• Keine Ergebnisse gefunden

4.6 „Vergessene Soldaten“

5. Patriotische Feste und Feiern

Da Feiern und Feste das Denken und die Vorstellungen einer Epoche widerspiegeln und Rückschlüsse auf die herrschenden Mentalitäten zulassen, sollen in diesem Kapitel Inhalte und der Verlauf verschiedener Schulfeiern sowie Reaktionen der Betroffenen analysiert wer-den.

Im Deutschen Kaiserreich gab es eine Vielzahl von Festen und Gedenkfeiern, sodass zeitge-nössische Kritiker von einer „Festmanie und von einer […] Häufung festlicher Veranstaltun-gen über das ganze Jahr hinweg“990 sprechen. Dazu gehörten vor allem die nationalen, dynas-tischen, militärischen und kirchlichen Feste.991 Neben der freien Zeit, die viele Menschen im industriellen Zeitalter durch eine schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit hatten, ist nach Schneider die Zunahme auch darauf zurückzuführen, dass es angesichts der großen innenpoli-tischen Probleme einen besonderen Integrationsbedarf des neu gegründeten Deutschen Rei-ches gab. Auch wenn die Euphorie über die Reichsgründung insgesamt sehr groß war, stand doch ein erheblicher Teil der Bevölkerung dem neuen Bundesstaat reserviert gegenüber. Eine gute Möglichkeit, auf die Gesellschaft einzuwirken, sahen die Eliten in der wirkungsvollen Inszenierung politischer Feste; sie glaubten, dadurch das Selbstbewusstsein der Bürger stär-ken und sie für die Monarchie gewinnen zu können. Dieses ist allerdings nur bedingt gelun-gen. Denn obwohl beispielsweise die ’Sedanfeier’ in bürgerlichen Kreisen populär war, stan-den die Sozialdemokratie und Teile der katholischen Kirche dem Fest sehr kritisch gegenüber.

Eine weitere wichtige Aufgabe der Feste war es, die Loyalitätsbindung des Bürgertums immer wieder dadurch zu stärken, dass die loyalen Bürger während des entsprechenden Festakts im Kaiserhoch und im Hoch auf den jeweiligen Landesherrn alljährlich ihrem Oberhaupt huldig-ten und damit ihre Gefolgschaftstreue ständig erneuerhuldig-ten.

Die Feste waren während der Regierungszeit Wilhelms II. stärker als in den Jahren nach der Reichsgründung geprägt durch einen Patriotismus, der bestimmt war durch die Loyalität zum Herrscherhaus und die besondere Betonung des Militärs. Als Beispiel sei die Inszenierung der nationalen Erinnerungsfeiern an die Freiheitskriege ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs genannt.992

990 Schneider, Über politische Feste der Bürger (2000), S. 92.

991 Gerhard Schneider hat in einer typologischen Übersicht die wichtigsten Feste zusammengestellt; siehe:

Schneider, Politische Feste der Arbeiter (1995), S. 26.

992 Siehe: Siemann, „Krieg und Frieden in historischen Gedenkfeiern des Jahres 1913“; in: Düding, Öffentliche Festkultur (1988), S. 298–320.

Von Anfang an waren auch die Feste an Schulen ein wichtiger Bestandteil der nationalen Festkultur. Zwar wurden bereits vor 1871 vielfältige patriotische Schulfeiern in Preußen und den anderen deutschen Ländern993 begangen, eine herausragende Bedeutung allerdings er-langten nach der Reichsgründung erst der „Sedantag“ und der Geburtstag des Kaisers994. Die Schulen waren zunächst nicht verpflichtet, sich an den offiziellen Feierlichkeiten zu beteili-gen, viele taten es aber oder führten an den Feiertagen patriotische Schulfeiern durch. Wenige Jahre nach dem Regierungsantritt Wilhelms II. war es zur Regel geworden, dass die Schulen die nationalen Feiertage durch eigene Feiern festlich begingen. In Preußen wurden die Schu-len zur Durchführung der Schulfeiern sogar verpflichtet, wie z. B. aus einer Verfügung der Königlichen Regierungen zu Posen und Bromberg vom 10. Januar 1893 hervorgeht: „Die Kinder sind zur Teilnahme an der Feier des Geburtstages Sr. Majestät und des Sedanfestes ebenso wie sonst zum Besuche der Schule verpflichtet, und unentschuldigtes Fernbleiben ist wie jedes andere Schulversäumnis zu bestrafen.“995 Die Schulfeiern wurden als ein gutes In-strument gesehen wurden, bei der Jugend die Reichs- und Herrschertreue zu stärken, sie ge-gen die Sozialdemokratie zu immunisieren und sie emotional an das Herrscherhaus zu binden.

