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Samaria als Hauptstadt des Nordreiches

Im Dokument Vielfältig geprägt (Seite 23-31)

2. Geschichtlicher Überblick

2.1. Samaria als Hauptstadt des Nordreiches

In der hebräischen Bibel findet sich die Information, dass die Stadt Samaria von König Omri (885–874/70 v.Chr.) gegründet worden sei (1Kön 16,23–

24). Zuvor lagen die Hauptstädte des Nordreiches östlicher und tiefer im sa-marischen Bergland: Jerobeam I. (931–910 v. Chr.) und sein Sohn Nadab (910–909 v. Chr.) residierten in Sichem, Bascha (909–886 v. Chr.) und sein Sohn Ela (886–885 v. Chr.) sowie der Usurpator Simri (885 v. Chr.) in Tirza.

Auch Omri verbrachte dort die ersten sechs Jahre seiner Regierungszeit,

15 Braudel 1990: 13–14. S. auch Uehlinger 1995: 61–63; Knopf 1998: 279.

16 Zur Rezeption s. Uehlinger 1995: 62 mit Anm. 21; s. des Weiteren Knauf 1991: 42–44 sowie Weippert & Weippert (1991: 371), die A. Alts ‚Rhythmus der Geschichte Syriens und Palästinas im Altertum‘ (1944) als Relationsgrösse für die longue durée in Erinnerung gerufen haben.

bevor er sich entschied, eine neue Residenz weiter im Nordwesten, in Sama-ria, zu errichten.17

Samaria liegt ungefähr 10 km nordwestlich von Sichem/Tell Balāṭa (1768.1800) bzw. 10 km westlich von Tirza/Tell elFār‛a Nord (1823.1882).

Die Ortslage konnte mit dem modernen Dorf Sebasṭye (1686.1870) identifi-ziert werden, dessen Name auf die Umbenennung der Stadt in Sebaste unter Herodes dem Grossen zurückgeht. Der Ort liegt auf einer Anhöhe am regen-reichen Westabhang des zentralpalästinischen Berglands (ca. 450 ü. M.) und überblickt von dort eine wasserreiche und fruchtbare Region, durch die eine Strasse vom Mittelmeer und der Küstenebene über Sichem ins Jordantal ver-läuft. Samaria besass damit gute Verkehrsverbindungen, lag landwirtschaft-lich günstig und war gut zu verteidigen.18

Archäologische Untersuchungen haben eine vorurbane Siedlungsphase zu Tage gebracht, die zeigt, dass der Ort bereits in der frühen Eisenzeit II (10./9. Jh. v. Chr.) zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte diente.

Darauf lassen Zisternen, Öl- und Weinpressen der sogenannten Building Pe-riod 0 sowie Keramikfunde schliessen.19

Für eine grosse königliche Anlage war die relativ kleine Kuppe der An-höhe eigentlich ungeeignet, da sie zu wenig Platz bot. Gelöst wurde das Problem in der Phase I (Building Period I) durch die Nivellierung einer ca.

4 m hohen, nach Westen hin ausgerichteten Terrasse, die auf einer Fläche von ca. 150 x 80 m nachgewiesen wurde und auf der sich ein mehrräumiges Gebäude im Hofhausstil (ca. 55 x 40 m) fand. Die Bebauung der Building Period I wird Omri und seinen Nachfolgern zugerechnet.20

Der architektonische Befund kann als Palast gedeutet werden. Aufgrund der aus der Building Period 0 weiterverwendeten landwirtschaftlichen In-stallationen nimmt N. Franklin (2004: 201) an, dass Samaria nicht nur als Residenz fungierte, sondern weiterhin Sitz einer hochspezialisierten und lu-krativen Öl- und Weinproduktionsstätte war. Die ökonomischen und weni-ger die strategischen Standortvorteile hätten Omri dazu bewogen, hier seine Hauptstadt zu bauen.21

17 Zu Jerobeam I. s. 1Kön 12,20–14,20; zu Nadab s. 1Kön 15,25–32; zu Bascha s. 1Kön 15,33–16,7; zu Ela s. 1Kön 16,8–14; zu Simri s. 1Kön 16,15–20; zu Omri s. 1Kön 16,21–

28. Laut 1Kön 16,24 kaufte Omri das Hügelgrundstück einem gewissen Šemer (hebr. šmr) ab. Damit bietet die Bibelstelle eine etymologische Ätiologie für die Herkunft des Namens Samaria (hebr. Šōmǝrōn), der sich auf die hebräische Wurzel šmr (hüten, wachen) zurückführen lässt.

