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Der etwas andere Titel zum Schluss:

Im Dokument Unternehmerin Kommune: (Seite 70-75)

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INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN

der ganze Heerscharen von Zensoren in inqui-sitorischer Manier über Grass und später Stritt-matter herfielen. Die zweite Identität besteht in dem Faktum, dass aus der bloßen Zugehörigkeit zu einer militärischen Formation, die im öffent-lichen Bewusstsein per se als verbrecherisch galt, ein Verbrechen abgeleitet wurde. Dabei igno-rierend, dass natürlich auch viele Einheiten der Wehrmacht Greueltaten verübt hatten, dass die Waffen-SS in den kämpfenden Militärapparat des Nazireiches integriert war, und mit dem Repressionsorgan SS nur den Namen gemein-sam hatte. Viel schwerer aber wiegt, dass bis heute weder Grass noch Strittmatter auch nur ansatzweise die Beteiligung an Kriegsverbrechen nachgewiesen werden konnte. Da aber Legionen von Aufdeckern mit geradezu fanatischem Eifer nach Belegen dafür suchten, kann man getrost folgern, dass da eben nichts zu finden war.

Schließlich und endlich sei als dritte Über-einstimmung erwähnt, dass die eher margina-len biographischen Retuschen in den Rang von Staatsverbrechen erhoben wurden. Nur wenige waren es, die diesem Generalverdikt öffent-lich entgegentraten. Deren Voten schafften es im Regelfall nicht in die Feuilletons. Aber die Befunde waren richtig: Die populistische, poli-tische Korrektheit vorgebende Debatte machte Mücken zu Elefanten. Sie negierte die histori-schen Umstände, mit denen die Unkorrekt-heiten plausibel zu erklären waren. Und sie

„vergaßen“, dass die beiden handelnden Perso-nen sehr jung waren und mithin auch besonders berechtigt zu irren und auch zu fehlen.

Die Biographie über Erwin Strittmatter von Annette Leo greift zu Recht die Diskussion um die unkorrekten Angaben im Lebenslauf des Dichters auf. Was ich der Autorin, deren Werk ich gleich auch loben werde, aber vorwerfe: sie nimmt diesen Sachverhalt zu wichtig, viel zu wichtig. Er ist die knapp 200 Seiten – das sind fast 50 Prozent des Buches – nicht einmal ansatz-weise wert. Annette Leo ist stolz, dass sie die erste war, die für ihre Strittmattersche Lebensge-schichte Dokumente der Familie in Augenschein nehmen durfte, die vor ihr noch kein Außenste-hender zu Gesicht bekommen hatte. Was sie aus dieser Lektüre präsentiert, ist an Substanz eher dürftig. Und weil auch Leo keinen Beleg dafür findet, dass Strittmatter als Angehöriger der Poli-zeibataillone 325 und 18 Verbrechen begangen oder daran duldend mitgewirkt hat, erzählt sie uns die Geschichte dieser Einheit und assoziiert damit – gewollt oder ungewollt – dass aus der Tatsache, dass selbige an Kriegsverbrechen betei-ligt gewesen sei, gefolgert werden könnte, dass auch Strittmatter involviert war. Da die Autorin an vielen anderen Stellen der Biographie kluge und fundierte Wertungen trifft, verwundert, dass sie es ausgerechnet im Kontext mit der

Militär-zeit von Strittmatter nicht tut. Ausgesprochen ärgerlich sind die Fragezeichen, die sie in der Diktion „es könnte aber so (schlimm) gewesen sein“ mehrfach setzt. Das ist aber weder sachlich begründet, noch historisch korrekt.

Der DDR wird immer wieder vorgeworfen, ihr Antifaschismus sei verordnet und lediglich Symbolismus gewesen. Hier ist nicht der Platz, um sich mit dieser im Grundsatz falschen Eti-kettierung auseinanderzusetzen. Aber in der Biographie hätte man sich eine Kommentierung von Annette Leo zu dem Faktum gewünscht, dass die Polizeibataillone, in denen Strittmat-ter diente – das gilt im übrigen für sehr viele militärische Formationen – in Westdeutschland Gegenstand einer wohlmeinenden und langjäh-rigen Traditionsbewegung war, während in der DDR damit nicht renommiert werden konnte.

