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3 „Sinn“ im staatlichen Ethikunterricht der Grundschule in sieben Bundesländern

5 Analyse von „Sinn“

5.1 Einführung in die Thematik

Zunächst wird durch eine terminologische Festlegung und zwei Defi-nitionen der Gegenstand eingegrenzt; die DefiDefi-nitionen werden durch zwei Textbeispiele184 illustriert. Im Anschluss werden fachwissen-schaftliche Bezüge geklärt185.

In dieser Arbeit wird gegenüber einer sehr umfassenden Sinn-Begrifflichkeit186 eine eingrenzende Verknüpfung mit menschlichem Handeln vorgenommen. Für dieses Handeln müssen Entscheidungen getroffen werden. Handeln und entscheiden gelten als Erfahrungen von Gestaltung.

Bei „Sinn“ von „Handeln“ auszugehen und nicht von „Totalität“,

„Sein“ oder vergleichbaren Begriffen eines Ganzen beinhaltet die Absicht, Aussagen über „die Welt“ oder „das Leben“ nur insoweit mit einzubeziehen, als sie implizit oder explizit für die Perspektive des Handelnden eine Rolle spielen. Denn man kann verschiedene Dimensionen des Sinnbegriffs auffächern, ohne einen kosmischen Sinnbezug für denknotwendig zu erklären.

184 Vom Verf. für die Lehrerbildungsarbeit entwickelt.

185 Die Darstellungsform dieser Ausführungen und die Erkenntnisschritte in dieser Ar-beit sind stärker ineinander verflochten als das Nacheinander der Ausführungen suggeriert. Semantik und Pragmatik einer sprachlichen Formulierung sind zwar ei-nerseits jedem zugänglich, weil jedem Mitglied einer Sprachgemeinschaft Bedeu-tung und Verwendungssituation von vielen Worten vertraut sind. Andererseits ist ih-re explizite Reflexion abhängig von Kategorien, die elaborierter sind als das alltägli-che Sprachbewusstsein. Die Interpretation eines Wortes ist immer abhängig von Annahmen über mögliche Interpretationen.

186 Nozick (2000), S. 379ff. stellt 8 analytisch trennbare Sinn-Begriffe zusammen.

Durch die Verknüpfung mit Handeln können die Überlegungen auf die didaktischen Konzepte Handlungskompetenz187 und handlungs-orientierter Unterricht188 hin orientiert werden. Handeln und Hand-lungsentscheidungen sind - so die didaktische Annahme - wichtige Reflexionsanlässe für Sinnfragen.

„Handeln“ beinhaltet in dem hier entfalteten Kontext mindestens zweierlei:

- Wenn ein beobachtbares Verhalten als „Handeln“ charakterisiert wird, geht der Fokus auf das Moment der Intentionalität, also das Erleben der eigenen Handlungsmotive und die Vorstellung von einem erstrebten Ziel. Im Umgang miteinander beziehen sich In-dividuen auf wechselseitige Intentionalität.

- Handeln gilt als eine dem Menschen eigentümliche Lebensmoda-lität. Die Formulierung beinhaltet zunächst nur die Behauptung, dass Menschen im Rahmen der vorgefundenen Kultur einen Ent-wicklungsprozess durchlaufen, der sie in Eigen- und Fremdper-spektive zu „Handelnden“ macht. Diesen kulturellen Entwick-lungsprozess kann man als Kompensation ihrer Schwäche als Mängelwesen und als Entfaltung menschlichen Reichtums inter-pretieren.

Beide Aussagen über handelnde Menschen können als Elemente pä-dagogischer Anthropologie gelten, die hier in didaktischen Überle-gungen zum Sinn vorausgesetzt sind.

Mit diesen Vorannahmen lässt sich definieren:

Sinn ist eine mögliche Orientierungsform für menschliches Han-deln.

187 Handlungskompetenz wird curricular in vier Dimensionen konkretisiert: die Dimension der Sache(n), die Dimension des reflektierten Vorgehens, die Dimension des sozialen Miteinanders und die Dimension der eigenen Person. Diese

Dimensionen ergänzen und bedingen einander. Handlungskompetenz ist sowohl Ziel als auch Instrument des Lernens, sie wird im individuellen Entwicklungsprozess aufgebaut und weiter vervollkommnet. (Siehe LISUM Berlin/Brandenburg 2004)

188 Siehe z. B. Gudjons (2006), S. 61ff.

Diese Orientierungsform bezieht sich sowohl auf die wissenschaftli-che (Re)konstruktion von Handlungen als auch auf die Deutungsper-spektiven der Handelnden selbst.

Für Sinn als Deutungsperspektive des Handelnden selbst ist impli-ziert:

Es muss eine kognitive Fähigkeit da sein, sein Leben nicht nur zu le-ben, sondern es zum Gegenstand der Reflexion und der Beurteilung machen zu können. Diese kognitive Fähigkeit ist allerdings begleitet von emotionalen Qualitäten, die sich im Sprachgebrauch darin spie-geln, dass oft von Sinnerfüllung oder von einem Sinn, der tragen soll, die Rede ist.

