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Exkurs: Die Engagementpolitik des Landes Baden-Württemberg

3. Bürgerschaftliches Engagement und Engagementpolitik

3.4. Engagement und Politik

3.4.3. Exkurs: Die Engagementpolitik des Landes Baden-Württemberg

3.4.3.1. Entwicklung der Engagementpolitik des Landes

In Bezug auf die Engagementpolitik nimmt das Bundesland Baden-Württemberg eine Sonderstellung ein, hierauf verweist bereits der Enquete-Bericht des Bundestages (Deutscher Bundestag 2002):

„Im Vergleich zu den anderen Bundesländern[...]stellt Baden-Württemberg eine Ausnahme dar. Hier hat sich mit der Engagementförderung seit 1990 inzwischen ein eigenes politisches Handlungsfeld mit eigenständigen Institutionen, hochrangiger politischer Bedeutung und wachsender Einbindung in übergreifende landespolitische Strategien herausgebildet[...]. Mit dieser Entwicklungsgeschichte nimmt Baden-Württemberg auf dem Gebiet der Engagementförderung eine Spitzen- und für viele andere Bundesländer mehr oder weniger explizit auch eine Vorbildposition ein. Diese Ansätze zu einer übergreifenden landespolitischen Gesamtstrategie zusammenzuführen, stellt in der Zukunft eine Herausforderung dar."

(Deutscher Bundestag 2002: 169)

Die Engagementförderung spielt in Baden-Württemberg eine zentrale Rolle, auch Wolf und Zimmer (Wolf & Zimmer 2012) verweist darauf, dass das Land bereits im Jahr 2000 das Ehrenamt in der Landesverfassung verankert habe und mit den resultierenden Programmen und Maßnahmen zum Vorbild für viele Landespolitiken geworden sei (ebd.: 90). Mit der politischen Würdigung korrespondiert auch eine hohe Engagement-Bereitschaft der Bevölkerung (vgl. Klie, Roß, Hoch et al. 2004), so dass die frühe politische Würdigung des Engagements erklärbar wird.

Insbesondere der von Lothar Späth im Sozialministerium etablierten Stabsstelle (unter Konrad Hummel) kann dabei eine besondere Bedeutung für die Entwicklung der engagementpolitischen Rahmenbedingen des Landes zugesprochen werden (vgl. Wolf & Zimmer 2012: 90). Diese Vorreiterrolle hat sich das Land im Verlaufe der vergangenen Jahrzehnte mit einer Politik erarbeitet, die konsequent auf die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements, eben auch als politische Aufgabe, zielt. Jene Entwicklung kann bis ins Jahr 2002 und mit dem Enquete-Bericht in vier Phasen unterteilt werden (Deutscher Bundestag 2002: 355):

1990-1993 das Landesmodell Seniorengenossenschaften 1994-1996 Initiative 3. Lebensalter

1996-2000 Landesprogramm Bürgerschaftliches Engagement sowie 1999-2002 Landesnetzwerk bürgerschaftliches Engagement

Höchst anschaulich wird die Entwicklung der baden-württembergischen Engagementpolitik durch die Lektüre des Artikels von Paul-Stefan Roß und Gottfried Wolf (Roß & Wolf 2010) sowie im Gespräch mit Konrad Hummel, einem der zentralen Protagonisten jener Entwicklung. Roß und Wolf (2010) verweisen auf den 6. Zukunftskongress der Landesregierung 1988, der auf Grundlage einer Konzeption des Sozialministeriums unter den Titel 'Altern als Chance und Herausforderung' gestellt wurde und dessen