Letztere Variante ist mir im Zweifelsfalle lieber, und damit will ich es denn auch bewenden lassen.

Der Rezensent ist Strittmatter-Fan. Er hat alle seine Texte gelesen. Und fast alle sind der Lektüre mehr als wert. Selbst wenn der Dichter ein Lump gewesen wäre, bliebe diese literarische Wertung gültig. Er war aber kein Lump, und dass seine Texte über seine Zeit hinaus gültig sind, liegt erstens am Talent eines großartigen Autors und zweitens daran, dass dieser wirklich ein Leben gelebt hat. Natürlich mit allen Brü-chen, die das eben nicht immer gnädige Schick-sal bereit hält. Das beschreibt Annette Leo in jenem, quasi zweiten Teil ihres Buchs, das sich nicht dem Militärdienst Strittmatters widmet, in instruierender Weise. Sie zeichnet das Bild eines

Mannes, der sich vor allem deshalb in der Prig-nitz die Schulzenhof-Diaspora-Idylle baute, weil er sich nicht anpassen wollte. Darüber erzählt sie plausibel, und sie hat darüber hinaus viele Beispiele recherchiert, in denen sich Strittmatter aus seinem Wald- und Seen-Domizil aufrecht, mannhaft und gegen den Zeitgeist für Men-schen eingesetzt hat, die in einer immer wieder gerade gegen Künstler repressiven DDR seines Beistandes bedurften.

Natürlich war das alles ein Auf und ab, auch von Überzeugungen, und gerade dafür ist die Autorin mit ihrer ostdeutschen Vita auch sen-sibel. Der Sozialismus als Ideologie, die in ihren Dogmen vieles mit dem Katholizismus gemein hat, „produzierte“ analog zur Religion auch Anhänger, die – hatten sie sich ihren Glauben erst einmal „erobert“ – länger dazu standen, als man es rational begründen könnte. Das traf auch auf Strittmatter zu, und dies ist für sein Werk viel wichtiger als sein Militärdienst. Dass nur ein so vielfältiges Leben den Stoff für große Litera-tur bietet, das ist ja kein Strittmatter-Phänomen, sondern prägt die gesamte Kunstgeschichte.

Dass man zerrissen, sensibel und hochtalentiert sein muss, um bleibende Kunst zu erschaffen, hat mir Herrmann Hesse mit „Narziß und Goldmund“ beigebracht. Annette Leo hat die-sen Fakt mit ihrem Bericht über Erwin Stritt-matter einmal mehr bestätigt. Kaufen Sie das Buch, lesen Sie es, und wenn Sie dabei die ersten 197 Seiten nur überblättern, haben Sie mehr Zeit für die danach folgende, in den allermeis-ten Teilen lesenswerte, Lektüre. Annette Leo hat sich flüssig im Stil und facettenreich in der Dar-stellung dem Leben von Erwin Strittmatter auf bemerkenswerte Weise angenähert und aus dem Studium bis dato nicht zugänglicher Dokumen-te auch einige inDokumen-teressanDokumen-te Tatsachen extrahiert.

Leider kommt die Periode von 1961 – 1989 im Kapitel „Vom Mauerbau bis zum Mauerfall“

arg kurz weg und reduziert sich auf einzelne Epi-soden, für die Leo bei ihrem Quellenstudium Belege gefunden hat, die aber ganz gewiss nicht exemplarisch für 30 lange Jahre Leben in einer zeitgeschichtlich so ereignisreichen Periode ste-hen können. Die Autorin war ganz offensichtlich von der Tatsache, dass sie als erste die Familien-dokumente einsehen durfte, euphorisiert. Damit fehlte ihr wohl die kritische Distanz bis hin zu dem Eingeständnis, dass deren faktologischer Gehalt eben nicht ausreicht, um den Strittmat-terschen Lebenslauf neu schreiben zu können oder gar zu müssen.(Falsche Euphorie wurde schon vor Jahrzehnten einer großen deutschen Wochenzeitung zum Verhängnis. Da waren die Tagebücher falsch. Bei Strittmatter sind die Dokumente echt, aber war wirklich zu erwarten, dass sie uns einen neuen Strittmatter zeigen, da rundum bekannt der „alte“ ja bereits war.) Personalien / Veranstaltungen / Bücher

