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russische Aerrschaft

Im Dokument Juristische Studien. (Seite 68-89)

Bei der Unterwerfung an Rußland wahrten die Stände in den von ihnen abgeschlossenen Capitulationen wie den Bestand der lutherischen Kirche in Lioland überhaupt, so ins-besondere auch den Fortbestand der Patronate, Die Capitu-llltion der livl, Ritterschaft setzt namentlich im Pkt. 1 fest:

„daß im Lande sowohl als in allen Städten . . . sambtliche Einwohner . . . bei Administration sowohl inwi-norum als sxteriioruiu ecolLZia«, von altersher gewöhnlichen Consistorien und competirendm ^uriuiu Mronatus sonder Veränderung ewiglich conserviret werden". Es ist daher möglich die Gin-theilmlg der Patronatspfarren, wie sie sich unter schwedischer Herrschaft ansgebildet hat, der folgenden Erörterung über die Art ihrer Besetzung zu Grunde zu legen.

Was zunächst die G e m e i n d e p f a r r e n betrifft, die gegenwärtig nur noch in den Städten bestehen, so änderte die Unterwerfung unter den russischen Scepter an dem Besetzungs-modus derselben nichts. Die Cavitulation der Stadt Riga bestimmte im Pkt. 1 : daß die Prediger „wie bisher ohne Interruption von E. E. Rathe gewählet und darauf ordiniret"

werden sollen. Der Gebrauch ist indessen in den städtischen Gemeinden heute so verschieden, als er es im vorigen Jahr-hundert war, wo nach Hupel (I. o. S. 102) gemeiniglich der Magistrat in den Städten 2—3 Männer vorschlug und den-jenigen berief, welcher von den Gilden die meisten Stimmen

den einzelnen Gemeinden ab.

Hinsichtlich der R e g a l p f a r r e n findet sich in der Capitulation der lioländischen Ritterschaft, Pkt, 3, die folgende Bestimmung: „Die vaelltionßz der Prediger bei vacanten Regal-Pfarren lassen S, Gr, Cz, Mayt, gnädigst also bestellen, daß die Eingepfarrete aus dem Adel und der Landschaft die Freiheit haben und^behalten, jedesmal zwei tüchtige 8udMt»

vorzuschlagen und zu p r ä s e n t i r e n , " Aus diesem Accord-punkte ist gefolgert worden (Brüggen in der baltifchen Monats-schrift Bd, XX S, 395 fg,), daß der Zar auf das Patronat-recht in den Kronspfarren zu Gunsten der Kirchengemeinde verzichtet habe und diese dadurch Patronin der Kirche geworden sei. Zum Beweise dafür beruft man sich auf das im Accord-punkte den Eingepfarrten zugestandene Präsentationsrecht, welches nach canonischer Auffassung den wesentlichen Inhalt des Plltronatrechts bilde. Bei näherer Prüfung des in Rede stehenden Accordpunktes ergiebt sich jedoch, daß derselbe gar nicht auf ein Prasentationsrecht der Gemeinde an die Kirchen-regimentsbehörde, sondern nur auf das der Kirchengemeinde zugestandene Recht bezogen werden kann, dem Landesherrn als Patron der Kirche Candidaten behufs seiner Bestätigung in Vorschlag zu bringen nnd daß daher der Ausdruck „präsen-tiren" nicht im canonischen Sinne, sondern in dem des zur Erläuterung hinzugefügten Wortes „vorschlagen" gebraucht worden, Denn es wird den Eingepfarrten keineswegs ein neues Recht zugestanden, was der Fall gewesen wäre, wenn das bis dahin von der Krone ausgeübte Patronatrecht auf die Kirchengemeinde hätte übertragen werden sollen, sondern es heißt ausdrücklich, daß die Eingepfarrten die Befugniß

„behalten" sollen Candidaten vorzuschlagen und nur ein Vorschlllgsrecht an den König, als Patron, stand ihnen nach der Schw, K, O. (Cap, XIX § 10 zu. Sodann ließe sich die

