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3. Kaufs- und Verkaufsaktionen

4.3 Arbeitseinsätze in Industrie und Handel

4.4.2 Lehrkräfte

Noch stärker als die Schüler waren die Lehrkräfte durch Hilfsdienste belastet, denn sie muss-ten häufig ihre Schüler bei solchen Einsätzen begleimuss-ten und wurden darüber hinaus für viele andere Aufgaben herangezogen. In der Provinz Posen z. B. übte ein Landschullehrer Ende 1917 15 nahezu durchweg ehrenamtliche Hilfsdienste aus.844 Für wie wichtig diese Kriegshil-fe von Kommunen und Staat gehalten worden ist, zeigen die vielen diesbezüglichen Verfü-gungen der Schulaufsichtsbehörden. Zunächst sollen am Beispiel der Regierungsbezirke Hil-desheim und Königsberg die entsprechenden Verwaltungsvorschriften aufgeführt werden. Die Liste der Tätigkeiten soll dann ergänzt werden, u. a. durch Hinweise in Lehrerzeitungen;

schließlich sollen die Tätigkeiten anhand von Schul- und Ortschroniken sowie anderen Quel-len unter dem Aspekt untersucht werden, inwieweit die Vorschriften umgesetzt worden sind und wie die Lehrerschaft sie insgesamt empfunden hat.

Amtliches Schulblatt für den Regierungsbezirk Hildesheim:

28.01. 1915 Beteiligung der Lehrer bei der Aufnahme der Getreide- und Mehlvorräte;

Mithilfe der Lehrerschaft bei den Maßnahmen zur Regelung des Verbrauchs der Lebensmittelvorräte

12.03.1915 Teilnahme von Lehrern an Viehzählungen 20.11.1917 Beteiligung der Lehrer an der Volkszählung Amtliches Schulblatt für den Regierungsbezirk Königsberg:

26.02.1917 Viehzählung

14.05.1917 Kriegswirtschaftliche Bestandsaufnahmen

Im Schulblatt für die Herzogtümer Braunschweig und Anhalt wurden entsprechende Kriegs-verfügungen der Oberschulbehörden veröffentlicht.845 Am 17. September 1916 erschien eine Verfügung zu der am 1. Oktober 1915 vorzunehmenden Vieh-Zwischenzählung, die sich an die Lehrerschaft wandte: “Bei der außerordentlichen Wichtigkeit, welche dieser Zählung

843 Pörtner, Kindheit im Kaiserreich (1990), S. 206.

844 Saul, Jugend im Schatten des Krieges (1983), S. 113.

845 Rundschau, Schulblatt für die Herzogtümer Braunschweig und Anhalt, 1917, S. 144.

zumessen ist, kann im Interesse einer zuverlässigen Durchführung die Lehrerschaft nicht ent-behrt werden.“ Außerdem verlangte die Regierung Anhalt mit Erlass vom 12. Februar 1916 von den Lehrern, an der Aufklärung der Bevölkerung über die Ernährung „regsten Anteil“ zu nehmen: „Bei den Vorträgen in den Lehrerkreisen sei besonders zu betonen, daß die Aufklä-rung der BevölkeAufklä-rung, namentlich auf dem Lande, auch von Haus zu Haus und in der Schule erfolge.“ Ferner bezeichnete die Herzogliche Regierung die Mitwirkung der Lehrerschaft bei der „für die vom 1. bis 5. Februar vorgenommene Feststellung der Vorräte an Brotgetreide und Mehl […] als dringend erwünscht“. Auch zur „Beteiligung am Werk der Kriegsbeschä-digtenfürsorge“ waren die Lehrkräfte aufgerufen worden (21. September 1915).

In besonderem Maße wurden die Landlehrer aufgrund ihrer beruflichen Autorität für be-stimmte Hilfsdienste eingesetzt. So wurden sie

„in den Dienst der quartiersuchenden Soldaten, des quartiermachenden, pferdemusternden, listen-schreibenden Gemeindevorstehers (gestellt), in den Dienst gemeinnütziger Organisationen der landwirtschaftlichen Kasinos, der Molkereien, deren Geschäftsführer fast unvorbereitet die Posten verlassen mussten, in den Dienst seelsorgerischer Tätigkeit der Tröstung und Aufrichtung der Leichtverzagten. […] Der Lehrer führte die Liste der Adressen, die er natürlich auch zu schreiben hatte. Ach, wie viel Listen er zu führen hatte in den Jahren bis zum schweren Ende: Sammellisten aller Art und die Listen der Verwundeten, Vermißten und Gefallenen! Und dann kam die Zeit der Bestandserhebungen der landwirtschaftlichen Produkte – und es war selbstverständlich, daß der Lehrer mit in die Keller und auf die Böden musste, um Kartoffeln, Möhren und Weizen abzuschät-zen.“846

