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In Deutschland war man bei Kriegsausbruch wirtschaftlich nicht auf einen langen Krieg vor-bereitet gewesen. Außerdem hatten die Verantwortlichen keine ausreichenden Vorstellungen von den Anforderungen eines modernen Krieges und dessen Auswirkungen auf die Bevölke-rung gehabt. Zwar befanden sich, als der Krieg ausbrach, erhebliche Lagermengen aller für die Friedensindustrie erforderlich Rohstoffe in Lagerhäusern, in den industriellen Betrieben oder als Rohstoffe im Verarbeitungsprozess, auf vielen Gebieten aber waren die Vorräte in der ursprünglichen Rohstoffform recht gering, sodass mit Ausnahme von Gummi343 und Sal-peter die Vorratshaltung bei Ausbruch des Krieges verhältnismäßig gering war.344 Um den sich durch die englische Wirtschaftsblockade verschärfenden Rohstoffmangel zu bekämpfen und die erforderlichen Rohstoffe der Industrie, die vor allem den Munitions- und Ausrüs-tungsbedarf der kämpfenden Truppe sicherstellen musste, zur Verfügung stellen zu können, wurden verschiedene Wege zu einem effizienteren Umgang mit Rohstoffen beschritten. Dazu gehörten die Senkung des Verbrauchs, Rohstoff sparende Produktionsverfahren, die Entwick-lung von Ersatzstoffen und, was insbesondere die Schulen betraf, das Sammeln von unter-schiedlichsten Abfallstoffen.

Ab Dezember 1914 riefen die Schulbehörden die Schulen immer wieder zur Sammeltätigkeit auf und unterstützten sie durch umfangreiche Informationsblätter. Am Beispiel der

338 Siehe: z. B. 2.1.3 („1. Kaiser-Wilhelm-Spende“).

339 Siehe Kapitel 4.8.

340 Siehe Kapitel 7.2.1.

341 Siehe Kapitel 7.2.2.

342 Unter diesem Oberbegriff werden auch verarbeitete Rohstoffe wie Zeitungen, Kleidung, Schuhe u.a. verstan-den; siehe: Anhang, Seiten 5–10.

343 Bei Ausbruch des Krieges betrugen Vorräte etwa 5000 t (siehe: Ertheiler/Plohn, Das Sammeln in der Kriegswirtschaft (1919), S. 16).

344 Siehe: Goebel, Deutsche Rohstoffwirtschaft im Krieg (1930), S. 9–18.

gen zur Sammlung von Altmaterialien des Regierungsbezirks Hildesheim soll dieses verdeut-licht werden.345

28. 12. 1914 Sammlung von Patronenhülsen

22. 03. 1915 Sammlung von altem Metall für Kriegszwecke (Berlin) 05. 07. 1915 Gummisammlung

18. 03. 1916 Sammlung von Zeitungspapier

27. 02. 1917 Sammlung kleinerer Gegenstände aus Sparmetallen 02. 07. 1917 Sammlung von nicht mehr gebrauchten Tauen 24. 10. 1918 Sammlung von Weißblech und Zinngegenständen

Neben den genannten Materialien gehörten vor allem die folgenden Materialien zu den Sam-melgütern der Schüler346:

- Schallplatten und Schallplattenbruch - Kupfer

- Messing - Bonze

- Reinnickel und Nickellegierungen - Aluminium

- Zinn und Stanniolpapier - Blei

- Zink

- Glühlampensockel - Platinbrennstifte - Flaschen

- Zelluloid

- Lumpen und Lederabfälle - Korkabfälle

An Beispiel des Frankfurter Goethe-Gymnasiums347 und einiger anderer Schulen soll nun untersucht werden, in welchem Maße die Aufrufe der Behörden von den Schulen umgesetzt wurden und wie erfolgreich sie bei ihrer Sammeltätigkeit waren. Im Jahre 1917 sammelten die Frankfurter Schüler z. B. innerhalb von zehn Wochen348:

13.100 kg Papier 290 kg Lumpen 22 kg Zelluloid 132 kg Gummi 17 kg Abfallkork 43 kg Leder

117 kg Stanniol und Silberpapier 62 kg Metall

345 Auf den Ankauf von Goldgeld und die Sammlung von Goldgegenständen soll hier nicht eingegangen werden;

siehe: 3.1.1 und 3.1.2.