18 Dorsey 1991; Jericke 2010: 47.

19 Die hier vorgestellten Bauphasen orientieren sich an Franklin 2004 und werden durch neuere Beobachtungen von Finkelstein 2011 ergänzt. Vgl. auch Tappy 1992; Jericke 2010: 47. Zur Building Period 0 s. Franklin 2004: 191 mit fig. 1.

20 Franklin 2004: 194 und 201.

21 Franklin 2004: 201: „Samaria during Building Period I was the hub of a highly specialized and lucrative oil and wine industry that florished throughout southern Samaria ..., and must have been an important element in the state economy. ... Omri, the founder of a new dynasty, was an usurper and his choice was not due to its strategic location but rather

Bezweckt wurde dabei der Anschluss Israels an das entstehende mediter-rane Handelssystem, „wobei es wahrscheinlich nicht nur als agrarisches Hin-terland der seefahrenden phönizischen Städte fungieren, sondern auch direkt oder indirekt am Fernhandel beteiligt sein wollte.“22 Voraussetzung dafür war, dass grossflächig Landwirtschaft betrieben wurde. So konnte das Land einen Überschuss an agrarischen Produkten (Öl, Wein und Getreide) hervor-bringen, mit dem dann die Stadtstaaten an der Küste versorgt wurden.

Die Stadt Samaria diente folglich als wichtiges regionales Zentrum, das stärker als die alten Residenzen Sichem und Tirza auf den Handel mit der Küste ausgerichtet war. Ob sie im Rahmen des Nordreiches eine vollgültige Hauptstadt war, wurde zu Recht in Frage gestellt. Lage, Grösse und Struktur Samarias lassen daran zweifeln, dass hier die vielfältigen Aufgaben einer Kapitale (als reichsübergreifendes Zentrum des Militärs, des Handels, der Administration und des Kultes) wahrgenommen werden konnten.23 Das Nordreich wurde nicht zentral verwaltet, vielmehr war die Reichsadminist-ration in den einzelnen Regionen selber verankert. Dies lässt sich anhand einer Reihe von Festungen erkennen, deren Bau notwendig wurde, um effi-zient herrschen zu können. Ihre Errichtung war strategische und verwal-tungstechnische Notwendigkeit und zugleich königliche Propaganda: ein Zeichen für Macht und Ansehen der israelitischen Könige – nach innen wie nach aussen.24

Was Samaria im Vergleich zu den anderen Städten im Nordreich Israel auszeichnete und zur Hauptstadt machte, war die Rolle als Stammresidenz des Königs und der damit verbundene repräsentative Charakter. Dieser lässt sich archäologisch in Phase II (Building Period II) fassen. Durch die Errich-tung von Kasemattenmauern wurde die alte Terrasse auf ihre maximale Aus-dehnung (von ca. 2,5–3 ha) erweitert und zusätzlich weiter unten eine zweite Terrasse (von ca. 8 ha) geschaffen.25 Die untere Terrasse war stark befestigt und (zumindest im Süden und Osten) von einem Graben umgeben.26

reflected his need to line the state coffers and establish an economically-sound and legitimate powerbase from which to rule.“ Vgl. dazu auch Stager 1990.

22 Weippert 1993: 102. Für A. Alt (1954: 258–270) war Omris Ortswahl darüber hinaus politisch intendiert: Als Residenz auf kanaanäischem Boden sollte sie den besonderen Ansprüchen und Bedürfnissen der kanaanäischen Bevölkerung dienen und somit eine ausgleichende Funktion zwischen Kanaanäern und Israeliten ausüben.

