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Im Fokus: Das Konzept

Im Dokument Unternehmerin Kommune: (Seite 35-40)

KOMMUNALWIRTSCHAFT AKTUELL

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) ist ein Bundesgesetz, das stark in die kommuna-le Ebene einwirkt. Aktuell wird intensiv über eine Novellierung diskutiert. Worin liegen die Fehlfunktionen, die nun eine Novellierung erforderlich machen? Und ist es sinnvoll, diese kommunalen Themen des öffentlichen Ver-kehrs auf übergeordneten Ebenen zu regeln?

Reiner Zieschank:

In der Tat sehe ich die Regelungskompetenz aus Brüs-sel und aus Berlin in Teilfragen kritisch. Das PBefG hat in den vergangenen Jahrzehnten zu einigen Erfol-gen und zu einem gut funktionierenden ÖPNV im Land geführt. Hinsichtlich der Kostendeckungsgrade kann sich der deutsche ÖPNV auch weltweit messen.

Ich sehe deshalb keinen Anlass, von den im Perso-nenbeförderungsgesetz enthaltenen Grundansätzen Abstand zu nehmen. Ich sehe die Gefahr, dass die Verkehrsunternehmen noch stärker in ihrer unter-nehmerischen Freiheit eingeschränkt werden. Ande-rerseits sollte die Liberalisierung in Grenzen gehalten werden. Der marktradikale Ansatz der vergangenen Jahrzehnte ist ja nicht gerade eine Erfolgsgeschichte.

Die Verordnung 1370 des Europäischen Parla-mentes und des Rates hat die Direktvergabe weit weniger, als bei deren Erlass im Jahr 2007 befürch-tet, eingeschränkt. Einige Richterentscheidungen zeigen jedoch, dass Bedarf nach einer rechtlichen Konkretisierung besteht. Die beteiligten Akteure versuchen nun im Vorfeld der PBefG-Novelle, ihre Roundtable ÖPNV

FORDERUNG NACH EINER OFFENHEIT DER MODELLE

Interessen zu vertreten. Ich beobachte, dass sich in diesem Prozess die Kräfte weitgehend neutralisieren.

Wenn es im Ergebnis beim Status Quo bliebe, wäre dies sicher nicht die schlechteste Lösung.

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Vorausgesetzt, die bestehenden rechtlichen Rege-lungen bilden eine solide Grundlage – ist die Ent-lastung der Gerichte der einzige Grund, warum wir uns aktuell mit einer Novelle des PBefG befassen?

Michael Hahn:

Auch wir sehen den aktuellen Status Quo als erträglicher an, als wenn das Thema Eigenwirt-schaftlichkeit einer Neuregelung zum Opfer fallen würde. Dennoch kann es natürlich nicht das Ziel sein, bundesweit Heerscharen von Anwälten zu beschäftigen, um offene Rechtsfragen zu klären.

Stefan Karnop:

Ich teile nicht die Hoffnung, dass mit einer Neurege-lung des PBefG die Rechtsstreitigkeiten aufhören. Es hat sich in den vergangenen Jahren etwas Wettbewerb im Markt etabliert. Und es wird immer so sein, dass sich der Unterlegene vor Gericht schadlos halten will. Auch nach einer Gesetzesänderung werden diese Mechanis-men weiter wirken. Die 2007 erlassene EU-Verord-nung 1370 ist seit 2009 in Kraft. Die Vorhersagen, dass ÖPNV-Leistungen in Deutschland unmöglich werden, wenn im Kontext zur europäischen Rechtssetzung das PBefG nicht erneuert wird, sind nicht eingetroffen.

Insofern macht es Sinn, einige Streitfragen zu klären.

Eine zwingende Notwendigkeit für eine grundlegende Novellierung aber sehe ich nicht.

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Herr Dannenberg: Sie sind als Landrat Aufga-benträger für den ÖPNV und nehmen daher eine etwas andere Perspektive ein. Besteht für Sie Anlass, das PBefG zu novellieren?

