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5. Theorie

5.3. Verwaltung, Reform, Diskurs

5.3.3. Soziales Kapital und Politische Kultur

Das soziale Kapital und die Politische Kultur eines städtischen Gemeinwesens verweist auf zwei weitere zentrale Bestimmungsfaktoren städtischer Engagement-Landschaften.

5.3.3.1. Soziales Kapital

Soziales Kapital kann verstanden werden als die gesellschaftsbindene Ressource, als der soziale Kitt, der den Zusammenhalt einer Gemeinschaft (innerhalb einer Gesellschaft) erst ermöglicht1. Der Minimalkonsens der unterschiedlichen Ansätze lässt sich dahingehend formulieren, ...

"[...]dass mit Sozialkapital die Gesamtheit all jener Ressourcen bezeichnet wird, die aus der Einbindung von Individuen in soziale Beziehungsnetzwerke resultieren[...]"(Braun 2011: 53)73. In Abhängigkeit des theoretischen Ansatzes und der Forschungsdisziplin nun würden unterschiedliche Aspekte in den Mittelpunkt gerückt, vom Verweis auf die Bedeutung sozialer Beziehungsnetzwerke bis hin zur Betrachtung von sozialem Vertrauen und Reziprozitätsnormen, allermeist aber wird die Bedeutung des Sozialkapitals als Kollektivgut hervorgehoben (ebd.: 54). Als öffentliches Gut wird dem sozialen Kapital dabei zentrale Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit moderner Gesellschaften zugeschrieben, indem es nämlich insbesondere drei gesellschaftliche Effekte nach sich ziehe: 1. eine funktionierende soziale Kontrolle, 2. ein generalisiertes soziales Vertrauen und 3. eine allgemein akzeptierte Geltung von sozialen Normen und Werten (Braun 2011: 55). Alle drei Effekte sind von großer Bedeutung für die Ausprägung des bürgerschaftlichen Engagements einer Stadtgesellschaft.

Neben den Arbeiten zum Sozialen Kapital bei Bourdieu und Coleman (vgl. hierzu ebenfalls Braun 2011:

56ff.), erscheint für die vorliegende Arbeit insbesondere das Putnam'sche Gedankengerüst bedeutsam (Putnam 1993, 1996). Putnam diskutiert soziales Kapital als gesellschaftliches Kapital, also in einer Makro-Perspektive. Er geht dabei grundlegen davon aus, dass die soziale Beziehung und Vernetzung innerhalb einer Gemeinschaft eng mit der Bildung demokratiefördernder Normen verknüpft sei. Diese sozialen Normen entwickeln sich Putnam zufolge kulturell und historisch und bildeten damit die Grundlage sozialer Struktur und Organisation. Soziales Kapital erscheine damit als Ressource auch für die Bereitstellung von Kollektivgütern, die eben nicht nur über staatliche Regulierung und Sanktionierung geschehen könne. Seubert (2011) verweist auf jenen beinahe schlichte Annahme:

73Der Begriff des Sozialkapital hat in der Wissenschaft und Politik seit Ende der 1970-er Jahre enorm an Popularität gewonnen, insbesondere mit dem Aufkommen der soziologischen und politikwissenschaftlichen Debatte um die Arbeiten von Pierre Bourdieu, James Colemann und Robert Putnam (vgl. Braun 2011; Zimmer & Vilain 2005:19-21). Weiterhin unterscheidet Braun zwei Verständnisse des Sozialkapitals, wonach auf der MikroebeneSozialkapital als eine an den sozialen Kontext gebunden "individuelle, instrumentell einsetzbare Ressource[gelte], die dem Individuum aufgrund dessen Einbindung in bestimmte soziale Netzwerke zur Verfügung steht"(ebd.:54). Auf der Makroebene erscheine das Sozialkapital hingegen "als Eigenschaft eines sozialen Systems wie z.B. einer Region oder einer Gesellschaft"(ebd.). Dabei gehe die Perspektive hier über das Individuum hinaus und strahlt gewissermaßen auf das Kollektiv aus: "Von diesem Sozialkapital profitieren alle Akteure eines sozialen Systems, ohne dass jede Person in den Aufbau oder Erhalt dieses Kollektivgutes investiert haben muss" (ebd.).