346 Siehe: Ertheiler/Plohn, Das Sammeln in der Kriegswirtschaft (1919), S. 29–50. Das Kilo Kupfer wurde bei-spielsweise mit 1,70 M. vergütet, das Kilo Zink mit 0,40 Mark und 1.000 Kg. Konservendosen (Weißblech) mit 50 Mark.

347Zenetti, Der Sammelhilfsdienst der Frankfurter Schuljugend und seine Ergebnisse am Goethe-Gymnasium (1918).

348 Frauenhaar, Lumpen, Kork und Filzhüte werden als „Naturerzeugnisse“ in 3.3 behandelt.

10.160 Flaschen 4.900 Korken

1.230 Glühbirnensockel 370 Filzhüte.

An der Sammlung der genannten Altmaterialien nahmen 380 Schüler teil, die dafür 35.098 Sammelmarken bekamen. Der große Erfolg wurde nicht nur von der Presse gewürdigt, son-dern auch die Schulbehörden und viele Kommunen waren auf das „Frankfurter System“ auf-merksam geworden. So ließ sich z. B. das Provinzial-Schulkollegium zu Kassel darüber be-richten und in Berlin referierte der Direktor der Zentrale für den Sammeldienst „an maßge-benden Stellen"..

Da das Frankfurter Goethe-Gymnasium als ‚Musterschule’ das „Frankfurter Sammelsys-tem“349 erprobt hat, sollen die Sammelergebnisse einiger anderer Schulen vergleichend hinzu-gezogen werden.

1917

Lyzeum Flensburg: Platin: 20,1 kg, Weißblech: 2.160 kg, Sparmetalle: 150 kg, Summe:

2.310,02 Mark;

Lyzeum I Kiel: Platin: 7 kg, Weißblech: 823,8 kg, Sparmetalle: 13,66 kg, Gummi: 34 kg, Summe: 871,47 Mark;

Lyzeum Altona: Platin: 20,95 kg; Weißblech: 400 kg, Sparmetalle: 141 kg; Summe 551,02 Mark.

Insgesamt sind 1917 von den 17 höheren Mädchenschulen Schleswig-Holsteins 5.292,48 kg Altmaterialien zusammengebracht worden und 1918 sogar 5.996,14 kg.350

Auch wenn in den kleinen Dorfschulen hauptsächlich Naturprodukte gesammelt wurden, so nahmen sie aber auch an den Sammlungen für Metall, Gummi u. a. Teil, wie die folgenden Beispiele zeigen. 351

Schule in Kruspis (Provinz Hessen-Nassau)

„Eine Woche lang suchten meine Schüler auch alte Kupfer- und Messingsachen, die wir ans Artil-lerie-Depot nach Cassel sandten. […] Da auch zu gleicher Zeit sich Gummimangel fühlbar machte, sammelten wir eine Woche hindurch altes Gummi. Meine Schüler entwickelten wie immer eine re-ge Tätigkeit und eine große Kiste voll alter Gummiwaren kam zusammen.“352

(Dorfschullehrer Schreiber aus Kruspis)

349 Zenetti, Der Sammelhilfsdienst der Frankfurter Schuljugend und seine Ergebnisse am Goethe-Gymnasium (1918).

350 Angaben nach Pust, „Vaterländische Erziehung“ für „Höhere Mädchen“ (2004), S. 358f.

351 Die Schulen auf dem Lande waren natürlich beim Sammeln von Naturerzeugnissen deutlich erfolgreicher (s. Kapitel 2.3).

352 Rasch, Der Weltkrieg 1914 - 1918: Berichte eines Zeitzeugen, http://hersfelder- zeitung.de /heimatland/40_1.htm (21.03.2008).

Schule in Fiestel (Provinz Westfalen)

Ergebnis der ‚Reichsgummiwoche’ (14.–19.04.1915): 22, 5 kg353

Außerdem beteiligten sich die Schüler an einer Sammlung von Gegenständen aus Messing, Kupfer und Nickel und trugen „’eine Unmenge von Gerätschaften aller Art’ wie Mörser, Kes-sel und Kannen zusammen“354.

Schule in Drohne (Provinz Westfalen) Ergebnis der ‚Reichsgummiwoche’: 200 kg.

