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5. Theorie

5.1. Leitplanken der Theorie

5.1.1.Der spezifische Charakter der Stadt

Politikwissenschaftlich ist die Stadt die unterste Verwaltungseinheit unseres Gemeinwesens, gesellschaftlich betrachtet auch ein historischer und kultureller Kollektivraum.

Hellmut Wollmann diskutiert (2002) jene 'Doppelstruktur' als politische wie gesellschaftliche Einheit.

(ebd.) Was die Regionalwissenschaft und Stadtforschung seit einigen Jahren mit dem Konzept städtischer Eigenlogik diskutiert (Zimmermann, Barbehön & Münch 2014), verweist zurück auf jenen spezifischen Charakter kommunaler Gemeinwesen als kulturelle, historische und geographische Orte.

Der Untersuchungskontext Stadt erscheint dabei "sowohl geprägt durch als auch prägend für einen räumlich und zeitlich spezifischen Kontext mit seinen historisch gewachsenen sozialen Institutionen und Konventionen" (ebd.: 166): "Werden nun Städte als ganzheitliche Sinnzusammenhänge begriffen, so ist davon auszugehen, dass sich auch je lokalspezifische Perzeptionen und Deutungen politischer Realität ausprägen, die als kollektiver Möglichkeitsraum das Handeln politischer Akteure organisieren". (ebd.) Indem Städte damit nicht mehr nur als Verwaltungseinheit eines übergeordneten Systems verstanden werden, sondern als jeweilig ganz eigene Untersuchungsräume, verweist dies auf ihr "spezifisches Potenzial der Konstruktion, Artikulation und Beförderung des Gemeinwohls der ‚Stadtgesellschaft‘“ (Haus 2010b: 177), so dass sie als "Arenen kollektiven Handelns" (ebd.) auf eine „neuartige [...] Logik der Institutionenpolitik und des Institutionendesigns“ hindeuten. (ebd.: 177) Hieraus kann eine "These der Rückkehr der Städte als kollektive Akteure und Arenen der Konstruktion von Gemeinwohlvorstellungen“ (ebd.: 177) geschlussfolgert werden, welche die Arbeit in die Debatte „institutioneller Verfasstheit der lokalen Ebenen“mit jenen „übergreifenden Diskursen von Staatsaufgaben“ führt (ebd.: 167)52. Eine solche

52Die Entwicklung politischer wie administrativer Strukturen auf lokaler Ebene lässt sich nur in Verbindung mit den übergeordneten Diskursen zu den Staatsaufgaben verstehen. Michael Haus verweist (2010) darauf, dass die staatliche Institutionenpolitik vielfach als institutionelle Ermöglichung von lokaler Modernisierungsansätze diene. Dies korrespondiert mit der oben dargelegten Einschätzung, dass Diskurse des Designs institutionellen Wandels der lokalen Ebene von einer Konkurrenz unterschiedlicher Diskursgemeinschaften geprägt sind, die aber untereinander Schnittmengen bzw. gemeinsame institutionenpolitische Fokussierungen aufweisen können (vgl. Heinelt 1997 für die deutsche Diskussion). Das gemeinsame Problem liegt in der Suche nach Gestaltungsspielräumen des Regierens in komplexen Akteurs- und Ebenenkonstellationen unter Einbezug sozietaler Akteure. So ist der Governance-Diskurs von der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher konzeptioneller Bezugspunkte geprägt, deren Komplementarität zumindest nicht als trivial begriffen werden kann“ (Haus 2010:175). Jener Gedanke führt dabei wieder zurück zu den

Forschungsperspektive korrespondiert mit einer Debatte, die in der Politikwissenschaft, der Soziologie und der Kulturgeographie einen spezifischen Fokus auf den Stadtraum werfen (vgl. Benz 2012). Dies beschreibt die Erforschung des urbanen Raumes (Blatter 2008) gleichermaßen wie regionale Netzwerkstudien oder die Diskussion von Steuerungsformen innerhalb lokaler Governance-Architekturen (Lang & Tenz 2007).