Wenn neue Dokumente es nicht tragen, hätte die Historikerin Leo sich andere Quellen erschließen müssen. 36 Seiten für die fast 30 Jahre von 1961 bis 1989 – auch wenn das eine oder andere aus dieser Zeit in anderen Kapiteln eine Rolle spielt – das ist zu wenig, und das muss denn auch schlaglichtartig bleiben und plakativ werden.

P.S.

Anderthalb Stunden Morgenwanderung mit meinem Lobo-Schäferhund liegen hinter mir.

Wo? In der Prignitz, in Lenzen, an der Elbe, ganz in der Nähe vom Strittmatterschen Schulzenhof.

Was mir beim Wandern mit Blick auf den majestätischen Elbstrom noch einfiel? Hesse, auf den ich in meiner Rezension Bezug nahm, hat mit Strittmatter die innige Verbindung zur Natur gemeinsam. Für beide ist sie Inspiration und Quelle für künstlerisches Meistertum.

Und beide haben im Jahr 2012 runde Jubiläen.

Strittmatter wäre am 14. August 100 gewor-den, und Hesses Todestag jährte sich am 9.

August zum 50. Mal.

Und ich, allein, ohne weitere Menschen, aber mit Lobo, weidenden Pferden, Kühen und Scha-fen, am ruhig strömenden Fluß, dachte bei mir:

auch die Liebe zu den Tieren war Teil des Dichter-menschen Erwin Strittmatter und seiner großen gestalterischen Kraft.

Rezensent: Michael Schäfer Bewertung: ***

Annette Leo: Erwin Strittmatter.

Die Biographie 3. Auflage 2012

Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin ISBN 978-3-351-03395-8

www.aufbau-verlag.de

Schwarzes Eis

Mit zunehmendem Alter glaube ich manchmal, dass beim „König Zufall“ doch irgendjemand die Regie führt. Vor ein paar Monaten habe ich den Roman von Eugen Ruge „In Zeiten des abneh-menden Lichts“ gelesen. Folgerichtig griff ich dann zu den Gulag-Erinnerungen seines Vaters, Wolfgang Ruge, „Gelobtes Land“, und war dem Sohn, zugleich Herausgeber, sehr dankbar dafür, dass er den Anstoß dazu gab, dass der Vater diese Geschichte überhaupt zu Papier brachte.

Natürlich waren beide Bücher, die ich Ihnen in den Ausgaben Dezember/2011 und März/2012 vorgestellt habe, nicht meine erste Begegnung mit dem Thema Gulag.

Biographische oder autobiographische Lite-ratur vermag uns nach meiner festen Über-zeugung dieses Thema viel besser vermitteln als faktologische Geschichtsschreibung. Kein Buch von Stefan Heym hat mich mehr beein-druckt als sein Roman „Radek“. Dort setzt er dem deutschen Kommunisten Karl Radek, bei der Oktoberrevolution 1917 direkt neben Lenin, ein Denkmal. Radek kam 1939 im Gulag um.

Deshalb habe ich auch die beiden eingangs erwähnten Rugebücher gelesen und kam, auch nach Diskussionen mit Zeitgenossen, die ein Gleiches getan hatten, zu dem Schluss, dass es vonnöten ist, dieses Kapitel noch viel stärker ins Bewusstsein zu rücken.