Wie vor allem der Geschichtsunterricht sollten auch besonders die nationalen Schulfeiern die Vaterlandsliebe der Schüler dadurch vertiefen und pflegen, dass sie „durch Vorführung ge-eigneter Beispiele jene Hingebung und Opferwilligkeit erzeugt, welche die Grundlage wahrer Vaterlandsliebe ist“996. Um die entsprechende Wirkung zu erzielen, wurden von den Schulbe-hörden „Amtliche Anweisungen zur Gestaltung von nationalen Schulfeiern“997 veröffentlicht.

Ob die nationalen Schulfeste und die Beteiligung der Schulen an den nationalen Festen die-sem Anspruch genügen konnten und inwieweit es gelang998, die Schüler auf den Kampf an der militärischen Front oder der „Heimatfront“ einzustimmen und vorzubereiten, soll im Folgen-den untersucht werFolgen-den. Da Feiern und Feste das Denken und die Vorstellungen einer Epoche widerspiegeln und Rückschlüsse auf die herrschenden Mentalitäten zulassen, sollen neben Inhalten und Abläufen einer Reihe von Schulfeiern auch die Reaktionen der Betroffenen ana-lysiert werden. In erster Linie sollen anhand konkreter Beispiele die Schulfeiern zu den natio-nalen Feiertagen ‚Sedantag’ (2. September) und ‚Kaisergeburtstag’ (27. Januar) betrachtet

993 So wurde in den meisten Ländern der Geburtstag des Landesherrn gefeiert.

994 Der Geburtstag wurde, außer in Bayern, in allen Ländern des Deutschen Reiches gefeiert.

995 Zitiert nach: Schroeder, Funktion und Gestalt des patriotischen Schulfestspiels in der Wilhelminischen Kai-serzeit (1990), S. 31.

996 Auszug aus Max Hübners „Methodik des Geschichtsunterrichts in preußischen Volksschulen“; zitiert nach:

Schroeder, Funktion und Gestalt des patriotischen Schulfestspiels in der Wilhelminischen Kaiserzeit (1990), S. 6.

997 Beispielhaft sei auf ein Rundschreiben des Regierungsbezirks Lüneburg vom 22. Januar 1888 verwiesen;

zitiert nach: Lemmermann, Kriegserziehung im Kaiserreich (1984), S. 745–747.

998 Schroeder, Funktion und Gestalt des patriotischen Schulfestspiels in der Wilhelminischen Kaiserzeit (1990).

werden. Außerdem werden die Hohenzollernfeier (21. Oktober 1915), die Reformationsfeier (30. Oktober 1917) sowie der 70. Geburtstag Hindenburgs (2. Oktober 1917) einbezogen, nicht aber Bismarcks 100. Geburtstag am 1. April 1915, da er in den Schulen eine eher unter-geordnete Rolle spielte.999 Dynastische Feiern in den einzelnen Ländern allerdings werden weitgehend ausgeklammert. Thematisiert werden hingegen die patriotischen Veranstaltungen aus Anlass militärischer Siege und die Trauerfeiern für gefallene Lehrer und Schüler.

5.1 Sedantag

Nachdem sich die Sedanfeiern seit 1871 als örtliche Festlichkeit in Städten und Orten allmäh-lich durchsetzten1000, gestattete bereits im August des Jahres 1873 die königlich-preußische Regierung den Schulen die Teilnahme an den Feiern und forderte sie auf, die Feierlichkeiten zu unterstützen. In einer Anordnung vom 13. August bestimmte sie ferner, „daß überall, wo von anderer Seite am 2. September als dem Jahrestage der Schlacht von Sedan eine patrioti-sche Erinnerungsfeier veranstaltet werde, die Schulen in angemessener Weise daran zu betei-ligen seien“ 1001. Es wurde angeordnet, dass für diesen Tag der Unterricht ausfallen solle.