Das heißt nicht, dass den zentralen Einflüssen der übergeordneten Ebenen und Entscheidungen (der Polity) nicht maßgeblicher Einfluss auf die Entwicklung kommunaler Engagementpolitik eingeräumt würde. So hat sich bereits in der bisherigen Arbeit gezeigt, das sowohl die bundes- als auch die landespolitischen Maßnahmen und Diskurse starken Einfluss auf die Entwicklungsbedingungen kommunaler Engagementpolitik haben. (3.4, S.45ff.) Abseits der legalen Polities entwickelt sich jede Stadt und Gemeinde aber auch als kulturelles und historisches Gemeinwesen, ein bislang von der Forschung weitgehend unterbelichtetes Faktum. (vgl. Zimmermann, Barbehön & Münch 2014) Eine solche Eigenlogik von Städten, aus der die Bedeutsamkeit lokaler Governance-Perspektiven gefolgert werden kann, erscheint für die lokale Engagementpolitik von besonderer Relevanz, weil städtische Engagement-Landschaften und -kulturen nicht 'legal' eingerichtet und Top-Down institutionalisiert werden können. Bürgerschaftliches Engagement steht (einer solchen Perspektive folgend) in enger Beziehung zur Politischen Kultur und Geschichte einer Stadt (Wehling 2002), wie auch zur räumlichen Struktur und dem soziostrukturellen und -ökonomischen Determinanten der jeweils untersuchten Kommune.

5.1.2.Verwaltungspolitik im Wandel

Seit über zehn Jahren diskutiert die Verwaltungswissenschaft die Bedeutsamkeit lokaler Koproduktion und zivilgesellschaftlicher Dienstleistung, dies geschieht über theoretische Leitbild-Diskurse (vgl. Jann 2002) wie über konkrete Konzeptionen wie das Modell der Bürgerkommune. (vgl. Bogumil & Holtkamp 2011) Jene Orientierung auf die neuerliche Berücksichtigung der Beteiligungspotenziale bürgerschaftlichen Engagements folgt auf einen verwaltungspolitischen Binnendiskurs der 1990-er Jahre, der sich maßgeblich durch die Institutionen- und Bürokratiekritik auszeichnete, und der in der Diskussion des Neuen Steuerungsmodells mündete (vgl. Jann 2011). Die 2000-er Jahre nun öffneten die Verwaltungsperspektive in dem gesellschaftlichen Raum, so dass nun auch Netzwerkstrukturen abseits der administrativen Organisation Berücksichtigung finden.

bereits diskutiertenDrei Welten demokratischen Handelnsund der gegenseitigen Verschränktheit des Leitbilddiskurses mit der Ausbildung politischer und administrativer Institutionen. Die Bedeutsamkeit der lokalen Ebene nun sieht Haus insbesondere mit einer Krise des staatszentrierten Integrationsmodells (177) aufkommen und stellt sich in diesem Kontext die Frage, inwiefern die lokale Ebene hier eine bedeutendere Rolle einnehmen könnte.

Das Aufkommen einer kommunalen Engagementpolitik kann nur in Rückbezug auf jene Perspektiverweiterung verstanden werden. Zu deren theoretischer Kontextualisierung setzt sich die Arbeit mit zwei verwaltungspolitischen Modellen auseinander, 1. den 'verwaltungspolitischen Leitbildern', wie sie Werner Jann diskutiert (Jann 2002) sowie 2. den 'Diskurskoalitionen' von Hubert Heinelt (Heinelt 2008). Die Verwaltungswissenschaft diskutiert jene Reformkonzepte und Leitbilder maßgeblich in Bezug auf das Selbstverständnis, die Aufgaben, die Struktur und Kultur der kommunalen Verwaltung. Indem die Verwaltung nicht mehr als 'closed shop' agiert oder sich als Maschine versteht, die sich weitgehend selbst genügt, sondern sich immer stärker in den gesellschaftlichen Raum öffnet, verändert sich auch der verwaltungswissenschaftliche Diskurs und die Politik der Rathäuser gerät damit stärker in Abhängigkeit lokaler Engagement-Landschaften.

Die Entwicklung des Politikfeldes kommunaler Engagementpolitik vollzieht sich maßgeblich innerhalb eines städtischen Diskurses, der explizit auf Innovationsmechanismen kommunaler Politik und Verwaltung zielt: Den (im lokalen Kontext) etablierten verwaltungspolitischen Institutionen (Beauftrage für Bürgerengagement, Leitlinien zur Engagementförderung, Einrichtung von Stabs- und Anlaufstellen) geht es einerseits um konkrete Förder- und Vernetzungsaufgaben in Bezug auf das bürgerschaftliche Engagement, zugleich aber erscheinen sie als Resultat eines innerstädtischen Diskurses zum Wandel von Politik und Verwaltung und damit Träger eines spezifischen normativen Leitkonzeptes.

5.1.3.Diskurse, Institutionen und Leitbilder

Kommunale Engagementpolitik ist eine freiwillige städtische Aufgabe (vgl.4.1, S.59ff.). Die Institutionen kommunaler Engagementpolitik (Engagementpolitische Konzeptionen, Spielregeln zur Bürgerbeteiligung, Gemeinderatsbeschlüsse etc.) werden daher als normatives Sediment bzw. Top-Down-Ablagerung des verwaltungspolitischen Diskurses innerhalb einer Stadtgesellschaft verstanden.