23 S. Niemann 2007; vgl. auch Olivier 1983.

24 Finkelstein & Silberman 52003: 212.

25 Zur Grösse der oberen Terrasse s. Finkelstein 2011: 195.

26 Die untere Terrasse fand bislang in der Forschung nur wenig Beachtung; sie wurde von Finkelstein ins Bewusstsein gerückt, der sie aufgrund ihrer Bautechnik für eisenzeitlich hält und der Ober- bzw. Unterstadt unterschiedliche Funktionen zuweist (2011: 204–205):

„As for the function of the site, I would suggest that the two plattforms served different purposes: the upper one served as the royal compound, with the palace, a possible royal shrine, official administrative buildings and open spaces, while the lower platform functioned as the town proper, with habitation quarters for the officials who served the bureaucratic apparatus of the kingdom.“

Die Datierung dieser Baumassnahmen ist nicht gesichert. Lange war man sich darüber einig, dass die Phasen I und II dem 9. Jh. v. Chr. zuzurechnen seien. Differenzen bestanden in der Forschung einzig darin, ob Phase II in die Zeit Ahabs oder erst in die Zeit Jehus zu datieren sei. Nach N. Franklin (2004: 200) ist diese zeitliche Einordnung nun leicht zu revidieren. Nach ei-ner Aufarbeitung des architektonischen Befundes kommt sie zum Schluss, dass die Bauten von Phase II erst im ausgehenden 9. bzw. v.a. im 8. Jh. er-richtet wurden, möglicherweise in der Blütezeit des Nordreiches unter Jero-beam II.27

Einer solchen zeitlichen Ansetzung entspricht auch die Datierung ver-schiedener in den Gebäuden von Phase II ergrabener Fundkomplexe. Dazu zählen insbesondere die Gefässe der Samaria Ware und die (allerdings nicht in situ gefundenen) Elfenbeinarbeiten.28 Beide Gattungen sind stark phöni-zisch beeinflusst und zeigen, dass die engen Kontakte zur Küstenregion, die schon zur Zeit der Omriden bestanden hatten, im 8. Jh. v. Chr. noch intensi-viert wurden.29

27 Finkelstein (2011: 203) nimmt an, dass die Terrassierung durch Kasemattenmauern bereits zur Zeit der Omriden (9. Jh. v. Chr.) stattgefunden hat, was entsprechende Befunde bei den Ausgrabungen in Jesreel nahelegen; im Blick auf die beiden Terrassen in Samaria sieht er zum einen die Möglichkeit, dass beide gleichzeitig im 9. Jh. gebaut wurden, oder dass die obere aus dem 9. Jh. und die untere aus der ersten Hälfte des 8. Jhs. stammt.

Niemann (2011: 333) zieht die zweite Option vor.

28 Bei der sogenannten Samaria Ware bzw. Phoenician Fine Ware handelt es sich um dünnwandige gekielte Schalen und Schüsseln, die in Formen hergestellt, mit Ritzlinien verziert und zonenweise mit roter Bemalung (red slip) versehen wurden. Sie findet sich in Palästina häufig und wird üblicherweise als ‚phönizisch‘ charakterisiert. Typisch ist sie für Fundkontexte des 8. Jhs. v. Chr. (s. Amiran 1970: 207–212 mit pls. 66–67; Barkay 1992: 332; Jericke 2010: 49–50). Die gut dokumentierten Elfenbeine datieren ins 8. Jh. v.

Chr. (Winter 1976; Uehlinger 2005b; Suter 2011). Anhand ihres Stils lassen sich die Schnitzereien drei Traditionen unterschiedlicher Herkunft zuweisen: der Northern Tradition (Nordsyrien), der Intermediate Tradition (Südsyrien) und der Southern Tradition (Phönizien). Die Bildwelt umfasst zahlreiche ägyptisierende Motive wie das Sonnenkind im Lotos, den Falkenköpfigen, Udjat-Augen und Uräen, ferner eine ‚Frau am Fenster‘, Tiere (Löwen, Bovinen, Hirsche), Mischwesen (Sphingen) und Tierkämpfe (Löwe gegen Stier, Löwe gegen Greif) sowie florale Ornamente (Lotosblüten und Palmetten). Vergleichbares Material stammt aus Nordsyrien (Arslantaş), Mesopotamien (Nimrūd) und Zypern (Salamis) (s. Mazar 1990: 502–505).