In der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. wandelte sich der Sedantag von einem nationalen Volksfest zu einer Militärfeier mit großen Manövern und farbenprächtigen Paraden. Wie aus Verfügungen der Kgl. Regierungen zu Posen und Blomberg aus dem Jahr 18931002 hervor-geht, waren die Schulen in dieser Zeit zur Durchführung einer Sedanfeier ebenso verpflichtet wie die Schüler und Schülerinnen zur Teilnahme an den entsprechenden

999 „Trotz der mitunter beeindruckenden Mobilisierung des städtischen Bürgertums blieben die Feiern letztlich doch auf einen überschaubaren Kreis ‚bismarcktreuer’ Anhänger beschränkt.“ (von Seggern, „Bismarck Heil!" - Kanzlerkult in der Festkultur des Kaiserreiches, http://www.ruhr-uni-bochum.de/iga/isb/isb-hauptframe/forschung/Tagung%20Kaiserreich/von%20seggern.pdf (11.07.2008), S. 21). Allerdings gab es eine Reihe von Schulen, die Bismarckfeiern durchführten, wie z. B. die Chronik des Schillergymnasiums in Köln ausweist: „Zu Jubiläen wurden außerordentliche Feiern abgehalten, etwa zu […] Bismarcks 100.Geburtstag.“

(Schmitz, Die Geschichte des Schiller-Gymnasiums Köln 1899 – 2006, http://www.schillergymnasium-koeln.de/schule/geschichte/grafik/geschichte-1.pdf (11.03.2009), S. 14). Dass der Ablauf der Bismarckfeiern denen der anderen nationalen Feiern entsprach, zeigt eine Reihe von überlieferten Festprogrammen, wie z. B. das einer Mittelschule in Coburg (siehe Deutsche Schulpraxis, 1915, S. 91f.). Außerdem waren die Schulen auch an den Feiern der Kommunen beteiligt, wie z. B. in Göttingen, wo ein Lehrer der Realschule die Festrede hielt (Saathoff, Albrecht, Göttinger Kriegsgedenkbuch. 1914–1918 (1935), S. 186). Auch in den Zeitschriften der Lehrerverbände wurde in Aufsätzen zum Jubiläum die Schulen dazu aufgerufen, des ehemaligen Reichskanzlers zu gedenken: „Richten wir vor der Jugend, dem Volke, gerade in dieser harten Zeit, die Heldengestalt des Man-nes auf: er ist ein Talisman, eine Bürgschaft des Erfolgs.“ (Grünwald, Bismarck, Deutsches Philologen-Blatt 1915, 185, S.189). Auch in der Zeitung des Deutschen Lehrerinnenvereins erschien ein Beitrag zum Bismarck-jubiläum (Treuge, Aus Bismarcks Kindheit und Schülerjahren, Die Lehrerin: Organ des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein 1914/15, 395f.).

1000 Düding, Öffentliche Festkultur (1988), S. 281.

1001 Amtsblatt der Königl. Reg. Koblenz 1871, S. 200; zitiert nach: Düding, Öffentliche Festkultur (1988), S.

282.

1002 Auch für die anderen preußischen Regierungsbezirke liegen entsprechende Verfügungen vor.

gen.1003 Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs wurde dann weitgehend auf die offiziellen Feiern mit militärischem Gepräge verzichtet.1004 Allerdings nutzte eine Reihe von Kommunen den Feiertag, um ihre Kriegswahrzeichen einzuweihen.1005 Wie aus einem Erlass des preußi-schen Schulministers vom 26. August 19151006 hervorgeht, sollte in den preußischen Schulen auch nach Kriegsbeginn eine Schulfeier durchgeführt werden und danach unterrichtsfrei sein.

