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Das hamburgisch»riffische Stadtrecht

Im Dokument Juristische Studien. (Seite 146-178)

Abdrücke: Pufendorf, OliFLrv^tionez Hni'ißl uuivsrsi ' l , I I I . Hanuov, 1756, Napieisty, Nie Quellen des rlgischc» TtadtrcchtZ S. 58—130,

1. Das indigene rigische Stadtrecht in seiner bisherigen Gestalt genügte nicht lange dem Bedürfnisse, Man sah sich daher in Riga nach einem vollständigeren verwandten Stadt-recht als HülfsStadt-recht um. Daß man dazu nicht das weit ver-breitete lübische, sondern das hamburgische Recht wählte, erklärt sich theils aus politischen Gründen, theils aus dem Umstände, daß das 1270 codificirte hamburgische Stadtrecht zu den vollständigsten Statuten norddeutscher Städte gehörte.

Von der für Riga bestimmten Redaction des Hamburger Statutes von 1270 sind mehrere an verschiedenen Orten ge-fundene Texte bekannt geworden. Einer derselben wurde von Pufendorf in seinen Odservationsz ^uriZ als Ltatutg, lii^snÄH veröffentlicht und vier handschriftliche Texte sind außerdem zu Tage getreten. Der wichtigste ist der handschriftliche Text, welcher im Archive des rigischen Raths aufbewahrt wird.

Schon das höhere Alter und der Aufbewahrungsort desselben sowie seine größere Uebereinstimmung mit dem Hamburger Statut von 1270 geben der Vermuthung Raum, daß der Archivtext dem ursprünglich aus Hamburg nach Riga gelangten Codex des Hamburger Statuts nahe steht und wahrscheinlich eine (erst im 14. Jahrh.) zu amtlichem Gebrauch angefertigte Abschrift des unzweifelhaft auf Pergament ausgefertigten Originalcodex ist.

2. Die Reception des hamburgischen Rechts in Riga muß bereits zwischen 1279 und 1285 erfolgt sein und zwar erst nach 1279, weil zur Zeit der Mittheilung des rigischen Rechts an Hapsal, was frühestens in diesem Jahre geschah, das hamburgische Recht in Riga noch nicht in Gebrauch

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gewesen zu sein scheint, und spätestens Ende 1285, weil im folgenden Jahre das älteste rigasche Schuldbuch auf Grund des Hamburger Rechts eingerichtet wurde,

3, Die Geltung des Hamburger Statuts kann nicht wohl eine andere, als eine subsidiäre gewesen sein, da die älteren rig. Stadtrechte neben demselben in Kraft blieben,

§ 26,

Das umgearbeitete «der vermehrte rigische Stadtrecht.

Abdrücke: Oelrichs, Dcit Nigifche Recht, Bremen 1778.

Nafticrsly, Nie Quellen des ngischeu Swdtrechts S. 138—200,

1, Die subsidiäre Anwendung des Hamburger Stadt-rechts scheint Mißstände im Gefolge gehabt zu haben, die zu einer neuen Redaktion des in Riga geltenden Rechts führten, 2, Die in Folge desfen neu redigirten rigischen Statuten sind in niederdeutscher Sprache abgefaßt und werden nach ihrem ersten Herausgeber die Oelrichsschen Statuten genannt, füglicher aber wohl als das umgearbeitete oder vermehrte rigllsche Stadtrecht bezeichnet. Die muthmaßliche Original-Handschrift, auf Pergament in Folio geschrieben, die sich durch Alter und Correctheit in hohem Grade auszeichnet, wird noch im rigischen Stadtarchiv aufbewahrt. Das Ganze ist in 11 Theile getheilt, deren jeder aus mehreren Capiteln besteht.