29 Neben der Samaria Ware und den Samaria Ivories wurden in Samaria weitere Objekte entdeckt, die den regen Handelskontakte zwischen der Stadt und der Küstenregion im 8.

Jh. v. Chr. bezeugen. So ein phönizisch mit dem ägyptischen Namen pÅs (‚durch Isis Gegeben‘) beschriftetes Siegel, das ein geflügeltes Mischwesen zeigt und entweder aus Phönizien stammt oder in phönizisierendem Stil lokal hergestellt wurde (Avigad & Sass 1997: no. 747; vgl. Lemaire 1986: 93–94); zur Ikonographie der geflügelten Mischwesen s. Keel & Uehlinger 52001: 286–291 mit no. 252. Darüber hinaus ist das Randstück einer grossen Metallschale zu erwähnen, das zusammen mit den Samaria Ostraca gefunden wurde und die Aufschrift lmlkrm (‚dem Milkiram gehörig‘) trägt (Reisner 1924: 238 &

243 no. 64, 280–281 no. 18a und pl. 55a); Lemaire (1976) nimmt an, dass es sich beim erwähnten Milkiram um einen König von Tyros aus der Mitte des 8. Jhs. v. Chr. handelt.

Vor dem Hintergrund der materiellen Hinterlassenschaft Samarias und der vielfältigen Beeinflussung der Region durch die Kultur der Küste stellt sich nun die Frage, wie die religiösen Verhältnisse ausgesehen haben mögen.

Einen wichtigen Hinweis darauf geben die Funde aus Kuntillet ‛Aǧrūd (094.956) im nördlichen Sinai. Sie stammen aus einer festungsartig gesicher-ten Anlage, die als Reisestation an der Fernhandelsstrasse von Gaza zum Roten Meer genutzt wurde.30 Bei Ausgrabungen fanden sich auf einzelnen Wänden und auf Tongefässen mehrfarbige Zeichnungen und Dekorelemente sowie Inschriften.31

Besonders interessant ist die Segensformel auf Pithos A:

1 Botschaft des ’[…]…:

2 Sprich zu Yǝhall[el’ēl] und zu Yō‛āśā und [zu …:] Ich segne euch 3 bei Jhwh von Samaria und seiner Aschera.32

Der Text weist zwei religionsgeschichtliche Auffälligkeiten auf: zum einen die Kombination von ‚Jhwh und seiner Aschera‘, zum anderen die Formu-lierung ‚Jhwh von Samaria‘.

Die Verbindung ‚Jhwh und seine Aschera‘ findet sich neben der bereits er-wähnten Inschrift auf dem Pithos A auch in zwei weiteren Segensformeln auf Pithos B und zeigt, dass Jhwh eine ‚Aschera‘ zugeordnet war.33 Was man sich unter ‚Aschera‘ vorzustellen hat, ist umstritten:34 Der Ausdruck ‚seine Aschera‘ bildet eine Konstruktion eines Eigennamens mit einem Perso-nalsuffix. Er ist somit doppelt determiniert: einerseits durch den Eigenna-men, andererseits durch das Personalsuffix. Nun ist aber eine doppelte De-termination nach den üblichen grammatikalischen Regeln nicht möglich.

Aus diesem Grund wurde angenommen, dass ‚Aschera‘ nicht den Eigen-namen der Göttin Aschera meinen kann, sondern lediglich ein sie repräsen-tierendes Kultobjekt (ein Kultpfahl), das sich in nächster Nähe von Jhwh

30 Zur Diskussion über die Funktion der Anlage s. Frevel 1995: 854–865; Hadley 2000: 106–

120; Naíaman & Lissovsky 2008: 187–190; Meshel 2012: 65–69.

31 Die zeitliche Ansetzung der Anlage ist umstritten (s. dazu Jericke 2010: 137–139). Erste Keramikanalysen kamen auf eine Datierung am Übergang vom 9. zum 8. Jh. v. Chr.

