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Zur Rolle der teilnehmenden Beobachterin

Im Dokument Der performative Umgang mit dem Text (Seite 79-82)

2 Probenprozessbeobachtung .1 Teilnehmende Beobachtung

2.2 Zur Rolle der teilnehmenden Beobachterin

Die Probenbeobachtungen erfolgten offen, d. h., den Probenprozessbe-teiligten war die Anwesenheit meiner Person als teilnehmende Beobach-terin bekannt. In der Literatur finden sich unterschiedliche Auffassun-gen über Nähe und Distanz und das optimale Verhältnis des Beobachters oder der Beobachterin und dem Forschungsfeld. Teilneh-mend zu beobachten beinhaltet mehr, als „einfach dort zu sein“ (Flick 2014, 152). Es handelt sich hierbei um einen komplexen Prozess der Selbstverortung und des Verortetwerdens im Feld (vgl. ebd.).

Für McAuley gibt es keinen neutralen oder transparenten Beobach-ter (vgl. 1998, 80). Jegliche Analyse und auch jede Beschreibung wird den Abdruck der eigenen Kultur und Wahrnehmungsperspektive tra-gen. Zudem kann ein teilnehmender Beobachter oder eine teilnehmende Beobachterin, bewusst oder unbewusst, Einfluss auf das zu beobach-tende Feld nehmen. Aus diesem Grund lehnen es auch manche Regis-seur/-innen ab, außenstehende Beobachter/-innen zuzulassen, und andere erlauben es nur, wenn die Person während der Proben eine

Auf-gabe übernimmt (vgl. McAuley 2012, 7). Jedoch muss in Betracht gezo-gen werden, dass eine teilnehmende Probenbeobachtung ein Vollzeitjob ist. Maßgeblich an der Produktion beteiligte teilnehmende Beobachter/-innen werden Schwierigkeiten bekommen, wenn sie gleichzeitig den Probenprozess beobachten, dokumentieren und analysieren möchten.

Mitunter sitzt man bis zu acht Stunden am Tag auf Proben, beobachtet und protokolliert unentwegt und braucht im Anschluss an die Proben-zeit in etwa genauso viel Zeit noch einmal, um die Probenprotokolle zu verfassen. Werden also Sonderaufträge wie Assistenzaufgaben an einen teilnehmenden Beobachter oder eine teilnehmende Beobachterin heran-getragen, so gilt es, sich gut zu überlegen, was zeitlich möglich ist.

Beispielsweise wurde ich zu Beginn des Probenprozesses zur Insze-nierung Biedermann und die Brandstiftervon Volker Lösch gefragt, ob ich den Migrantinnen und Migranten, die einen der beiden Chöre bilde-ten, ein paar sprecherische Übungen zeigen könne, mit denen sie zu Hause ihre deutsche Aussprache verbessern können. Auf meinen Ein-wand, dass dies nicht mit ein paar Übungen getan sei, dass ich aber bereit sei, vor den Proben regelmäßig mit den Laien an der Phonetik zu arbei-ten, wurde nicht eingegangen. Ich war im Nachhinein sehr froh darüber, da die zeitliche Belastung der Probenprozessbeobachtung inklusive des regelmäßigen Verfassens der Probenprotokolle sehr groß war.