Auch zur Bewachung von wichtigen Objekten sowie zur Sperrung von Straßen und zur Siche-rung von Feldfrüchten wurden Lehrer eingesetzt.847

Einen weitaus größeren Raum nahm jedoch die Instruktion der Erwachsenen durch die Lehrer und Lehrerinnen ein. Als Beispiel sei ein Dorfschullehrer angeführt, der 14tägig vor Männern Vorträge zu folgenden Themen hielt:

„Unsere Feinde

Die Kriegsbereitschaft Deutschlands Die Kavallerie im heutigen Kriege Moderne Festungen

Minen, Torpedos und Unterseeboote Der Feldzug im Westen

Der Islam und der Weltkrieg Kartoffelverwertung (Kriegsbrot) Die Schweinezucht

Unsere Auslandskreuzer

Der Krieg gegen Russland und die Kämpfe der Österreicher Früher Gemüseanbau.“848

846 Führen, Lehrer im Krieg (1936), S. 344/347.

847 Ungelenk, Coburg im Weltkrieg 191418; Ein Denk- u. Dankstein (1922), S. 400.

848 Kammeier, Der Landkreis Lübbecke und der 1. Weltkrieg (1998), S. 211.

Aufgrund ihrer Stellung, ihrer Sprachfertigkeit und ihres Wissens waren die einzelnen Lehrer nach Kammeier als Bindeglieder zwischen der Bevölkerung sowie der politischen und militä-rischen Führung für die Aufklärung, z. B. über Fragen der Ernährung, Information über den Kriegsverlauf, und die Stärkung der Siegeszuversicht sowie des Durchhaltewillens vor allem der ländlichen Bevölkerung, von großer Bedeutung.849

Die genannten Beispiele, die noch durch sehr viele überlieferte Eintragungen in den Orts- und Schulchroniken ergänzt werden könnten850, zeigen, dass sich sehr viele der nicht an der Front eingesetzten Lehrkräfte in einer Vielzahl von außerschulischen Tätigkeitsgebieten engagiert haben und den Appellen an ihre „große Opferwilligkeit“ gefolgt sind. Beispielsweise hatte die Regierung Arnsberg im November 1916 der Lehrerschaft ihres Bezirks mitgeteilt, es sei

„Pflicht der Volkserzieher […] durch opferfreudige Hingabe ihre Gesamtkräfte dem Vater-land zu widmen, zum leuchtenden Vorbild für die Jugend, zum Ansporn für die Volksgenos-sen (zu werden)“851.

Zu den 50 Aufgabenfeldern, die die Schulabteilung der Regierung in Trier nannte, gehörten neben den in diesem Kapitel thematisierten Hilfsdiensten vor allem auch die vielen Sammel- und Werbeaktionen.852 Von den für die Kommunen so wichtigen administrativen Aufgaben (Verteilung der Lebensmittelkarten, Mitwirkung an Zählungen u. v. a.) waren vor allem die Lehrkräfte der Schulen in den kleineren Gemeinden betroffen.

Eine große politische Bedeutung wurde den schulischen Informationsveranstaltungen, den Vorträgen, der ‚Hausagitation’ und der indirekten Beeinflussung der Eltern durch die Lehrer beigemessen. Nach Saul wurde „schließlich der Volksschullehrer insbesondere in den Dörfern und kleineren Städten zum Agenten der Kriegspropaganda“ und „die ‚Schulfront’ (entwickel-te) sich zu einer der wichtigsten Bastionen der Heimatfront“853.

849 Den Lehrern und den anderen Multiplikatoren wurden oft von den Regierungen oder Kommunen detaillierte

„Leitsätze“ zur Verfügung gestellt, wie z. B. im Regierungsbezirk Arnstadt (Provinz Nordrhein-Westfalen):

Leitsätze zur Aufklärung über Volksernährungsfragen im Ersten Weltkrieg für den Regierungsbezirk Arnsberg, 1915.

