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Vorhaben

5.3 Der „Sinn des Lebens“

5.3.3 Sinnvorstellungen vergleichen und beurteilen

5.3.3.3 Darstellung des Konzepts „objektive list“

zen. Denn nachgeordnet für Prozesse der Reflexion ist für diese Posi-tion,

- ob gewünschte Handlungen bzw. erstrebte Güter überhaupt je-dem möglich bzw. prinzipiell für alle vorhanden sind;

- nach welchen Kriterien Wünsche als ausreichend aufgeklärt gel-ten dürfen und inwieweit die Fähigkeit zur (Selbst-)Aufklärung und freien Entscheidung von materieller Grundsicherung, persön-lichen Bildungsvoraussetzungen und politische Freiheitsrechten abhängig ist;

- inwieweit für den Prozess der (Selbst-)Kritik von Wünschen nicht doch Werte notwendig sind, die zwar nicht unabhängig von Gefühlen der Wertschätzung in irgendeinem objektiven „Werte-himmel“ existieren, aber doch erfahrungsgesättigter Ausdruck von Menschlichkeit sind und dadurch als Kritik an oder Unter-stützung von Wünschen Gewicht bekommen.

Am letzten Punkt, der Suche nach einem überindividuellen Maßstab, bietet sich das Konzept „objektive list“ an.

und davon abgeleitete bzw. nachgeordnete Güter. Wolfs explizites Ziel ist nun allerdings nicht, Sinnvorstellungen inhaltlich zu füllen und ggf. zu hierarchisieren (wie bei Aristoteles274), sondern etwas Allgemeines an Handlungen und Vorstellungen zu finden, das diese als Sinn-Konzepte überhaupt erst in Betracht kommen lässt.

Wolf (1998) erläutert ihre Vorstellungen wie folgt:

Menschen wollen durch unterschiedliche Vorhaben ihrem Leben Sinn geben, wobei „Vorhaben“ nicht identisch ist mit systematischer Pla-nung. Sie nennt als Beispiele für Vorhaben „einen Forschungsbereich zu beherrschen, ein Haus zu bauen, Sumpfland in einen blühenden Garten zu verwandeln oder Krebs zu heilen“; neben diesen „Dingen“

aber auch Formen der Interaktion, also z. B. „geliebten Menschen oder Menschen in Not zu helfen, einen Grad der Perfektion in einem beliebigen Bereich zu erreichen, Hindernisse zu überwinden, Ver-ständnis zu erreichen, ja sogar, sich über etwas, das man sehr schätzt, mit jemandem zu unterhalten oder hieran einfach Gefallen zu fin-den.“ 275

Diese Vorhaben sind als Sinnquellen nicht beliebig, je nachdem, ob sie präferiert werden oder nicht.

Objektiv-list-Theorien gehen davon aus, dass „das Wohl eines Men-schen zumindest einige Elemente einschließt, die unabhängig von seinen Präferenzen sind und die diesen Präferenzen und ihren Aus-wirkungen auf die Qualität der Erfahrungen eines Menschen gegen-über vorrangig sind.“276 Solche Elemente wären z. B. Liebe oder Freundschaft, deren Wert nicht davon abhängt, ob sie präferiert wer-den, sondern die präferiert werwer-den, weil sie in sich wertvolle Güter sind bzw. als wertvoll gelten können. Diese präferenzunabhängigen Werte werden durch die Termini „kategorische Wünsche“, „aktive Beschäftigung“ und „lohnenswerte Vorhaben“ charakterisiert.

274 Zusammenfassung des aristotelischen Konzepts bei Schmid (2003).

275 Wolf (1998), S.175.

276 Ebenda S. 169 (Hervorhebung durch d. Verf.).

„Kategorische Wünsche geben uns Gründe zu leben - sie sind nicht von der Annahme abhängig, dass wir auch weiterleben werden.“277

„Kategorische“ Wünsche sind deshalb nicht identisch mit dem, was im Konzept „informed desire“ individuell bestehende Wünsche sind.

Die Verwendung der Kategorie „Wunsch“ beim Konzept „objektiv list“ erinnert aber daran, dass zu Aussagen über Sinn-Qualitäten von Objekten die prinzipielle Annahme von Subjekten gehört.

Kategorische Wünsche richten sich auf sinnvolle Handlungen. Wel-che Elemente müssen Handlungen und Handlungszusammenhänge kennzeichnen, damit sie zu potentiellen Sinnobjekten überhaupt wer-den können?