Verpflichtung der Kirchengemeinde jedesmal zwei Candidaten zu präsentiren nicht erklären, da der Patron nur einen Can-didaten zu präsentiren braucht, den die Kirchenregimentsbe-hörde bestätigen muß, falls sich gegen ihn keine Einwände erheben lassen. Die in Rede stehende Bestimmung verliert aber alles Auffällige, wenn man sie auf eine Concession be-zieht, die der Landesherr, als Patron, der Kirchengemeinde hinsichtlich ihrer Mitwirkung an der Wahl macht und ihr demnach den Sinn beilegt, daß der Landesherr hinsichtlich der Kronspfarren den Gemeinden das Recht gewährt ihm zwei Candidaten behufs Bestätigung eines unter denselben vorzuschlagen. I n der Praxis ist der erwähnte Accordpunkt auch nur in diesem Sinne ausgefaßt worden, denn nicht nur wurde in den Visitationsprotokollen der Kaiser stets als I n -haber des Plltronlltrechts genannt, sondern es wurden auch die gewählten Candidaten dem General-Gouverneur, feit Ein-führung der Statthlllterschaftsverfassung aber der Gouverne-mentsregierung, (Buddenbrock Bd. I I S, 715 Anm, 95) zur Bestätigung vorgestellt. Die Bestätigung eines von mehreren von einer Gemeinde gewählten Candidaten durch eine welt-liche Autorität läßt sich aber nicht anders, als aus dem Patronatrecht erklären. — Der für die Kronspfarren vorge-schriebene Modus der Besetzung vacanter Pfarrstellen hat übrigens im Laufe der Zeit mehrfach gewechselt. Nachdem es üblich geworden war statt zweier nur einen Candidaten zur Bestätigung vorzustellen, erklärte das General-Gouverne-ment im Jahre 1734 (Patent vom 9. Sept. 1734): die Krone habe dadurch, daß „dem Lande . , . das bsnstiomN pi-asson-tan6i allergnädigst accordiret worden, sich der Wahl und Bestellung der Prediger bei publiken Pfarren keineswegs be-geben". Es follen daher nicht mehr blos ein Candidat, sondern zwei Candidaten vräsentirt werden. Diese Verordnung bestätigt nur das bestehende Recht, wenn man sich

vergegen-wärtigt, daß der darin vorkommende Ausdruck kkneneium piÄßssntanäi nicht im Sinne des canonischen Rechts, sondern in dem der Accordpunkte gebraucht ist. (Vgl. dagegen Brügge« I. e. S. 397.) Ferner wurde in einem Erlaß vom 5. April 1768 für Oesel, wo nur Kronspfarren in Frage kamen, verordnet, daß die Predigerwahlen von den Kirchen-vorstehern und den Eingepfarrten in Gegenwart des Super-intendenten und „mit Zuziehung der Kirchenvormünder der unteutschen Gemeine" zu bewerkstelligen und „die gewählten 8udj6ow zur erforderlichen Confirmation dem Kaiserl. GeneralGouvernement zu präsentiren" seien. Eine ausführliche I n -struction für die Besetzung von Patronatspfarren überhaupt ertheilte das vom General-Gouvernement erlassene Patent vom 6. November 1780, welches im Wesentlichen noch gegen-wärtig bei der Besetzung von Kronspfarren beobachtet wird.

Denn wenngleich das Patent in Folge der Befchwerde eines Patrons im Jahre 1787 durch einen Senatsutas aufge-hoben wurde, so gaben dazu doch nur die Bestimmungen des Patentes über die Besetzung der Patronatsvfarren von Privatpatronen Veranlassung, welche nach der Erklärung des Senates im Widerspruche mit den Bestimmungen in Cap, XIX

§ 12—14 stehen, während der für die Kronspfarren festgesetzte Wllhlmodus niemals angestritten ist. Das erwähnte Patent vom 6. November 1780 bestimmt aber in letzterer Beziehung, daß die Kirchenvorsteher bei einer Predigervacanz dieselbe dem General-Superintendenten anzuzeigen und drei Candidaten der Gemeinde vorzuschlagen haben, unter denen nach gehaltenen Probepredigten auf einem Wahlconvente, auf welchem außer den Eingepfarrten auch die Kirchenvormünder als Repräsen-tanten der „sämmtlichen unteutschen Gemeinde . . . zur freien Wahl" zugelassen werden sollen, im Beisein des Probstes die Wahl zu vollziehen sei, worauf die beiden Candidaten, welche die meisten Stimmen erhalten haben, dem Generalgouvernement

behufs der Vocation eines von ihnen vorgestellt werden sollen.

