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Arbeitseinsätze in der Landwirtschaft 684

3. Kaufs- und Verkaufsaktionen

4.1 Arbeitseinsätze in der Landwirtschaft 684

Bei Kriegsbeginn am 1. August 1914 war die Sommerernte weitgehend beendet. Das Prob-lem, für die eingezogenen Bauern, Knechte und Landarbeiter Ersatz zu bekommen, stellte sich zwar auch schon bei den Herbstarbeiten685, vor allem jedoch erst für das nächste Jahr, zumal auf die seit Jahren bewährten polnischen686, russischen687 und galizischen Wanderar-beiter zunächst weiter zurückgegriffen werden konnte.688 Trotzdem gab es von allen Seiten einsetzende Forderungen, der Landwirtschaft beim Einbringen der Ernte zu helfen. Die Folge war, dass viele freiwillige Helfer aus der Stadt, wie z. B. Schüler und Mitglieder der Jugend-verbände, sich für die Arbeit auf dem Lande zur Verfügung stellten. Auch in der Lehrerschaft gab es die Sorge um das Einbringen der Ernte, wie u. a. aus einem Aufruf des damaligen Vor-sitzenden des Bayerischen Volksschullehrervereins, J. W. Schubert, vom 1. August 1914 her-vorgeht:

683 Saul, Jugend im Schatten des Krieges (1983), S. 52.

684 Siehe auch: Anhang, Seiten 65–69.

685 Zu den Herbstarbeiten gehörte vor allem die Hilfeleistung bei der Grummet-, Kartoffel-, Obst- und Rübenern-te.

686 Gemeint sind vor allem russische Polen.

687 Viele russische Wanderarbeiter wurden nach Kriegsbeginn gezwungen, weiter in Deutschland zu arbeiten.

688 Bei Kriegsbeginn arbeiteten im Regierungsbezirk Hannover ca. 3.000 Saisonarbeiter (Grotjahn, Stahl und Steckrüben Bd. 2 [1993], S. 33).

„Unser deutsches Vaterland ist in Gefahr. […] Viele Lehrer sind mit hinausgezogen und sind be-reit, Blut und Leben für das Vaterland zu opfern. Wir, die wir zurückgeblieben sind – werden wir Helfer und Tröster ihrer Frauen und Kinder! Wir wollen aber noch mehr tun! Draußen auf dem Felde steht der reife Gottessegen und will geborgen werden. Die Jugend der Städte will hinaus, um den Landleuten der Städte beim Einbringen der Ernte zu helfen. Kollegen auf dem Lande, werdet mit euren Frauen diesen Knaben und Mädchen Führer und Pfleger! Kollegen in Stadt und Land, stellt euch in den Dienst der Kriegsfürsorge! Tut, was ihr könnt!“689

Auch die Generalkommandos und die Kultusbehörden wurden hinsichtlich des Ernteeinsatzes aktiv. So ordnete der Kommandierende General v. Schenk am 1. August 1914 in Frankfurt a. M. an, dass „im Interesse der schnellen Einbringung der Ernte die Schüler, vor allem die Schüler der höheren Schulen, von ihren Leitern aufgefordert werden sollten, bei der Erntear-beit auf dem Lande zu helfen“690.

Durch Erlasse und Verfügungen vom 1., 2. und 3. August 1914 wurden die älteren Jahrgänge der Volksschulen und die Schüler der höheren Schulen zu Erntearbeiten beurlaubt.691 Sogar Kaiser Wilhelm II. forderte am 3. August 1914 „durch seinen Generaladjutanten, General-oberst von Plesse, den Kultusminister telefonisch auf, für den Ernteeinsatz der Schuljugend die oberen Klassen freizugeben“692. Noch am gleichen Tag meldete der preußische Unter-richtsminister, dass er bereits angeordnet habe, die „älteren Schüler zur Mithilfe bei den Ern-tearbeiten zu beurlauben“693. Diese überstürzten Aktivitäten führten nach einer Mitteilung des Leiters der im Reichsamt des Inneren neu errichteten „Reichszentrale der Arbeitsnachweise“, Ministerialdirektor Lewald, zu einem „Überangebot an Arbeitskräften für die Erntewirt-schaft“694.