Jene Sedimente können sich als Stabsstelle für Bürgerengagement ausformen, als Gemeinderatsbeschlüsse zum Umgang mit dem Bürgerengagement oder sie können sich als Regeltreffen oder Netzwerke mit Akteuren der Stadtgesellschaft abbilden. Die resultierenden Institutionen werden mit Lepsius (2013) als soziale Formen zwischen einer Idee (bzw. einem Wert) und deren (dessen) Verhaltensstrukturierung verstanden (ebd.: 27): Es sind also innerstädtische Diskurse, die zu einer spezifischen engagementpolitischen Institutionalisierung führen. Die Frage nach der Herstellung einer legitimen Ordnung, auf die sich Lepsius (2013) zufolge jeder Institutionalisierungsprozess zurückführen lässt, diskutiert die Arbeit anhand der verwaltungspolitischen Debatte, wie sie Hubert Heinelt (2008) mit seinem Modell der Diskursgemeinschaften aufwirft (vgl.5.3.1.6, S.101). Die resultierenden Institutionen können dann als Spiegel jener Debatte gedeutet werden, die sich jeweilig zwischen Stadtrat, Verwaltung, Oberbürgermeisterbüro und Zivilgesellschaft vollziehen. Zur Erforschung

der Etablierung kommunaler Engagementpolitik greift die vorliegende Arbeit daher auf eine spezifische Ausprägung des neoinstitutionalistischen Diskurses zurück, einen sogenannten 'kulturalistisch-interpretativen' (Haus 2005: 14) Debattenstrang, letztlich eine Spielart der interpretativen Policyforschung53(vgl. Nullmeier 2012). Einer solchen Methodologie verpflichtet widmet sich die Arbeit in engem Rückbezug zur Habilitationsschrift von Michael Haus (2010b) der Analyse engagementpolitischer Institutionen und dezidiert der normativen Debatte auf der Suche nach der 'guten Ordnung', eine Perspektive, wie sie anhand der Arbeit von Renate Mayntz (2004a) noch hergeleitet werden wird (vgl.5.2.3, S.86ff.).

5.1.4.Lokale Governance

Die spezifischen Forschungsperspektiven, wie sie bis hierher diskutiert wurden, finden ihren Begründungszusammenhang im Konzept einer lokalen Governance. Die Governance-Perspektive beschreibt die theoretische Rahmung der Arbeit, eine Art sozialwissenschaftliches Narrativ und Interpretationsschablone für die folgenden analytischen Schritte. Mit Rolf Heinze (2009) kann die Rückkehr jener sozialwissenschaftlichen Perspektive im politischen Diskurs hergeleitet werden:

"Der Verlust der ökonomischen Deutungslogik in zentralen gesellschaftlichen Steuerungsfragen hat aber Raum geschaffen für sozialwissenschaftliche Analysen, die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht im engen Korsett einer auf Nutzenmaximierung beruhenden Kapitallogik beschreiben, sondern auf die Wechselwirkungen zwischen der Ökonomie, sozialen und politischen Strukturen eingehen."(Heinze 2009: 13)54

53Der Verdienst der interpretativen Policyforschung besteht in der Sensibilisierung interpretativer Argumente in Bezug auf den eigenen Forschungskontext: "Allgemein kann man alle Ansätze der Ermöglichung von kritischer Reflexion unter Berücksichtigung unterschiedlicher Deutungs- und Wissenshorizonte und unter Infragestellung der Deutungshoheit von Experten zum informalen Ansatz des Institutionendesigns zählen" (Haus 2010b:82). Haus spricht von 'Aufmkersamkeitszyklen', denen die Politik wie auch deren diskursives Umfeld unterworfen seien (ebd.

82). "Ein erster Schritt liegt hier darin, nicht nur die politischen Akteure, sondern auch sich selbst in seiner Eigenschaft als Wissenschaftler als in solche Aufmerksamkeitszyklen involviert zu begreifen" (Haus 2010:82). Die Debatte der interpretativen Policyforschung hat damit entscheidend dazu beigetragen, dass die Bedeutung von Wissensbeständen, Selbstverständnissen, Ideensystemen und Diskursen in den Sozialwissenschaften in den Fokus zu rücken, darauf verweist Nullmeier (2012) in seinem Artikel hierzu (ebd. 37). Nullmeier schreibt, dass die interpretative Policyforschung oftmals damit argumentiere, ein Phänomen nicht (kausal) erklären, sondern sinnhaft verstehen zu wollen (Nullmeier 2012:37)53. Der Autor problematisiert die Kritik, die einer solchen Haltung vielfach entgegenschlägt: "Interpretative Ansätze haben sich auf Beschreibung und Kritik konzentriert, aber das Erklären nicht als ihre zentrale Aufgabe angesehen." (Nullmeier 2012: ebd. 37) Das einer solchen Perspektive zugrunde liegende methodologische Verständnis grenzt Nullmeier daher auch klar von einer klassisch-positivistischen Wissenschaftstheorie ab:

