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Aufführungs- und inszenierungsanalytische Ansätze

Im Dokument Der performative Umgang mit dem Text (Seite 104-108)

2 Probenprozessbeobachtung .1 Teilnehmende Beobachtung

3.3 Aufführungs- und inszenierungsanalytische Ansätze

Laut Fischer-Lichte werden Methoden der Aufführungsanalyse immer dann eingesetzt, wenn es um Fragestellungen geht, die sich unmittelbar auf Vorgänge und Ereignisse beziehen, die während einer Aufführung geschehen (vgl. Fischer-Lichte 2010, 93). Analog dazu ließe sich behaup-ten, dass eine Probenprozessanalyse an den Vorgängen und Ereignissen einer Probe ansetzt. Endproben gestalten sich meist als sogenannte Durchlaufproben, d. h., sie sind stark dadurch charakterisiert, dass sie den Durchlauf einer während des Probenprozesses entwickelten Insze-nierung enthalten, der ohne Unterbrechung „durchgespielt“ wird. Eine Durchlaufprobe arbeitet sozusagen auf den Aufführungsmoment hin. In diesem Sinn spielen auch aufführungs- und inszenierungsanalytische Ansätze im Rahmen einer Probenprozessanalyse eine Rolle, nämlich dann, wenn es um die Bedeutung von szenischen Abläufen und Erschei-nungsformen und deren Wirkung geht. Berücksichtigt eine Probenpro-zessanalyse auch das Inszenierungsergebnis und beschreibt hervorge-gangene Spiel- und Sprechweisen, wie im Fall der vorliegenden Untersuchung, kann sie auf etablierte Methoden der Aufführungs- und Inszenierungsanalyse zurückgreifen.

Laut Balme sollten Inszenierungs- und Aufführungsanalyse nicht grundsätzlich streng getrennt voneinander behandelt werden, „denn beide sind Bestandteil einer komplexen Wechselbeziehung“ (Balme 2003, 83). Auch Fischer-Lichte weist darauf hin, dass es eine Inszenie-rungsanalyse in „Reinform“ nicht geben kann, da eine Inszenierung dem Analysierenden nur als Aufführung zugänglich ist und die Konstitution von Bedeutungen von den beobachtbaren Reaktionen der Zuschauer/-innen und der Wirkung, die sie im Analysierenden auslösen, abhängig ist (vgl. Fischer-Lichte 2010, 88). Hingegen gehen Weiler/Roselt davon aus, dass zwar jede Aufführungsanalyse immer auch eine Inszenierungsana-lyse ist, sofern sie die szenischen Abläufe auf einer Bühne zu den Wahr-nehmungen und Erfahrungen eines Publikums in Bezug setzt, jedoch eine Inszenierungsanalyse nicht notwendig aufführungsbezogene Aspekte berücksichtigen muss. Szenische Elemente und ihre Arrange-ments lassen sich auch untersuchen, ohne konkrete Aufführungserleb-nisse zu bedenken (vgl. Weiler/Roselt 2017, 59).

Von dieser Unterscheidung ging auch die im Rahmen der vorliegen-den Studie durchgeführte Analyse inszenierungsbezogener Aspekte aus.

Erkenntnisse hinsichtlich einzelner Texterarbeitungsschritte oder in Bezug auf den Entstehungsprozess bestimmter Spiel- und Sprechweisen konnten anhand der beschriebenen textanalytischen Verfahren gewon-nen werden. Inszenierungsanalytische Auswertungsansätze dienten mir zur Untersuchung konkreter Inszenierungsstrategien. Grundlage hier-für bildeten sämtliche schriftlich erhobene Dokumente sowie die Audio- und Videoaufnahmen. Aber auch aufführungsanalytische Ansätze spielten eine Rolle, beispielsweise wenn es um die Beschreibung von Wirkungen bestimmter Erscheinungsformen ging oder um, wie Fischer-Lichte es nennt, „energetische Felder“ (vgl. Fischer-Lichte 2010, 82), die auch während einer Probe entstehen konnten.

Derartige „energetische Felder“ können nicht nur zwischen Akteur/

-innen und Zuschauer/-innen im Verlauf einer Aufführung gebildet werden, sondern auch im Verlauf einer Probe. Sie werden für die an einer Probe Beteiligten als Erfahrung spürbar und können in einer Ana-lyse berücksichtigt werden. Während sich solche Erfahrungen und Wir-kungen einer medialen Dokumentation entziehen und lediglich beschreibbar sind, lassen sich inszenierungsbezogene Aspekte unter Einbezug von Videoaufzeichnungen sehr gut ermitteln (vgl. Weiler/

Roselt 2017, 59).