Aus der Stadt Hannover liegen für den Zeitraum vom 1. April 1916 bis 31. Dezember 1918 die Sammelergebnisse der Schüler der städtischen Mittel- und Volksschulen vor355:

Weißblechdosen: 30.630 kg Metall: 111.771 kg Papier, Lumpen, Gummi: 40.885 kg

Für das Jahr 1917 gibt es statistisches Material über die Sammeltätigkeit der Schulen im Deutschen Reich, und zwar von 3.330 der insgesamt etwa 60.000 Schulen:356

Weißblech: 220.380 kg (Preußen 177.401 kg) Altgummi: 37.629 kg (Preußen 30.420 kg) Altpapier: 828.496 kg (Preußen 593.631 kg)

Von den Schulen aller Schulformen erzielten das höchste Ergebnis:

Altgummi: 1.300 kg durch das Kgl. Gymnasium in Flensburg Altpapier: 50.000 kg durch die Schule Vosbergstraße in Hamburg

Platinstifte: 130 Stück durch die Unterstufe der kirchlichen St. Johann-Schule in Hamburg Weißblech: 4.000 kg durch die Mädchenschule in Großottersleben bei Magdeburg.

Zwar ist es gelungen, die Schule in besonderem Maße für die Sammlung von Altmaterialien für die Rüstung zu aktivieren, die Sammelergebnisse jedoch sind bei vielen Materialien sicher hinter den Erwartungen des Kriegsamtes zurückblieben und konnten nur in geringfügigem Maße dazu beitragen, den Mangel an Rohstoffen zu beheben.357 Dieses soll am Beispiel der Sammlung von Weißblechdosen, die vorwiegend von Schülern durchgeführt wurden, kurz werden. Weißblechdosen dienten der Zinnrückgewinnung, wobei etwa aus 1000 kg Dosen,

353 Kammeier, Der Landkreis Lübbecke und der 1. Weltkrieg (1998), S. 186.

354 Kammeier, Der Landkreis Lübbecke und der 1. Weltkrieg (1998), S. 186f.

355 StAH, HR 16 Schulamt Nr. 552, Schreiben Magistrat Hannover an Kriegsamtsstelle Hannover vom 4.1.1919;

siehe: auch Grotjahn, Stahl und Steckrüben Bd. 2 (1993), S. 171.

356 Ohmann, Eine Statistik der Sammeltätigkeit der Schulen im Jahre 1917, Deutsches Philologen-Blatt 1918, S.

232.

357 Neben Zinn fehlten u. a. Nickel, Aluminium und Kupfer.

für die damals 50 Mark Vergütung gezahlt wurden, damals etwa 10 kg Zinn gewonnen wur-den. Aus den von deutschen Schulen im Jahre 1917 gesammelten 220.380 kg konnten also ungefähr 22 Tonnen Zinn gewonnen und der Wiederverwendung zugeführt werden. Vor dem Krieg waren jährlich 14 – 15.000 t Rohzinn eingeführt worden. Die von den deutschen Schu-len gesammelte Menge kompensierte also im Jahre 1917 lediglich etwas mehr als 0,6 % der vor 1914 eingeführten Menge. Ähnlich wird es bei den Sammlungen der Leichtmetalle (Kup-fer, Messing, Aluminium, Blei, Zink u. a.) gewesen sein, denn da im Februar und April 1915 umfassende Metallbeschlagnahmungen erfolgt waren, war es für Schüler danach sehr schwer, Metallgegenstände aufzutreiben. Dass überhaupt mitunter noch relativ große Sammelmengen zusammenkamen, ist wohl darauf zurückzuführen, dass Metallgegenstände „aus Furcht vor etwa eintretender Bestrafung wegen Nichtabgabe zurückgehalten worden waren“358. Sicher hat auch die recht geringe Vergütung Einfluss auf das Ergebnis gehabt. Mengenmäßig ent-sprach die „Metall-Mobilmachung“ vor allem beim Kupfer, das für die Waffenproduktion besonders wichtig war.359 Leider lassen die Quellen keine gesicherten Rückschlüsse auf den Anteil der Schulen daran zu.360

Wichtiger als das Sammelergebnis, dass trotz der teilweise doch recht geringen Sammelmen-gen in einem Ministerialerlass vom 24. April 1918 lobend erwähnt wurde361, war allerdings der pädagogische Nutzen, d. h. die emotionale Mobilisierung für den Kampf an der „Heimat-front“.