Jürgen Dannenberg:

Den Wettbewerb für den ÖPNV im Landkreis haben wir im Jahr 2006 gestaltet. Nun stehen noch immer zwei Haltestellenschilder. Das eine vom neuen

Ver-kehrsträger und das andere – mit einer blauen Abdeckung – von demjenigen, der seiner-zeit die Ausschreibung verloren hatte. Es ist unzumutbar, dass der gerichtliche Nachklang eines Wettbewerbs bis heute anhält. Im kommenden Jahr muss die Neugenehmigung für das Jahr 2014 vorbereitet werden. Wir haben mit dem Genehmigungswettbewerb gute Erfolge erzielt. Sicherlich gibt es einige Detailfragen, die der Klärung bedürfen, doch eine komplette Reform der PBefG ist meines Erachtens nicht notwendig. Man muss die sich bietenden Spielräume nur angemessen nutzen.

Nationale und europäische Rechtsnormen

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Wir haben eine Phase hinter uns, wo in allen Segmenten der Daseinsvorsorge die reine Lehre des Wettbewerbs

propagiert wurde. Die Ent-wicklung des Marktes ist diesen politischen Leitli-nien allerdings nur bedingt gefolgt. Gilt im ÖPNV angesichts der Prozesse des demografischen Wandels ein ähnlicher Befund?

Oliver Mietzsch:

Die Frage des Wettbewerbs ist mit der EU-Verordnung 1370 für alle Beteiligten zufriedenstellend gelöst wor-den. Das Problem des PBefG ist, dass der deutsche Gesetz-geber von Voraussetzungen ausgeht, die nicht mehr bestehen. Der

Grundgedan-ke des PBefG, dass es überwiegend Unterneh-men gibt, die am Markt präsent sind und sich ausschließlich aus den Markterlösen finanzieren können, wird den Tatsachen nicht gerecht. Ich will nicht einer Abschaffung öffentlicher Zuwei-sungen das Wort reden. Sie sind wichtig, um die Daseinsvorsorge vor Ort zu gewährleisten.

Der deutsche Gesetzgeber hat bereits 1996 EU-Recht überinterpretiert und eine europaweite

Ausschreibung vorgeschrieben. Vermutlich aus Angst vor dieser Courage wurde im Anschluss ein großer Teil des Marktes trotz öffentlicher Zuwei-sungen als eigenwirtschaftlich definiert. So steht der Regelungsrahmen nur bedingt im Einklang mit der Realität. Hier würde ich mir im Rahmen der Novelle durchaus mehr rechtliche Klarheit wünschen. Die Nachbesserungen im deutschen Recht sollten sich dabei am europäischen Recht orientieren. Dieses bietet von der Direktverga-be bis hin zur europaweiten Ausschreibung alle Möglichkeiten.

Ulf Middelberg:

Diese vielfältigen Vergabeoptionen sind doch letztlich auf deutsche Initiative hin entstan-den, um unterschiedlichen Bedürfnissen für die Gestaltung des Nahverkehrs Rech-nung zu tragen. Ich werfe mal den Blick in die Vergangenheit. In Leipzig gab es um die Jahrhundertwende zunächst zwei Straßenbahn-unternehmen. Die Infrastruktur war weit vom Optimum entfernt. Schienen wurden dort parallel gebaut, wo die höchste Nachfrage zu erwarten war. Eine lebendige Stadt braucht andere Lösungen. Es gilt, Wettbewerb auf die Ebenen zu verlagern, wo er auch sinnvoll ist.

Dazu wird ein Rechtsrahmen benötigt, der es erlaubt auf die örtlichen Verhältnisse einzuge-hen, zwischen Stadt und Land, Fern- und Nah-verkehr zu differenzieren.

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Die bisherigen Meinungsäußerungen plädierten eher für eine Beibehaltung des Status quo. Oliver Mietzsch hat gegen diesen Trend festgestellt, dass die gegenwärtigen Regelungen nicht der Realität entsprechen und deshalb für eine Novellierung plädiert. Richtig ist, dass die Gesetze dem Leben folgen müssen. Hat Oliver Mietzsch Recht, wenn er das für das PBefG bestreitet?