Ergebnis (unter anderem) ein Aktionsprogramm mit dem Titel 'Aktives Alter – Initiativen Älterer Weiterbildung im Alter' war (Roß & Wolf 2010: 3). Nach einer USA-Reise des damaligen Ministerpräsidenten Lothar Späth und der Begegnung mit dem dortigen System zivilgesellschaftlicher Selbst- und Gemeinschaftshilfen wurde in Baden-Württemberg ein Projektmodell 'Seniorengenossenschaften' ins Leben gerufen. Die zugrunde liegende Idee verwies auf die Nutzung und Förderung zivilgesellschaftlicher Potenziale im Geiste eines kommunitaristischen und subsidiären Politik-und Gemeinschaftsverständnis. In die Praxis übersetzt ging es dabei darum, dass auf kommunaler Ebene ein informelles Selbsthilfenetz gespannt würde, in dem die involvierten Akteure sich gegenseitig zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten in ihrer eigenen Biographie unterstützen und die geleistete Gemeinwesen-Arbeit eines Tages selbst beanspruchen könnten35. Wenn mit der Stadt Riedlingen auch nur eine der Kommunen bis heute das Modell nachhaltig zu institutionalisieren vermochte und stabilisierend weiterentwickeln konnte, so bekommt die Idee noch immer viel Aufmerksamkeit. Nach der Etablierung der Seniorengenossenschaften folgten weitere Initiativen zum demographischen Wandel wie die 'Initiative 3. Lebensalter', deren Zielperspektive es war, ältere und alte Menschen wieder stärker in die Mitgestaltung der kommunalen Gemeinwesen mit einzubinden36. Mit der Einrichtung von Senioren-Anlaufstellen wurden die ersten kommunalen Trägerstrukturen geschaffen, die später vor allen Dingen in die Engagementförderung überführt wurden. Bis Mitte der 1990er Jahre entstanden 25 ähnliche weitere Projekte und Initiativen im Land und 1994 kam es zum Zusammenschluss dieser Initiativen mit den fünf Bürgerbüros und den Seniorengenossenschaften unter dem Titel 'Arbeitsgemeinschaft bürgerschaftliches Engagement/ Seniorengenossenschaften' (ARBES) (Roß & Wolf 2010: 4). Die Geschäftsstelle im Sozialministerium wurde 1994 entfristet (Roß & Wolf 2010: 4) und widmete sich fortan der Koordinierung der engagementpolitischen Maßnahmen im Land. 1995 folgte die Gründung der 'Arbeitsgemeinschaft zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements in Baden-Württemberg' und 1996 wurde das 'Landesprogramm Bürgerschaftliches Engagement' etabliert (ebd.). Mit jenen Gründungen verbreiterte und professionalisierte sich auch der Diskurs zum Thema. Während sich die Anfänge der Engagementförderung des Landes klar in der Altenhilfe und Senioren-Politik befinden, so öffnet sich der engagementpolitische Diskurs in Baden-Württemberg seither weit darüber hinaus und "tritt ein in die öffentliche Arena der Sozial- und Gesellschaftspolitik" (ebd.: 4f.).

Ziel jener neuerlichen Entwicklung war es, so resümiert der Enquete-Bericht der Bundesregierung für die Entwicklung der Engagementförderung in Baden-Württemberg) ...

"eine möglichst große Anzahl organisierter Akteure auf verschiedenen Ebenen – also sowohl auf örtlicher als auch überörtlicher Ebene – in Arbeitsgemeinschaften und Netzwerken in die

35Die Idee konnte sich nicht breit durchsetzen und die meistzitierte Kommune, die bis heute als Genossenschaft funktioniert heißt Riedlingen und liegt auf der Schwäbischen Alb. Vgl. FAZ-Online Artikel vom 4.1.2013: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/seniorengenossenschaft-altersvorsorge-ohne-inflationsangst-12014610.html Kontrollabruf 17.07.2015).

36„An fünf Standorten entwickelten sich in der Folge Strukturelemente, die als Vorläufer für jene kommunalen Unterstützungsstrukturen gesehen werden können, wie sie später in den Mitgliedskommunen von Städte-, Gemeinde- und Landkreisnetzwerk umgesetzt werden“ (Roß & Wolf 2010:4)

Engagement-Förderpolitik einzubinden und vor allem auch eine enge Kooperation mit den Kommunen aufzubauen. Zugleich haben sich die Schwerpunkte der Förderpolitik unter dem Eindruck konkreter Erfahrungen verschoben: Von einzelnen Initiativen über die Förderung kommunaler Infrastruktur hin zum Aufbau von Landesnetzwerken und Qualifizierungsangeboten, den so genannten 'Lernbausteinen'"(Deutscher Bundestag 2002:

169).

1999 wurde aus dem Landesprogramm das 'Landesnetzwerk bürgerschaftliches Engagement', gemeinsam mit dem Paritätischen Bildungswerk als Qualifizierungsträger und dem 'Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung' (zze) als Dienstleister für die Begleitforschung (Roß & Wolf 2010: 5).

Parallel hierzu kam es zwischen 1999 und 2001 zur Etablierung dreier interkommunaler Netzwerke: [1.]