Über die Einstellung damaliger Schüler und Lehrer zu der Sammeltätigkeit sollen im Folgen-den einige Aussagen Aufschluss geben. Aus Folgen-den Tagebüchern der Schülerinnen Elfriede Kuhr und Erna Lange geht hervor, mit welch großem Eifer die Schülerinnen sich an dem Samm-lungen beteiligten. Vor allem der Wettbewerb zwischen den Klassen einer Schule und die Anerkennung durch die Lehrer waren für sie ein guter Ansporn. Dass sie die Sammelaktionen allerdings auch als ihre vaterländische Pflicht ansahen, zeigt besonders das Opfern der lieb gewordenen Spielzeugsoldaten, die „den Tod für das Vaterland“ sterben mussten.362

358 Ertheiler/Plohn, Das Sammeln in der Kriegswirtschaft [1919], S. 47.

359 Siehe: Goebel, Deutsche Rohstoffwirtschaft im Krieg (1930), S. 51.

360 Bei den Ergebnissen der Schulen werden meistens die Mengen für die gesammelten „Leichtmetalle“ angege-ben, zu denen auch Kupfer gehörte, Kupfer wird aber nur ganz selten einzeln aufgeführt.

361 Siehe: Führen, Lehrer im Krieg (1936), S. 41.

362 Die Pflicht, Zinnsoldaten und anderes Spielzeug zu spenden, wurde auch in vielen Kinderbüchern und Zeit-schriften für Kinder betont, wie z. B. in der Erzählung „Die Bleisoldaten“ von Maria Petzel („Das fromme und fröhliche Kind“, 1916, Nr. 7); abgedruckt in Oberschelp/Grotjahn, Stahl und Steckrüben Bd. 1 (1993), S. 136f.) oder in dem Gedicht „Alt-Metalltag in den Schulen“ (Braun, Deutschlands Jugend in großer Zeit, 1916, S.

100f. Das Gedicht ist im Anhang abgedruckt (siehe: Anhang, Seite 11). Auch Försters „Die deutsche Jugend und der Weltkrieg“ enthält zwei Episoden, in denen Kinder die Bleisoldaten als ihr liebstes Speilzeug spenden: „Das Kriegsopfer der ABC-Schützen“ (S. 119f.) und „Ein rührendes Beispiel kindlicher Opferwilligkeit“ (S. 120f.);

Förster, Die deutsche Jugend und der Weltkrieg [1915]).

„11. März 1915: In der Schule ist eine neue Sammlung angesagt. Diesmal geht’s wieder um Kup-fer, außerdem um Zinn, Blei, Zink, Messing und Alteisen. Daraus sollen Gewehrläufe, Kanonen, Patronenhülsen usw. gemacht werden. Unter den Klassen entsteht ein rasantes Wettsammeln. Un-sere Klasse, die vierte, hat schon jetzt die größte Menge beisammen. Ich hab zu Haus das unterste zuoberst und das oberste zuunterst gekehrt. Mariechen schimpfte nicht schlecht: ‘Das Fräulein Pietchen stiehlt uns alles weg!’ Ich nahm alte Löffel, Messer, Gabeln, Töpfe, Kessel, ein Tablett, eine kupferne Schale, zwei Leuchter aus Messing, alte Gürtelschnallen, eine Pfanne, mehrere Ha-ken und was weiß ich noch alles. Großmutter schlug die Hände zusammen und rief: ‘Die Jöre macht mich bankrott! Verschenk doch lieber deine Bleisoldaten, anstatt mir die letzten Siebensa-chen zu nehmen!’ So mußte meine kleine Armee, mit der Willi und ich so oft gespielt hatten, in den Tod. Um nicht alle Soldaten zu opfern, loste ich die Todeskandidaten aus. Auf wen das Los fiel, den nahm ich aus der Viererreihe und legte ihn abseits. Als alles durchgelost war, packte ich die Unglücklichen immer zu zweit in einen riesigen Blechlöffel und hielt ihn über die Glasflamme.