Roundtable ÖPNV

Reiner Zieschank (l.) und Dr. Wilhelm Benfer Stefan Karnop (l.) und Jürgen Dannenberg

KOMMUNALWIRTSCHAFT AKTUELL

Prof. Dr. Michael Schäfer (l.) und Michael Hahn

Dr. Wilhelm Benfer:

Auch ich halte es für sinnvoll, kritisch zu über-prüfen, wo eine wettbewerbliche Orientierung Sinn macht und wo nicht. Im ÖPNV haben sich die Aufgabenträger sehr intensiv mit den bishe-rigen Strukturen auseinandergesetzt und sie einer genauen betriebswirtschaftlichen Prüfung unter-zogen. Mit dem gleichen finanziellen Aufwand konnte so eine deutliche Verbesserung der Leis-tung erzielt werden. Dementsprechend haben die Debatten um mögliche rechtliche Novellierungen im Zusammenhang mit der EU-Verordnung 1370 ihr Ziel erreicht. Im Hinblick auf die aktu-elle Diskussion will ich auf die sehr heterogenen Rahmenbedingungen im ÖPNV verweisen. Eini-ge Gebietskörperschaften führen eiEini-gene Unter-nehmen, andere sind nicht einmal mehr beteiligt.

Im Vorgriff auf die EU-Verordnung 1370 wurden einige Konzessionen im Eilverfahren verlängert.

Wenn diese auslaufen, wird es sicherlich zu einer neuen Dynamik im Markt kommen.

In Summe führt dies dazu, dass der Stellen-wert einer PBefG-Novelle sehr unterschiedlich beurteilt wird. Im Barnim laufen die Konzessio-nen bis zum Jahr 2016.Wir haben ein eigenes Verkehrsunternehmern. Insofern bestünde kein unmittelbarer Handlungsbedarf. In drei bis vier Jahren wird dies aber gänzlich anders aussehen. Es wäre sicherlich sinnvoll, die Gesetzgebungen aus PBefG und EU-Verordnung 1370 zu harmoni-sieren. Auch bei der Konzession und der Vergabe von Linien sehe ich Regelungsbedarf.

Hahn:

Aufgrund der Unsicherheit in der Finanzierung und der demografischen Entwicklung werden wir uns für einige Konzessionen gar nicht mehr bewer-ben. Der Wettbewerb ist zwar in aller Munde, doch in weiten Teilen der Republik bestehen noch eigen-wirtschaftliche Verträge. Spätestens für die Jahre 2019 oder 2020 gehen wir jedoch davon aus, dass alle Leistungen im Wettbewerb geprüft werden.

Dr. Benfer:

Die derzeitige eigenwirtschaftliche Leistungser-bringung ist nicht die Eigenwirtschaftlichkeit, nach der das europäische Recht verlangt. Öffentli-che Zuschüsse sind meines Erachtens relevant für das Beihilferecht.

Eigenwirtschaftlich oder nicht?

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Offenbar besteht Einigkeit, dass wir mit der Novellierung des PBefG kaum Rechtsunsicher-heit abbauen können. Allerdings erscheint eine Harmonisierung des Rechtsrahmens zwischen der EU und dem Bund sinnvoll. Welche kon-kreten Regelungen erwarten Sie diesbezüglich vom Gesetzgeber?

Karnop:

Die Regelungsgegenstände des PBefG und der EU-Verordnung 1370 sind recht unterschiedlich.

Die Frage der Eigenwirtschaftlichkeit beurteile ich etwas anders, als Herr Mietzsch. Dieses Theorem wird in der Bundesrepublik nur falsch angewandt.

Viele Genehmigungen, die eigentlich als gemein-wirtschaftlich zu interpretieren sind, wurden aus vielfältigen Gründen als eigenwirtschaftlich erteilt. Eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen sind solche, die aus unternehmerischer Initiative heraus erbracht werden. Dies widerspricht aus-drücklich nicht einer öffentlichen Förderung. Das PBefG war ursprünglich genauso unternehme-risch geprägt, wie die EU-Verordnung 1370. Nun hat sich die Einstellung gewandelt. Ich vermute, dass sich hinter dem Wunsch einiger Akteure nach Novellierung der Versuch verbirgt, die Grundaus-richtung des PBefG zu ändern.

Mietzsch:

Dem europäischen Recht liegt zugrunde, dass immer dann, wenn die öffentliche Hand in den Markt interveniert und das freie Unterneh-mertum einschränkt, sie dafür auch zahlen muss. So könnten Auf-gabenträger das Interesse haben, bestimmte Linien zu bestimmten Zeiten bedienen zu lassen, die sich für den Betreiber eigentlich nicht rechnen.