Inwiefern die „Feier den gegenwärtigen Zeitumständen“ angepasst werden sollte, blieb den Schulleitern überlassen. In den anderen Ländern des Deutschen Reiches wurde ähnlich ver-fahren. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, in welchem Umfang der Sedantag an den Schulen festlich begangen wurde und inwieweit der Krieg tatsächlich den Ablauf des nationalen Erinnerungsfestes in den Schulen veränderte. Zahlreiche Quellen bezeugen, dass die Schulen in den Jahren 1914 und 1915 in feierlichem Rahmen des Sieges bei Sedan ge-dachten.1007 Während einige Schulen patriotische Schulfeiern wie in den Vorkriegsjahren ver-anstalteten – mit Gesang, Vorträgen und der Aufführung eines vaterländischen Festspiels oder im Rahmen von Festgottesdiensten1008 –, passten andere ihre Feiern den gegenwärtigen Um-ständen dadurch an, dass sie an aktuelle Ereignisse des Ersten Weltkriegs anknüpften. So wurde der Gedenktag 1914 im Gymnasium zu Berlin-Steglitz genutzt, „um der in der Aula versammelten Schülerschaft durch kurze Vorträge Kenntnis zu geben erstens von Hindenburgs glänzendem Cannä-Sieg bei Tannenberg und zweitens dem Aufmarsch der deut-schen Heere an der Westfront und ihrem siegreichen Vorstürmen in Feindesland.“1009 Vor allem im ersten Kriegsjahr setzten die Festredner vielerorts den aktuellen Krieg mit dem

1003 Siehe: Schroeder, Funktion und Gestalt des patriotischen Schulfestspiels in der Wilhelminischen Kaiserzeit (1990), S. 33. Allerdings sollte „die Feier den gegenwärtigen Zeitumständen“ des Krieges angepasst werden, wie z. B. in zwei Verfügungen der Provinzialregierung in Schleswig angeordnet worden war (Jg. 7, 1915, S. 125; Jg.

8, 1916, S. 124); siehe: Pust, „Vaterländische Erziehung" für „Höhere Mädchen" (2004), S. 343.

1004 Siehe: Düding, Öffentliche Festkultur (1988), S. 286.

1005 ‚Isdern Kerl’ in Emden (1915), ‚Wappenschild’ in Hameln (1915), ‚Eiserner Schützenvogel’ in Harburg (1915), ‚Eiserner Greif’ in Rostock (1915), u. a. Dass die Schulen an den Einweihungsfeiern beteiligt waren, kann angenommen werden (siehe: Kapitel 9.3). In Hameln z. B. nahmen „die Schülerinnen und Schüler sämtli-cher hiesigen Schule“ an der „Vaterländischen Kundgebung am Sedantag“ teil (Vaterländische Kundgebung am Sedantag 1915, Hamelner Tageblatt). Zwar fand die Einweihung des ‚Eisernen Kreuzes’ in Neustadt erst am 5. 9. 1915 statt, der „Feier ging jedoch voran ein Sedangottesdienst in der Stadtkirche“, an dem auch die Schul-jugend teilnahm. (Ungelenk, Coburg im Weltkrieg 1914–18 (1922), S. 394.

1006 StAH, HR 16, Nr.496. Ein Jahr später, am 24. August 1916, wurde ein Erlass mit gleichem Wortlaut veröf-fentlicht.

1007 Als Beispiele seien genannt: Schneidemühl (Mihaly, … da gibt's ein Wiedersehn! [1986], S. 53f. und S.

188f.), Oberrealschule in Bad Oldesloe (Prof. Dr. Brenner, Die Oberrealschule zu Bad Oldesloe während des Weltkrieges, [1914 bis 1918], http://de.tms-od.de/ (14.02.2008), Realschule Nortorf (Die Geschichte der Städti-schen Realschule Nortorf, http://www.realschule-nortorf.lernnetz.de/ geschi_3.php?group=4 (17.06.2008).

Halver (Dresbach, Kriegs-Chronik der Gemeinde Halver von 1914 bis 1919 [1932], S. 8),

Gymnasium in Steglitz (Lehmann, Weltkriegs-Erinnerungen aus dem Kreise des Gymnasiums zu Berlin-Steglitz [1925], S. 12, Kaiser-Wilhelms-Gymnasium in Hannover (Mücke, Königliches Kaiser Wilhelms Gym-nasium in Hannover (1915), S. 12–16).

