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Ästhetischer und biografischer Kontext von Claudia Bauer und Peer Baierlein

Im Dokument Der performative Umgang mit dem Text (Seite 191-194)

DER TEXTERARBEITUNG

3 Interperformative Bezüge

3.2 Ästhetischer und biografischer Kontext von Claudia Bauer und Peer Baierlein

Wie bereits zu lesen war, bezieht sich die Regisseurin Claudia Bauer mit dem Figurenansatz ihrer Faust-Inszenierung am Konzerttheater Bern auf Chuck Palahniuks Roman Fight Clubbzw. auf die gleichnamige Ver-filmung von David Fincher aus dem Jahr 1999. Aber auch zum Theater-regisseur Einar Schleef und dessen Publikation Droge Faust Parsifal werden Bezüge hergestellt. Die Überlegungen Schleefs zu Chor und Individuum, die sich u. a. auf Goethes Faustbeziehen, haben Claudia Bauer dazu veranlasst, das Stück Faustvon Johann Wolfgang von Goe-the bereits vor einigen Jahren am PuppenGoe-theater Halle mit drei

Schau-spieler/-innen zu inszenieren. Mit der Entscheidung, auch in der Berner Inszenierung nur die drei Hauptfiguren Faust, Mephisto und Gretchen zu besetzen, hierfür jedoch ein fünfköpfiges Ensemble zu wählen, bezieht sie sich zum einen auf ihre eigene Inszenierung, zum anderen auf Schleefs Analyse, nach der Stücke der deutschen Klassik, darunter auch Goethes Faust,vom Chor-Gedanken ausgehen (vgl. Schleef 1997, 7).

Im Zentrum von Claudia Bauers Probenarbeit steht die Suche nach Darstellungs- und Sprechformen, die sich von einer „psychorealisti-schen Darstellungsweise“, wie sie selbst sagt, abgrenzen. Gemeinsam mit dem Ensemble werden zu Beginn des Probenprozesses die Theater-verfilmungen Faust – vom Himmel durch die Welt zur Hölleaus dem Jahr 1988 in der Regie von Dieter Dorn sowie im Vergleich dazu die Ver-filmung der Faust-Inszenierung von Gustaf Gründgens, der ebenfalls die Rolle des Mephisto spielt, aus dem Jahr 1960 angeschaut. Die Spiel-weisen beider Inszenierungen werden als traditionell bzw. historisch verbucht mit der Bemerkung: „So kann man das heute nicht mehr machen.“ Stattdessen wird ästhetisch Bezug auf zeitgenössische Regis-seure wie Nicolas Stemann oder René Pollesch genommen, zum einen in Verbindung mit den sichtbaren Textbüchern auf der Bühne (vgl. S. 131 ff.), zum anderen hinsichtlich der Trennung von Spiel und Sprache (vgl.

S. 309 ff.). Dieses Zitieren von Spielweisen und Inszenierungselementen kann ebenfalls als konstitutives Moment von Interperformativität bezeichnet werden. Ebenso ist das Anschauen von Filmen oder das Hin-zuziehen von Videoclips Teil des Konzepts Interperformativität.

Das Anschauen von Filmen und Videoclips dient als Inspirations-quelle, um eine bestimmte Spielweise, eine Atmosphäre oder eine bestimmte Ästhetik zu kreieren bzw. auch, um sich von einer bestimm-ten Darstellungsform abzugrenzen. Beispielsweise wird der Schauspie-lerin für die Darstellung der Figur Gretchen als Spielimpuls das Musik-video des Liedes „Chandelier“ der Sängerin Sia vorgespielt. Es zeigt ein junges tanzendes Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsenwerden. Die Art und Weise ihres Tanzes wird später von der Schauspielerin als Inspi-ration zum Finden einer geeigneten Spielweise genutzt. Ebenso dient das Musikvideo des Songs „Road to Nowhere“ der Band Talking Heads, der 1985 von David Byrne für das Album „Little Creatures“ geschrieben wurde, als Quelle, um die Szene des Faust-II-Teils im Schnelldurchlauf zu entwickeln (vgl. S. 309 ff.).