Die Helden in ihren hübschen blauen Uniformen schmolzen den Tod fürs Vaterland […]. Schreck-lich! Ich schmolz auch die letzen ein. Am liebsten hätte ich geheult. Statt dessen lachte ich mit meinem Bruder.“363 (Elfriede Kuhr)

„Die reine Produktenhandlung ist in den drei großen Kellerräumen eingerichtet worden. In Haufen und Bergen liegt dort alter Kram. Alles hat ja heute irgendwie einen Wert, kann weiterverwendet werden: Papier, Lumpen, Knochen, Stanniol, Korken, Gummi, Flaschenkapseln, Haare, zerbroche-ne Grammophonplatten, Konservenbüchsen. Im Souterrain unserer zerbroche-neuen Schule riecht es nach ei-ner Trödler Wirtschaft. Aber wir reißen uns danach, dort arbeiten zu dürfen. In kleine Sammelhef-ten kleben wir die für die Ablieferung der Sachen erhalSammelhef-tenen Marken.

‚Das allermindeste müßt ihr entdecken, Auf das geschwindeste in allen Ecken’.

stand auf der Deckelseite. Und wir entdeckten überall ablieferbare Gegenstände. Die Bodenkam-mern sämtlicher Bekannten werden gründlich abgesucht. Rosemarie hat neulich für ein vollgekleb-tes Heftchen ein wunderschönes Buch bekommen. Dr. Hensberg hatte eine Widmung hineinge-schrieben, die auch vom Direktor unterzeichnet worden war. Nun streben wir alle eifrigst nach der gleichen Zeit. Heute bringt Inge Leukner eine schwere Schachtel Bleisoldaten mit. ‚Ich bin ganz lahm vom Schleppen’, stöhnt sie und schwenkte den angestrengten Arm hin und her. Mit großer Begeisterung packen wir die Herrlichkeit aus. Große, selbstgegossene Musketiere sind es. Die Sol-daten, die Soldaten! Wenn die herrlichen Freistunden doch nie zu Ende gehen möchten!“364 Ein Berliner Gymnasialschulleiter hob den Sammeleifer der Schüler hervor und betonte auf den pädagogischen Nutzen der Sammlungen. Seiner Meinung war es überflüssig und schadete der patriotischen Erziehung, Schüler zu Sammlungen und anderen Hilfsdiensten durch das Hilfsdienstgesetz“ (1916) zu verpflichten:

„Neben diesen Betätigungen hat nun gradezu eine Flut von Sammlungen eingesetzt, um die sich unsere Schüler ebenfalls große Verdienste erworben haben. Es ist alles gesammelt worden, was ir-gendwie der Allgemeinheit nützen konnte, alle Metalle, alle Ersatzmittel, die die Natur gab, alle

‚alten Sachen’.[…] Ueberall gewannen die Schüler selber durch ihre Tätigkeiten neue Kenntnisse, wurden auf Dinge aufmerksam, die sonst kaum im Unterricht berührt wurden, z. B. auf Papierge-winnung usw.

Alle diese Sammlungen und Arbeiten geschahen zuerst freiwillig. Allmählich, namentlich seit der Annahme des Hilfsdienstgesetzes365, wurden die Schüler zu Dienstleistungen kommandiert. Damit entfiel dann der schöne Gedanke, daß sie aus freien Stücken ihre Zeit und Arbeit in den Dienst des Vaterlandes stellten.“366 (Paul Hildebrandt, Schulleiter in Berlin, 1918)

363 Mihaly, … da gibt's ein Wiedersehn! (1986), S. 156f.

364 Lange, 1914 bis 1918 auf der Schulbank (1933), S. 79f.

365 5. Dezember 1916.