3, Als Quellen dieses Stadtrechts find vorzugsweise benutzt worden: das rigisch-reoalsche und rigisch-havsalsche Recht, das hamburgisch-rigische Recht und endlich autonomische Nestimmungen des rigischen Rathes. Auch sind einzelne Capitel aus den Codicen des kubischen Rechts geschöpft. Der Stoff aus den älteren Quellen ist übrigens nicht blos einfach zusammengetragen, sondern einigermaßen verarbeitet und ge-ordnet, so daß sich die Arbeit trotz mancher Mängel vor den auf ähnliche Weise zu Stande gekommenen Ritterrechten sehr vortheilhllft auszeichnet,

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4. Bisher nahm man aus unzureichenden Gründen an, daß das umgearbeitete rigische Stadtrecht bereits im 13, I h , abgefaßt worden sei, wogegen Napiersky nachgewiesen hat, daß es wahrscheinlich erst zu Anfang des 14, Jahrh, reoigirt worden ist. Von dieser Zeit ab hat das umgearbeitete Stlldtrecht bis in die schwedische Periode hinein in Riga ununterbrochene Geltung gehabt.

5. Der Oelrichsschen Druckausgabe war ein sehr mangelhafter Text zu Grunde gelegt, wogegen Napiersky seinen Abdruck nach der muthmaßlichen Originalhandfchrift angefertigt hat.

§ 27.

Übertragung des rigischen Stadtrechts auf andere Städte Livlands.

Das rigische Stadtrecht wurde allmählig auf alle Städte Livlands, mit Ausnahme der in Harrien und Wierland be-legenen, noch in diesem Zeitraum übertragen. Nachweislich hat es nicht nur in allen Städten Livlands im engeren Sinne und in der Wiek Oapsal), sondern auch in Curland in den Städten Hllsenpoth, Goldingen, Windau nnd Pilten gegolten.

Die Übertragung geschah in der Regel mittelst förmlicher Verleihung von Seiten des Landesherrn, mitunter aber auch mittelst autonomischer Reception von Seiten der Städte selbst.

8 28.

Geschichte des kubischen Rechts in Reval und in den kleinen Städten Ostlands.

Abdruck: Bunge, Quellen des Neunter Swdtrechts, Norftat I«4—47.

1. Das von der Stadt Reval recipirte rigische Recht (H 23) kann sich daselbst nicht lange im Gebrauch erhalten haben, denn schon im I . 1248 wurde dieser Stadt von dem König von Dänemark Erich IV. Plogpennig das lübische Recht verliehen. Erichs Nachfolger bestätigten nicht nur diese

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Verleihung, sondern erbaten auch vom Rathe zu Lübeck Auf-zeichnungen des lübischen Rechts für die Stadt Reval. I n Folge dessen erhielt Reval (im Jahre 125?) einen lateinischen Codex und (im I , 1282) einen niederdeutschen Codex, Die Urschriften beider Aufzeichnungen auf Pergament werden noch gegenwärtig im Revaler Stadtarchiv aufbewahn. Der reualer lateinifche Codex von 125? dürfte unter den lateinischen Recensionen des lübifchen Rechts, welche an sich zu den ältesten gehören, einer der jüngsten sein, da er einige Artikel mehr hat als alle übrigen bekannten lateinischen Texte, Der nieder-deutsche Codex v. 1282 enthält dagegen unstreitig die älteste deutsche Recension des lübischen Rechts.

2. Von einer officiellen Mittheilung der spateren Re-censionen des lübischen Rechtes, welche um Vieles vermehrt sind, findet sich im Laufe diefer Periode zwar keine Spur, allein im Stadtarchiv wird ein (im I , 1511 geschriebener) stark gebrauchter Codex auf Papier aufbewahrt, welcher diefer Classe von Texten angehört"). Seit dem Anfange des 15. Jahrh, findet man in Deutfchland Texte des lübischen Rechts mit dem Hamburger Stadtrecht von 12?0 in ver-schiedener Weise verbunden, die jedoch nicht nach Reval ge-langt zu sein scheinen.

