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Erwartungen an die Töchter

Im Dokument Mütter und Töchter (Seite 167-171)

5. ERGEBNISSE DER QUALITATIVEN ANALYSE

5.6. Zukunftserwartungen und –pläne

5.6.2. Erwartungen an die Töchter

Die von den Müttern an ihre Töchter gestellte Erwartungen sind in erster Linie aus dem Grund vorhanden, weil sie die eigene gesellschaftliche Position als nicht zufrieden stellend empfinden. Bezüglich der Ausbildungswege artikulieren viele Mütter Bedauern darüber, dass sie selbst nicht weiter lernen konnten. Viele von

ihnen mussten ihre eigene Schullaufbahn nach der Pflichtschule abbrechen und wünschen sich aus diesem Grund um so mehr, dass die Töchter zumindest eine weiterführende Schule abschließen, im besten Fall ein Studium.

Folgende Darstellung illustriert die verschiedenen Ebenen, auf denen Bildung von den Müttern als essentiell betrachtet wird:

Funktion der Ausbildung Persönliche Motivation der Mütter Bildung als Instrument für sozialen

Aufstieg

Mütter empfinden die eigene gesellschaftliche Position als nicht zufriedenstellend und wünschen ihren Töchtern ein „besseres Leben“

Bildung als Schutz vor Mehrfachbelastung

Mütter erleben sich als mehrfachbelastet durch Familienarbeit, Erwerbsarbeit und die Situation als Migrantin

Bildung als „Rehabilitationsinstrument“ Mütter wollen der Stereotypisierung von kopftuchtragenden Migrantinnen als

„unterdrückt und dumm“ entgegenwirken Bildung als Kompensation Mütter konnten selbst keine weiterführende

schulische Ausbildung absolvieren Abbildung 2: Funktion der Bildung für interviewte Mütter

Am häufigsten wird die Funktion der Bildung als Instrument, um einen sozialen Aufstieg zu erreichen, angesprochen. Damit in Zusammenhang steht die Überlegung der Mütter, die Töchter sollten eine möglichst gute Ausbildung erhalten, um später nicht zusätzlich zur mühevollen Reproduktionsarbeit auch anstrengende Erwerbsarbeit verrichten zu müssen.

„Die Wichtigkeit meiner Tochter ist nicht ding. Bub und Mädchen, beide sind für mich gleich. Aber wenn die Tochter studiert, dann ist es besser, damit sie in Zukunft nicht leiden muss. Ich meine, wenn sie ihre finanzielle Freiheit hat, dann ist es anders. Deshalb möchte ich noch mehr, dass die Tochter studiert.

Ich meine der Sohn kann in Zukunft, es ist freilich auch für den Sohn dasselbe, aber der Sohn kann irgendwo arbeiten, ich weiß nicht. Er kann als Bauarbeiter arbeiten oder eine schwere Arbeit verrichten. Aber das Mädchen nicht. Sie wird einerseits draußen arbeiten, einen schweren Job haben und am Abend heim kommen und zu Hause weiterarbeiten. Deshalb möchte ich, dass

Der Großteil der Mütter fühlt sich aufgrund dieser mehrfachen Belastung alt und verbraucht, obwohl die meisten erst Ende dreißig bis Mitte vierzig sind und sie wollen den Töchtern ein ähnlich anstrengendes Leben ersparen.

Eine andere wichtige Funktion, die besonders religiöse Mütter der Bildung zuschreiben, ist die Entkräftung des gängigen Stereotyps von der „unterdrückten, ungebildeten und rückständigen Kopftuchträgerin“.