Es finden sich hier zuerst die Kirchenvorsteher zur Mitwirkung bei Besetzung erledigter Pfarren gesetzlich herbeigezogen. Sie sollen das nach der Königlichen Resolution vom 31. October 1662 dem Patron zustehende Recht ausüben, der Gemeinde die Cllndidllten behufs der Wahl in Vorschlag zu bringen.

Außerdem wird die durch die Schw. K. O. (Cap. XIX § 7) schon angeordnete Thätigkeit des Probstes hier erweitert, indem ihm aufgegeben wird auf dem Convent das Protokoll zu führen und dasselbe dem General-Gouvernement zuzusenden. Die Zuziehung der Bauerschaft zur Wahl mit positiver Stimmbe-rechtigung steht freilich in einem eigenthümlichen Widerspruche zu der damals bestehenden Leibeigenschaft. Der humane Standpunkt aber, den auch Hupel (a. a. O. S. 72 fg.) gegen-über dem strengen Recht vertritt, scheint im Lande die Ober-hand behalten zu haben. Denn obgleich nach Aufhebung des Patentes von 1780 in einzelnen Kronspfarren das positive Stimmrecht der Kirchenvormünder wieder beseitigt wurde, so blieb dasselbe doch in vielen Kronskirchspielen thatsächlich in Gebrauch. — Was die Zahl der Kronspfarren betrifft, so hat sich dieselbe unter russischer Herrschaft wesentlich gemindert.

Dazu trug nicht nur die Restitution der durch die Reduction eingezogenen Güter, sondern auch folgender Umstand bei.

Während nach der Schw. K. O. (l. o. § 16) der König bei Ver-leihungen von Krongütern sich die Entscheidung über das Patronatrecht vorbehalten hatte, erklärte der General-Gouver-neur B r o w n e d i e Pfarren, hinsichtlich deren ein donirtes Gut das Patronatrecht ausgeübt hatte, für regal (Patent vom 7. November 1780). Der Senat entschied aber mittelst Ukases vom 27. J u l i 178? (vgl. Patent vom 10. J u l i 1787), daß bei Kaiserlichen Donationen von Krongütern zu erblichem und ewigem Besitz mit allen dazu gehörigen Appertinentien das etwa inhärirende Patronatrecht stillschweigend als mit donirt

zu betrachten sei und daß nur bei Arrenden oder Vergebungen auf Lebenszeit die Pfarre Kronspferre bleiben folle. Zwar hat die Krone nach 1710 durch neue Fundationen an einzelnen lutherischen Kirchen das Patronatrecht neu erworben, diese Erwerbungen stehen aber in keinem Verhältniß zu den in früherer Zeit häusig vorgekommenen Donationen von Kron-gütern.

Die Rechte der P r i u a t v a t r o n e bei Besetzung der Patronatspsarrm im engeren Sinne blieben auf Grund des bereits erwähnten Pkt. 1 der Cavitulation von 1710 in ihrer durch Gesetzgebung und Praxis ausgebildeten Gestalt unverändert bestehen. Zwar unternahm der General-Gouver-neur B r o w n e im Jahre 1781 einen allgemeinen Angriff auf die Ginzelvatronate, als Wiederholung jener Willkührmaßregel H l l s t f e r Z vom Jahre 1693. Ein Patent vom 23. Juni 1781 verordnete nämlich, indem es an den Erlaß H a s t f e r s an-knüpfte: „wenn nun die Güter, die in diesem Falle gewesen (nämlich innerhalb 6 Monaten ihr Patronatrecht erweisen zu müssen) nothwendig ihr Recht damals deducirt und eine Resolution darauf erhalten haben werden und man gegenwärtig diese, ein Regal betreffende Sache in gesetzmäßige Gleise zu bringen bemüht ist, so wird allen und jeden, die sich zum M 6 Mwnawz berechtigt glauben, hierdurch aufgegeben, von denen anno 1693 und 1694 eingereichten Deductionen und darauf gefallenen Resolutionen Coveyen in forma autkLntiog, und was sie sonst zu ihrem Behuf und Beweis allegiren können, längstens innerhalb zwei Monaten anher einzuliefern, mit dem Bedeuten, daß die Pfarren dererjenigen, die hier-innen mllnquiren, nach Anleitung der Künigl. Schw. K. O. den Regalpfarren werden zugezählt werden". Dieses Patent, welches in Uebereinstimmung mit den gleichzeitigen Entwürfen zum allgemeinen preußischen Landrecht dem Landesherr« ein regales Patronatrecht beilegt, gelangte jedoch nicht zur