Die Erfahrungen in der Feldforschung zeigen, dass teilnehmende Beobachter/-innen sowohl in die täglichen Erfahrungen der Men-schen, die sie beobachten, verstrickt sein müssen, als auch ausreichend distanziert bleiben müssen, um Beobachtungen zu machen, Notizen darüber zu schreiben und diese detailliert festzuhalten (vgl. McAuley 2012, 9). Am Prozess der künstlerischen Arbeit direkt Beteiligte wer-den andere Dinge wichtig und notierenswert finwer-den als jemand stehendes. Dennoch wird auch die Wahrnehmung des oder der Außen-stehenden als teilnehmende/r Beobachter/-in beeinflusst von dessen/deren Fragestellungen und Zielvorstellungen. Gewisse Inhalte werden bevorzugt registriert, die Wahrnehmung anderer Inhalte wie-derum wird gehemmt (vgl. Lamnek 1995, 247). So habe ich mich inner-halb der von mir beobachteten Probenprozesse hauptsächlich auf Arbeitsschritte, Praktiken, Herangehensweisen, Denkweisen und Erfahrungen der Ensemble mitglieder und Regieteams in Bezug auf den Umgang mit Texten und gesprochener Sprache – und alles was damit im Zusammenhang steht – konzentriert. Hingegen wurden beispiels-weise Arbeitsprozesse der Bühnenbild-, Kostüm- und Lichtabteilung, wenn sie nicht in Ver bindung mit den Prozessen der Textarbeit stan-den, ausgeklammert bzw. in der Wahrnehmung selektiert. Zu

erwäh-nen ist weiterhin, dass sich meine Rolle als teilnehmende Beobachterin im Verlauf eines Probenprozesses veränderte. Mit zunehmender Beob-achtung und fortschreitendem Probenprozess wurde ich vertrauter mit dem jeweiligen Produktionsteam. Insbesondere im Rahmen der Pro-benprozessuntersuchung von Laurent Chétouane wurde das Span-nungsfeld von involvierter Teilnahme und distanziert-reflektierter Beobachtung spürbar.

Laurent Chétouane thematisierte in seiner Arbeit die Verbindung der Schauspieler/-innen zu den Zuschauer/-innen und ließ die Studie-renden innerhalb vieler Übungen stets ein Publikum imaginieren. Die Öffnung zum Zuschauerraum fand von Beginn des Workshops an statt.

Insofern war ich als konkrete Zuschauerin aktiv in den Probenprozess integriert und involviert. Ich wurde zur Mitspielerin. Trotzdem wollte ich den externen Blick nicht verlieren, weshalb ich mich entschied, nicht bei den Übungen mitzumachen, was durchaus möglich gewesen wäre. Ich wollte während der Beobachtungen notieren können, was in Situationen, in denen die Studierenden mit mir als Zuschauerin arbeite-ten und eine Verbindung zu mir herzustellen versucharbeite-ten, oft schwierig war. In solchen Momenten wurde mir bewusst, wie sensibel und behut-sam ich als teilnehmende Beobachterin eines künstlerischen Prozesses vorgehen muss. Eine teilnehmende Beobachterin oder ein teilnehmen-der Beobachter kann durch das ständige Mitschreiben von Beobachtun-gen ein Störelement sein, indem statt aufmerksam zugeschaut, notiert wird. Und mitunter kann in stillen Momenten in einem kleinen Raum selbst das Geräusch eines schreibenden Stifts stören. In diesem Fall erweisen sich Audioaufnahmen als hilfreich, in denen einzelne Proben-sequenzen noch einmal nachgehört werden können. Auch mit der Erkenntnis, dass die Anwesenheit des Beobachters oder der Beobachte-rin einen Probenprozess beeinflussen kann, ist nicht dessen bzw. deren Verpflichtung aufgehoben, so unauffällig wie möglich zu sein (vgl.

hierzu McAuley 1998, 80 f.). Um sich einen offenen Blick zu bewahren, gilt es zudem, eigene Bewertungen oder Geschmacksurteile in den Hin-tergrund zu stellen. Es geht um ein wertfreies, vorurteilsfreies Beob-achten.

Wie Lamnek schreibt, setzt teilnehmende Beobachtung eine taktaufnahme zu dem beobachteten Feld voraus, die häufig über Kon-takt-, Vertrauens- oder Schlüsselpersonen erfolgt (vgl. Lamnek 1995, 262). Wie die Kontaktaufnahme zu den Produktionsteams der hier untersuchten Probenprozesse stattfand, sei im Folgenden beschrieben.

Sie steht in engem Zusammenhang mit der Frage, ab wann eigentlich ein Probenprozess beginnt.

Im Dokument Der performative Umgang mit dem Text (Seite 79-82)