„Und ihr Studium, das ist sehr wichtig für mich. Und ich möchte nicht, weil es heißt wenn man ein Kopftuch trägt sieht man eigentlich in der Öffentlichkeit oft dass man uns als Analphabeten anerkennt. Es ist mein größter Wunsch, dass sie zu etwas wird, wo man mit Finger vorzeigen kann aha, mit Kopftuch ist man auch gescheit. Weil bei wenn man ähm (Pause) Putzfrauen sind sieht man das ja nicht. Ich lese sogar im Straßenbahn, in den öffentlichen Verkehrsmitteln BEWUSST deutsche Literatur dass die Mitmenschen sehen, dass ich auch Deutsch kann und ich lese auch gern Deutsch. Es ist klar, Zeitungen in Türkisch verstehe ich nicht SO wie die Zeitungen äh die aus Österreich die Deutsch sprechenden Zeitungen. Mein größter Wunsch ist sie soll einmal zu etwas bringen und wo sie ihre ganzen mit also wo sie die ganzen FRAUEN mit Kopftüchern RETTEN kann. Ich will nicht die Kopftuchweiber sind so oder tun nur das, was die Männern befehlen, das ist nicht wahr. Und für mich ist es sehr wichtig, dass ein Mann sich zu etwas äußert und eine Frau und nicht sagt mein Mann will das so. Es ist auch vielleicht auch unsererseits so dass die Frauen die nicht so gut Deutsch verstanden haben, wenn sie zum Beispiel nicht erklären haben können warum sie jetzt ein Kopftuch tragen dass sie eher gesagt haben ganz leicht mein Mann will das so, aber das ist nicht wahr und das ist keine Lösung. Dadurch glauben auch viele Österreicher, dass die Frauen nur nach dem Geschmack von den Männern so handeln. Aber man sollte sich auch ahm scheiden lassen können, wenn mein Mann mich dazu erzwingen würde, mein Kopftuch wegzureißen. Es wäre für mich ein hundertprotzentiger Scheidungsgrund, weil das ist mein Kopf und ich tu mit meinem Kopf was ich will.“ (Selma´s Mutter, 41)

Das letzte wichtige Motiv für die Mütter, aus dem sie sich eine gute Ausbildung für ihre Töchter wünschen, ist die Tatsache, dass viele von ihnen dazu gezwungen waren, ihre eigenen Schulausbildungen vorzeitig abzubrechen und an ihren Töchtern wieder gutmachen wollen, was ihnen verwehrt blieb.

„Mein größter Wunsch war Krankenschwester zu werden. Damals hatten wir eine Nachbarstochter, die nach XXX ging (Provinzhauptstadt mit Krankenpflegeschule). Wir waren im Dorf. Sie ging dort hin, sie sagte zu meinem Großvater und flehte ihn an, bitte Haci, Großvater, lass mich die XXX (Anm.: Dilara´s Mutter) auch mitnehmen, sie soll auch studieren gemeinsam mit mir. Er wollte nicht, er sagte nein. Er meinte, ich würde dann kein Kopftuch mehr tragen. Er war sehr dagegen, dass sich Frauen nicht verhüllten. Bitte verstehen sie mich nicht falsch. Sie wissen - die Älteren sind halt so.“ (Dilara´s Mutter, 44)

„Ich komme aus einer durchschnittlichen Familie. Das erste Kind, ich bin das erste Kind der Familie. Alle anderen sind jünger als ich. Ich bin die große Schwester. Einerseits die Verantwortung einer älteren Schwester und auch die Erwartungen meines Vaters mir gegenüber waren groß. Weil ich die älteste unter den Geschwistern war und andererseits bei uns, also ich bin beispielsweise Angehörige der 79er Generation. Damals schickte man in den ländlichen Gebieten Mädchen nur selten zur Schule. Sie gingen zwar zur Schule, aber weiter gingen sie dann nicht. Mein Vater hat alles versucht, mich studieren zu lassen. Und ich für meinen Teil, wenn ich es aus seiner Sicht betrachte, bei den Arbeiten zu helfen als ein älteres Kind. Das hat er sich auch erwartet. Aa, ja dann habe ich nach dem Gymnasium an den Universitäts-Aufnahmeprüfungen teilgenommen und war auch erfolgreich. Ich habe die Prüfung für das Lehramtstudium geschafft. Ich habe angefangen, aber nicht beendet, weil ich geheiratet habe. Der Mann, den ich geheiratet hatte war aus dem selben Dorf. Wir waren im selben Dorf. Wir haben uns geliebt, einander gefallen. Ich habe gegen den Willen meines Vaters geheiratet. Es war eine Heirat, die er nicht wollte, mit der er nicht einverstanden war. Er ist immer noch dagegen. Er würde nie einwilligen. Nachdem ich geheiratet hatte, musste ich mein Studium abbrechen. Es ist schwierig im Dorfleben, außerdem wurde ich innerhalb eines Jahres Mutter. Also mit 17, 18 Jahren bekam ich eine Tochter. Auch deshalb habe ich nicht weiter studieren können.“ (Fulya´s Mutter, 43)