3. Wie das rigische Recht in den kleineren Städten Livlands, so wurde das lübisch-revalsche Recht das Mutter-recht für die kleineren Städte des dänischen Estlands. Namentlich verlieh der König Erich der VI. Menved im I . 1302 der Stadt Wesenberg und Waldemar IV. im I . 1345 der Stadt

1) Neuerdings ist noch ein Codex im Stadtarchiv gefunden worden, der im I . 1509 zum Gebrauch in der Nathscanzlei angefertigt wurde, wie die Aufschrift: „Dit bück Hort up de Schrwerie" besagt. Er trägt den Titel: »<Iu8 municipal« I^ubicsuzo lisvalisrizidu« ooillniuilioatum". N.

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Narvll') das lübische Recht, Beide Städte hatten seitdem ihren Oberhof in Reval,

§ 2 9 ,

Anderweitige autonomische Normen der Städte.

Zu den autonomischen Festsetzungen, durch welche theils die Statuten, theils die polizeilichen und korporativen Verhält-nisse in den Städten ausgebildet wurden, gehören insbesondere:

1, Die Ordele, Urtheile, Erkenntnisse und Willküren, welche vorzugsweise zur Fortbildung der Statuten in vrinat-rechtlicher Beziehung dienten. I n denjenigen Städten, welche ihren Appellalionszug an Oberhöfe hatten, geschah dies meist durch Rechtssprüche dieser Oberhöfe, Vgl, Michelsen, der ehemalige Oberhof zu Lübeck, Altona 1839, Arndt in Bunges Archiv Bd. I I I , S. 83 fg, und Bunge Quellen des Revaler Stadtrechts B, I, S. XXXV der Ginleitung.

2. Die Burspraken oder <üni1oc>uia, worunter man in kurzen Sätzen abgefaßte Sammlungen von Vorschriften, meist polizeilichen Inhalts, versteht, welche bei gewissen feierlichen Veranlassungen oder an bestimmten Tagen des Jahres, nament-lich bei der Publication der Rathswahlen, vom Rathhause aus öffentlich verlesen wurden. Diese Burspraken, die ursprünglich aus wenigen Sätzen bestanden, wurden im Laufe der Zeit vermehrt. Vgl, für Riga: den Anhang zu den revidirten rigaschen Statuten und Bunges Archiv Bd. IV, S. 183—209, für Revlll: Archiv Ad, I I I , S. 83 fg, Inland, Iahrg, 1837, S. 814 fg, und Bunges Quellen des Revaler Rechts Bd, I.

1) u. V. 405 «für Wesenberg) lind 1 . ^ ,für NarVa). Für NaN'll ist die Verleihung entschieden schon früher, wahrscheinlich auch 1302, erfolgt, da die Urk. u, 1515 keine Verleihung, sondern nur die Bestätigung der Uon Waldemars IV, Großvater Erich V I . verliehenen Rechte der Stadt Neval ausspricht (et, auch U V, I I , Reg. N90. Nnm.). N,

S. 238 fg., für Pernllu: Archiv Bd. IV, S. 103 fg,, für Fellin: Archiv Bd. I, S, 134, für Windau: Archiv Bd. V, S. 222 fg, und überhaupt Winkelmann bibliotdkoa kiztorioa 3, Willküren oder Ordnungen, durch welche einzelne Zweige des Polizeirechts durch den Rath geregelt wurden.

Dahin gehören die Wette-, Hochzeits- und Kleiderordnungen.

4, Schra, Schrägen oder Morgensprachen, d. h, vom Rache verfaßte oder bestätigte Ordnungen, durch welche die Verhältnisse der Handwerkszünfte oder Aemter geregelt wurden, Uebrigens scheinen die größeren Corporationen, namentlich die Gilden selbst Autonomierecht geübt und Schrägen verfaßt zu haben. Vgl. Winkelmann 1. e. unter Schra und Schrägen, Non.

Iiiv. ani. Bd. IV und Bunge, Quellen des Revaler Rechts Bd. I I . 5, Verträge, welche von den Gilden unter einander und zwischen ihnen und dem Rathe hin nnd wieder abge-schlossen wurden. Vgl, Äon. I,iv. ant. 1. c. und Bunge, Quellen des Revaler Rechts 1. c.