In Flensburg z. B. informierte Stadtschulrat Lorenz die Königliche Regierung in seinem Be-richt vom 13. 08. 1914:

689 Führen, Lehrer im Krieg (1936), S. 38. Auch der Berliner Lehrerverein beispielsweise „Da auf dem Lande Hilfskräfte nötig seien, möchten die Landlehrer den Bedarf feststellen. Lehrer und Lehrerinnen möchten sich bereithalten zur Führung von Arbeitskolonnen (und sollten sich in den neu eingerichteten Büros melden).“ (Füh-ren, Lehrer im Krieg [1936], S. 39).

690 Führen, Lehrer im Krieg (1936).

691 Ministerium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten, Teilnahme von Schülern höherer Lehranstalten an den Erntearbeiten infolge der Mobilmachung, Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, 1914, S. 489 ; Ministerium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten, Beurlaubung der größeren Schul-kinder zur Teilnahme an den Erntearbeiten, Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, 1914, S. 512 ;Verwendung der Schulkinder zu Erntearbeiten Jg. 13. (6. August 1914), S. 94.

692 Ministerium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten, Einsatz von Schülern in der Landwirtschaft, 1914, S.94. .

693 Ministerium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten, Einsatz von Schülern in der Landwirtschaft, 1914, S. 94.

694 In Flensburg hatten sich beispielsweise im Sommer 1914 270 Schüler und 38 Schülerinnen der höheren Lehr-anstalten zum Erntedienst gemeldet; von ihnen konnten lediglich 24 Schüler und keine Schülerin vermittelt wer-den. Noch niedriger war die Vermittlungsquote bei den Flensburger Volksschulen. Hier wurden von 606 ar-beitswilligen Schülern lediglich 7 und von 399 Schülerinnen keine eingesetzt (Hohnsbehn, Die Flensburger Schuljugend in der Zeit des ersten Weltkriegs [1996], S. 254).

„Gegen die Vermittlung von Jugendlichen macht sich hier eine starke Bewegung geltend, weil die arbeitslosen Erwachsenen, wohl auch mit Recht, befürchten, dass ihnen dadurch der Broterwerb sehr erschwert wird. Ich habe im Einverständnis mit der Kommission für Vaterländische Arbeits-vermittlung die Schulleiter angewiesen, nur solche Kinder für Erntearbeiten zu beurlauben, die zu Verwandten gehen.“695

Da solche Probleme auch aus anderen Regionen gemeldet wurden, untersagte der Unter-richtsminister mit Erlass vom 10. August „bis auf weiteres […] die Urlaubserteilung an Schü-ler zu ihrer Beteiligung an den Erntearbeiten“696. Ausnahmen seien lediglich für die Schüler höherer Lehranstalten möglich, wenn Eltern in denjenigen Provinzen Anträge zur Teilnahme ihrer Söhne an den Erntearbeiten stellten, in „denen die Ernte gefährdet“ sei.