1008 Z. B. in der Oberrealschule in Bad Oldesloe (Prof. Dr. Brenner, Die Oberrealschule zu Bad Oldesloe wäh-rend des Weltkrieges, [1914 bis 1918], http://de.tms-od.de/ (14.02.2008),

1009 Lehmann, Weltkriegs-Erinnerungen aus dem Kreise des Gymnasiums zu Berlin-Steglitz (1925), S. 12.

Krieg von 1870/71 gleich und betonten die Hoffnung auf einen erneuten schnellen Sieg.

Teilweise wurde sogar hervorgehoben, dass es ab nächstem Jahr keine Sedanfeier mehr geben würde, da es dann einen größeren Sieg zu feiern gäbe.

Immer wieder wurden auch die für die Erziehung der Schuljugend positiven Folgen des Krie-ges von den Lehrern und Schulleitern in ihren Reden hervorgehoben. So waren z. B. nach Meinung des Direktors des Gymnasiums in Plauen (Kgr. Sachsen) „besonders die Gottes-furcht und die Menschenliebe in ihren verschiedenartigen Betätigungen wieder erweckt oder gesteigert (worden)“1010. Kriegsspiele im Gelände, wie sie in der Vorkriegszeit am Sedantag häufig von den Schulen durchgeführt wurden1011, gab es ab 1914 nicht mehr.

Mit den verlustreichen Schlachten bei Verdun und an der Somme in der ersten Hälfte des Jah-res 1916 änderte sich auch der Charakter der Sedanfeier in den Schulen. Man verzichtete in der Regel auf ein Programm „mit leerem, lauten Festgepränge“1012, wie es ein Lehrer damals formulierte, und beschränkte sich weitgehend auf eine schlichte gemeinsame Gedenkstunde mit einer Ansprache des Schulleiters. Da es kaum noch Siege zu bejubeln gab, die Hoffnung auf einen schnellen Sieg geschwunden war und es Hunderttausende von Opfern zu beklagen gab, waren die Reden von Durchhalteparolen und Aufrufen zu verstärktem Einsatz an der

„Heimatfront“ bestimmt. Die „Sedanrede im Kriegsjahr 1916“ eines Lehrers aus Ölsnitz (Kgr.

Sachsen), die damals sicher ähnlich in vielen anderen deutschen Schulen gehalten worden ist, zeigt die veränderte Bedeutung der Feiern. So konfrontierte der Lehrer am Anfang seiner An-sprache die Schüler mit den Schrecken des Krieges („Und diese, deine Liebe, dein Vaterland, ist bedroht von Not und Tod“), um sie dann zu fragen: „Was können schwache Kinder helfen im schrecklichen Männerkriege?“ Es folgten viele Appelle an die Schüler „als das Geschlecht der Helden, das hinter der Front mit Arbeit und Entsagung für das deutsche Vaterland kämpft“. Am Ende schwor er sie auf den Kampf an der „Heimatfront“ ein: „Arbeiten, Entsa-gen, Ertragen! Das sei unsere Sedanlösung 1916“.

Neben den oben erwähnten Quellen wurden etwa 250 weitere Orts- und Schulchroniken un-tersucht. Dass diese für die Zeit des Ersten Weltkriegs relativ wenige Hinweise auf die Durch-führung von schulischen Sedanfeiern enthalten, lässt durchaus den Schluss zu, dass die patrio-tischen Feiern für die Schulen im Krieg weniger bedeutsam waren als in der Vorkriegszeit.

Sie zeigen allerdings auch, dass der Sedantag an vielen Schulen bis zum Kriegsende begangen worden ist. Zu diesem Ergebnis kommt beispielsweise auch Pust in seiner Untersuchung über

1010 Schmidt, Der Sedantag am Plauener Gymnasium, http://www.schulgeschichte.de/der-sedantag-am-plauener-gymnasium.html (6.12.2010),.

1011Siehe z. B.Schmidt, Der Sedantag am Plauener Gymnasium, http://www.schulgeschichte.de/der-sedantag-am-plauener-gymnasium.html (6.12.2010).