"Wenn wir uns zu gemeinschaftlichen Aktivitäten zusammenschließen, entwickeln wir Fähigkeiten der Kooperation, einen Sinn für Verpflichtung und Gegenseitigkeit sowie soziales Vertrauen, das auch über den partikularen Kontext, in dem es zunächst gebildet wurde, ausstrahlt.“(Seubert 2011: 41)

Diese Vergemeinschaftung – auf die bereits Max Weber mit seinen Ausführungen zur subjektiv gefühlten Zusammengehörigkeit (§9 in Wirtschaft und Gesellschaft) verweist – bildet einen entscheidenden Wert für das Individuum wie die soziale Gemeinschaft, so dass die individuellen sozialen Netzwerke steuerungs- wie demokratietheoretisch positive Wirkung zu entfalten vermögen.

Soziale Beziehungen führen dem Ansatz zufolge zum Aufbau jenes auch gesellschaftlichen sozialen Vermögens in Form von Vertrauensbeziehungen und Verpflichtungsempfinden. Diese letztlich sozialpsychologischen Resultate persönlicher Netzwerke führen zu einem Mehrwert für das Gemeinwesen und das darin eingebundene Individuum. Die Quelle jenes sozialen Vertrauens verweist bei Putnam dabei auf die Normen der Gegenseitigkeit wie auf die Netzwerke zivilen Engagements (Haug 1997: 6). Reziprozitätsnormen entstünden demzufolge, indem sie Transaktionskosten senkten und Kooperation erleichterten.

"Das Vorhandensein einer Norm [...] (Wie Du mir, so ich Dir) führt zu rückgekoppelten Prozessen: In Gemeinschaften mit hohem Vertrauen in die Einhaltung der Reziprozitätsnorm wird Austausch wahrscheinlicher und durch die Dauer der Austauschbeziehungen wird das Vertrauen gestärkt."(Haug 1997: 6)

Die weiterhin entstehenden Netzwerke zivilen Engagements würden darüber hinaus auf horizontale Interaktionsbeziehungen verweisen, die in vielfacher Weise die Vertrauensbeziehungen zwischen den involvierten Akteuren bestärken und die Ausfälle jener sozialen Beziehungen minimieren würden74. Als Bedingung einer gelingenden Verwaltungspolitik verweist Putnam in seiner Arbeit 'Making democracy work' (1993) auf jene politisch-kulturelle Dimension, wenn er vielzitiert formuliert:

„Good government in Italy is a by-product of singing groups and soccer clubs.“(Putnam 1993:

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Damit erscheint für Putnam also eine lebendige Zivilgesellschaft als eine der zentralen Erklärungsvariablen für eine gelingende lokale Politik und Verwaltung. Und jene gute Verwaltungspolitik wiederum ist die Voraussetzung für eine engagierte Zivilgesellschaft, die Brigitte Geißel (2007) zufolge nur dort florieren können, wo auf lokaler Ebene günstige Rahmenbedingungen bestünden. (ebd.: 27) Sebastian Braun verweist (2011) darauf, dass Putnams Konzept des Sozialkapitals seit den 1990-er Jahren nachhaltige Bedeutung in der wissenschaftlichen wie politischen Debatte erlangt habe, insbesondere in

74Die kritische Frage, die sich die Sozialkapital-Theorie in ihrer Entwicklung nun gestellt hat, ist die, inwiefern jenes soziale Kapital für die gesellschaftliche Integration oder aber zum Zwecke individueller Interessenvertretung nutzbar gemacht wird. Die Unterscheidung in die Konzepte des 'bridging-' und 'bonding capital' verweist auf jene Differenz. Für den Kontext kommunaler Engagementpolitik kann der Sozialkapital-Ansatz hoher Erklärungskraft beanspruchen, wenn angenommen wird, dass sich eine Zivilgesellschaft in hohem Maße auf Grundlage politisch kultureller Bedingungen ausformt. Und auch dabei stellt sich an zentraler Stelle die Frage, ob jenes soziale Kapital als 'bridging capital' nutzbar gemacht werden kann, oder als 'bonding capital' dazu dient, klientelische Interessen zu sedimentieren.

der Diskussion über Bürgerschaftliches Engagement. (Braun 2011: 5875) Mit den Formen kulturell entstandener sozialer Engagementsysteme in Form von Vereinen, Projekten, Initiativen und Netzwerken auf kommunaler Ebene würden sich jeweils kommunal spezifische Wertsphären etablieren, in denen Engagement zu Vertrauensbeziehungen und Reziprozitätsnormen führten (ebd.). Diese Kompetenzen und Dispositionen würden dann, so Braun, in habitualisierter Form auch auf andere Lebensbereiche übertragen:

"In diesem Sinne erstrecke sich z. B. das erworbene Vertrauen als 'generalisiertes Vertrauen' über alle gesellschaftlichen Bereiche und reduziere somit die Notwendigkeit zur sozialen Kontrolle. Abbau von sozialer Kontrolle hieße aber auch Reduktion von Kosten, und zwar im staatlichen ebenso wie im ökonomischen Sektor."(Braun 2011: 58)

Der Sozialkapital-Ansatz wird damit über die soziologische Forschung hinaus anschlussfähig an die ökonomische Theorie wie die politikwissenschaftliche Forschung, wo sie spätestens mit dem Enquete-Bericht (2002) eine normative Debatte über dieBürgergesellschaftausgelöst habe, "in der das Verhältnis von Rechten und Pflichten neu auszubalancieren sei und in der die Bürger umfangreichere Verantwortung für das politische Gemeinwesen zu übernehmen hätten". (vgl. Braun 2011: 59)

5.3.3.2. Politische Kultur

Jene hier angesprochene Debatte verweist nun auch die weitere theoretische Perspektive der vorliegenden Arbeit, wenn sie eben jene im Diskurs befindliche Justierung der Aufgabenverteilung zwischen Individuum und Kollektiv oder zwischen Bürger und Verwaltung über den Diskurs verwaltungspolitscher Leitbilder diskutiert. Die Dimension des Sozialen Kapitals innerhalb eines Gemeinwesens beeinflusst einer solchen Deutung zufolge also das innergesellschaftliche Vertrauen, die Ausbildung von Werten und Haltungen und damit letztlich auch die Begegnung des Bürgers dem Staate gegenüber. Die Politische Kultur eines Gemeinwesens kann in großer Nähe zu den oben diskutierten Sozialkapital-Theorien gestellt werden, insbesondere in Bezug auf kommunale Gemeinwesen.

Die Politische Kulturforschung nämlich verweist auf die spezifischen kulturellen Variablen, die zu einer ebenso spezifischen Haltung einer Bevölkerung in Bezug auf das eigene Herrschaftssystem führt. Dies kann, wie im Falle der klassischen Studie von Almond & Verba (1963) in Bezug auf ganze Länder geschehen, jedoch ist davon auszugehen, dass es weit kleinräumigere Differenzierungen sind, die zu ebenso spezifischen politischen Haltungen, Überzeugungen und Werten führen(Almond & Verba 1963).

Sogar die kommunale Ebene scheint sich in Bezug auf spezifische politische Werte noch voneinander zu unterscheiden (Wehling 2002), ebenso ist davon auszugehen, dass nicht nur regionale Bestimmungsmerkmale, sondern auch soziostrukturelle Bedingungen Einfluss auf die Haltung der

75vgl. hierzu auch Evers 2002Bürgergesellschaft und Soziales Kapital bzw. Haus 2002. Einleitung: Lokale Politikforschung als Frage nach Bürgergesellschaft und sozialem Kapital. In: Michael Haus (Hg.): Bürgergesellschaft, soziales Kapital und lokale Politik. Theoretische Analysen und empirische Befunde. Opladen: Leske + Budrich, S. 9–29

jeweilig eigenen "Herrschaft" gegenüber ausbilden, worauf die Sozialstruktur-Analyse in Bezug auf spezifische politische Milieus hindeutet (vgl. Frankenberger, Buhr & Schmid 2015). Die Einstellungen in Bezug auf die eigene Beteiligungsorientierung entwickelt sich demnach nicht zuletzt entlang kulturell-historischer, aber auch sozio-demographischer Variablen. Damit ist der Weg von Konzept des Sozialkapitals zur Politischen Kulturforschung nicht weit. Denn auch hier geht es um die Frage, inwiefern geschichtliche und kulturelle Erfahrungen Auswirkung auf politische Haltungen sowie Vor- und Einstellungen haben76.

76Beide Konzepte arbeiten also mit dem Referenzanker kultureller beziehungsweise historischer Entwicklungen. Beide Konzepte verweisen auf Terminologien wie Vertrauen und gesellschaftlichen bzw. gemeinschaftlichen Zusammenhalt. Während jedoch der Sozialkapital-Ansatz jene Analyse vor allen Dingen auf kleinräumige soziale Gemeinschaften anwendet (eben da sich soziales Kapital maßgeblich über persönliche Beziehungen ausbildet), können sich Analysen politischer Kultur auf ganz unterschiedlichen Ebenen ausformen, von der kleinräumig sublokalen Ebene bis hin zur Analyse nationaler politischer Gemeinschaften (Almond & Verba 1963).