„Im Wesentlichen schlage ich (...) zwei Kriterien vor, die ein sinner-fülltes Leben erfüllen muss und die geeignet miteinander zu verbin-den sind. Erstens muss es eine aktive Beschäftigung geben, und zweitens muss dies eine Beschäftigung mit lohnenswerten Vorhaben sein. (…) Sinn entsteht, wenn subjektive Anziehung mit objektiver Attraktivität zusammentrifft.“278

Die aktive Beschäftigung mit Tätigkeiten erläutert Wolf mit der An-nahme, dass man nur dann davon sprechen kann, wenn der Mensch

„von ihr ergriffen ist, wen sie ihn begeistert und berührt.“279 Was im ersten Anschein wie eine große Nähe zu den Gefühlsmaßstäben des

„informed desire“ klingt, unterscheidet sich dann aber durch die Verknüpfung mit den Tätigkeiten. Denn nicht jede Tätigkeit enthält diese Möglichkeit, und auch diejenigen, die dafür in Frage kommen, nur in dem Maße, wie sie nicht entfremdet, sondern im Modus der Selbstaneignung vollzogen werden.

Aber auch das zweite Element, das lohnenswerte Vorhaben, muss hinzukommen, denn sonst wäre im Gegensatz zu Wolfs Position z. B.

auch eine Leidenschaft, die nicht im Zusammenhang mit dem Vorha-ben steht, ein Indiz für Sinnhaftigkeit.

Diese Überlegung kann man am Beispiel des Sisyphus-Mythos nach-vollziehen. Die Vorstellung, dass seine Tätigkeit, mit der er bestraft

277 Ebenda, S.173.

278 Ebenda.

279 Ebenda, S.170.

wurde, von ihm selbst als sinnvoll erlebt wird, kann wohl als schwer nachvollziehbar gewertet werden. Selbst in der Version von Albert Camus (1944), in der wir uns Sisyphus als glücklichen Menschen vorstellen sollen, ist dies ja gebunden an dessen Erkenntnis, mit der er seine endlose Mühe als blindes Schicksal durchschaut. Wenn er ohne diesen Erkenntnisakt seine Aufgabe als sinnvoll erleben würde, würde man wohl davon ausgehen, dass ihn die Götter neben der Stra-fe zusätzlich bzw. mit einer Droge versorgt hätten, mit der man Lust an sinnlosen Tätigkeiten entwickelt könnte - was auch immer die Motive der Götter dafür gewesen sein könnten!

Menschen haben in Bezug auf lohnenswerte Vorhaben die grundsätz-liche Fähigkeit zur Unterscheidung von sinnvollen und nicht sinnvol-len Gütern. Wolf argumentiert dabei mit Plausibilität:

„Da ich keine Theorie des Werts habe, mit der ich die Kohärenz die-ser Konzeption beweisen oder alle skeptischen Einwände widerlegen könnte, muss ich einräumen, dass mein Ansatz hier seinen Schwach-punkt hat. Dass wir aber, wenigstens die meisten von uns, glauben, dass manche Tätigkeiten und Vorhaben lohnenswerter als andere sind, dass wir bestimmte Tätigkeiten für reine Zeitverschwendung halten, andere dagegen für genuin wertvoll - dass lässt sich offenbar nicht bestreiten.“280

Sinnerfüllung kann man nur schöpfen aus „Tätigkeiten, deren sie be-gleitende Gefühle der Erfüllung aus der korrekten Wahrnehmung ih-res Werts stammen.“281

Sinnvolle Tätigkeiten sind also auf Werte bezogen; der Status dieser Werte bleibt offen; sie sind aber sicherlich bei Wolf nicht religiös konzipiert. Man kann sie sich eher vorstellen als Wertschätzung von Bedingungen, die der Mensch prinzipiell zum Leben braucht und die menschenrechtlich vereinbart werden können282.

280 Ebenda, S. 177 (Hervorhebung im Original).

281 Ebenda, S. 189.

282 Nicht zufällig sind Vertreterinnen dieses Ansatzes, wie z. B. Martha Nussbaum, als UN-Beraterin für Menschenrechtsfragen engagiert.