8 30.

Anwendung des römischen und canonifchen Rechts in den weltlichen Gerichten Livlands.

Buugc, Tas römische Recht in den Ostscepriwinzen Ruhlands, Dorpat 1833 und in der Schrift: Gedächtnißfeicr der dreizehnhundertjährigcn Dauer der Gesetzeskraft der Institutionen und Pandekten des römischen Rechts, Riga und Dorpat 1834.

Derselbe, Beiträge z. Kunde der l i v , est- und curl. Nechtsqucllcu 1832, T. !>1—71 und Einleitung in die Rcchtsgeschichte S. 170—179, Wmkelnillnn, Johann Mciluf, Zur Geschichte des römischen Rechts in

Liu--land im 15», Jahrh, Dorpat 1869.

Madai, Das röin. Recht in dem cstl, Ritter- und Landr. in den vun ihm u. Bunge herausgegebenen theorclisch-practischen ErörterungenV,Iu.Il.

1'lcumllnn, daselbst B. I, S, !>?—78.

1. I n kirchlichen Angelegenheiten und in geistlichen Gerichten kam das canonische und mit ihm auch das römische Recht in den Ostseeprovinzen während der Dauer der

bischöf-lichen und Ordensherrschaft, wie überall in der katholischen Kirche, unzweifelhaft zur Anwendung. Bestritten ist dagegen die Frage, in welchem Umfange die fremden Rechte in dieser Periode in den weltlichen Gerichten Eingang gefunden oder mit anderen Worten von denselben als Hülfsrecht recipirt worden sind.

2. Zunächst steht so viel fest, daß eine Reception der-selben in dem Umfange, wie sie bereits um die Mitte des 13. Jahrh, in Deutschland stattfand, während dieser ganzen Periode in den weltlichen Gerichten Livlands nicht erfolgt ist.

Die Gründe, weshalb eine Reception der fremden Rechte in demselben Umfange wie in Deutschland in Livland nicht er-folgen konnte, sind vornehmlich in dem Fortbestande der alten Gerichtsverfassung zu suchen. Während in den Territorien Deutschlands die Besetzung der landesherrlichen Territorial-gerichte mit Rechtskundigen in Folge dessen zur Nothwendigkeit wurde, weil in dem Reichskammergerichte, an welches die Appellationen aus den Hofgerichten gelangten. Rechtskundige saßen, fiel für Livland dieser Grund für eine Aenderung der Gerichtsverfassung insofern weg, als Livland nur wenig') Verbindung mit dem Reichskammergericht hatte. I n Livland blieben daher die Gerichte sowohl auf dem Lande als in den Städten in ihrer ursprünglichen Verfassung bestehen, nach welcher die Rechtsfindung in die Hände der Standesgenossen gelegt war. Zwar heißt es in der Vorrede zum umgearbeiteten oder systematischen livländischen Ritterrecht, nachdem gesagt ist, daß in allen Händeln und Sachen, so darinnen verfaßt, allerwegen geurtheilt und gesprochen worden: „wenn aber andere Fälle, so in diesem Ritterrechte nicht begriffen, sich

l) Dagegen vgl. Hausmann, Livl. Processe im Reichskammergericht zu Wetzlar, Sondcrabdruck Dorpnt 1887. Aus Estland durfte leine Vc<

rufung lln's Reichskammergericht gehen. IV.

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zugetragen, so hat man sich der gemeinen beschriebenen kaiser-lichen Rechte gebrauchet". Diese Angabe würde allerdings die bereits in der bischöflichen Periode erfolgte Reception der fremden Rechte als Subsidiarrecht beweisen, wenn es nicht feststände, daß die erwähnte Vorrede jüngeren Ursprungs und erst gegen Schluß des 16. Jahrh, dem Ritterrechte vor-gesetzt worden ist. Außerdem findet sich weder in den pri-vaten, noch offtciellen Rechtsaufzeichnungen aus diesem Zeit-räume eine Spur einer unmittelbaren Berücksichtigung der fremden Rechte, welche in den seit dem 15. Jahrh, in Deutsch-land erschienenen Schriften so sehr hervorspringt.