850 Siehe: z. B. Rasch, Der Weltkrieg 1914–1918: Berichte eines Zeitzeugen, http://hersfelder-zeitung.de/heimatland/40_1.htm (21.03.2008), S.3; Aus der „Schul-, Dorf- und Kirchenchronik" St. Willibrord Wardt, http://www.xanten-web.de/Domstadt/WardtChro5.html (03.04.2008); Eckert, Gemeinde- und Schulchro-nik von Lowkowitz, http://www.schloss-ellguth.de/lowkowitz2.htm (05.04.2008); Schulchronik, http://www.badliebenwerda.de/prieschka/schule.htm (21.10.2009); Reyher, Die Schwanheimer Schulchronik, www.schulserver.hessen.de/…/Die%20Schwanheimer%20Volksschule%20im%201.Weltkrieg.doc - (29.02.2008); Johann/Tchech/Schicha/Zwikirsch/Matzel/Rosemann, Schulchronik der Schule zu Mittel-Podiebrad, http://petertscherny.pe.funpic.de/strehlen/podiebrad/chronp.pdf. (19.09.2009).

851 Saul, Jugend im Schatten des Krieges (1983), S. 113.

852 Siehe: Kapitel 2.

853 Demm, Ostpolitik und Propaganda im Ersten Weltkrieg (2002), S. 75.

4.5 Liebesgaben

854

Die Herstellung, Zusammenstellung, das Verpacken und der Versand von ‚Liebesgaben’

nahmen von Beginn des Krieges an einen breiten Raum im schulischen Alltag ein, und zwar vor allem in den Volks- und Mädchenschulen. Wenige Tage nach Kriegsausbruch hatte sich der Vorstand des Vaterländischen Frauenvereins an den preußischen Minister für Handel und Gewerbe mit der Bitte gewandt, den Handarbeitsunterricht ausschließlich dafür nutzen zu können, für die Soldaten an der Front Liebesgaben herzustellen.

In der Antwort des Handelsministers Dr. Sydow hieß es u. a.:

„Dem Vorstand beehre ich mich zu erwidern, daß für die Mädchenschulen, wie für sämtliche Schu-len meiner Verwaltung, von jeher der Grundsatz gegolten hat, alles zu vermeiden, was dazu beitra-gen könnte, durch die Schulen den Gewerbetreibenden und den von ihnen beschäftigten Arbeits-kräften eine unerwünschte Konkurrenz zu bereiten. Eine Heranziehung der Schulen zur Herstellung von Liebesgaben für die im Felde stehenden Truppen kann ich daher nur unter der Einschränkung befürworten, daß es sich um solche Arbeiten handelt, durch die den Lohnarbeiterinnen Arbeitsge-legenheit nicht entzogen wird. Als unbedenklich zuzulassende Arbeiten können z. B. in Frage kommen, das Stricken von Strümpfen, Pulswärmern u. dgl., in der Regel aber nicht das Nähen von Bettüchern, Hemden und sonstiger Wäsche. Innerhalb der sich hiernach ergebenden Grenzen bin ich den Wünschen des Vaterländischen Frauenvereins gern entgegengekommen, indem ich die Schulaufsichtsbehörden meines Geschäftsbereichs mit entsprechender Anweisung versehen ha-be.“855

Darauf schlug der Frauenverein dem Schulminister vor,

„an sämtliche Unterrichtsanstalten für den Dienstbereich die Aufforderung ergehen zu lassen, in den Handarbeitsstunden von jetzt ab ausschließlich Liebesgaben für die im Felde stehenden Trup-pen anfertigen zu lassen und sie den Vaterländischen Frauenvereinen der betreffenden Orte zur Verfügung zu stellen. Als Liebesgaben kommen wesentlich in Betracht:

wollene Strümpfe (mittleres und größeres Maß) wollene gestrickte Leibbinden

wollene gestrickte Unterziehjacken.

Soweit die einzelnen Anstalten bzw. Schülerinnen nicht in der Lage sein sollten, das für die Her-stellung erforderliche Material selbst zu beschaffen, bitten wir die Schulleiter anzuregen, dasselbe von den an den einzelnen Orten bestehenden Geschäften zu erbitten.“856

Der Minister griff den Vorschlag auf, ließ das Schreiben des Frauenvereins im „Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen“ abdrucken und erließ am 18. August 1914 einen entsprechenden Erlass für die weibliche Jugend der höheren Lehranstalten sowie die mittleren und die Volksschulen857.