1012 Zanther, Eine Sedanrede im Kriegsjahr 1916, Deutsche Schulpraxis 1916, S. 265.

die höheren Mädchenschulen in Schleswig-Holstein.1013 Er weist für alle Kriegsjahre schuli-sche Sedanfeiern nach und kommt im Vergleich mit den Feiern der Vorkriegszeit zu dem Er-gebnis, dass zu den traditionellen Inhalten im Krieg aktuelle Kriegsbezüge hinzugekommen seien. 1014

Im Vergleich zur Vorkriegszeit waren die Sedanfeiern im Krieg allerdings weniger bedeut-sam.1015 Wie viele Beispiele zeigen, wurde des Sieges vom 2. September 1870 zwar bis zur Kapitulation in der Regel gedacht1016, angesichts der vielen aktuellen Siegesfeiern zu Beginn des Krieges und der sich ab 1916 ständig verschlechternden militärischen und wirtschaftli-chen Situation war das offizielle Gedenken an die historische Schlacht, zu dem man verpflich-tet war, für viele Schulen aber nur noch von untergeordneter Bedeutung. Hinzu kam, dass der Sedantag nach dem Regierungsantritt Wilhelms II. aufgrund des überzogenen Personenkults, der in den öffentlichen und schulischen Feiern mit der Person des Kaisers betrieben wurde, in den Schatten des Kaisergeburtstages geraten war.1017 Insofern unterschied sich der Umgang der Schulen mit dem nationalen Gedenktag kaum von dem der Verbände und der Kommu-nen.1018

5.2 Kaisergeburtstag

Der 27. Januar, der Geburtstag Kaiser Wilhelms II., war neben dem Sedantag der zweite deut-sche Nationalfeiertag. Da „Herrdeut-schergeburtstage als dynastideut-sche Huldigungsfeiern“ in den verschiedenen Bundesstaaten bereits vor der Gründung des Deutschen Kaiserreichs üblich waren, fand auch der Feiertag zum Geburtstag des Kaisers nach 1871 fast zwangsläufig in das Festzeremoniell des neuen Reiches Eingang.1019 Nach dem Regierungsantritt Wilhelms II. im Jahre 1888 „entwickelten sich die Feiern (schnell) zu einem alljährlichen Großereignis“1020. Sie waren das zentrale gesellschaftliche Ereignis und der „Gradmesser für die patriotische Einstellung eines jeden Ortes und seiner Vereine und Schulen“1021. Besonderen Wert legte

1013 Pust, „Vaterländische Erziehung" für „Höhere Mädchen" (2004), S. 345.

1014 Pust, „Vaterländische Erziehung" für „Höhere Mädchen" (2004), S. 345.

1015 Allerdings hatte die Bedeutung des Sedantag bereits nach der 25. Jahrfeier abgenommen, und zwar auch deshalb, weil die Zahl der Teilnehmer am Krieg 1870/71 stark zurückgegangen war.

1016 Es gab aber auch Schulen, die ab 1915 auf Sedanfeiern verzichteten, wie z. B. die Leibnizschule in Hanno-ver. In der Begründung hieß es: „Eine Feier sei in Zeiten des Krieges nicht angemessen.“ (Günnewig, Schulische Festkultur am Beispiel der Wilhelm-Raabe-Schule, die Höhere Töchterschule I in Hannover in Landeshauptstadt Hannover (Hrsg.), Hannoversche Geschichtsblätter (2003/2004), S. 98.

1017 Schroeder, Funktion und Gestalt des patriotischen Schulfestspiels in der Wilhelminischen Kaiserzeit (1990), S.33.

1018 Am 27. 08. 1919 schaffte das Innenministerium der Weimarer Republik die Sedanfeiern ab, da diese nicht mehr zeitgemäß waren.

1019 Düding, Öffentliche Festkultur (1988), S. 278.

1020 Schellack, Sedan- und Kaisergeburtstagsfeste (1988), S. 289.

1021 Schroeder, Funktion und Gestalt des patriotischen Schulfestspiels in der Wilhelminischen Kaiserzeit (1990), S. 31.