Der Unternehmer hätte

hier einen logischen Anspruch auf einen finanziel-len Ausgleich, der Aufgabenträger dann aber auch das Recht der Geltendmachung von Einfluss. Es ist richtig, dass die öffentliche Hand zahlt, doch sie muss dann auch das Recht haben, Vorgaben zu machen.

Echter eigenwirtschaftlicher Verkehr ist schon dem Namen nach nur jener Verkehr, der sich vollständig aus den Fahrerlösen finanzieren lässt.

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Wenn festgestellt wird, dass unter einem bestimmten Regelungsrahmen Entscheidun-gen getroffen werden, die diesem nicht ent-sprechen, dann müssen entweder Sanktionen erteilt oder der gesamte Rechtsrahmen ange-passt werden.

Dannenberg:

Wir haben es genau umgekehrt gemacht. Wir haben für unseren Landkreis einen Leistungsrahmen defi-niert und innerhalb eines Wettbewerbs gefragt, wer dafür das beste Modell bietet. Wir haben keine Vorgaben gemacht, sondern auf die Initiative der

Unternehmen gehofft. Die Zahl der Haltestellen war dabei natürlich ein Bewertungskriterium.

Mietzsch:

Es ist aber nicht eigenwirtschaftlich, wenn die öffentliche Hand finanzielle Unterstützung aus-lobt und darauf basierend Verkehre vergibt.

Karnop:

Doch, und diese Herangehensweise wurde bis-lang von allen gerichtlichen Instanzen bestätigt.

Zieschank:

Wir sollten darauf achten, dass wir die Kontrover-se nicht nur Schwarz-Weiß Kontrover-sehen. Natürlich haben die Unternehmen in der Vergangenheit auch Geld von der öffentlichen Hand erhalten. Doch wenn von einem Unternehmen preiswertere Tarife für bestimmte Personengruppe erwartet werden, dann

muss es dafür eine Kompensation geben. Wenn derjenige, der das Geld gibt, auch betriebswirt-schaftliche Abläufe bestimmen darf, werden wir dem Grundsatz der unternehmerischen Orientie-rung allerdings nur bedingt gerecht. In den Grau-zonen, in denen wir uns aktuell befinden, fahren wir doch eigentlich recht vernünftig.

Mietzsch:

Ich trage seit einem Dreivierteljahr Verant-wortung für den schienengebundenen Perso-nennahverkehr im Raum Leipzig. Wenn eine Funktionalausschreibung für Steckdosen in den Triebwagen durchgeführt wird, kann es durch-aus passieren, dass selbige an der Decke platziert werden – nur weil sie dort am kostengünstigsten sind und die Vorgaben hinreichend erfüllt wur-den. Das ist die Krux von so genannten Grau-zonen, wie wir sie bundesweit beobachten.

Middelberg:

Wir sollten aufpassen, uns nicht in Einzelbei-spielen zu verlieren, da ließe sich auch manch Roundtable ÖPNV

skurrile Spezifikation von Aufgabenträgern anführen. Ziel sollte es sein, die finanziellen Zuwendungen der öffentlichen Hand zu mini-mieren. Dies lässt sich nur realisieren, wenn die Kosten sinken und die Erlöse steigen. Unter-nehmerisches Herangehen hat sich hier vielfältig bewährt. Mit Grautönen zwischen unterneh-merischer Freiheit und politischer Gestaltung sollten gerade kommunale Unternehmen dabei keine Probleme haben. Schließlich kommt es hier essentiell auf ein Miteinander zwischen den Beteiligten an – ein Ansatz, der in Leipzig auch praktiziert wird.

Unternehmerische Anreize setzen UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Wir haben in den vergangenen Jahren gute Ergebnisse bei der Verbesserung der Ertragsfähigkeit kommunaler Unternehmen erreicht. Andererseits sind die Möglichkeiten einer weiteren Steigerung gerade im Hinblick auf die demografische Entwicklung begrenzt.

Das in diesem Zusammenhang wachsende Delta wird sich über Zuwendungen nicht ausgleichen lassen. Auch im ÖPNV stoßen wir an Grenzen der Finanzierbarkeit. Ist vor diesem Hintergrund vielleicht mehr als nur eine Novellierung vonnöten – eine vollstän-dige Neuorientierung im Hinblick auf den Gedanken der Daseinsvorsorge?