3. Wenn hiernach eine unmittelbare Anwendung der fremden Rechte in dieser Periode in den Gerichten Livlands geleugnet werden muß, so läßt sich dennoch ein tiefgreifender Einfluß, den dieselben mittelbar, insbesondere auf das gericht-liche Verfahren bereits in dieser Periode erlangten, mit Sicherheit nachweisen. Vorbereitet wurde dieser Einfluß durch die immer weitergehende Verbreitung der Kenntniß der fremden Rechte. Dazu trug aber, ebenso wie in Deutschland, wesentlich der Umstand bei, daß die Geistlichkeit nach römischem Rechte lebte, daß in den geistlichen Gerichten der canonische Proceß galt und insbesondere, daß auf den Universitäten das Studium des canonischen und später auch des römischen Rechts cultivirt wurde, welchem Studium auch Livlander oblagen. Seit der Mitte des 15. Jahrh, finden sich in der Umgebung der Ordensmeister, desgleichen in den Stiftscapiteln nicht selten Doctoren der Rechte, welche die wichtigsten Aemter bekleideten,

4. Alles dies hätte aber noch nicht zu einer Einbür-gerung der fremden Rechte in den weltlichen Gerichten geführt, wenn nicht in dieser Beziehung noch ein anderer Grund be-stimmend eingewirkt hätte. Bei dem Zusammenhange und der Abhängigkeit, in welcher Livland auf allen Gebieten des

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von Deutschland stand, war es unmöglich, daß die Thatsache der Reception der fremden Rechte in Deutschland ohne Nach-wirkung aus Liulllnd hätte bleiben und die unveränderte An-wendung des altdeutschen Rechts sich hätte erhalten können.

I n der That liefern die Urkunden über Rechtsstreitigkeiten seit dem 15. Jahrh., wie sie in der Brieflade in großer Zahl vorliegen, sowie die Darstellung von Fabri in seinem I^ormu-1ai6 den Beweis, daß das Proceßoerfahren der damaligen Zeit keineswegs mehr das altdeutsche in unveränderter Gestalt war, sondern daß dasselbe schon zum größten Theile durch Grundsätze des römisch-canonischen Rechts, namentlich in der Beweislehre, modisicirt war. Diese Grundsätze wurden aber keineswegs unmittelbar aus den fremden Rechten geschöpft, sondern fanden in Livland Eingang, weil und insofern sie in Deutschland in den Gerichtsgebrauch übergegangen waren.

Sie hatten daher die Bedeutung eines auf der Grundlage des gemeinen in Deutschland geltenden Rechts sich neu aus-bildenden Gewohnheitsrechts. Hieraus erklärt es sich, daß in Livland für das neuere, ebenso wie für das ältere Recht die Bezeichnung Landrecht, gewöhnliches Recht u. s. w. üblich blieb. Das Privatrecht dagegen entzog sich zumeist diesem Einfluß, weil dasselbe in Livland vorzugsweise auf Grund-sätzen des sächsischen Lehnrechts beruhte.

Dritte Abtheilung.

I i e Stände.

8 31.

Die ersten Anfänge der Atändebildung.

1. Die zur Zeit der Kreuzzüge herrschende Idee von der Verdienstlichkeit der Ausbreitung des Christenthums durch

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das Schwert führte Deutsche i n großer Z a h l nach Livland, um daselbst den Kampf gegen die Heiden aufzunehmen.