(Meshel 1993: 1460–1461), eine Untersuchung der Gesamtbefundes (Keramik, Ikonographie, Paläographie) legte dann eine Besiedelung in der Mitte des 8. Jhs. v. Chr.

nahe (Hadley 2000: 106–120) und eine erneute Sichtung der Keramiktypen durch Singer-Avitz (2006; 2009) ergab ein Datum um 720/715 v. Chr. Wie schliesslich die Auswertung der C14-Daten zeigte, fand die Erbauung der Siedlung im Zeitraum zwischen 820–795 v. Chr. und ihre Aufgabe nach 745 v. Chr. statt; die Anlage kann also ungefähr in den Zeitraum von 795 bis 730/20 v. Chr. datiert werden (Finkelstein & Piasetzky 2008).

32 Nach HTAT: 356 no. 216; vgl. auch Meshel 2012: 87–91 (Inscription 3.1); Renz 1995:

59–61.

33 Die Formel lautet hier: ‚Ich segne dich bei Jhwh von Teman und bei seiner Aschera‘. S.

HTAT: 366 no. 217; Meshel 2012: 95–97 (Inscription 3.6), 99–100 (Inscription 3.9); Renz 1995: 62–64.

34 S. Keel & Uehlinger 52001: 259–263.

bzw. zu seinem Altar befunden habe (vgl. Dtn 16,21 und 2Kön 23,4.6.15) und eng an seine Wirkmächtigkeit gebunden gewesen sei.35

Es ist aber fraglich, ob das Problem der doppelten Determination tatsäch-lich dadurch gelöst werden kann, dass ‚Aschera‘ als Kultpfahl verstanden wird. K. Schmid (2003: 23–24) schlägt vor, den Ausdruck ‚seine Aschera‘

entweder einfach als ‚ungrammatikalisches‘ Phänomen zuzulassen, oder sie als abgekürzte Form (Breviloquenz) für ‚und Aschera, seine Gemahlin‘ zu verstehen: „Wie man sich auch entscheidet ..., der Ausdruck ‚und seine Aschera‘ schließt das personale Verständnis, das religionsgeschichtlich oh-nehin am nächsten liegt, nicht aus: ‚seine Aschera‘ meint in diesen Inschrif-ten tatsächlich die Göttin Aschera und nicht einfach den sie symbolisieren-den Kultpfahl (das wäre eine ‚subdeuteronomistische‘ Rezeption).“

Vor diesem Hintergrund scheint es naheliegend, einige der Malereien auf Pithos A Aschera zuzuweisen: Es sind Motive, die traditionell mit Göttinnen in Verbindung stehen (säugende Kuh, Capriden am Lotosbaum) und als Symbole für Regeneration und Fruchtbarkeit verstanden werden können.

Hierzu bleibt aber anzumerken, dass das Verhältnis von Malerei und In-schrift auf den Pithoi aus Kuntillet ‛Aǧrūd in der Forschung kontrovers dis-kutiert wird und Bild und Text nicht ohne Weiteres aufeinander bezogen werden dürfen.36

Die zweite religionsgeschichtliche Auffälligkeit der Inschrift von Kuntillet ‛Aǧrūd auf Pithos A stellt die Formulierung ‚Jhwh von Samaria‘

dar, in der Jhwh geographisch näher determiniert wird. Auf Pithos B er-scheint er parallel dazu als ‚Jhwh von Teman‘.37 Dies ist im altorientalischen Kontext nichts Ungewöhnliches: Eine Gottheit konnte durchaus mit mehre-ren Kultorten in Verbindung stehen (so z.B. Ischtar von Arbela und Ischtar von Ninive).

Nun stellt sich im Blick auf ‚Jhwh von Samaria‘ die Frage, ob mit ‚Sa-maria‘ die Hauptstadt (Samaria) oder die Landschaft (Samarien) gemeint ist.