Wenige Tage später schon, am 26. August 1914, trat der Erlass „Beurlaubung von Schulkin-dern zur Teilnahme an den Erntearbeiten“ in Kraft“697. In ihm wurde zwar erneut festgestellt, dass „für die Getreideernte (…) im allgemeinen überall genügend Arbeitskräfte zur Verfü-gung (stehen), so dass es besonderer Maßnahmen zur BeschäftiVerfü-gung der Schuljugend bei die-sen Arbeiten nicht mehr bedarf“698, gleichzeitig wurde jedoch auf den Arbeitskräftemangel hingewiesen, der im Herbst bei der „Hackfrucht und besonders für die Kartoffelernte“ entste-hen werde: „Bei ihr können die Schulkinder, wie es regelmäßig alljährlich geschieht, mit bes-tem Erfolge verwandt werden; und unter den gegenwärtigen Verhältnissen kann sie ohne die Schuljugend kaum durchgeführt werden.“ Um den Unterricht nicht allzu sehr zu belasten, sollten die Herbstferien so gelegt werden, dass die „Bergung der Hackfrüchte“ in den Ferien-zeiten erfolgen könne. Andernfalls sei „den zu Erntearbeiten geeigneten Schulkindern der erforderliche Urlaub zu gewähren“.Dieser Erlass wurde an alle Regierungen des Königreichs Preußen geschickt und von diesen umgesetzt. So wurde er z. B. in verkürzter Form im Amts-blatt für den Regierungsbezirk Königsberg veröffentlicht („Betrifft Verwendung von Schülern zu Erntearbeiten“): „Der Herr Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten hat entschieden, dass trotz eines Erlasses vom 10. d. Mts. […], wonach bis auf weiteres Schüler zu Ernteurlauben nicht mehr beurlaubt werden sollten, dieser Urlaub weiter erteilt werden

695 Hohnsbehn, Die Flensburger Schuljugend in der Zeit des ersten Weltkriegs (1996), S. 253.

696 Erlass des preußischen Kultusministers vom 10. August 1914; zitiert nach: Wegener, Das Joachimsthalsche Gymnasium – die Landesschule Templin (2007), S.89f. Ministerium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten, Einsatz von Schülern in der Landwirtschaft.

697 Beurlaubung von Schulkindern zur Teilnahme an den Erntearbeiten, in: Zühlke (Hrsg.), Bildpropaganda im Ersten Weltkrieg (26. August 1914), S. 609f.

698 Außerdem genehmigte der preußische Schulminister in einem Erlass vom 19. August 1914 („Beurlaubung von Schulkindern zum Viehhüten“), dass „für die Dauer des jetzigen Ausnahmezustandes Schulkinder im Be-dürfnisfall auch zum Viehhüten beurlaubt werden können. Hierbei ist jedoch darauf Bedacht zu nehmen, dass die zu beurlaubenden Kinder, soweit es irgend angeht, täglich 2 bis 3 Stunden am Unterricht teilnehmen.“ (Ministe-rium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten, Einsatz von Schülern in der Landwirtschaft, 1914, S. 94.

kann, wo ein Bedürfnis vorliegt.“699 Die vielen, teilweise sich widersprechenden Regelungen zeigen, dass es auch hinsichtlich der Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Produktion und der Sicherung des Lebensbedarfs der Zivilbevölkerung keine umfassende Planung und Vorsorge gab. 700 Durch die englische Blockade des gesamten Nordseeraumes, die am 2. November 1914 verhängt wurde, verschärfte sich die Situation. Die Folgen der Blockade für die Nahrungsmittelversorgung der deutschen Zivilbevölkerung waren verheerend. Allein 1916 sank der Import von Lebensmitteln innerhalb weniger Monate um die Hälfte, nachdem die Blockadepolitik der Lebensmittelexporte aus den skandinavischen Ländern verschärft worden war.701 Da sich im Laufe des Krieges auch die Arbeitskräftesituation in der Landwirt-schaft weiter drastisch verschlechterte702, griff man in zunehmendem Maße zunächst auf die Schüler und dann auch auf die Schülerinnen als Arbeitskräfte zurück, wie aus den Erlassen der Kultusbehörden hervorgeht. So wies der preußische Unterrichtsminister mit Erlass vom 5. März 1915 auf die schwierige Situation in der Landwirtschaft hin und regelte die Beurlau-bung der Schulkinder: “Die ordnungsgemäße und rechtzeitige Durchführung der landwirt-schaftlichen Arbeiten wird in diesem Jahre wegen des Mangels an Arbeitskräften und Ge-spannen voraussichtlich besonderen Schwierigkeiten begegnen und in vielen Fällen nur mit Zuhilfenahme der größeren Schulkinder sich ermöglichen lassen.“ Er ermächtigte die Regie-rungen und die Provinzialschulkollegien „für die Dauer des Krieges, älteren Schulkindern im Bedarfsfall für landwirtschaftliche Arbeiten, Gartenbestellung usw. […] den erforderlichen Urlaub zu gewähren“703. In der Folgezeit wurden die Schulen durch die Kultusbürokratie im-mer wieder zu allgemeiner Erntehilfe oder zu ganz bestimmten landwirtschaftlichen Hilfsein-sätzen aufgefordert,704 wobei diese Tätigkeiten häufig als „Kampf“ bezeichnet wurden, als Kampf an der „Heimatfront“. Im Erlass zur „Bekämpfung der Obst- und Gemüseschädlinge durch Schuljugend. – Nutzbarmachung der Erzeugnisse des Waldes“ vom 15. Mai 1915 heißt es:

„Die umsichtige Bekämpfung der Obst- und Gemüseschädlinge unter den Insekten ist aus nahelie-genden Gründen gerade im laufenden Jahre dringend erwünscht. Bei zweckentsprechender Beleh-rung und Anleitung kann die Schuljugend sich bei diesem Kampfe erfolgreich betätigen und

699 Ministerium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten, Einsatz von Schülern in der Landwirtschaft, 18. August 1914.

700 Siehe: Sicken, Die Festungs- und Garnisonstadt Wesel im Ersten Weltkrieg, in: Kirchgässer/Scholz (Hrsg.), Stadt und Krieg (1989), S. 127.

701 Siehe: Roerkohl, Hungerblockade und Heimatfront (1991) Nr. 10, S. 16.

702 „In der zweiten Hälfte des Jahres 1917 waren von den insgesamt in der Landwirtschaft beschäftigten 7,8 Millionen Männern 3,5 Millionen eingezogen“(Huegel, Kriegsernährungswirtschaft Deutschlands während des Ersten und Zweiten Weltkrieges im Vergleich 2003, S. 190).

703 Ministerium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten Beurlaubung von Schulkindern für landwirt-schaftliche Arbeiten usw. 5. März 1915.

704 Auf Sammelaktionen wird hier nicht eingegangen; siehe: 2.3 Sammlung von Naturerzeugnissen.

benenfalls die Obst- und Gemüseernte vor empfindlicher Schädigung bewahren helfen. Daher wür-de nichts dagegen sprechen, wenn in Notfällen Schulklassen zur Abhilfe, z. B. zur Beseitigung ei-ner starken Raupenplage, aufgeboten werden.“705

Außerdem wurden die Schulen zur ‚Bekämpfung des Kartoffelkäfers’, zur ‚Unkrautvertil-gung’, zur ‚Vertilgung der Raupennester’ sowie zur ‚Vertilgung von Mäusen und Hamstern’

u. a. aufgerufen. Dass diesen Aufforderungen offensichtlich in großem Maße Folge geleistet worden ist, zeigt ein Rundschreiben des Kriegswirtschaftsamtes für die Provinz Sachsen an die Kreisschulamtsinspektoren des Bezirks vom 4. Dezember 1917:

„Die Gefährdung des Ertrags unserer Felder durch Hamster und Mäuse hat die Aufmerksamkeit auf die Heranziehung unserer Schuljugend zur Vertilgung der schädlichen Nager gelenkt. Es liegt uns ein Bericht über die vorbildliche Betätigung der Knaben der Ober und Mittelschulen hiesiger Schu-len vor, die teils aus eigenem Antriebe, teils auf Anordnung der SchuSchu-len hier an bis zu zwei oder drei Tagen beinahe 10.000 Hamster und etwa 50.000 Mäuse getötet haben. Dabei ist zu erwägen, daß die Erfurter Feldmark recht klein ist und daß die Inhaber der Klein- und Schrebergärten für die Tötung der Mäuse selbst gesorgt haben. An Beute wurden eingebracht: rund 9 Zentner Roggen, 44 Zentner Weizen, 15 Zentner Hafer, 15 Zentner Gerste, 7 Zentner Hülsenfrüchte, 1 Zentner ge-mischte Früchte.“706