Grundlage der teilnehmenden Beobachtung einer Probe ist die Wahrnehmung des Probengeschehens. Dabei geht es weniger um die Erfahrungen der teilnehmenden Beobachterin als vielmehr um die

Erfahrungen, welche die aktiv an der Probe Beteiligten machen. Den-noch wurden auch die während des Probenprozesses entstandenen Erscheinungsformen und ihre Wirkungsweisen innerhalb der Analyse berücksichtigt, die zunächst nur auf Basis des eigenen subjektiven Ein-drucks der Analysierenden beschrieben werden konnten. Diese wurden jedoch in einen Zusammenhang mit den Intentionen der Regisseurin oder des Regisseurs bzw. der Schauspielerinnen und Schauspieler gebracht. Im Gegensatz zu einer Aufführungsanalyse vermag eine Pro-benprozessanalyse die Absichten und Motivationen eines Ensembles in die Analyse einzubeziehen. Hieraus ließen sich dann Dimensionen und darstellerische Möglichkeiten bestimmter Texterarbeitungsansätze und ihrer Erscheinungsformen ableiten.

Erfahrungen stehen mit Bedeutungen in einem engen Zusammen-hang (vgl. Fischer-Lichte 2010, 83). Insofern werden im Rahmen einer Aufführungs- bzw. Inszenierungsanalyse stets zwei Perspektiven einge-nommen, die als phänomenologisch und semiotisch bezeichnet werden (vgl. ebd. 88). Während bei einem phänomenologischen Analyseansatz die Wechselwirkung von Erscheinungsweise, Wahrnehmung und Erfahrung im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, widmen sich semiotische Ansätze der Erzeugung von Bedeutung (vgl. Fischer-Lichte 2010, 83 f.). „In dieser Perspektive wird alles, was wahrgenommen wird, als ein Zeichen gedeutet […].“ (ebd. 84) Werden beide Perspektiven eingenommen, so geht es einerseits darum, szenischen Vorgängen eine Deutung zu geben, ande-rerseits auch, die Wirkung zu beschreiben, die ein szenischer Vorgang auf die Analysierende bzw. auf die Zuschauerinnen und Zuschauer hatte.

Auch im Rahmen der vorliegenden Untersuchung stützte ich mich sowohl auf semiotische als auch auf phänomenologische Analysean-sätze. Dabei wurden aufführungsanalytische Ansätze nicht für die Ana-lyse von Aufführungen im eigentlichen Sinn genutzt, sondern vor allem für die Analyse der Durchläufe und Hauptproben gegen Ende eines jeweiligen Probenprozesses. Während sich im Moment der Probe be -obachtete und dokumentierte Wirkungen und Wahrnehmungen eines aufführungsanalytischen Ansatzes bedienten, kamen im Rahmen der Analyse von Erscheinungsformen auf Basis der Audio- und Videoauf-zeichnungen während des Auswertungsprozesses hauptsächlich insze-nierungsanalytische Ansätze zum Einsatz. Hier ging es um das Heraus-arbeiten der während eines jeweiligen Probenprozesses entstandenen Erscheinungsformen, d. h. der Spiel- und Sprechweisen, deren Wirkun-gen und deren BedeutunWirkun-gen.

Wirkungen und Bedeutungen können nur auf Basis eines subjektiven Interpretationsrahmens beschrieben werden. Jedoch wurden subjektive

Wirkungen und die von mir zugeschriebenen Bedeutungen stets mit den vier Mitgliedern meiner Forschungsgruppe diskutiert und evaluiert.

Darüber hinaus fanden im Rahmen der Analyse einzelner Proben- und Inszenierungssequenzen, in denen die Erscheinungsweise gesprochener Sprache auf der Bühne fokussiert wurde, auditive Analysen statt. Für die auditiven Analysen wurde mit einer Kontrollhörerin gearbeitet, die als Sprechwissenschaftlerin ebenfalls über die Fähigkeit des analytischen Hörverstehens im Sinne eines funktionellen Hörens (vgl. S. 89 ff.) ver-fügt. Auf diese Weise wurden subjektive Höreindrücke objektiviert.

Am Ende des Analyseprozesses der drei beobachteten Probenpro-zesse stand das Verfassen der vorliegenden Schrift. Für das Manuskript wurden weitaus weniger Themen verarbeitet, als das erhobene Daten-material zur Verfügung stellte. Der Schreibprozess war in diesem Sinn stark geprägt von einer Themenauswahl, die von fachlichem und per-sönlichem Interesse ist. Die Studie ist in ihren empirischen Teilen analy-tisch nach Themen aufgebaut und konstruiert sich aus ausgewählten Auszügen der Probenprotokolle, analytischen Kommentaren sowie theoretischen Ausführungen. Zwar wurden während des Auswertungs-prozesses Einzelfallanalysen durchgeführt, das Ziel war jedoch nicht primär eine Darstellung der Einzelfälle, sondern eher das Herausarbei-ten von Texterarbeitungsansätzen, die als typisch für das zeitgenössische Theater gelten können bzw. die als „performative Ansätze der Textar-beit“ definiert werden sollten. Die beschriebenen Ansätze können nicht als statistisch repräsentativ betrachtet werden, jedoch als typisch für den herausgearbeiteten theoretischen Ansatz eines performativen Umgangs mit Texten und gesprochener Sprache. Die Ergebnisse sind insofern generalisierbar, als dass sie sich auf ähnliche Gegenstände übertragen lassen. Es werden nun im Folgenden einzelne Aspekte der Probenpro-zessanalysen vorgestellt und als Ergebnisse der Untersuchungen präsen-tiert.

INSZENATORISCHE ASPEKTE

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