Schon im Jahre 1199 hatte Papst Innocenz I I I . ' ) i n West-phalen und Sachsen eine Aufforderung zum Kreuzzuge nach Livlllnd erlassen. Unter den Deutschen, welche dieser Auf-forderung folgend als Kreuzfahrer in's Land kamen, befanden sich zum größten Theil Pilger, perssslini, die sich meist nur ein J a h r Hierselbst aufhielten und sodann i n ihr Vaterland zurückkehrten °), I u diesen gehörten auch die von Heinrich von Lettland genannten Herzöge, Grafen und Herren, welche als Führer der Pilgerschaaren erschienen, aber aus nahe liegenden Gründen hier nicht ansäßig wurden, sondern i n ihre Territorien zurückkehrten. Diese dem Herrenstande ungehörigen Personen, die nachmals im Gegensatze zu dem sich ausbildenden niederen Adel den hohen Adel ausmachten, werden von H, v. L. viri n<Ml68 genannt, Gin anderer Theil der Einwanderer aber blieb i n Lwland zurück und erwarb sich hier eine neue Hei-math. Wie es i n der Natur der Sache lag, waren es vor-zugsweise Krieger, die in's Land kamen. Sie werden von Heinrich von Lettland gewöhnlich als milite« bezeichnet, denen er aber auch zuweilen die Bezeichnung „ v i r nobili«" i m Sinne eines ehrenden Prädikats beilegt. Die Ritter, WilitW, aber bildeten zu Anfang des 13. J a h r h , noch keineswegs einen abgeschlossenen Geburtsstand, sondern einen Berufsstand, nämlich den Kriegerstand, i n welchen Personen verschiedener Geburtsstände und zwar sowohl Freie als Ministerialen, welche letztere fast überall den Hauptcontingent lieferten, ein-treten durften.

1) u, B. 12.

2) VmM, Standesverhälwisse S . 42.

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2, Wie durch neuere Forschungen, namentlich Schil-lings'), festgestellt ist, gehörten die deutschen Einwanderer, welche sich gleich im Beginn der livl. Geschichte auf dem Lande und in den Städten ansiedelten, ritterlichen Geschlechtern aus Niedersachsen und vorzugsweise aus Westphalen an.

Von Westphalen aus hatte schon früh eine lebhafte Aus-wanderung nach Lübeck und den anderen norddeutschen Handelsstädten, sogar bis Gothland stattgehabt. Bischof Albert wandte sich wiederholt nach Westphalen, um dort Succurs zu erlangen ^), I m Vergleich zu Westphalen und dem Erzbisthum Bremen bildeten die aus den norddeutschen Ostseeländeru stammenden Einwanderer die bei weitem ge-ringere Zahl 2). I n Westphalen war aber der Stand der Ministerialen besonders verbreitet und waren es daher vor-zugsweise ritterliche Ministerialengeschlechter, sowohl vom Lande als von den Städten, welche nach Livland auswanderten').

I n Folge der Auswanderung schieden sie aus ihrem bisherigen Abhängigkeitsverhältnisse aus. I n Livland aber, zu dessen Bischöfen sie nur im Verhältniß von freiwilligen Gehilfen der Eroberung standen, gab es keine Gründe für Entstehung der Ministerialität'). Die von Heinr. v. Lettland gebrauchten Ausdrücke tamilia episoopi und «srvi spisoopi sind nicht auf Ministerialen, sondern auf das Gefolge oder Gesinde der Bischöfe zn beziehen.

3. Die Landesherren in Livland mußten alsbald darauf bedacht sein, feste und dauernde Verhältnisse zu fchaffen und zu diesem Behufe kriegstüchtige Einwanderer an das Land

1) Schilling, Wald.-Eiichsches Lehnr. S, 62 fg. Nutlbcck, Nathsfam.

Rcvllls ö . 7. 8. 19—21. N.

2) Nottbeck a. a. O. S . «.

3) Daselbst S . 10,

4) Schilling a, a, O, S, «2, 63.

5) Daselbst S. 77.