Wegen des großen Nahrungsmittelmangels wurden ab 1915 die Schüler immer wieder auch zur ‚Nachlese’ auf den Feldern eingesetzt, wie z. B. aus dem preußischen Erlass vom 3. Juli 1915 hervorgeht:

„Nach der Getreideernte des vorigen Jahres haben in einem Schulaufsichtsbezirk Schulen unter Aufsicht ihrer Lehrer mit Erlaubnis der Besitzer auf den Feldern zum Besten des Roten Kreuzes Ähren gelesen und, wo noch alte Frauen oder arme Leute sich die Mühe des Ährenlesens machten, erst nach diesen. Von nur 29 Schulen des betreffenden Kreises, die Gelegenheit zum Ährenlesen gefunden hatten, sind Getreidemengen im Gesamtwert von 900 M dem Verkommen entzogen und zum Besten des Roten Kreuzes dem Verbraucher zugeführt worden. Neben der dadurch geförder-ten Erziehung der beteiliggeförder-ten Schulkinder zur Sparsamkeit und zum Gemeinsinn erscheint der wirt-schaftliche Erfolg von nicht zu unterschätzender Bedeutung.“707

Auch die „Nachlese der Kartoffeln vor allem“ wurde von den Behörden propagiert. Wie groß der Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft im Herbst 1917 geworden war, dokumentiert ein preußischer Erlass vom 25. September. In ihm wurden die Schulleiter aufgefordert, auch die jüngeren Schüler vom Unterricht zu befreien, damit sie die noch nicht schulpflichtigen Geschwister zu Hause beaufsichtigen konnten, während die Mütter ihrer Arbeit auf dem Felde nachgingen.

705 Eckert, Gemeinde- und Schulchronik, von Lowkowitz, http://www.schloss-ellguth.de/lowkowitz2.htm (05.04.2008).

706 Sauer, Plakate, Geschichte Lernen, Heft 114 (2005).

707 Ilgen, „Vergessene" Krieger, in: Deutsches Philologen-Blatt 1916, S. 315.

Das am 5. Dezember 1916 in Kraft getretene „Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst“708 war auch für die höheren Schulen von großer Bedeutung, denn es betraf alle männlichen Schüler, die das 17. Lebensjahr vollendet hatten. Als vaterländischer Dienst galten u. a. die Arbeiten in der Landwirtschaft und in der Krankenpflege, für die die Schüler bereits seit Kriegsbeginn in großem Umfange herangezogen worden waren. Da die Leitung des vaterlän-dischen Hilfsdienstes bei dem vom ‚Preußischen Kriegsministerium’ errichteten Kriegsamt lag, entschied der preußische Unterrichtsminister nicht mehr allein über die landwirtschaftli-chen Einsätze der Schulkinder. Es kam deshalb in der Folgezeit immer wieder zu Auseinan-dersetzungen zwischen der Militär- und der Kultusverwaltung.

„So beschwerte sich am 28. Dezember 1916 das Kgl. Provinzial-Schulkollegium für Hes-sen/Nassau über den Antrag des Stellv. Kommandierenden Generals des 18. Armeekorps, zur Be-hebung des Mangels an Arbeitskräften in den landwirtschaftlichen und gärtnerischen Betrieben die städtische Schuljugend vom 12. Lebensjahr ab aufwärts zur Mitarbeit heranzuziehen und zur Vor-bereitung für diese geplante Tätigkeit an jeder Anstalt eine Organisation zur theoretischen und praktischen Heranbildung für den Hilfsdienst zu schaffen.“709