Uwe Schoknecht, zusammen mit mir Ver-anstalter der „Schorfheider Kamingespräche“, über die Sie in UNTERNEHMERIN KOM-MUNE regelmäßig lesen, sah das ebenso, und damit hatten wir ein Thema für unsere

Herbst-veranstaltung 2012: „Deutsche Kommunis-ten im Gulag und das „Danach“ in der DDR:

Ungebrochenes Engagement, Verdrängung, tiefe Wunden. Scheinbares oder reales Myste-rium? Versuch einer Aufarbeitung.“

In der ersten Ideenphase hatten wir natür-lich Eugen Ruge als mögnatür-lichen Disputanten im Kopf. Doch bevor wir ihn ansprachen flatter-te aus dem Rowohlt-Verlag die Ankündigung des Buches von Sergej Lochthofen, „Schwarzes Eis“, auf meinen Schreibtisch. Was durch den Verlag in der Annotation inhaltlich versprochen wurde, aber natürlich auch die Vita des Autors, von 1990 bis 2009 Chefredakteur der größ-ten Thüringer Regionalzeitung, der „Thürin-ger Allgemeine“, geboren in der Sowjetunion,

Kunststudent auf der Krim und Student der Journalistik in Leipzig, schien mir für unsere Intentionen noch passender. Mit der freundli-chen Unterstützung von Katrin Wurch aus dem Verlag sprach ich Lochthofen an, und schon nach wenigen Stunden kam die Zusage.

Nun suchten wir noch nach einem Dispu-tanten mit intimer Kenntnis der Sowjetunion, vor allem aus der Zeit, in der unter der Über-schrift Glasnost endlich auch umfassend über das Horrorkapitel Stalinismus gesprochen wurde.

Das Thema war ja bekanntlich mit der Rede Chrustschows auf dem 20. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 für „erledigt“ erklärt worden, was unter anderem dazu führte, dass viele Facet-ten des Stalinismus diese Pseudoabrechnung überlebten. Dieser Kundige wird Dr. Dietmar Bartsch, Vizechef der Bundestagsfraktion von DIE LINKE, sein. Er schrieb von 1986 bis 1990 in Moskau, also genau in der Glasnost-Zeit, seine Doktorarbeit.

Seit dem 10. September steht „Schwarzes Eis“

in den Buchhandlungen, und seitdem auch in meinem Bücherschrank.

Lochthofen schreibt im Vorwort: „“Schwar-zes Eis ist eine Erinnerung an das große Experi-ment, das 1917 begann und siebzig Jahre später im völligen Zusammenbruch endete. Es ist eine Geschichte aus einem Jahrhundert voller Auf-bruch und Hoffnung, aber auch voller Willkür, Grausamkeit und Blut. Es ist die Geschichte meiner Familie“.

Das Buch heißt im Untertitel aber „Der Lebensroman meines Vaters“ und genau der ist es auch geworden. Lorenz Lochthofens Bio-graphie ist jene, über die ich eingangs allgemein reflektierte. Geboren 1907 in der Nähe von Dort-mund, Volksschule, Bergbau- und Schlosserlehre, ab 1921 Engagement in der KPD. 1930 ging er als Spezialist in die Sowjetunion und arbeitete bis 1931 im Donezbecken als Schlosser und Schwei-ßer. 1931 bis 1935 absolvierte Lochthofen ein Studium des Journalismus in Moskau und der politischen Ökonomie in der Stadt Engels, und wurde danach Redakteur bei der deutschsprachi-gen Zeitung „Nachrichten“ und Dozent an einer Parteischule in Engels.

1937 wurde er im Zuge der Stalinschen

„Säuberungen“ zu acht Jahren Zwangsarbeit im Arbeitslager Workuta verurteilt. Nach seiner Ent-lassung 1947 lebte Lochthofen als Verbannter weiterhin in Workuta und lernte dort seine spä-tere Ehefrau kennen. Noch in der Verbannung absolvierte Lochthofen ein Abendstudium der theoretischen und angewandten Mechanik und erhielt 1953 ein externes Examen als Bergbau-techniker am Bergbautechnikum in Workuta. Ab Januar 1957 war Lochthofen Oberingenieur für Maschinenwesen bei einer geologischen Expedi-tion in Workuta.