854 Siehe: Anhang, Seiten 75/76.

855 Der preußische Handelsminister Dr. Sydow über die Liebestätigkeit in den Schulen, Die Lehrerin: Organ des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins 1914, S. 183.

856 Vorstand des Vaterländischen Frauenvereins, Liebesgaben, Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwal-tung in Preußen, 1914, S. 569.

857 Ministerium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten, Anfertigung von Liebesgaben für das Heer in dem Handarbeitsunterricht für die weibliche Jugend., Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, 1914, S. 568f.

Einer ähnlichen Bitte des Evangelisch-Kirchlichen-Hilfsvereins „Frauenhilfe“ wurde vom preußischen Unterrichtsminister mit Erlass vom 28. September 1914 ebenfalls entsprochen.858 Auch die Regierungen der preußischen Provinzen förderten das Projekt ‚Liebesgaben für die Front’. So verfügte z. B. die Regierung in Düsseldorf, „dass die Hauswirtschafts-, Handar-beits- und die Turnlehrerinnen, auch nachdem der Unterricht wieder begonnen hat, zu freiwil-liger Liebestätigkeit beurlaubt werden“859.

Die Initiativen der Frauenvereine und anderer Organisationen stießen von Anfang an in den Schulen aller Schulformen auf außerordentlich große Resonanz. Während die hergestellten Stricksachen zunächst in den Sammelstellen des Roten Kreuzes und anderer Hilfsorganisatio-nen abgeliefert wurden, gingen die meisten Schulen bald dazu über, selbst Pakete zu packen und zu verschicken.860

Ein Beispiel aus Breslau (Provinz Schlesien) soll das Ausmaß der Aktionen verdeutlichen.861 Auf weitere Beispiele für Liebesgaben aus dem ersten Kriegsjahr, die vor allem in Schulchro-niken und Jahresberichten sehr zahlreich und ausführlich dokumentiert sind, kann hier ver-zichtet werden, da sie sich insgesamt nicht vom genannten unterschieden.

Innerhalb sehr kurzer Zeit wurden durch Volksschulkinder hergestellt und bei den Sammel-stellen abgeliefert: „2451 Paar Strümpfe, 1433 Paar Fußlappen, 616 Paar Pulswärmer, mehre-re Dutzend Handschuhe, Kniewärmer und wärmende Sachen […], nicht zu zählen die ver-schiedenen Paare von Strümpfen, wollenen Unterkleidern und Decken, die den in den Schul-häusern liegenden Soldaten, der Arbeiterkompagnie in Hünern und Landsturmleuten unmit-telbar überwiesen worden sind“862.

Insgesamt sind bis zum 19. Dezember 1914 von 2.800 Schülerinnen der Volksschulen ange-fertigt worden: „6333 Paar Strümpfe, 2055 Paar Pulswärmer, 261 Paar Handschuhe, 368 Kopf und Ohrenschützer, 187 Leibbinden, 91 Brust- und Lungenschützer, also etwa 9700

858 Führen, Lehrer im Krieg (1936), S. 61.

859 Vom eifrigen Kampf unserer Jugend, Die Lehrerin: Organ des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins 1914, S. 190.

860 Die Herstellung von Strickwaren durch Schülerinnen wurde von Anfang an von vielen als Konkurrenz zur bezahlten Berufsarbeit empfunden. Ein Beispiel aus Schwerin zeigt, dass solche Befürchtungen von den Schulen teilweise durchaus ernst genommen wurden. Dort hatte die Handarbeitslehrerin folgende Anzeige 1914 in den Mecklenburgischen Nachrichten aufgegeben: „Um beim Herannahen des Winters arbeitssuchenden Frauen und Mädchen Gelegenheit zu geben, durch Näharbeit Verdienst zu finden, stellt der freiwillige Nähverein im Lyze-um mit dieser Woche seine gemeinsamen Nähstunden einstweilen ein. Es wird jedoch an jedem Mittwoch, nachm. über zweckmäßige Anfertigung der zurzeit besonders erwünschten Liebesgaben informiert; auch werden Zuwendungen von altem Leinen, neuen Stoffen und Geldmitteln dort jederzeit entgegengenommen.“

861 Ähnliche Texte in: Jahresberichte des Königlichen Kreisschulinspektors an die Königliche Regierung, allge-meiner Schulbericht vom 28.6.1915; zitiert nach: Hohnsbehn, Die Flensburger Schuljugend in der Zeit des ersten Weltkriegs (1996), S.191; Auszüge aus der Überherrner Schulchronik, http://www.erweiterte-realschule-ueberherrn.de/chronik.htm (25.04.2008); Arbeit der Volkschullehrerinnen in Breslau, Die Lehrerin: Organ des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins 1914/15, S. 222f.