Dass man überhaupt zwischen „sinnvoll“ und „sinnlos“ unterschei-den kann, beinhaltet nicht die Sicherheit der sinnvollen Entschei-dung. Menschen machen sich in Zeiten der Krise oder in Momenten innerer Einkehr, wenn wichtige Entscheidungen anstehen, Sorgen, ob ihr Leben einen Sinn hat. Dazu kann auch ein unbestimmtes Gefühl innerer Leere der Anlass sein. Aber, so die Kritik an „informed desi-re“-Konzepten, „der Sinn dieser Sorgen und Vorsätze lässt sich nicht vollständig durch einen Ansatz erfassen, in dem das, was (Hervorhe-bung vom Verf.) man mit seinem Leben anfängt, nicht zählt, solange man dieses Leben nur genießt oder diese Lebensweise präferiert.“283

Mit diesen beiden Elementen, aktive Beschäftigung und lohnenswer-te Vorhaben, führt Sinnhaltigkeit zu Erfüllung. Diesen Terminus be-nutzt Wolf als Kennzeichnung der spezifischen Erfahrung von Sinn.

So wie Sinn ein Aspekt menschlichen Wohls ist, ist Erfüllung ein Moment von Glück. Auch der Terminus Erfüllung ist aber keine Wendung zu Präferenztheorien, denn für Wolf gilt „dass wir Dinge nur dann für erfüllend halten, wenn wir über sie in einer bestimmten Weise denken können.“284 Damit ist das Ziel „Erfüllung“ dagegen gewappnet, dass man sie auf eine beliebige Art herstellen könnte.

Zusammenfassend lässt sich sagen:

Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen bei „objektiv list“ Kriterien der Objektseite: durch sie ergeben sich „aktive Beschäftigung“ und

„lohnenswerte Vorhaben“, sie bestimmen notwendige Bedingungen eines sinnvollen Lebens. Der Ansatz ist damit vor einem Relativis-mus geschützt, der jedes menschliche Leben für sinnvoll erklärt, wenn der jeweilige Mensch es dafür ausgibt, egal ob dies durch freie Entscheidung, Anpassung an Zwänge oder Manipulation zustande kommt.

So ergibt dieser Ansatz wichtige Hinweise darauf, woran sich Auf-klärung - und auch der informed-desire-Ansatz will die AufAuf-klärung der Wünsche über ihr Zustandekommen - orientieren kann.

283 Wolf (1998), S. 171.

284 Ebenda, S. 183.

Dabei müsste allerdings noch genauer geklärt werden, mit welchem objektiven Status Wünsche von kategorischen Wünschen und Vorha-ben von lohnenswerten VorhaVorha-ben unterschieden werden können bzw.

wer über diese Geltung entscheidet.

Grenzen hat der Ansatz darin,

- dass er die Wertung, die Menschen mit dem Plädoyer für ein sinnvolles Leben bekunden, vor allem auf kognitive Elemente zurückführt, dass wir also - wie zitiert - über erstrebenswerte Ziele „in einer bestimmter Weise denken können“. Emotionale Quellen von bewerten sind demgegenüber nachrangig;

- dass er den Prozesscharakter und den zeitlichen Verlauf bei der Gestaltung eines sinnvollen Lebens nicht ausreichend erklären kann, wenn er die Dynamik von Wünschen und Enttäuschungen zu wenig beachtet;

- dass unklar bleibt, worin eigentlich menschliche Freiheit bei der Sinngestaltung bestehen könnte, wenn die Kriterien für Sinn ob-jektiven Charakter haben.

Der Eindruck schließlich, dass die Beispiele, die Wolf zur Illustrati-on lohnenswerter Vorhaben einführt, gelegentlich anmuten als Aus-druck der Werte, die in der akademischen Kultur der amerikanischen Ostküste präsent sind, verstärkt den Wunsch nach weiterer Klärung.

Sonst kann die objektive Unterscheidung von lohnswert oder nicht lohnenswert in unkritischen Dogmatismus übergehen, für den es un-wichtig wird, ob Menschen das Sinnvolle wirklich präferieren.

Dieser Gefahr ist sich Wolf bewusst: „Es wäre ein Fehler, zu glau-ben, dass das objektiv Gute eines sinnerfüllenden Lebens vollkom-men unabhängig von der subjektiven Erfahrung und den Präferenzen eines Menschen sein kann, so als ob es etwa gut für einen Menschen sein könnte, ein sinnerfülltes Leben zu führen, unabhängig davon, ob dieses Leben ihn glücklich macht oder seine Präferenzen erfüllt.“285

285 Ebenda, S. 169.

5.3.3.4 Vergleich der beiden Konzepte und didaktische