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INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN

Am 14. Mai 1956 wurde Lochthofen in Sara-tow vollständig rehabilitiert und konnte mit seiner Frau, dem 1947 geborenen Sohn Pawel und dem 1953 geborenen Sohn Sergej 1958 in die DDR ausreisen.

Dort arbeitete er zunächst als Schlosser im VEB Waggonbau Gotha und wurde dann Leiter der Normenabteilung und Assistent der Werks-leitung. 1960/61 war Lochthofen Technischer Direktor im VEB Waggonbau, 1961–1965 Lei-ter des Büromaschinenwerks in Sömmerda. Ab 1961 war Lochthofen Mitglied der Kreisleitung der SED in Sömmerda. Von 1963 bis 1967 war Lochthofen Mitglied des Zentralkomitees der SED. 1967 zog er sich aus gesundheitlichen Gründen ins Privatleben zurück und verstarb 1989 in Bad Liebenstein.

Ich habe ganz bewusst die Eckdaten des Lebens von Lorenz Lochthofen nach Wikipe-dia für sie in einer Kurzfassung aufbereitet, weil schon diese wenigen Daten und Fakten deutlich machen, dass es sich lohnt, die Biographie die-ses Mannes ganz zu lesen. Und nachdem diese 446 Seiten hinter mir liegen, kann ich Ihnen bestätigen, dass die Lektüre diese Annahme in jeder Hinsicht bestätigt hat. Das ist ein span-nender und informativer Text. Die Fakten sind per se spannend, und das gibt mir die Vorlage zu einem winzigen Einwand: gerade weil die Geschichte so aufregend, so geladen ist, wäre an manchen Stellen etwas weniger blumige Prosa angebracht gewesen.

Sergej Lochthofen hat ein überzeugendes Buch zu einem außerordentlich wichtigen Thema geschrieben. Nicht nur, um es uns nahe zu bringen. Dass, was er auch noch bezweckt, das steht im Buch unter der Überschrift 2012 als eine Art Fazit des Autors: „Noch immer liegt nachweislich Material zum Schicksal vie-ler unschuldig Verfolgter in den Archiven des russischen Geheimdienstes – so auch zu mei-nem Vater und meimei-nem Großvater. Es kann nicht eingesehen werden.

Die Erben der Mörder des Großen Terrors halten bis heute ihre schützende Hand über ihre geistigen Vorfahren“. Auch deshalb disku-tieren wir am 16. November mit Sergej Lochtho-fen und Dietmar Bartsch bei den „Schorfheider Kamingesprächen“.

Rezensent: Michael Schäfer Bewertung: *****

1. Auflage 2012 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg ISBN 978-3-498-03940-0 www.rowohlt.de

Der Wind ist ein Wiener

Ich gestehe, der Name Helmut Schödel war mir nicht geläufig. Erfahren habe ich über ihn an einem Sonntagnachmittag. Vor allem, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, schalte ich zu dieser Zeit Deutschlandfunk ein und höre „Zwischentöne“. Wer diese Sendung kennt, wird vermutlich bestätigen, dass den Hörer an diesem Sendeplatz im Regelfall zwei Stunden guter Gespräche erwarten, mit immer nur einem tollen Gast, den wir (leider) in den üblichen Schwatzformaten nicht tref-fen würden.

An irgendeinem Sonntag im Juni war Hel-mut Schödel da. Ein aus tiefster Überzeugung in Wien lebender Oberfranke, der gesteht, dass es ihm am besten geht, wenn er in einem der dortigen Kaffeehäuser Texte auf die altmo-dischste Art der Welt, nämlich per Hand mit dem Stift, zu Papier bringt.

23 davon waren gerade unter dem Titel

„Der Wind ist ein Wiener“ erschienen und hatten es auf Anhieb im Mai in Deutschland zum „Buch des Monats“ geschafft.