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zu fesseln, mit deren Hülfe sie sich die Herrschaft über ihre Territorien sicherten. Dies Ziel konnten sie nach den damals herrschenden Anschauungen nur in der Weise erreichen, daß sie dieselben in den von ihnen gegründeten Städten ansiedelten, Die Verleihung von Gütern geschah aber nicht nach Dienst-, sondern nach Lehnrecht, weil die Eingewanderten den liv-ländischen Landesherrn gegenüber nicht mehr die Stellung von Ministerialen einnahmen, sondern als Freie galten. I n den Urkunden kommt für sie bis in's 14. Jahrh, nach ihrer Vllslllleneigenschaft vorzugsweise die Bezeichnung Vasallen, vazaiii, vor'). Dieselben galten in Beziehung auf ihren Geburtsstand unter einander alle als standesgleich, denn die in Deutschland mit Beziehnng auf die Verschiedenheit des Grundbesitzes ausgebildeten Geburtsunterschiede der Schöffen-barfreien, der Psieghaften :c. konnten nach Livland nicht übertragen werden, weil es in Livland kein freies Grund-eigenthum auf dem Lande gab und die Einwanderer daher nur durch Belehnung von Seiten des Landesherr« Grundbesitz erwerben konnten. Daraus erklärt es sich, daß die Bestim-mungen des sächsischen Rechts über Schöffenbarfreie und über das Verhältniß der Ritter zu den Ministerialen') in den livländischen Rechtsquellen ebensowenig Aufnahme fanden, wie die durch die Verschiedenheit der Geburtsstände bedingten Bestimmungen über die Ebenbürtigkeit °).

4. Die in den Städten angesiedelten Einwanderer hießen civs8, doi-^rs, seltener dui-Fsn««^). Sie gehörten

1) Bunge, Estland S. 131.

2) Sachsenspiegel I, 2, 20 § 8, 27 § 2, 51 § 4 ; I I . 3 § 2, 12

§ 2, 21 § I ; I I I . 26 § 2, 29 § 1, 4b, 72, 73, 80 § 2, 81.

3) Bunge, Stllndesverhllltnisse S. 44, Anm. L2. Schilling a.

ll. O. S. 78.

4) Heinr. v. Lettland V I . 2, V I I . 4, Bunge. Riga S. 86 Anm. 143.

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ebenfalls meistens westvhälischen Ministerialengeschlechtern an und betheiligten sich wie in Deutschland an der Vertheidigung ') und Regierung der Stadt ^), ja sie nahmen nach dem Berichte Heinrichs von L. mehrfach an Heerfahrten zur Eroberung des Landes theil °), Die Reimchronik bezeichnet es sogar als Sitte, daß die Bürger von Riga mit den OrdenZherren aus-zogen'). Auch sie galten in Livland als Freie und standen zu den Vasallen auf dem Lande häufig in naher verwandt-schaftlicher Beziehung °). Glieder derselben Familie werden bald als Vasallen, bald als Stadtoürger genannt und nicht selten fand ein Uebergang aus der einen Stellung in die andere statt. Die Gleichheit des Geburtsstandes von Bürgern und Vasallen und die gleichmäßige Betheiligung am Kriegs-handwerke führten dazu, daß sich zunächst kein schroffer

ebenfalls meistens westvhälischen Ministerialengeschlechtern an und betheiligten sich wie in Deutschland an der Vertheidigung ') und Regierung der Stadt ^), ja sie nahmen nach dem Berichte Heinrichs von L. mehrfach an Heerfahrten zur Eroberung des Landes theil °), Die Reimchronik bezeichnet es sogar als Sitte, daß die Bürger von Riga mit den OrdenZherren aus-zogen'). Auch sie galten in Livland als Freie und standen zu den Vasallen auf dem Lande häufig in naher verwandt-schaftlicher Beziehung °). Glieder derselben Familie werden bald als Vasallen, bald als Stadtoürger genannt und nicht selten fand ein Uebergang aus der einen Stellung in die andere statt. Die Gleichheit des Geburtsstandes von Bürgern und Vasallen und die gleichmäßige Betheiligung am Kriegs-handwerke führten dazu, daß sich zunächst kein schroffer

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