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3 „Sinn“ im staatlichen Ethikunterricht der Grundschule in sieben Bundesländern

3.3 Darstellung der sieben Rahmenpläne

3.3.5 Sachsen-Anhalt

Das Kultusministerium hat 1993 die Rahmenrichtlinien für den Ethikunterricht an der Grundschule erlassen. Sie sind teilweise sehr stichwortartig gehalten. Ich habe deshalb die 1997 erschienenen er-gänzenden Materialien95 in die Recherche miteinbezogen.96

Das Basisverständnis ist folgendermaßen formuliert: „Als Teil der praktischen Philosophie hilft Ethik zu erkennen, was im Leben des Einzelnen und für die Gesellschaft wertvoll ist und warum etwas als wertvoll erachtet wird.“ Damit sind die zentralen Fragen: „Was sol-len wir tun? Wie solsol-len wir etwas tun? Wie können wir begründen, was wir tun sollen und wollen?“97 Man kann diese drei Formulierun-gen auch deuten als Variante der zweiten der vier klassischen FraFormulierun-gen von Immanuel Kant.98

Der Themenplan ist durch drei Themenfelder strukturiert: Ich-Du-Wir und die anderen / Natur-Mensch-Zeit / Absprachen und Regeln.

Die einzelnen Themen sind jeweils für zwei Jahrgangsstufen (1./2.

Klasse und 3./4. Klasse) identisch. Die Unterrichtsverfahren sind

95 Landesinstitut (1997).

96 Im Jahr 2007 wurde eine veränderte, 15-seitige Fassung beschlossen. Diese hat eine starke Fokussierung auf „Kompetenzen“, „Teilkompetenzen“ und „Grundwissen“.

Die Kompetenzen sind durch philosophische Begriffe gefüllt, also „phänomenologi-sche, spekulative, hermeneuti„phänomenologi-sche, analytische und dialektische Kompetenzen“. Die-se Einteilung wurde durch Martens (2003) entwickelt. Zu „Sinn“ findet sich wenig;

diese werden im Folgenden erwähnt.

97 Kultusministerium Sachsen-Anhalt (1993), S. 6.

98 Siehe Ausführungen zu „Philosophieren mit Kindern“ in Mecklenburg-Vorpommern in Abschnitt 4.2.2.

nicht den einzelnen Themen zugeordnet, sondern in einem davon un-abhängigen Absatz zusammengefasst. Es wird unterschieden zwi-schen kommunikativen, analytizwi-schen, kreativen und meditativen Un-terrichtsverfahren.

Das Konzept bezieht sich auf Grundwerte wie Freiheit, Gerechtig-keit, Menschenwürde und Toleranz, die als „Minimalbestand ethi-scher Verbindlichkeiten“99 bezeichnet werden.

Während so einerseits der zentrale Fokus die Orientierung auf das moralische Sollen ist, gehen andererseits die ergänzenden Materia-lien davon aus, dass durch die Konzeption der Rahmenrichtlinien das gesamte Spektrum der in der Ethikdidaktik bestehenden Ansätze - siehe die Gliederung nach Treml in Abschnitt 4.1 - abgedeckt ist.

“Ethikunterricht in Sachsen-Anhalt umfasst und integriert in Wech-selwirkung: Ethische Reflexion nach begrifflichen, inhaltlichen und methodischen Kriterien von Praktischer Philosophie mit dem mittel-baren pädagogischen Effekt von Lebenshilfe zur Lebensgestaltung incl. angestrebter kritischer Werteerziehung.“100 Der Umgang mit Sinnangeboten gilt dabei als Aspekt der Lebenshilfe.

(2) Explizit taucht der Terminus „Sinn“ nur am Rande auf, zwei Mal als Zweck von Regeln und Zeitökonomie, einmal als Attribut „sinn-störend“. In der Fassung von 2007 ist von der sinnvollen Planung von Tagesablauf und Freizeit die Rede.