Am 7. Januar 1917 forderte das Kriegsamt dringend die stärkere Heranziehung der städtischen Schuljugend beiderlei Geschlechts „vom 12. Lebensjahr“ an bei der Bestellung der Ernte in landwirtschaftlichen und gärtnerischen Betrieben, obwohl dieses eindeutig dem o. g. Gesetz widersprach. Weiter verlangte es eine umfassende Organisation der Kinderhilfsarbeit, die im Einvernehmen mit den Verwaltungsbehörden, den Schulverbänden, den Schulleitern und den Leitern der militärischen Jugendbehörden geschaffen werden sollte. Weil jede gesetzliche Handhabe zur zwangsweisen Heranziehung fehlte, sollte die Mitarbeit der städtischen Jugend, für die jede Schule bei den Eltern und den Kindern werben sollte, freiwillig sein. Unter Beru-fung auf die landesübliche Praxis, in den ländlichen Bezirken die Schuljugend bereits vom 12.

Lebensjahr aufwärts zur Mitarbeit in der Landwirtschaft heranzuziehen, kritisierte das Kriegs-amt in einem weiteren Schreiben vom 19. Februar 1917, dass bisher zu wenig Knaben und Mädchen der städtischen Schulen für diese Zwecke herangezogen worden seien. Um dem für die Zukunft abzuhelfen, verlangte es die systematische Vorbereitung der Schuljugend bis her-ab zur zwölften Altersklasse, die konsequente Anwendung und die Befolgung eines Arbeits-plans für den Helfer- und Sammeldienst der Jugend. Dieser sah jährlich von März bis No-vember jahreszeitlich bedingte Hilfsleistungen sowohl bei der Bestellung der Felder und Gär-ten als auch bei den Getreide-, Heu-, Kartoffel-, Obst- und RübenernGär-ten vor. Zusätzlich ver-langte der Arbeitsplan von den Schulkindern das Ährenlesen und das Sammeln von

708 Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst in Reichs-Gesetzblatt 1916 (5. Dezember 1916); abgedruckt in:

Cartarius, Deutschland im Ersten Weltkrieg. Texte u. Dokumente 1914–1918 Nr. 2931 (1982), S. 92–94.

709 Wegener, Das Joachimsthalsche Gymnasium – die Landesschule Templin (2007), S. 98.

pflanzen, Beeren, Brennnesseln, Bucheckern, Eicheln, Hagebutten, Haselnüssen, Kamille und Weißdornfrüchten.710 Zwar konkretisierte das Unterrichtsministerium mit Runderlass vom 21. Februar 1917 die „Heranziehung der städtischen Jugend zu landwirtschaftlichen Hilfs-maßnahmen bei der Frühjahrsbestellung“, die Regelungen gingen dem Kriegsamt aber nicht weit genug. Es legte deshalb am 15. Mai 1917 Vorschläge für eine radikale Neuordnung des Schülerhilfsdienstes vor. Danach sollten generell in allen Provinzen des Königreiches Preußen und in den Bundesstaaten des Deutschen Kaiserreiches ‚Kriegswirtschaftsämter’ gebildet werden, die für den Einsatz der Schüler in der Landwirtschaft und in der Industrie verantwort-lich sein sollten. Diese ‚Kriegswirtschaftsämter’ sollten die Befugnisse der bereits bestehen-den Organisationen für Schüler übernehmen. Schüler, die für bestehen-den landwirtschaftlichen Hilfs-dienst bestimmt waren, sollten als Jungmannen“ eigene Jungmannen-Kompanien bilden und unter der Leitung eines Lehrers oder anderen Führers bei landwirtschaftlichen Einsätzen, als

‚Trupps’ zuammengefasst, arbeiten.