862 Arbeit der Volkschullehrerinnen in Breslau, Die Lehrerin: Organ des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen-vereins 1914/15, S. 222f.

chen (ohne die, die in der ersten Zeit unmittelbar verschickt wurden und ohne die Sachen, die gesammelt wurden)“863.

Außer durch Spenden und Geldsammlungen finanzierten viele Schulen die Liebesgaben auch durch den Verkauf von selbst gestalteten Ansichtskarten864 oder Einnahmen aus anderen Ak-tionen, wie z. B. Vortragsabende oder musikalische Veranstaltungen.

Die Mobilisierung für diese Fürsorgemaßnahmen war deshalb erfolgreich, weil sie stärker als das Sammeln von Altmaterial die Gefühle der Kinder ansprach865.

Da von nahezu allen Schulmädchen im Deutschen Reich für die Soldaten gestrickt wurde, ergaben sich in zunehmendem Maße Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung; außerdem war der Bedarf an Wollsachen teilweise bald gedeckt.866

Um dem Mangel an Wolle abzuhelfen, wurde in der Zeit vom 18. bis 24. 1. 1915 eine

„Reichswollwoche“ durchgeführt, die die erste reichsweite Sammelaktion des Krieges

war.867 Was an Woll- oder Baumwollsachen entbehrlich war, wurde von freiwilligen Helfe-rinnen eingesammelt. Auch viele Schulen waren an der Aktion, für die Lehrer und Schüler vom Unterricht freigestellt wurden, beteiligt868, und zwar nicht nur bei der Materialbeschaf-fung, sondern auch bei der Verarbeitung und Ausbesserung der Kleidungsstücke, wie auch aus einem Schreiben der Flensburger Schuldeputation vom 11. 12. 1916 hervorgeht:

„Aus den Ergebnissen der Reichswollwoche wurde gefertigt: 176 Paar Strümpfe, 53 Kinderunter-röcke, 43 Kinderunterhemden, 27 Kinderhosen, 13 Erstlingsjacken, 12 Kinderkappen, weitere Lätzchen, Pulswärmer, Leibchen, Mützen usw. Daneben wurden Röcke, Strümpfe usw. ausgebes-sert, gestopft und geflickt. Auch während der Ferien haben die Kinder an den genannten Gegen-ständen gearbeitet.“869

863 Führen, Lehrer im Krieg (1936), S. 62.

864 Als Beispiel sei die Fontaneschule in Berlin-Schöneberg genannt; siehe: Seite 105 und Anhang, Seite 76.

865 Siehe: Demm, Ostpolitik und Propaganda im Ersten Weltkrieg (2002), S.86.

866 Beteiligung der Volksschulen an den kriegswirtschaftlichen Maßnahmen 1918–1922, Bericht der Handar-beitslehrerin Anna Braasch vom 5.8.1915; zitiert nach: Hohnsbehn, Die Flensburger Schuljugend in der Zeit des ersten Weltkriegs (1996), S. 191.

867 Der Aufruf des „Kriegsausschusses für warme Unterkleidung“ vom 1. Januar 1915 ist abgedruckt in:

Grotjahn, Stahl und Steckrüben Bd. 2 (1993), S. 331, T 3/39. Siehe auch: Anhang, Seite 78. Etwa zeitgleich wurde die „Ostpreußenhilfe“ ins Leben gerufen. Sie diente dazu, um die durch den russischen Einfall in den Kommunen angerichteten Schäden zu beseitigen.

868 Dieses geht z. B. aus einem zeitgenössischen Bericht (1915) hervor: „Was Kinderhände nützen können unter Führung der Lehrer, das hat, um nur ein Beispiel anzuführen, im Kreise Schrimm die Reichswollwoche dargetan.