Karnop:

Das bisherige PBefG wird diesen Entwick-lungen in besonderer Weise gerecht. Die öffentliche Hand wird es sich nicht dauerhaft leisten können, Verkehre nach dem Prinzip

„wünsch Dir was“ zu bestellen. Kommunen werden froh sein, wenn es einen Unterneh-mer gibt, der aus eigener Initiative heraus Ideen entwickelt. Wenn wir der Definition von Oliver Mietzsch folgen, dann gibt es gar keine eigenwirtschaftlichen Verkehre. Eine derart radikale Beurteilung des Eigenwirt-schaftlichkeits-Konzepts kann dazu führen, dass ÖPNV gänzlich unmöglich wird. Die

öffentliche Hand sollte deshalb Unternehmen motivieren, eigenwirtschaftliche Angebote zu unterbreiten. Das Wittenberger Modell zielt genau in diese Richtung. Auch bei einer Bezuschussung durch die öffentliche Hand ist Eigenwirtschaftlichkeit nicht zu verwechseln mit einer funktionalen Ausschreibung. Denn bei Letzterem hat der Unternehmer kein zuschussbedingtes Interesse an einer Steige-rung der Fahrgastzahlen. Beim Wittenberger Modell werden Fördergelder nur pro beför-derten Fahrgast ausgeschüttet.

Hahn:

Im ländlichen Raum sind die Herausforderun-gen deutlich andere, als in den großen Städten.

75 Prozent der Fahrgäste unseres Unterneh-mens sind Schüler. Vor dem Hintergrund von Landflucht und demografischem Wandel wird die Finanzierbarkeit zunehmend fraglich. Wir brauchen deshalb Unternehmen, die als Full-Service-Anbieter die gesamte Wertschöpfungs-tiefe bedienen.

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder sind Aufgabenträger und Leistungserbringer identisch oder nicht. Der Landkreis Barnim repräsentiert die erste und der Landkreis Wittenberg die zweite Alternative. Wenn wir aus dem Wettbewerb

unter-nehmerische Initiative und damit Effizienzpoten-tiale generieren wollen, wäre Letzteres rein logisch betrachtet der bessere Weg.

Bildet sich das auch in der Praxis ab?

Dannenberg:

Das eine muss das andere nicht zwingend ausschlie-ßen. Die positive Ent-wicklung der Stadtwerke müsste sich theoretisch auch für die kommuna-len Verkehrsunternehmen nachvollziehen lassen. In unserem Landkreis hatten wir nur anfänglich eigene Anteile an

Verkehrsbetrie-ben, und wir haben auch nicht vor, den ÖPNV zu rekommunalisieren. Bis dato waren im Landkreis drei Unternehmen aktiv, die an den Vertriebsgrenzen kaum miteinander kooperier-ten. Nun haben wir ein Konstrukt ersonnen, das sehr gut funktioniert – nicht zuletzt des-halb, weil nun ein Unternehmen im gesamten Landkreis fährt und auch das gesamte finan-zielle Risiko trägt.

Dr. Benfer:

In dem Maße, in dem wir als Landkreis unsere Kompetenzen entwickelt haben, hat sich auch das Miteinander mit dem kommunalen Ver-kehrsunternehmen verbessert. Auch in unserer Konstellation können wir eine ganze Menge durchsetzen. Bei der Vergabe von Konzessionen nach dem PBefG spielte die Wirtschaftlichkeit nur eine untergeordnete Rolle. Der Zuschuss ist gedeckelt und die Qualität des Angebots bildet die Grundlage einer Entscheidung. Es ist also nicht so, dass automatisch weniger Geld auf-gebracht werden muss, wenn ein privater Drit-ter beauftragt wird. Wir können mit unserem Unternehmen gute Qualität zu einem über-schaubaren Preis garantieren.

Die richtigen Modelle für gegebene Strukturen UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Trotz aller Mängel im Detail ist die Runde sich weitgehend einig, dass der Rechtsrahmen des PBefG durchaus plausibel ist. Ist das Wit-tenberger Modell auf dieser Grundlage auch in anderen Teilen der Bundesrepublik zu empfehlen? Und wenn ja, könnte eine mög-liche Gesetzesnovelle des PBefG nicht auch versuchen, solchen Modellen mehr Rechtssi-cherheit zu verschaffen?