Aus-führung, wahrscheinlich in Folge des die Anordnung Brownes über das Patronatrecht donirter Güter abändernden Senats-ukases vom Jahre 1781. — Hinsichtlich der Vetheiligung der Gemeinden bei Besetzung der Pfarrstellen durch den Patron hatten sich sehr verschiedene Observanzen in Livland ausge-bildet. Einzelnen Gemeinden war auf Grund der älteren schwedischen Verordnungen eine mehr oder weniger weitgehende Mitwirkung bei der Wahl erhalten geblieben, während andern sie gänzlich entzogen wurde, weil die Schw. K. O. die Rechte der Gemeinde hinsichtlich der Besetzung von Patronatpfarren mit Stillschweigen übergeht. Um nun in dieser Beziehung eine Gleichmäßigkeit herzustellen, ordnete der General-Gouver-neur B r o w n e mittelst Patentes vom 6. November 1780 an, daß der Patron bei einer Predigervacanz der Gemeinde drei Candidllten vorzuschlagen habe, unter denen nach gehaltenen Probepredigten auf einem Wahlconvente der Eingepfarrten, auf welchem auch die Kirchenvormünder zur freien Wahl zu-gelassen werden sollen, im Beisein des Probstes die Wahl zu vollziehen sei, worauf dem Patron die Vocation desjenigen, der die meisten Stimmen hat, zustehe. So sehr diese Anord-nung des General-Gouverneuren mit der speciell für Livland erlassenen, wenn gleich bereits in Vergessenheit gerathenen Königlichen Resolution vom 31. October 1662 übereinstimmte und geeignet war den berechtigten Anforderungen der Ge-meinden zu genügen, fo läßt sich doch nicht verkennen, daß der General-Gouverneur seine Competenz überschritt, indem er von sich aus so tief eingreifende Vorschriften über das Patronatrecht erließ. I n Folge eines wegen Besetzung der Pfarre des donirten Gutes Lemberg ausgebrochenen und an den Senat gelangten Processes wurde auch in der That das Patent des GeneralgouverneurZ von dem Senate mittelst Ukases vom 13. M a i 178? (vgl, Patent vom 10. J u l i 178?) wieder aufgehoben und die Schw. K, O. als alleinige Norm bei

Besetzung der Patronatspfarren anerkannt. Wenn es aber in dem Senatsukase heißt, daß nach Inhalt der Schw, K. O.

der Patron „ein tüchtiges Subjekt auszumitteln, es zu erwählen, zu berufen und dem Generalsuperintendenten vorzustellen habe, ohne d i e E i n g e p f a r r t e n m i t w ä h l e n o d e r S t i m m e n m e h r h e i t e i n t r e t e n zu l a s s e n " (vgl.

Buddenbrock, Bd, I I S. 1141), so war die letztere, aus den Worten der Schw. K. O. abgeleitete Folgerung eine offenbar zu weit gehende. Denn wenngleich die schwedische Kirchenordnung über die Theilnahme der Gemeinde bei der Besetzung einer Pfarre durch den Patron mit Stillschweigen hinweggeht, so darf daraus noch keineswegs gefolgert werden, daß sie eine solche völlig habe beseitigen wollen, vielmehr kann mit Rück-sicht auf die ältere fchwedische Gesetzgebung, welche ein so großes Gewicht auf den Consens der Gemeinde legt, nur angenommen werden, daß sie die Regelung dieses Verhältnisses der örtlichen Observanz habe überlassen wollen. I n dieser Weise ist die Sache auch von der Praxis in Livland aufge-faßt worden und es haben daher die Patrone, trotz der er-wähnten Entscheidung des Senates, entsprechend den Grund-sätzen der protestantischen Kirche meistentheils den Gemeinden oder vielmehr der Vertretung derselben durch die eingepfarrten Gutsbesitzer, eine gewisse Mitwirkung bei der Wahl des Pfarrers gestattet. Es mag ein solches Entgegenkommen der Patrone gegenüber den Gemeinden mehrfach aus Gleichgültigkeit der ersteren gegen die Sache entsprungen sein, häufig aber wird es auch aus Billigkeitsrücksichten im Hinblick auf die von den Eingepfarrten getragenen kirchlichen Lasten, so wie aus Rücksichtnahme auf die Forderungen der protestantischen Kirche zu erklären sein. Soweit aber die Gemeinden das Recht der Betheilung an der Wahl durch den Usus erworben haben, kann es ihnen nicht ohne weiteres wieder entzogen werden. Es lassen sich etwa folgende Observanzen