Die Ausführung der mit der Woche verbundenen Arbeiten hatten die Kreisschulinspektoren übernommen. Sie setzten sich mit sämtlichen Lehrern des Kreises in Verbindung. Diese gewannen dafür die Gemeinde und Guts-vorsteher, und die Kinder holten aus jedem Hause die zur Verfügung gestellten Wollsachen heraus, die sogleich auf Wagen geladen und zur Desinfektion in die Kreisstadt gefahren wurden. Diese Organisation hatte ein vor-zügliches Resultat. Ohne die vielen tausend Kinderhände, die zum Gelingen des Werkes mitgeholfen haben, wäre ein so glänzender Erfolg nicht möglich gewesen.“ (Sohnrey, Kriegsarbeit auf dem Lande [1915], S. 113f.).

869 Zitiert nach: Hohnsbehn, Die Flensburger Schuljugend in der Zeit des ersten Weltkriegs (1996), S.191;

Schreiben der Schuldeputation vom 11.12.1916.

Wie auch andere ähnliche Zusammenstellungen zeigen, wurden die Kleidungsstücke bald weniger für die Soldaten an der Front als vielmehr für die Not leidenden Menschen in Deutschland hergestellt bzw. ausgebessert.

Nach wie vor wurden zwar täglich Tausende von Päckchen an die Front geschickt, bei den Liebesgaben handelte es sich jedoch nicht mehr überwiegend um wollene Kleidungsstücke, die Schülerinnen angefertigt hatten. Dieser Wandel soll an einem Beispiel aus Duisburg do-kumentiert werden. In dem Bericht der Stadt heißt es:

„Bis Ende Januar 1915 gingen an den Sammelstellen der Duisburger Schulen ein: 29806 Zeitschrif-ten, 2928 Bücher, 7096 Stöcke für Verwundete, 30454 ZigaretZeitschrif-ten, 40854 Zigarren, 5864 Pakete Rauchtabak, 1201 Rollen Kautabak, 9118 Pfeifen, 200 Unterhosen, 444 Hemden, 745 Taschentü-cher, 1009 Nähzeuge, 3718 Suppenwürfel, 3387 Platten Schokolade, 9176 Schreibzeuge, 2309 Feuerzeuge, 999 Stück Seife, 338 Verbandsstoffe, 2447 Kleidungsstücke. Die im Felde stehenden Väter und Brüder der Schüler erhielten 146199 Zeitungszusendungen.“870

Hauptsächlich bestand also ab 1915 ein großer Bedarf an Rauchwaren und Lesestoff.871

Den Päckchen mit den gespendeten oder hergestellten Liebesgaben wurden häufig von den Schulkindern Begleitschreiben und Briefe mit kleinen Gedichten beigefügt872. Drei Beispiele seien angeführt:

„Ich bin noch klein,

Kann noch nicht viel machen;

Doch dankbar, das kann ich sein;

Drum stricke ich dir wollene Sachen,

Daß du hüllest deine frostigen Glieder ein.“873

„Das Mädchen, das diese Sachen gestrickt, Das ist im Stricken nicht allzu geschickt, Möchte lieber kämpfend im Felde stehn, Als Tag für Tag zur Schule gehn.“874

Ein Begleitschreiben einer Klasse aus Gundershofen (Königreich Württemberg) hatte der Lehrer in folgendes Gedicht umgeformt:

„Die Mädchen können Socken stricken Und andere warme Sachen

Und sie dann an Soldaten schicken Und ihnen Freude machen,

Was sie auch brav getan schon haben.

Was aber tun wir Knaben?

Da haben wir denn so gedacht:

870 Führen, Lehrer im Krieg (1936), S. 63.

871 Zu den „Reichsbuchwochen“ siehe: Kapitel 6.6.

872 Häufig wurden auch Ansichtskarten verschickt, die im Unterricht hergestellt worden waren. Der Aufsatz

„Besondere Schularbeit in der Kriegszeit“ von Georg Stiehler enthält viele Abbildungen Stiehler, Besondere Schularbeit in der Kriegszeit, Die Arbeitsschule, 1915, S. 2.

873 Führen, Lehrer im Krieg (1936), S. 64.

874 Loewenberg, Kriegstagebuch einer Mädchenschule (1916), S. 34.

Eine Sparbüchse ist ja schnell gemacht.

Dann wollen wir jeden Pfennig sparen, Den wir, wenn wir fleißig waren,

Von Eltern und Nachbarn bekommen haben.

So können helfen Mädchen und Knaben.

