo man auch immer lebt, von wo man auch kommt, man darf seine Identität nicht verlieren. Dazu bedarf es einer Organisation, einer Plattform. Ich bin auch aktiv. Es gibt Seminare, Die Kindererziehung betreffend, es gibt verschiedene Aktivitäten.

Ich nehme auch daran teil. Ich mache das gerne, das lenkt mich sehr gut ab.“

(Dilara´s Mutter, 44)

„Wie und mit wem verbringen sie ihre Freizeit?

Meine Freizeit verbringe ich mit meiner Familie, meinen Geschwistern, meinen Kindern, meinem Mann. Wir verbringen unsere Freizeit sehr schön im Kreis der Familie.“ (Pekay´s Mutter, 44)

Die befragten Töchter sind zum überwiegenden Teil in Österreich geboren beziehungsweise im Kleinkindalter nach Österreich immigriert. Berichtet wird auch hier von Eingewöhnungsschwierigkeiten. Eine Tochter ist erst vor einem Jahr im Alter von 19 Jahren ihrer Mutter nach Österreich gefolgt, nachdem sie von dieser seit ihrer Kindheit getrennt gelebt hat.

Im Dokument Mütter und Töchter (Seite 54-59)