„Was sind deine Erwartungen und Wünsche an deine Tochter?

Was ich mir speziell von meiner Tochter erwarte ist, ich meine ich habe sehr viele Probleme in meinem Leben gehabt. Und ee ich möchte nicht, dass meine Tochter auch so ist. Zumindest sollte sie auf ihren eigenen Füssen stehen können und dafür ist die Ausbildung sehr wichtig, denke ich.

Beispielsweise in ihrem Leben. Ich habe auch noch jetzt Probleme wie etwa die Sprache, oder Ausbildung betreffend und ich möchte nicht, dass meine Tochter das auch erlebt, sie soll einen Beruf erlernen, den sie will und sie soll dann auch machen, was sie will. Zumindest soll sie nicht das machen, was ich gemacht habe. Oder die problemreichen Zeiten erleben, die ich erlebt habe.“

(Derya´s Mutter, 35)

Sehr wichtig ist den interviewten Müttern, dass die Töchter eine gute Arbeit finden, um nicht in Abhängigkeit von einem Mann zu geraten, sie reagieren damit auf die Situation, dass viele Frauen in ihrem Bekannten- und Verwandtenkreis sowie sie selbst in unteren Segmenten des Arbeitsmarktes beschäftigt sind. Wilpert (1993) resümiert nach einer Analyse der Erwerbsbeteiligungsentwicklung von Frauen mit Migrationshintergrund, dass die allgemeine Frauenerwerbsquote seit 1985 zwar stetig zunehme, Mädchen beziehungsweise Frauen aus MigrantInnenhaushalten allerdings nicht in einem Ausmaß daran beteiligt sind, das ihrem zunehmenden Schulerfolg entsprechen würde. Vor allem bei Frauen mit Migrationshintergrund konstatiert Wilpert einen ansteigenden Schulerfolg, der sich aber nicht in besseren

Die Erwartungen der Mütter decken sich weitgehend mit den Plänen der Töchter.

Ausnahmen stellen hier diejenigen dar, die einen starken Druck von Seiten der Eltern spüren. Fulya ist dabei die einzige Tochter mit Druckerfahrung, die von einer wirklich egalitären Konfliktbearbeitung mit ihrer Mutter berichtet, und die bezüglich ihrer Ausbildung ihren eigenen Weg gewählt hat. Andere Töchter, wie zum Beispiel Abide, stehen von Elternseite her viel stärker unter Druck. Abide befindet sich zum Zeitpunkt des Interviews gerade mitten in einem Aushandlungsprozess über ihre Schulwahl.

Sie wechselte von einem fünfjährigen Zweig der HBLA in einen dreijährigen, der ohne Matura abschließt. Die Eltern sind mit dieser Entscheidung überhaupt nicht einverstanden, was in den Interviews nur von Abide´s Mutter und nie von ihr selbst artikuliert wird, nach dem Interview allerdings ganz eindeutig zu Tage tritt, indem die Mutter im informellen Gespräch nach den beiden Interviews alle anwesenden Erwachsenen dazu anhält, Abide die Vorteile einer Matura näher zu bringen.

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