Schödel wurde dazu in „Zwischentöne“

befragt und sagte zur Einstimmung, dass ihn die Debatte über den Verfall der Werte irritie-re. „Es gib doch gar keine mehr“, lautete seine verblüffend-eingängige Begründung. Und weil dem so sei, würden in seinem neuen Buch Zeitgenossen vorgestellt, die diesem Vakuum trotzten. Über den 23 Frauen und Männern, die Schödel porträtiert steht das folgende, von Schödel formulierte Leitmotiv: „Die heute in Zeiten des Sumpfes nicht versinken, sind die Helden von morgen.“

Die Charaktere, die Typen, die Menschen, die uns der Wahl-Wiener auf rund 170 Sei-ten im besSei-ten Sinne nahe bringt, könnSei-ten unterschiedlicher nicht sein: der Schauspie-ler Helmut Berger, der von Schödel als Uni-versalkünstler typisierte Einar Schleef, der Sänger und Dichter Ernst Molden, aber auch Frau Schubsi und die Horacek oder Christi-ne Gehrhus, die Wirtin von der „Bornholmer Hütte“. Diese Kneipe gibt’s im Berliner Pren-zelberg. Dort war ich zum letzten Mal vor der Wende, 1988 oder 1989, als die Molle noch 51 Pfennige kostete und die Bockwurst eine Mark, Ost versteht sich. Schödel hat es geschafft. Da gehe ich wieder hin, obwohl meine Stammkneipe in diesem Kiez eigentlich das „Metzer Eck“ ist.

Schödel hat aber noch viel mehr geschafft.

Natürlich muss ich schleunigst wieder mal nach Wien, um mit meiner Frau alle diese Orte zu besuchen, die Schödel so liebevoll und einprägsam beschreibt. Aber noch viel liebevoller und einprägsamer beschreibt er uns die Menschen.

Was alle eint? Ob Werte verfallen, oder es gar keine mehr gibt?! Das ist ihnen egal. Sie leben einfach die eigene Anständigkeit, und das mit Lust und Freude. Statt larmoyante Weltuntergangsrhetorik zu zelebrieren, tun sie gute Werke und haben Spaß dabei. Das kann uns doch wohl zum Vorbilde dienen.

Schödel hat’s jedenfalls so beschrieben, dass es mich inspiriert hat: weniger Welt-schmerz über den Verfall der Sitten, dafür mehr Aktivität in jenen Nischen, in denen wir noch etwas bewirken können. Ich habe die von 2002 bis 2011 entstandenen Texte mit Genuss gelesen. Man spürt förmlich, wie Schödel diese kleinen – kaum ein Text ist län-ger als zehn Seiten – sprachschönen Kunst-werke gedrechselt hat. Das geht vermutlich wirklich nur per Hand, und mit einem Kaf-fee mit Schlagobers, serviert vom Kellner im Frack oder mindestens im schwarzen Anzug.

In einem Wiener Kaffeehaus, vielleicht dem Café Heine in der Leopoldstadt, im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Mehr können Sie ab Seite 43 lesen. Aber vorher müssen Sie das neue Buch von Helmut Schödel natürlich kaufen!

Rezensent: Michael Schäfer Bewertung: *****

1. Auflage 2012

Müry Salzmann, Salzburg, Wien ISBN 978-3-99014-052-9 www.muerysalzmann.at

Personalien / Veranstaltungen / Bücher

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Epilog / Impressum

IMPRESSUM

Herausgeber:

Prof. Dr. Michael Schäfer Redaktion:

Prof. Dr. Michael Schäfer, Chefredakteur (V. i. S. d. P.), Verantwortlicher Redakteur: Falk Schäfer, Adresse: siehe Verlag

Tel: (030) 9 444 130, Fax: (030) 9444 708, E-Mail: dr.schaefer@unternehmerin-kommune.de, Internet: www.unternehmerin-kommune.de Verlag:

UNTERNEHMERIN KOMMUNE-Verlag / Dr. Bernd Kahle GmbH, Bahnhofstraße 15, 16341 Panketal bei Berlin HRB 848 Amtsgericht Frankfurt (Oder), Geschäftsführender Alleingesellschafter: Prof. Dr. Michael Schäfer Kooperationen:

UNTERNEHMERIN KOMMUNE kooperiert redaktionell mit:

• IWK Institut Wissenszentrum Kommunalwirtschaft e.V.