„Zur umgehenden Durchführung dieser Notstandsarbeiten sollte das Unterrichtsministerium die Provinzial-Schulkollegien anweisen, alle zur Land und sonstigen Kriegsarbeit beurlaubten Jung-mannen, also auch die unter 17 Jahre alten JungJung-mannen, als im vaterländischen Dienst beschäftigt anzusehen. […] Parallel dazu wurde beim Stab des Kriegsamtes ein Referat für Jungmannen einge-richtet, das in enger Zusammenarbeit mit den einzelnen Kriegswirtschaftsämtern für die Sache die Propaganda in der Landwirtschaft und in den höheren Bildungsanstalten über die einzelnen Ver-trauensmänner aus dem Kreise der Lehrerschaft zu machen hatte.“711

Das Provinzial-Schulkollegium in Brandenburg riet dem Kultusminister dringend ab, die Or-ganisation für die Sommer- und Herbstarbeiten militärischen Stellen zu übertragen und die zahlreichen in der Landwirtschaft engagierten Schüler den Jugendkompanien712 einzuglie-dern, hatte jedoch selbst keine Bedenken, auch Schüler, die das 17. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, für Hilfsdienste zu beurlauben. Während der Unterrichtsminister den Forde-rungen des Kriegsamtes und der Generalkommandos der Armeekorps schließlich nachgab, widersetzte sich der Oberpräsident der Provinz Brandenburg einer Eingliederung jener Schü-ler in die Jugendkompanien und forderte die Beibehaltung des Grundsatzes der Freiwilligkeit des Arbeitseinsatzes. Das Kriegsamt setzte sich schließlich durch und ließ am 15. November 1917 im ‚Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen’ den Erlass „Die

710 Wegener, Das Joachimsthalsche Gymnasium – die Landesschule Templin (2007), S. 99.

711 Wegener, Das Joachimsthalsche Gymnasium – die Landesschule Templin (2007), S. 102.

712 Durch die Bildung der Jugendkompanien (in Preußen mit Erlass vom 16. August 1914), denen sich bis Ende 1914 etwa 600.000 Jugendliche angeschlossen hatten, wurden der Landwirtschaft zunächst viele jugendliche Arbeitskräfte entzogen, da sie für ihre vormilitärische Ausbildung für sechs bis zehn Wochen vom Unterricht befreit wurden. Für die Ernte 1915 und die der folgenden Jahre wurden die Jugendkompanien dann oft geschlos-sen zum Ernteeinsatz abkommandiert. Siehe: Anhang, Seite 69.

gelung der Vermittlungsfrage für die Jungmanneshilfe“713 veröffentlichen. Insgesamt ist deut-lich geworden, welch große Bedeutung von amtdeut-lichen Stellen dem Einsatz von Schülern in der Landwirtschaft und damit für die Versorgung der Bevölkerung zugemessen wurde. Je länger der Krieg dauerte und je größer der Mangel an Arbeitskräften wurde, umso stärker wurde der Einfluss der Militärverwaltung auch in diesem Bereich. Dass schließlich sogar die freiwillig in der Landwirtschaft arbeitenden Schüler der höheren Schulen wie die Mitglieder der Jugendkompanien „Jungmannen“ genannt und zentral von Kriegsamt eingesetzt wurden, zeigt, in welch großem Umfang inzwischen auch die Schulen militarisiert worden waren.714 Wie die Soldaten an der Front so sollten auch die „Jungmannen“ für ihren landwirtschaftli-chen Arbeitseinsatz an der „Heimatfront“ nach dem Willen des Kriegsamtes einen ‚Orden’

(„Jungmannenabzeichen“) verliehen bekommen, das Vorhaben scheiterte jedoch an fehlenden finanziellen Mitteln.715

Im Folgenden soll konkret am Beispiel einiger Schulen auf die Durchführung der Arbeitsein-sätze und auf aufgetretene Probleme eingegangen werden. Dabei soll u. a. der Frage nachge-gangen werden, ob die Arbeitseinsätze der Kinder und der Jugendlichen auch eine Form der politischen Gesinnungsbildung waren und inwieweit sie der Vorbereitung auf den

Im Folgenden soll konkret am Beispiel einiger Schulen auf die Durchführung der Arbeitsein-sätze und auf aufgetretene Probleme eingegangen werden. Dabei soll u. a. der Frage nachge-gangen werden, ob die Arbeitseinsätze der Kinder und der Jugendlichen auch eine Form der politischen Gesinnungsbildung waren und inwieweit sie der Vorbereitung auf den