Außerdem erfordert es einen eigenen Willen, sein Leben auf Alterna-tiven zu befragen, und zugleich von den wahrgenommenen Alternati-ven eine eigene auswählen zu wollen. Man kann dies auch den volun-tativen Aspekt der Sinnfrage nennen.

Vernachlässigt wird bei der vorangestellten Definition der wichtige Aspekt, dass Sinn zwar zugänglich ist, aber auf unterschiedlichen Wegen: Introspektiv und selbstreflexiv in Bezug auf die eigenen Vorstellungen, deutend in Bezug auf das Handeln anderer und kom-munikativ sich verständigend in Bezug auf gemeinsame Sinnvorstel-lungen. Bei der didaktischen Umsetzung haben diese unterschiedli-chen Zugänge allerdings Folgen, wenn es um Übungen zur Selbst-wahrnehmung oder zum Fremdverstehen geht.

Um der Art der Orientierungsform des Handelns auf die Spur zu kommen, kann man sich verschiedene Verwendungen von „Sinn“

verdeutlichen.

Stellen wir uns eine Situation vor, in der X ins Eis eingebrochen ist und Y eine Leiter an die Einbruchsstelle heranschiebt. Aus der Sicht eines Beobachters könnte man denken bzw. sagen:

1. Y hat im Sinn (subjektive Intention), X zu retten.

2. Es ist sinnvoll (technische Funktionalität), eine Leiter heran zu schieben.

3. Der moralische Sinn dessen, was Y tut, ist menschliche Hilfe (Sinn als Verwirklichung eines moralischen Werts).

4. Für Y ist es in Momenten der Not nicht nur moralisch geboten, sondern auch sinnvoll, zu helfen (bestimmte Handlungen geben dem eigenen Leben Sinn).

5. Die aktuelle Handlung von Y ist Ausdruck eines für ihn wichti-gen Handlungsmusters (ihr Sinn ist: sie exemplifiziert eine ihm bedeutsame Vorstellung von sich selbst).

6. Das Handeln von Y zeigt, dass Menschen hilfsbereit sein können (Sinn als „Lehre“, so wie wir z. B. vom Sinn einer Fabel spre-chen).

Dabei wird deutlich, dass es sich für den Beobachter nicht um ver-schiedene Beobachtungen handelt, sondern um verver-schiedene Deutun-gen einer Beobachtung.

Nimmt man alle aufgeführten Bestimmungen zusammen, lässt sich in Fortführung der vorangegangen Definition über Sinn, Handeln und Orientierung sagen:

Sinn orientiert, indem er Zusammenhänge für den Handelnden intendiert bzw. für den Beobachter auf sie verweist. Wichtige Zu-sammenhänge sind der Zweck („Was soll es bewirken?“) und die Bedeutung („Was gibt es zu erkennen?“).

Zweck und Bedeutung werden im folgenden Abschnitt zum Beitrag der Philosophie noch genauer untersucht.

An der folgenden Übersicht189 kann man sich die Bezugspunkte ver-deutlichen, unter denen das Handeln orientiert wird, und zwar im Unterschied zum vorangegangenen Beispiel diesmal aus der Innen-perspektive und nicht nur für eine einzelne Handlung.

189 Vom Verfasser für die Lehrerbildungsarbeit entwickelt.

Der Kasten enthält verschiedene Vorhaben. „Vorhaben“ bedeutet mehr als einzelne Momente und Einzelhandlungen; es sind zeitüber-dauernde Projekte, bei denen man sich etwas vornimmt und umzuset-zen versucht. In dieser Charakteristik sind sie nur Menschen und nicht Tieren zuzurechnen190. In Bezug auf solche Projekte kann nach ihrem Sinn-Potential gefragt werden.

Jedes Vorhaben kann man in Bezug auf „Ich möchte…“, „ist zweck-mäßig“ oder „gibt meinem Leben Sinn“ formulieren.

Ich möchte…

… ist zweckmäßig. …gibt meinem Leben Sinn.

Ein Vergleich der drei Bewertungsmodi von Projekten führt zu Un-terschieden im Bedeutungsspektrum von Sinn, die auch didaktische Bedeutung haben.

In der Formulierung „Ich möchte…“ steht die bewusste Wahrneh-mung eines Wunsches im Vordergrund. Er ist Ergebnis einer Selbst-wahrnehmung von Bedürfnissen, ggf. angesichts widerstreitender Präferenzen in mir und oft im Wissen darum, dass andere Menschen

190 In dieser Arbeit wird, wie schon bei der Einführung des Handlungsbegriffs erläutert, von anthropologischen Besonderheiten des Menschen ausgegangen. Von einer funk-tionalen Anpassung tierischen Verhaltens als „sinnvoll“ zu sprechen, impliziert schon eine menschliche Deutungsweise.