Beides ist grundsätzlich möglich. Analog zum Ausdruck ‚Jhwh von Teman‘, der sich auf eine (im Alten Testament eng mit Edom verbundene) Region bezieht, ist aber wahrscheinlicher, dass mit ‚Samaria‘ nicht ein Ort, sondern die Landschaft Samarien bezeichnet wird.38

Wo ‚Jhwh von Samarien‘ überall kultisch verehrt wurde, ist nicht sicher zu sagen. In der hebräischen Bibel sind Dan und Bet-El als

35 S. Keel & Uehlinger 52001: 263–264. Keel & Uehlinger verwenden für die Visualisierung eines gewissen Aspekts, der auf eine Gottheit verweisen kann, aber nicht zwangsläufig direkt auf sie verweisen muss, das Stichwort ‚Transparenz‘. Zum Vorkommen dieses Phänomens schreiben sie (52001: 264): „Noch einmal sei hervorgehoben, dass sich der ikonographische Befund der Transparenz in der EZ II B am deutlichsten bei Bildern phönizischer Herkunft oder Inspiration zeigt.“ Vgl. dazu aber auch Uehlinger 1997a: 140–

142 und Keel & Uehlinger 52001: 488–489.

36 S. Keel & Uehlinger 52001: 272–276; Uehlinger 1997a: 140–146.

37 S. Anm. 33.

38 S. HTAT: 366 Anm. 5; Jeremias & Hartenstein 1999: 113–114; Müller 1992: 26–27.

heiligtümer für Jhwh dokumentiert. Des Weiteren ist naheliegend, dass auch in Samaria ein Jhwh-Heiligtum stand, obwohl ein solches archäologisch nicht nachgewiesen werden konnte. Diese negative Evidenz muss aber beim durch die herodianischen Grossbauarbeiten stark gestörten Befund nichts heissen: „Denn dass ‚Jhwh von Samaria und seine Aschera‘ an verschiede-nen Orten (z.B. Bet-El), nicht aber in der Hauptstadt Samaria kultisch verehrt worden seien, ist von vorneherein ganz unwahrscheinlich.“39

Für Samaria wird lediglich auf ein Heiligtum für Baal unter Ahab (1Kön 16,32 und 2Kön 10,21–27)verwiesen.40 Mit Uehlinger ist zu vermuten, dass der biblische Bericht nichts Anderes als eine polemische Verzeichnung des religionsgeschichtlichen Sachverhaltes darstellt, der auf einer spezifisch ju-däischen Sicht der Geschichte Israel-Samarias beruht.41

Ausserbiblisch bieten die Prismen aus Nimrūd (Kalḫu) von Sargon II.

(721–705 v. Chr.) eine wichtige Informationsquelle zum Thema: Sie erwäh-nen die Einnahme Samarias durch die Neuassyrer.42 In Zeile 32 wird auf „die Götter, ihre Helfer“ verwiesen: Sie seien als Beutestücke mitgenommen wor-den.43 Die Textstelle wäre damit ein wichtiger Beleg dafür, dass im Samaria der Königszeit ein Tempel mit den Kultbildern mehrerer Götter existierte.

Nun ist die historische Zuverlässigkeit der Inschrift leider nicht gesichert und wird kontrovers diskutiert. So merkt N. Naíaman (1999: 398) kritisch an: „The analysis of the Nimrud Prisms indicates that it is an inferior source compared to Sargon’s earlier inscriptions, and that its author felt free to ma-nipulate his sources and write his own version of Sargon’s campaigns.“ Auf der Grundlage der heutigen Kenntnisse ist eine sichere Beurteilung der

39 Uehlinger 1998: 742. So auch Weippert in HTAT: 366 Anm. 3; Keel & Uehlinger 52001:

258–259.

40 In der alttestamentlichen Forschung wurde die Frage aufgeworfen, ob es sich beim erwähnten Heiligtum tatsächlich um einen Baalstempel gehandelt haben könne. Kritisch wurde bemerkt, dass Baal und Aschera in Syrien-Palästina des 1. Jt. v. Chr. üblicherweise mit lokaler Determination genannt sind. Da diese in den Königebüchern fehlt, wurde die Möglichkeit erwogen, im hier erwähnten Baal den in Tyros verehrten Melkart oder Baalschamem zu sehen (s. dazu Jericke 2010: 50).