Hahn:

Wir halten das Modell für ein gelungenes Instru-ment, die Vorgaben des Aufgabenträgers, unter-nehmerische Effizienz, Kundenorientierung und betriebswirtschaftliches Denken miteinander zu verzahnen. Mittlerweile hat sich das Preisniveau in den Vergaben marktgerecht entwickelt. Inso-fern gibt es auch andere wettbewerbliche Verfah-ren, die durchaus Sinn machen.

Ich teile nicht die Hoffnung, dass mit einer Neuregelung des PBefG die Rechtsstreitigkeiten aufhören.

Es hat sich in den vergangenen Jah-ren etwas Wettbewerb im Markt

etabliert. Und es wird immer so sein, dass sich der Unterlegene vor

Gericht schadlos halten will.

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Stefan Karnop Roundtable ÖPNV

Ulf Middelberg (l.) und Oliver Mietzsch

KOMMUNALWIRTSCHAFT AKTUELL

Dannenberg:

Auch hier kann es keine klare Antwort geben.

Die Rahmenbedingungen sind sehr unter-schiedlich und dementsprechend unterscheiden sich auch die Konzepte. Zumindest im Land-kreis Wittenberg hat sich unser Modell bewährt.

Besonders positiv sehe ich, dass die Unterneh-men bestrebt sind, eine möglichst hohe Anzahl an Fahrgästen zu akquirieren. Wir tragen uns mit dem Gedanken, den Wettbewerb ab 2014 wieder genauso zu gestalten. Die Verknüpfung zwischen dem Überland- und dem städtischen Verkehr funktioniert reibungslos. Auch mit der Bahn haben wir Schnittstellen organisiert und sichergestellt, dass es keinen Parallelverkehr gibt. Der einzige Wunsch für die Zukunft ist, dass dieses Modell auch auf den angrenzenden Landkreis Anhalt-Bitterfeld und die kreisfreie Stadt Dessau-Roßlau ausgeweitet werden kann.

Auf diese Weise könnten weitere Synergien gehoben werden.

Dr. Benfer:

Das Wittenberger Modell passt in eine bestimm-te Situation, doch wir müssen für unbestimm-terschiedli- unterschiedli-che Rahmenbedingungen auch jeweils passende Modelle bereithalten. Generell scheint es gebo-ten, nicht nur den deutschen an den europäi-schen Rechtsrahmen anzupassen, sondern auch innerhalb der Länder für eine Harmonisierung zu sorgen. In Brandenburg steht im ÖPNV-Ge-setz, dass die Bereitstellung eines angemessenen

Wir stellen in allen Bereichen der Daseinsvorsorge fest, dass sich die Entwicklungen der kommenden Jahre sehr differen-ziert gestalten werden. In diesen Zusammenhang ist auch die Diskussion um die Gleichwertigkeit von Lebensbedingun-gen einzuordnen – ein Postulat, das sich in Zukunft nur be-dingt aufrechterhalten lassen wird. Schon Goethe hat gesagt,

„eines schickt sich nicht für alle“. Am Wittenberger Modell begeistert aber vor allem die Ehrlichkeit.

Nach dem Motto: Hier ist das Portmonee und jetzt zeigt uns mal, was ihr dafür bieten könnt.

Im Hinblick auf die Daseinsvorsorge herrscht in Deutschland noch immer ein definitorisches Wirr-warr. Manifest wird das daran, dass ÖPNV-Leistungen sowohl als freiwillig, als auch als pflichtig in Landesgesetzen stehen. Dass ist schon fast grotesk: alle sind sich inzwischen einig, dass Breit-bandversorgung ein Muss im Daseinsvorsorgekanon ist. Andererseits steht in Gesetzen, dass es eine Frage der kommunalen Kassenlage ist, ob ein sozial schwacher Rentner ohne Auto aus sei-nem Dorf in der Uckermark zum Arzttermin per ÖPNV in der Kreisstadt kommt. Das geht erstens an der Realität komplett vorbei, kollidiert zweitens mit unserem grundlegenden Verständnis von Daseinsvorsorge und verlangt drittens eine länderübergreifende Harmonisierung dahingehend, dass Mobilität zur Realisierung elementarer Lebensfunktionen kein beliebiges Gut ist.