unter-scheiden. Regelmäßig wurden die Gemeinden um ihren ConsenZ befragt und stand ihnen ein mit Gründen zu unterstützendes Protestrecht gegen den vom Patron destg-nirten Candidaten zu. Vielfach wurde, wie bei Kronspfarren, so auch bei Erledigung von Patronatspfarren, ein Kirchen-convent ausgeschrieben, auf welchem der Patron gewöhnlich 2 Candidllten, die vorher ihre Probepredigt gehalten hatten, in Vorschlag brachte und jeder, der im Kirchspiel ein Gut hatte, seine Wahlstimme abgab. Der Patron berief den durch Stimmenmehrheit Erwählten und die Vocation wurde durch das Consistorium bestätigt. Der Patron unterschrieb die Vocationsurkunde und fertigte sie aus, wobei die Einwilligung der Gingepsarrtm darin bemerkt wurde, Bei Pfarren mit Compatronen wählten oft Compatrone und Kirchenvormünder, der Patron aber gab nur bei Stimmengleichheit den Aus-schlag, Bei Patronlltspfarien Einzelner scheinen die Bauer-schaften nie ein positives Stimmrecht geübt zu haben. Die Billigkeit und wohlverstandenes Interesse aber griffen ganz allgemein in der Weise ergänzend ein, daß den Kirchenvor-mündern, als Repräsentanten der Bauerschaften wenigstens ein negatives Votum, jenes Protestrecht eingeräumt wurde.

Uebrigens sind auch stets einzelne Fälle vorgekommen, wo Patrone gegen die Meinung der Kirchengemeinde und besonders der Bauerschllften das ausschließliche Recht der Pfarrbesetzung geltend gemacht haben.

Unter den geschilderten Verhältnissen wäre eine feste und möglichst gleichmäßige Normirung der Rechte des Patrons und der Gemeinde bei der Pfarrbesetzung ein Bedürfniß ge-wesen. Das „Gesetz für die evangelische Kirche in Rußland vom 28, December 1832", welches den eigenartigen, in den Ostseeprovinzen auf Grund besonderer Rechte und Privilegien ausgebildeten kirchlichen Verhältnisse überhaupt wenig Berück-sichtigung angedeihen läßt, war aber nicht geeignet diesem

Bedürfniß zu entsprechen. Die speciell von der Besetzung der Predigerstellen handelnden Artikel (156—166) enthalten nur wenige, durchaus unzureichende und überdies in Folge einer auffallenden UnpräcMon des Ausdrucks ihrem Sinne nach oft fragliche Bestimmungen. Indem, der Art, 157 den Grundsatz an die Spitze stellt, daß die Ordnung bei Besetzung erledigter Predigerstellen in jeder Gemeinde dieselbe bleiben solle, wie sie bis zum 28, December 1832 bestanden hat, verzichtet das Gesetz von vorne herein auf eine Regelung der faktischen, vielfach unsicheren Verhältnisfe, Es unterscheidet, ebenso wie die schwedifche Kirchenordnung, Krons-, Gemeinde- und Patronlltspfarren, je nachdem das Recht der Besetzung der Krone, der Gemeinde oder einem Ginzelvatron gebührt.

Von d e n K r o n s p f l l r r e n handeln die Artikel 158—160, Sie werden eingetheilt in solche, wo das Recht der Ernennung des Predigers unmittelbar der Krone zusteht (Art. 158), ferner in folche, wo die Krone nur das Recht der Bestätigung des Predigers hat, die Wahl aber der Gemeinde oder einem Theile derselben gebührt (Art. 159) und endlich in solche von der Krone abhängige Pfarrstellen, wo die Consistorien bis zum 28. December 1832 das Recht der Wahl der Prediger gehabt haben (Art, 160). Von diesen drei Artikeln beziehen sich der erste und letzte nicht auf Livland, da es hierfelbst keine derartige Pfarren giebt. Für Livland kommt demnach nur der Art. 159 in Betracht, welcher in Uebereinstimmung mit der Cllpitullltion von 1710 der Gemeinde ein durch das Nestätigungsrecht der Krone, als Patronin, beschränktes Wahl-recht concedirt. Nach der diesem Artikel beigefügten Anmerkung soll das Consistorium über die Wahl dem Gouvernements-befehlshaber berichten, welcher den Gewählten nebst seinem Gutachten dem Ministerium der inneren Angelegenheiten vor-stellt. Wenn in dem Artikel zwischen der Wahl durch die Gemeinde selbst oder nur durch einen Theil derselben unter«