366 Hildebrandt, Paul, Die Leistungen unserer Schüler im Kriege (1919), S. 69 und 79.

Eine Lehrerin aus Berlin betonte, dass es hinsichtlich des Sammeleifers keine Unterschiede zwischen den Mädchen- und den Jungenschulen gab und dass der Wettbewerb zwischen den Schulen sowie die Aussicht auf freie Tage als Belohnung die Schüler zu verstärkter Aktivität anspornte:

„Die Mädchenschulen beteiligten sich eifrig an all den zahlreichen Sammlungen. […] In den gro-ßen Städten wurde der Schwerpunkt auf andere Sammlungen gelegt, wie Kleidungsstücke, Papier, Metall, Stanniol, Kerne, Haare. […] Groß war der Jubel, wenn es hieß: ‘Morgen habt ihr frei, da ihr so fleißig gesammelt habt.’ Der schulfreie Tag wurde dann zu neuer Werbearbeit genutzt. In alle den Sammlungen wetteiferten Knaben und Mädchenschulen.“367

(Anna Günther, Lehrerin in Berlin)

Abschließend sollen drei Zeitzeugen, die sich an ihre Schulzeit im Krieg erinnern, zitiert wer-den. Sie bestätigen die hohe Akzeptanz der Schüler und der Lehrer bei den Aktionen und ih-ren Sammeleifer, der durch den Wettbewerb zwischen den Klassen und den Schulen sowie durch Belohnungen immer wieder verstärkt wurde. Dass die Schüler gelegentlich bei ihrer Tätigkeit auch unangenehmen Situationen ausgesetzt waren, geht aus Johann Baptist Gradls Erinnerungen hervor.

„Die Lehrer hielten Sammlungen ab, zu denen wir brachten, was wir auftragsgemäß gesammelt hatten. Das gewünschte Material wechselte: Mal waren es Konservendosen aus Weißblech, mal Gummiteile, mal ausländisches Geld, mal was anders. Wir gingen beliebige Straßenzüge ab, klin-gelten im Bewußtsein vaterländischer Pflicht ungeniert an den Wohnungen und sagten unseren Wunsch. Zuweilen hatte man wirklichen Erfolg. […] Die Regel war Bedauern, daß man nichts zu geben hatte, gelegentlich erntete man auch ein Schimpfwort. Für besondere Sammelerfolge gab es Prämien; in meinem Arbeitszimmer hängt ein Kunstdruck mit der Handschrift des Deutschlandlie-des und der Abbildung Deutschlandlie-des Hauses, in dem Hoffmann von Fallersleben es auf Helgoland geschrie-ben hat.“368

(Johann Baptist Gradl, * 25. März 1904 in Berlin)

„Besonders die Ablieferung von Gold und Metallen wurde ein Sport für uns. Die Schulen machten untereinander Konkurrenz, welche am meisten abgeliefert hatte. Der Siegespreis war ein Tag

‚Schulfrei’. Mit unserer Mutter hatten wir lange Diskussionen, bis wir durchsetzten, dass wir schoene, kupferne und zinnerne Tafelgeraete abliefern durften. Man bekam da fuer die Stunden, die man bei der Ablieferungsstelle warten musste, schulfrei. Die Ablieferungsstelle war zu unsrer groessten Freude in der Waitzstrasse, 30 Minuten von unsrer Wohnung. Und vor der Ablieferungs-stelle standen hunderte von Schuljungen wie wir mit allem möglichen Hausrat aus Metall. Die Ab-lieferungsprozedur war typisch preussisch, sehr buerokratisch.“369

(W. M. Citron, * 10. November 1905 in Berlin)

„Ich hatte meinen Eltern die Kupferkessel und die letzten Goldstücke weggeschleppt.“370 (Hilde Wenzel, * 1906 in Berlin)

Die Texte zeigen wie viele andere nicht nur, mit welch großem Engagement sich Schüler und Lehrer an den Sammlungen beteiligten, sondern lassen auch Rückschlüsse auf die

367 Günther, Von der Kriegsarbeit der Mädchenschulen, Jugenddank-Kalender, 1919, Nr. 72, S.73.

368 Pörtner, Kindheit im Kaiserreich (1990), S. 242f.

369 Franke, 3. Die Kriegsgeneration, S. 199.

370 Franke, 3. Die Kriegsgeneration, S. 212.

gesellschaftliche Bedeutung der schulischen Aktionen zu. Durch die beharrliche Werbe- und Sammeltätigkeit der Kinder wurden Eltern, Verwandte und Bekannte sowie die gesamte Öf-fentlichkeit immer wieder mit dem Rohstoffmangel und der propagierten Pflicht, für die Sol-daten an der Front und damit für das Vaterland persönliche Opfer zu bringen, konfrontiert.

Dadurch wurde die Schule neben der Presse zum wichtigsten Multiplikator der staatlichen Propaganda.