Ein weiterer Aspekt ist die Notwendigkeit, Daseinsvorsorgeleistungen auch über gegebene Verwaltungsstrukturen hinaus zu denken. Gerade beim ÖPNV erscheint eine Vernetzung über Verwaltungsgrenzen hinweg als Strategie der Stunde. Daseinsvorsorge muss regional gedacht werden. Hier müssen sich Regionen bündeln, die über ähnliche strukturelle Voraussetzungen

verfügen. Falk Schäfer

DIE TEILNEHMER DER GESPRÄCHSRUNDE (IN NAMENSAlPHABETIScHER REIHENFOlGE)

ˆ Benfer, Dr., Wilhelm, Amtsleiter, Landkreis Barnim

ˆ Dannenberg, Jürgen, Landrat Landkreis Wittenberg

ˆ Karnop, Stefan, stellv. Abteilungsleiter im Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt

ˆ Hahn, Michael, Vorstand DB Regio Bus AG

ˆ Mietzsch, Oliver, Geschäftsführer, ZVNL Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig

ˆ Middelberg, Ulf, Sprecher der Geschäftsführung, LVB Leipziger Verkehrsbetriebe GmbH

ˆ Zieschank, Reiner, Vorstand Dresdner Verkehrsbetriebe AG, Mitglied des Präsidiums des Verbandes deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Vorsitzender der VDV-Landesgruppe Sachsen-Thüringen

Roundtable ÖPNV

i infos

Angebots eine freiwillige Aufgabe ist. Wenn ich daran denke, dass kaum ein Landkreis einen aus-geglichenen Haushalt aufweist, dann müsste die Landesaufsicht diese Leistung eigentlich sofort streichen.

Karnop:

Auch ich kann mir mehr als nur ein Modell vorstellen. Im Land Sachsen-Anhalt wollen wir niemandem eine bestimmte Verfahrensweise aufzwingen. Ich bemesse Erfolg vor allem daran, ob es gelingt die Zahl der normalen Fahrgäste zu steigern. Wir wollen in unserem ÖPNV-Plan auch öffentlichkeitswirksam darstellen, wie erfolgreich die einzelnen Landkreise waren.

Dadurch möchten wir auch einen Wettbewerb der Modelle ankurbeln – in der Hoffnung, dass der eine vom anderen lernt. Insofern wünsche ich mir ein PBefG, mit dem es gelingt, diese Modelloffenheit weiterhin zu gewährleisten.

Zieschank:

Es gibt nicht das alleinige Patentrezept. Der Busbetrieb ist anders zu betrachten, als der Schienenverkehr. Bei Letzterem muss eine kom-plexe Infrastruktur vorgehalten werden. Hier wird auch die Wettbewerbsfrage schwieriger zu beantworten sein, als beim Busverkehr.

Middelberg:

Ein Beispiel dazu: Vorm Leipziger Haupt-bahnhof wird gerade eine Weichenanlage aus-getauscht, über die fast alle Straßenbahnlinien laufen. Ohne eine integrierte Planung, eine gemeinsame Leitstelle würden wir solche Pro-jekte gar nicht stemmen können. Das zeigt, dass das Wittenberger Modell für die Schienen-infrastruktur nicht ganz passend erscheint. Im Hinblick auf die Novelle des PBefG frage ich mich, warum sich bislang niemand auf einen gemeinsamen Entwurf einigen konnte. In den Verhandlungen zwischen Bundesrat und Bun-destag geht es vermutlich eher um den politi-schen Ausgleich, als um die Sache. Hier mögen zudem unterschiedliche ordnungspolitische Vorstellungen aufeinandertreffen. Was der Debatte aber vor allem fehlt, ist etwas mehr Praxisorientierung und politischer Gestaltungs-wille. Denn entscheidend ist, dass es derzeit für zentrale Bestandteile wie die Infrastruktur keine ausreichenden Mittel und Finanzierungsper-spektiven gibt, die den ÖPNV zukunftsfähig

machen. n

Die Gesprächsrunde dokumentierte Falk Schäfer www.deutschebahn.com/regiobus

Im Dokument Unternehmerin Kommune: (Seite 35-40)