Ein implizites Sinnverständnis des Rahmenplans kann man hinter der folgenden Formulierung vermuten: „Die Veränderung und Entwick-lung allen Lebens ist eine Grunderfahrung des Menschen, die Be-grenztheit die andere.“101

Die erste Grunderfahrung (Veränderung und Entwicklung) müsste dazu führen, biographische Zeit im Unterricht aufzugreifen. So gibt es auch den beispielhaften Inhalt „Ich bin ein besonderes Lebewesen, denn ich kann mich erinnern an Vergangenes und von Zukünftigem

99 Kultusministerium Sachsen-Anhalt (1993), S. 6.

100 Landesinstitut (1997), S. 7 (Kursivierung durch d. Verf.).

101 Kultusministerium Sachsen-Anhalt (1993), S. 20.

träumen.“102 Die Zeitdimension als subjektive Lebensgeschichte wird allerdings durch die Vorschläge, die die ergänzenden Materialien machen, dann eher wieder begrenzt; denn hier geht es zwar um As-pekte wie gemessene Zeit / gelebte Zeit / Zeit Geburt bis Tod / die unbegrenzte Zeit-Ewigkeit, aber der Fokus ist sehr stark auf das Er-fassen des Wesens der Zeit gerichtet. Trotz dieser Unklarheit gehört

„Zeit“ zu den Dimensionen, in denen man in den Rahmenrichtlinien eine Entfaltung von Sinn sehen kann.

Auch die zweite der oben benannten Grunderfahrungen (Begrenzt-heit) hat ihren Stellenwert in den Rahmenrichtlinien. Im Themenfeld Ich-Du-Wir und die anderen heißt es schon für die 1./2. Klasse: „Das Grundschulkind befindet sich in einem für seine Persönlichkeitsent-wicklung wichtigen Lebensabschnitt. (...) (Es muss begreifen, Anm.

d. Verf.) dass es im Leben auch schmerzliche Erfahrungen gibt, z. B.

menschliche Schwächen, Krankheit, Tod, vor denen es die Augen nicht verschließen kann.“103 Aufgrund des Aufbaus der Rahmenricht-linien ist allerdings nicht zu erkennen, welchen methodischen Ver-fahren die Autoren zutrauen, die Augen zu öffnen bzw. offen zu hal-ten.

Ein weiterer, impliziter Anknüpfungspunkt in dem Themenfeld, in dem auch Zeit enthalten ist, wäre das Thema „Natur“. Denn „durch aufmerksames Beobachten und Vergleichen der Lebensvorgänge in der Natur wird dem jüngeren Schulkind die Zugehörigkeit des Men-schen zu allen Lebewesen bewusst.“104 Dieses eher kognitive Ver-hältnis zur Natur wird allerdings in den ergänzenden Materialien zu einem normativen Naturbegriff aufgeladen. Dort heißt es zum Thema

„Ostern“: Die Schüler/-innen sollen „mit allen Sinnen erleben, dass Ostern in Verbindung mit dem Frühling, dem Erwachen der Natur (…) zu sehen ist, den Auferstehungscharakter der Osterzeit in der Natur erfassen und das Erwachen der Natur als etwas ‚Wunderbares’

zu sehen.“ Denn „die Vögel jubilieren mit ihren Gesängen, die Tiere paaren sich, bringen ihre Jungen zur Welt, die Frühlingsblumen

102 Ebenda, S. 14.

103 Kultusministerium Sachsen-Anhalt (1993), S. 10.

104 Ebenda, S. 13.

zeugen ihre ‚Freude’ mit den schönsten bunten Farben.“105 Auch im überarbeiteten Rahmenplan (2007) ist vom Naturkreislauf als Exis-tenzprinzip die Rede; seine Wahrnehmung soll dazu führen, dass Schüler/-innen über den Sinn des Werdens und Vergehens reflektie-ren“ und „über mögliche Glückserfahrungen bei Menschen, Tier und Pflanzen nachdenken.“106

(3) „Sinn“ ist explizit kaum beschrieben. Wie im sächsischen Rah-menplan hinter der Kategorie Welt eine Sinnkonzeption vermutet wurde, wäre sie hier aus der Formulierung von Grunderfahrungen zu interpretieren. Dabei könnte es sein, dass sich der Rahmenplan hin-sichtlich der Unschärfen bei „Zeit“ und „Natur“ in einem Prozess der Klärung befindet; z. B. verweisen die Verfasser darauf, dass sie auf

„Philosophieren mit Kindern erst vor einiger Zeit gestoßen sind, so dass es bisher (…) nicht ausdrücklich repräsentiert war.“107