41 Uehlinger 1998: 742: „Dass die Hebräische Bibel keine eindeutigen Belege für einen Jahwetempel in Samaria liefert ..., kann damit zusammenhängen, dass der Jahwetempel in Samaria eher ein königliches Residenzheiligtum als ein Reichstempel war, ist angesichts der besonderen Überlieferungsbedingungen und anti-samari(tani)schen Einstellung der Quellen aber ohnehin nicht erstaunlich.“ S. dazu auch Schmid 2003: 26:

„... vielleicht hat man auch die biblischen Belege für einen Baalstempel in Samaria als nachträgliche Perhorreszierung eines nicht-Jerusalemer Jhwh-Tempels zu verstehen.“ Die von Uehlinger angesprochenen ‚besonderen Überlieferungsbedingungen‘ machen es nahezu unmöglich, exegetisch einen Jhwh-Kult in Samaria herzuleiten. Zu den problematischen Versuchen s. Jericke 2010: 51–52.

42 HTAT: 301–302 no. 151.

43 Möglicherweise ist diese Textpassage am Palast von Sargon II. in Dūr Šarrukīn/orsābād bildlich umgesetzt worden: Uehlinger (1998: 764) vermutet im Rahmen einer Neuinter-pretation der Wandreliefs aus Saal 5, dass die Szenen der Platten 5–3 die Wegführung des Kultstatuars der Stadt Samaria darstellen würden. Vgl. aber Naíaman 1999: 398–401.

entsprechenden Quellen nicht möglich. Es bleibt zu hoffen, dass neue Funde eine Klärung bringen werden.44

Fazit

Die Wahl Samarias zur Hauptstadt des Nordreiches Israel brachte viele Vor-teile. Eine zentrale Rolle spielte dabei sicher das fruchtbare Umland, das ge-nügend Nahrung zur Versorgung der ansässigen Bevölkerung sowie des kö-niglichen Hofs einbrachte und auf dem Überschuss produziert wurde, der auf dem Markt verkauft werden konnte.

Die verkehrstechnisch günstige Lage der Stadt, die von allen Himmels-richtungen her gut erreichbar war und doch nicht direkt an einer grossen Heeresstrasse lag, machte sie zum idealen Handelsplatz. Wie der Überblick über die materielle Kultur Samarias in der Königszeit zeigt, war die Bezie-hung der Region zu den Phöniziern eng. Die Küstenstädte bildeten den Ab-satzmarkt für die eigenen Produkte und waren gleichzeitig Lieferanten von Luxusgütern. Solche kamen auch in Form von Geschenken seitens der Eliten anderer Städte nach Samaria.

Gute Beispiele dafür sind die Elfenbeinschnitzereien, die in der Stadt ge-funden wurden. Sie machen deutlich, dass sich die Oberschicht Samarias als Teil einer syro-phönizischen Hofkultur verstand, die auf ein spätbronzezeit-liches Erbe zurückgriff und die verschiedenen syro-phönizischen Stadtkö-nigtümer der Zeit verband.

Die engen Beziehungen zu diesen Städten, im Rahmen derer es auch zu diplomatischen Heiraten kam, haben ihren Niederschlag in der hebräischen Bibel gefunden. Mit der Vermählung von König Ahab, dem Sohn Omris, und der phönizischen Prinzessin Isebel (1Kön 16,31) wurde ihnen ein litera-risches Denkmal gesetzt. Die Verbindung wird als negatives Musterbeispiel einer Mischehe dargestellt – historisch betrachtet führten die guten Kontakte zwischen Samarien und Phönizien aber zu einer Zeit der Blüte und des Reichtums, die Samaria zu einer weithin sichtbaren, prächtigen Krone über einem fetten Land machte (Jes 28,1).

Einblick in die religiösen Verhältnisse im königszeitlichen Samarien ge-ben die Inschriften aus Kuntillet ‛Aǧrūd: Sie zeigen, dass hier ‚Jhwh und seine Aschera‘ verehrt wurden. Wo genau dies überall geschah, ist unsicher.

Im Blick auf Samaria konnte archäologisch zwar kein innerstädtisches Hei-ligtum nachgewiesen werden, es ist aber naheliegend, dass das Götterpaar

Im Blick auf Samaria konnte archäologisch zwar kein innerstädtisches Hei-ligtum nachgewiesen werden, es ist aber naheliegend, dass das Götterpaar

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