Dem Landkreisnetzwerk, [2.] Dem StädteNetzWerk und [3.] Dem Gemeindenetzwerk (ebd.: 5). 2010 gehörten 28 Landkreise, 65 Städte und 115 Kommunen den drei Netzen an (ebd.). Ergänzt wurden und werden die Netzwerke bis heute durch "FaLBE", das Fachkräfte-Gremium im Landesnetzwerk bürgerschaftliches Engagement, des Zusammenschlusses von Fachkräften im Themenfeld (ebd.).

Die Etablierung und stete Weiterentwicklung dieser Städtenetzwerke und deren diskursive Verknüpfung mit dem Städtetag des Landes hat große Bedeutsamkeit für die spezifische Entwicklung der Engagementpolitik des Landes, aber insbesondere für die Aktivitäten und Strukturen in den Städten und Gemeinden. Die etablierten, kommunalen Netzwerke verweisen auf ein Spezifikum der baden-württembergischen Engagementpolitik und können mit einer Abbildung des Landesministeriums für Arbeit und Soziales und in Rückgriff auf die Publikation von Schmid (2010) wie folgt dargestellt werden (ebd.: 360):

Abbildung 7: Gremien des Landesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagement

Schmid 2010: 360 [in Rückbezug auf eine Abbildung des Landesministeriums für Arbeit und Soziales]

Der Regierungswechsel 2011 hat zur Ablösung der schwarz-gelben durch eine grün-rote Landesregierung geführt. Die neue Landesregierung scheint die hohe Priorität weiter zu verstärken, die die Engagementförderung seit Jahrzehnten genießt. Mit dem Regierungswechsel im Frühjahr 2011 wurde erstmals die Stelle einer Staatsrätin für Bürgerbeteiligung (direkt dem Büro des Ministerpräsidenten angegliedert) geschaffen. 2014 kam es weiterhin zur Verabschiedung einer landespolitischen 'Engagementstrategie'37, außerdem ist auf Ebene des Landes ein Partizipations- und Integrationsgesetz geplant (Gesemann & Roth 2015: 66).

Von Seiten der grün-roten Landesregierung findet das Thema Bürgerbeteiligung politisch große Aufmerksamkeit und genießt hohe Priorität:

"Die[...]erste grün-rote Regierungskoalition unternimmt den Versuch, Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie als wichtige demokratische Pfeiler auszubauen und in allen Politikfeldern zur Geltung zu bringen – nicht als Alternative, sondern als 'behutsame Ergänzung' der repräsentativen Demokratie [...]. Mit einer Staatsrätin für Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft am Kabinettstisch bzw. einer Beteiligungsenquete im Landtag werden institutionelle Knotenpunkte geschaffen, die eine dauerhafte und umfassende Beteiligungspolitik ermöglichen können."(Roth 2015: 355ff.)

Aufgrund der hohen politischen Priorität, die dem Thema auch unter der grün-roten Landesregierung zukommt, ist davon auszugehen, dass die oben strukturierten vier Phasen der engagementpolitischen Entwicklung des Landes Baden-Württemberg (seit dem Ende der letzten Phase 2005, s.o.) fortgeschrieben werden: Gut denkbar ist, dass eine fünfte, vielleicht sogar eine sechste Phase der engagementpolitischen Förderpolitik des Landes Baden-Württemberg formuliert wird. Die Jahre 2006-2011 verweisen auf eine Phase engagementpolitischer Kontinuität, bevor es mit dem Regierungswechsel 2011 zu einem neuerlichen engagementpolitischen Impuls kommt. Die jüngste Phase unter der grün-roten Landesregierung kann dabei insbesondere mit einer Bestärkung der lokalen Demokratie und Partizipation übertitelt werden, während sich die Entwicklungen bis dahin stärker an den Themen der Verwaltungsmodernisierung und des interkommunalen Netzwerk-Managements orientierten (vgl. Vetter, Geyer & Eith 2015).

37Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Senioren Baden-Württemberg (Hg.) (2014): Engagementstrategie Baden-Württemberg – Lebensräume zu „Engagement-Räumen“ entwickeln.