"Wie die Welt der empiristischen Kausalanalyse [...] aus Kausalitäten bzw. Ursache-Wirkungs-Ketten besteht und die erste analytische Tätigkeit darin bestehen muss, etwas als Ursache oder Wirkung zu bestimmen, also die Welt in Variablen aufzulösen, die dann in Kausalanalysen entweder als unabhängige oder abhängige (oder auch intervenierende) [Variable] eingehen können, so muss eine interpretative Analyse die Welt als Praxis auflösen in Praktiken, um sie weiterer Analyse zugänglich zu machen" (Nullmeier 2012:46). Jene "Auflösung der Welt in Praktiken" verweist auf die kulturalistische Orientierung, der zufolge sich die jeweilige institutionelle Praxis und Struktur an spezifischen Ordnungen, Debatten und kulturellen Systemen orientiert, die sich nicht kausal-analytisch ableiten lassen. Eine entsprechende Analyse müsse Michael Haus (2010) zufolge über die Bestimmung informeller Logiken des institutionellen Designs arbeiten (Haus 2010:81f. in Rückbezug auf Dryzek 1996:106). Entscheidend sei letztlich "der Einbau von Reflexionsschleifen in Praktiken des Institutionendesigns und die Öffnung für unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten im öffentlichen Diskurs" (Haus 2010:82). Dabei geht es gleichermaßen um die Bedeutung von Ideensystemen, Diskursen und Wissensbeständen, wie aber nicht selten auch um eine Dekonstruktion des wissenschaftsinternen Prozesses der Identifizierung und Realisierung der Wissensproduktion selbst (ebd., vgl. Saretzki 2012; Nullmeier 2012; Pützl & Wydra 2011).

54Für die vorliegende Forschung erscheint eine Governance-Perspektive aus zwei Gründen besonders bedeutsam: Der obenstehend dargestellte spezielle Charakter der "Stadt", wie er von Wollmann (2002) so prägnant diskutiert wurde bedingt einerseits eine Berücksichtigung gesellschaftlicher und historisch-kultureller Perspektiven indem die unterste Politik- und Verwaltungsebene durch die räumliche Verortung und große Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern nicht in der selben Weise untersucht werden kann, wie dies für die Ebenen des Bundeslandes oder des Landes möglich ist. Die Wirksamkeit einer lokalen "Politischen Kultur" (Wehling 2002) wie die Bedeutsamkeit städtischer "Eigenlogiken"

(Zimmermann, Barbehön & Münch 2014) bedingen eine ganz eigene Forschungsperspektive lokaler Engagementpolitik.

Jenseits der postulierten 'Rückkehr des Staates' (Heinze 2009) lässt sich eine (dezidiert normativ orientierte) Governance-Perspektive auch mittels einer Argumentation von Renate Mayntz (2004a) begründen und für den spezifischen Untersuchungsgegenstand in die lokale Politikforschung (Heinelt &

Haus 2005, Haus 2010b) überführen. Mit den letztgenannten Autoren wird die Notwendigkeit einer stärkeren Input-Orientierung politischer Legitimation argumentiert. Die 'Drei Welten Demokratischen Handelns' (Heinelt & Haus 2005: 32, vgl.5.2.4, S.88) eröffnen der Arbeit eine theoretische Perspektive zur Anbindung der Governance-Orientierung an die übergeordneten Leitbild-Diskurse, die gewissermaßen von der Meta-Ebene 'hinunter-diffundieren' in die (vermittelnden) Institutionen und (konkreten) Politiken.

Die vorliegende Arbeit argumentiert mit Michael Haus (2010b: 166) dahingehend, dass sich die Entwicklungsperspektiven lokaler Governance als zentrale Herausforderungen für zukünftiges Regieren einstellten, wobei es um die "Vermittlung von 'enthierarchisierter' Kooperation einerseits und staatlicher Autonomiebehauptung andererseits" (ebd.: 166) geht, wie es einem im Aufeinandertreffen des bürgerschaftlichen Engagements und der verwaltungspolitischen Hierarchien begegnet. Jene Schnittstelle zwischen klassischer Verwaltungspolitik und zivilgesellschaftlichen Handlungsmodi verweist auf "kreative Erneuerungsversuche und innovative Politikansätze" (ebd.: 165) innerhalb der Institutionenlogik städtischer Rathäuser.