D«v, Zur, 3!, V>, M, !, 5

ungenauer Ausdruck zu Grunde, da kaum irgendwo ein Theil der Gemeinde für den anderen das Wahlrecht auszuüben befugt sein dürfte. Wahrscheinlich hat der Unterschied hervorgehoben werden sollen, je nachdem die Gemeinde die Wahl unmittelbar oder durch eine Vertretung ausübt. I n Livland ist die Wahl in Uebereinstimmung mit der Kapitulation immer nur durch die Eingepfarrten „aus dem Adel und der Landfchaft" oder den Kirchenconvent in Vertretung der Gemeinde vollzogen worden.

Auf dm G e m e i n d e - und E i n z e l p a t r o n a t be-zieht sich der Art, 161, welcher bestimmt, daß in Kirchspielen, wo die Gemeindeglieder selbst oder der Patron oder mehrere Patrone das Recht der Berufung und Ernennung haben,

„der Erwählte" dem Consistorium zur Ginführung in das Amt vorgestellt werden foll. Das Consistorium darf ihn nur aus besonderen gesetzlichen Gründen verwerfen, für welchen Fall jedoch dem Patron die Befchwerde an das Generalcon-sistorium gestattet ist (Art, 165). Pfarren, bei deren Besetzung den Gemeindegliedern selbst das Recht der Berufung und Ernennung zusteht oder mit anderen Worten Gemeindepfarren eziftiren gegenwärtig in Livland nur in den Städten, Uebri-gens wird auch in den Städten das Besetzungsrecht meisten«

theils nicht unmittelbar durch sämmtliche Gemeindeglieder, sondern vom Rath und der Bürgerschaft, als Vertretern der Gemeinde, in der Weife ausgeübt, daß der Rath 2 bis 3 Can-didaten vorschlägt und den beruft, welcher von den Gilden die meisten Stimmen erhalten hat. I n den Gemeindepfarren der livländischen Städte wird demnach die Wahl, ebenso wie in den Kronspfarren, von der Vertretung der Gemeinde voll-zogen. Der wesentliche Unterschied besteht aber darin, daß die Wahl in den Gemeindepfarren nur noch der Bestätigung durch das Consistorium bedarf, in den Kronspfarren aber

außerdem die Bestätigung von Seiten des Patrons durch den Generalgouverneur herbeizuführen ist.

Das Kirchengesetz enthält noch zwei an dieser Stelle in Betracht zu ziehende Bestimmungen, nämlich über die Wahl und das Protestrecht der Gemeinde. Der Art, 163 bestimmt, daß derjenige unter den Candidaten als gewählt gelte, für welchen die größere Zahl der Stimmen gegeben worden und daß bei Stimmengleichheit da, wo ein Patron und Compatrone vorhanden sind, der Patron, sonst aber das Consistorium den Ausschlag geben solle. Der vorliegende Artikel handelt nur von der Wahl, an welcher eine Mehrheit von Personen con-curriren und läßt somit den Fall, daß ein Einzelpatron allein ohne Netheiligung der Gemeinde den Candidaten ersieht, un-erwähnt. Dafür spricht sowohl der Wortlaut des Artikels als der Umstand, daß das Kirchengesetz nach Art, 1b? die bestehende Ordnung bei Besetzung der Pfarrstellen grundsätzlich nicht ab-ändern will, daß es aber thatsächlich Gemeinden giebt, die das Recht einer Betheiligung an der Wahl nicht erworben haben.

Die entgegengesetzte Annahme (Brüggen 1. o. S. 410 fg,), daß nämlich der in Rede stehende Artikel eine für alle Fälle, also

Die entgegengesetzte Annahme (Brüggen 1. o. S. 410 fg,), daß nämlich der in Rede stehende Artikel eine für alle Fälle, also

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