Schnell machten wir ein Kistchen leer Und stellten eine Sparbüchse her.

In der Schule wurde sie aufgestellt, Wir warfen hinein das verdiente Geld, Sooft wir in die Schule kamen.

Bald schon war eine hübsche Summe beisammen.

Wir schauten, ob wir genug bald hätten.

Es reichte. Wir kauften Zigaretten.

Zwei Radler taten’s. Sie kamen zurück.

Und hatten ein Kistchen mit tausend Stück.

Das senden wir nun den Soldaten ins Feld Und hoffen, daß es dort allen gefällt.

Und denken, es hat das rechte getroffen Die Oberstufe von Gundershofen.

Grüß Gott, ihr Soldaten, raucht fröhlich und heiter, Es kommt bald ein zweites, wir sammeln weiter.“875

Nachdem nicht mehr nur wärmende Strickwaren verschickt wurden, beteiligten sich in zu-nehmendem Maße neben den Schülerinnen auch die Schüler aller Schulformen an den Paket-aktionen, wie der Jahresbericht 1914/15 der städtischen Leibnizschule in Hannover, eines Gymnasiums für Jungen, eindrucksvoll bestätigt:

„Auch die Anregung zur Beteiligung an Liebesgaben für unsere kämpfenden Truppen fiel auf fruchtbaren Boden. Zu Weihnachten erhielt jeder im Felde stehende Schüler des letzten Jahres ein Paket und mancher Gruß aus Feindesland zeigte, wie dankbar sie waren für unser Gedenken. Die Ordnung und Verteilung hatte Prof. Schrader übernommen. Im Oktober richteten wir eine wöchent-liche Zigarren-, Zigaretten- und Tabakssammlung ein, und dieselbe ergab zum 1. März ungefähr 16000 Zigarren, 3000 Zigaretten, 450 Pakete Tabak. Außerdem wurden einmal 300 versandfertige 1 Pfund-Pakete mit Liebesgaben von den Schülern abgegeben und zwei große Liebesgabensamm-lungen vor Weihnachten veranstaltet, welche hiesigen Ersatzbataillonen und Sammelstellen zuge-führt worden. Im ganzen konnten 22 Regimenter und 6 Lazarette bedacht werden. Lebensmittel, Wollsachen, Briefpapier, Pfeifen und Tabaksbeutel, Seife, Kerzen und Laternen; sowie andere Sa-chen, die ein Soldatenherz erfreuen, wurden gesammelt. Dank der Opferfreudigkeit unserer Jungen und der Eltern konnten wir z. B. 50 Pfeifen, je 25 Tabaksbeutel und Feuerzeuge, 100 Würste, 25 Stück Speck, 75 Konservendosen, 120 St. Seife, 50 Kerzen, 100 Taschentücher, Waschlappen und

„Auch die Anregung zur Beteiligung an Liebesgaben für unsere kämpfenden Truppen fiel auf fruchtbaren Boden. Zu Weihnachten erhielt jeder im Felde stehende Schüler des letzten Jahres ein Paket und mancher Gruß aus Feindesland zeigte, wie dankbar sie waren für unser Gedenken. Die Ordnung und Verteilung hatte Prof. Schrader übernommen. Im Oktober richteten wir eine wöchent-liche Zigarren-, Zigaretten- und Tabakssammlung ein, und dieselbe ergab zum 1. März ungefähr 16000 Zigarren, 3000 Zigaretten, 450 Pakete Tabak. Außerdem wurden einmal 300 versandfertige 1 Pfund-Pakete mit Liebesgaben von den Schülern abgegeben und zwei große Liebesgabensamm-lungen vor Weihnachten veranstaltet, welche hiesigen Ersatzbataillonen und Sammelstellen zuge-führt worden. Im ganzen konnten 22 Regimenter und 6 Lazarette bedacht werden. Lebensmittel, Wollsachen, Briefpapier, Pfeifen und Tabaksbeutel, Seife, Kerzen und Laternen; sowie andere Sa-chen, die ein Soldatenherz erfreuen, wurden gesammelt. Dank der Opferfreudigkeit unserer Jungen und der Eltern konnten wir z. B. 50 Pfeifen, je 25 Tabaksbeutel und Feuerzeuge, 100 Würste, 25 Stück Speck, 75 Konservendosen, 120 St. Seife, 50 Kerzen, 100 Taschentücher, Waschlappen und