3.4.3.2. Einschätzung der baden-württembergischen Engagementpolitik

Überblickt man die Entwicklung und die Ausgestaltung der Landespolitik hinsichtlich engagementpolitischer Instrumente, so kann mit Zimmer festgehalten werden, dass sich ein großer Teil der Förderung auf kommunale Strukturen und Prozesse richtet (Wolf & Zimmer 2012). Dies gilt für Baden-Württemberg noch stärker als für die anderen Bundesländer:

"Die heterogene Ausgestaltung der Engagementpolitik auf Landesebene wirkt sich stark auf die kommunale Ebene aus. Dementsprechend lassen sich in den Bundesländern unter unterschiedlichen Bezeichnungen Anlauf- und Koordinationsstellen zur Förderung von Engagement und Ehrenamt finden. Auch bei den Anlaufstellen auf lokaler Ebene nimmt Baden-Württemberg eine führende Rolle ein. Hier sind die meist Stabsstellen genannten Einrichtungen im Kernbereich der Kommunalverwaltung angesiedelt." (Wolf & Zimmer 2012:

91)

Beispielhaft hierfür kann auch die Einrichtung des Städte- und Gemeindenetzwerkes angeführt werden.

In Baden-Württemberg wurde damit noch stärker als in anderen Bundesländern eine Architektur etabliert, die ganz zentral auf die kommunale Ebene und die gegenseitiger Vernetzung zielt. Die angeführten landespolitischen Maßnahmen zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zeugen davon, dass das Thema lange schon eine bedeutsame Rolle in der Landespolitik Baden-Württembergs spielt, ungeachtet der politischen Farbenlehre und über alle Parteigrenzen hinaus. Die bekanntermaßen bislang weitgehend bürgerlich-konservativen Regierungskoalitionen des Landes haben sich mit dem bürgerschaftlichen Engagement einer progressiven Politik verschrieben, die nicht zum Kernbestandteil konservativer Politik gehört. Insbesondere die Reformdebatten zur lokalen Demokratie und politischer Partizipation führen bis heute zu politischen Kontroversen. Es erscheint wahrscheinlich, dass mit Lothar Späth ein angesehener und charismatischer Landesvater in den frühen 1990-er Jahren ein Thema in die Landespolitik eingesteuert hat, das in den Kommunen einen Nerv getroffen hat. Damit würde sich die von Schmid (2010) diskutierte Bedeutung des Ministerpräsidenten für die engagementpolitische Entwicklung eines Bundeslandes bestätigen (vgl. 3.4.2.2, S.48ff.). Neben der Bedeutung der Person des Ministerpräsidenten erscheinen der vorliegenden Arbeit noch weitere Gründe ausschlaggebend für die Bedeutsamkeit, die das bürgerschaftliche Engagement und dessen politische Koordinierung und Förderung in Baden-Württemberg erlangen konnte:

 Die Bedeutung ländlicher Gebiete: Baden-Württemberg ist gekennzeichnet durch eine kleinräumliche Strukturierung. Trotz eines großstädtischen Ballungsraums zwischen Stuttgart und Karlsruhe, haben die ländlichen Regionen Baden-Württembergs mit vielen mittelständischen Firmen hohe Wirtschaftskraft und die Mittelstädte mit einer Einwohnerzahl von 20.000 bis 100.000 Einwohnern spielen für das Flächenland eine bedeutende und selbstbewusste Rolle. Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist auch für viele der ländlichen Gebiete eine weitgehend stabile Bevölkerungsentwicklung prognostiziert.

 Die Politische Kultur: Weiterhin erscheint die politisch-kulturelle Prägung in beiden Landesteilen (Baden und Württemberg) der Gestalt, dass vielfach auf das Potenzial und die Gestaltungskräfte der eigenen Gemeinschaft verwiesen wird und der Stolz auf die eigenen Errungenschaften in erster Linie und immer wieder gerne auf die spezifischen Wesensarten zurückgeführt wird.

Dieses Lokalkolorit ist sicherlich auch in den meisten anderen Bundesländern vorzufinden,

jedoch wird jene Selbstwahrnehmung in Baden-Württemberg vereinfacht durch eine starke wirtschaftliche Prosperität und Kommunen, die nicht im selben Maße mit den Herausforderungen konfrontiert sind, wie dies beispielsweise in vielen der Regionen und Städte des Ruhrgebietes oder den demographischen Herausforderungen vieler ostdeutscher Kommunen der Fall ist (allgemein zur Politischen Kultur Greiffenhagen & Greiffenhagen 2002, zur Relevanz kommunaler Spezifika Wehling 2002).