• Senatsbibliothek Berlin – einzige kommunalwissenschaftliche Spezialbibliothek für die Bundesrepublik Deutschland

• Spitzenverbände der Städte und Gemeinden der neuen Länder

• Studiengang Kommunalwirtschaft an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (deutschlandweit einziger Masterstudiengang Kommunalwirtschaft)

• „Verbundnetz für kommunale Energie“ – Diskussionsforum zur kommunalwirtschaftlichen Betätigung

• VKU-Landesgruppen der neuen Länder Anzeigenleitung:

Angelika Schäfer, ppa., Adresse: siehe Verlag

Tel: (030) 9 444 268, Fax: (030)9 444 708, E-Mail: a.schaefer@unternehmerin-kommune.de Satz und Layout:

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Der Bezug über den definierten Bezieherkreis hinaus ist möglich. Bestellungen sind direkt an den Verlag zu richten.

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Auch in diesem Heft haben wir wieder die vielfältigen Herausforderungen thematisiert, die sich für die Kommunen in den kommenden Jahren ergeben werden. Die Energiewende ist ein Dauerthema, doch auch in den anderen Daseinsvorsorgesparten werden schwierige Hürden zu überwinden sein. Besondern zwei Aspekte sind dabei wieder einmal deutlich geworden:

Erstens wird die kommunale Finanzausstattung dem Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung kaum mehr gerecht. Die Politik in Deutschland muss die Kraft entwickeln, die Verwaltungsstruktur grund-legend zu ändern. Dies darf sich nicht an neu gezogenen kommunalen Grenzen erschöpfen. Auch die übergeordneten politischen Ebenen müssen einer intensiven aufgabenkritischen Analyse unterzogen werden. Diese Einsicht unsererseits war einer der Gründe für unsere neue Rubrik „Blick über den Garten-zaun“, in der wir aufzeigen wollen, wie andere Staaten die Erledigung öffentlicher Aufgaben organisieren.

Die Beispiele aus Schweden, den Niederlanden und Dänemark haben gezeigt, dass der deutsche Föde-ralismus mitnichten per se eine bessere politische Teilhabe der Bürger ermöglicht. Denn schließlich sind die Kommunen der Ort, an dem Politik in Realität umgesetzt wird. Insofern muss das Fehlen einer starken Mittelebene nicht zwingend mit dem Attribut des Zentralstaates gleichgesetzt werden.

Zweitens hat sich in den mannigfaltigen Debatten zur Neuordnung der Daseinsvorsorgestrukturen ge-zeigt, dass gerade im Hinblick auf den demografischen Wandel Kooperationen die Strategie der Stunde sein müssen. Dies gilt für Kooperationen innerhalb der Kommune und natürlich auch zwischen verschie-denen Verwaltungseinheiten. Daneben sind öffentlich-private Partnerschaften trotz aller Diskussionen um den Trend der Re-Kommunalisierung nach wie vor ein Weg, Kräfte zu bündeln. Dies gilt insbesondere dann, wenn die in Frage kommenden privaten Partner aus der Region kommen, in ihr agieren und ihre Verlässlichkeit in den vergangenen Jahren bereits unter Beweis gestellt haben.

Soweit der Rückblick auf die aktuelle Ausgabe. Wenn wir im Dezember wieder erscheinen, wird es eines der letzten 20jährigen Jubiläen zu feiern geben, von denen wir in den vergangenen drei Jahren so viele hatten. Im Titelthema des Dezemberheftes werden wir uns dem Ende 1992 vor dem Bundesverfassungsge-richt getroffenen Stromvergleich widmen. Was dem Namen nach so unspektakulär daherkommt, war nichts anderes als die Initiation der kommunalen Wirtschaft in den Neuen Bundesländern. Freuen Sie sich also auf eine historische kommende Ausgabe von UNTERNEHMERIN KOMMUNE. Ihr Falk Schäfer

Im Dokument Unternehmerin Kommune: (Seite 70-75)