 Wirtschaftliche Prosperität und christliche Ethik: Die ökonomische Wohlständigkeit des Landes und der relative Reichtum der Bürgerinnen und Bürger des Landes erleichtern die Entwicklung engagementpolitischer Beteiligungsformate. Neben diesem Argument sei auch noch auf den Gedanken Max Webers verwiesen, der in seiner Arbeit "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" (ursp. 1905) auf einen Zusammenhang verweist, der eine Korrelation zwischen einer spezifischen Geisteshaltung mit einem korrespondierenden Arbeitsverständnis verbindet (Weber 1934). Anschlussfähig hieran ist die Arbeit von Wolfgang Maaser, der (2010) die Bedeutsamkeit von spezifischer Hilfe- und Partizipationskonzepte in Rückbezug auf unterschiedliche Modelle der politischen Ideengeschichte diskutiert und in Bezug auf christlich geprägte Gemeinschaften auf einen spezifischen Unterstützungstypus kommt: "Im Vordergrund stehen die personalen Nahbeziehungen oder das korporatistische Engagement in religiösen Einrichtungen mit sozialarbeiterischer Ausrichtung – Organisationen, die es auch durch Spenden, die zumeist aus dem milieuaffinen Umfeld gewonnen werden, zu unterstützen gilt"

(Maaser 2010: 161)38.

Die hier dargestellten Argumente mögen die Entwicklung kommunaler Engagementpolitik zu einem gewissen Maße erklären. Abseits all dieser Argumente sei an dieser Stelle nochmals darauf verwiesen, dass sich der engagementpolitische Diskurs seit den 1990-er Jahren maßgeblich als Paralleldebatte zu den Reformdebatten des Wohlfahrtsstaates entwickelt hat, auch in Baden-Württemberg.

Bürgerschaftliches Engagement kann kommunale Haushalte entlasten, aus diesem Grund wird eine jede Verwaltung und Staatskanzlei auch in Ihren wohlwollenden Programmen und Reformen immer darauf blicken, was es kostet und was es bringt. Wenn auch unermüdlich das Gegenteil behauptet wird, so geht es der Engagementpolitik immer auch um die Frage, inwieweit sie die Investition letzten Endes auszahlt, gesellschaftlich, politisch oder ökonomisch. Der 'Pay-Off' der Engagementpolitik zeigt sich womöglich langfristig in der Bestärkung des sozialen Kapitals innerhalb eines Gemeinwesens, doch diese Interessenbedingtheit engagementpolitischen Handelns erscheint in der Analyse wie auch der Debatte zum bürgerschaftlichen Engagement so notwendig wie selten ausgesprochen.

38Wolfgang Maaser (2010) diskutiert die Entwicklung des Engagements aufgrund reformpolitischer Leitbilder als Ausdruck spezifischer Hilfe- und Partizipationskonzepte der politischen Ideengeschichte (Maaser 2010, insb. 153-171). Die zugrunde liegende Vorstellung besagt, dass spezifische Geisteshaltungen und kulturgeschichtliche Epochen zu bestimmten Hilfe- und Fürsorgetraditionen führten, die sich in bestimmten Formen bürgerschaftlichen Engagements ausprägten. Maaser geht von einer "Mitleidskultur des Liberalismus" aus, führt über eine "Gesellschaft als Raum des deliberativen und engagierten Humanismus" bis hin zur "Fundamentalkritik [und dem] christliche[n] Altruismus" (ebd. 155-158) nachzeichnet:

"Ein eher auf Ich-Du-Beziehungen abzielendes Verständnis des Helfens findet sich vor allem in liberal-besitz[-]individualistischen Entwürfen und deren empfohlener Kultivierung des Mitleids sowie im obrigkeitsorientierten und organologischen Sozialverständnis religiöser Barmherzigkeitskulturen. Jenseits der liberalen Konkurrenzgesellschaft eröffnen sich Räume des Helfens und der Humanisierung des Zusammenlebens, sei es als mitleidmotivierte und auf Gegenseitigkeit durch geklärte menschliche Hilfe oder als altruistisch-religiöse Praktik der Nächstenliebe. Im Vordergrund stehen die personalen Nahbeziehungen oder das korporatistische Engagement in religiösen Einrichtungen mit sozialarbeiterischer Ausrichtung – Organisationen, die es auch durch Spenden, die zumeist aus dem milieuaffinen Umfeld gewonnen werden, zu unterstützen gilt" (Maaser 2010:161). Maaser zufolge entwickelte sich also das frühe Engagement des Liberalismus, des Humanismus, aber auch der christlichen Altruismus explizit als "vorpolitische Aktivität" (ebd.: 161), was Maaser selbst darauf zurückführt, dass die Gesellschaft als Handlungsraum zu Zeiten "keinerlei politische Bedeutung [im engeren Sinne] beigemessen" wurde (Maaser 2010:161).