Schließlich muss der eigene biografische Hintergrund der Regisseu-rin Claudia Bauer erwähnt werden, der ihren Regiestil, die Abgrenzung von Spielweisen oder die Suche nach bestimmten Ästhetiken ebenfalls beeinflusst. Mit der Dekonstruktion der Rolle, ihrer Zerlegung und

„Anreicherung um eigene personale Anteile“ (Kurzenberger 2011, 78) durch den bzw. die Schauspieler/-in, wie ich es in der Beschreibung der Verfahren zur Texterarbeitung darlegen werde, steht die Regisseurin Claudia Bauer in der Tradition der Berliner Volksbühne, die sie nach eigenen Aussagen in ihrer künstlerischen Entwicklung seit den 1990er Jahren stark beeinflusst hat. Gleichzeitig prägten sie, vor allem durch ihr Schauspiel- und Regiestudium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin, die Vorstellungen des Theatermanns Bertolt Brecht, dessen Erbe die Volksbühne „wie kein anderes Theater“ (ebd. 80) wei-tergedacht und weiterentwickelt hat. Sie selbst sieht sich jedoch vor allem in der Tradition von Tadeusz Kantor, dem polnischen Theaterre-gisseur, Maler, Bühnenbildner und Kunsttheoretiker (1915–1990). Im Interview formuliert sie: „Ich war immer unbewusst in der Tadeusz-Kantor-Tradition. Und als ich es dann gesehen habe, dachte ich: Ja, so ein Theater will ich machen.“ (Bauer in: Interview 4, 23)

Um sich von einer psychologisch-realistischen Spielweise abzugren-zen, nutzt Claudia Bauer in ihrer Faust-Produktion u. a. musikalische Ansätze der Texterarbeitung (vgl. S. 242 ff.). Konkret die Musikalisie-rung und RhythmisieMusikalisie-rung einiger Texte sowie dessen musikalische Erar-beitung übernimmt der Komponist und Musiker Peer Baierlein, mit dem die Regisseurin bereits bei zahlreichen Inszenierungen zusammen-gearbeitet hat.1Peer Baierlein nutzt für die Musikalisierung der Texte verschiedene Kompositionstechniken aus der Minimal Music.

Der Begriff „Minimal Music“ ist ein Sammelbegriff für verschiedene Musikstile innerhalb der Neuen Musik, die sich ab den 1960er Jahren in den USA entwickelten. Weiterhin wird der Begriff als kompositions-technische Kategorie gebraucht (vgl. Linke 1997, 10). Er bezieht sich auf die Ebene der Materialbeschränkung und auf die Ebene der Strukturre-duzierung (vgl. ebd. 202). Charakteristisch für Kompositionen der Minimal Music ist zum einen, dass ihr musikalisches Material minima-listische Züge trägt, indem es beispielsweise aus nur einem Ton bzw.

einer Tonhöhe besteht, zum anderen unterliegen musikalische Parame-ter einer minimalistischen Bearbeitung, indem die Kompositionen eine unveränderliche Klangfarbe, eine statische Harmonik oder eine stets gleichbleibende Rhythmik aufweisen (vgl. ebd. 13). Bezogen auf mini-malistische Strukturen finden sich Kompositionstechniken wie Additi-ons-, Subtraktions- und Substitutionsverfahren sowie Phasenverschie-bungen (vgl. ebd.). In der Minimal Music ist das rhythmische Element, meist in Form einer Polyrhythmik, stark hervorgehoben, und sie arbei-tet mit der Wiederholung und Aneinanderreihung musikalischer Muster.

Durch die „stetige Wiederholung bei gleichzeitiger, oft unmerklicher

Veränderung“ hat die Minimal Music die Wahrnehmung für ein verän-dertes Zeiterleben geöffnet (Roesner 2003, 107).

Namentlich erwähnt Peer Baierlein zu Beginn des Probenprozesses die Kompositionen Terry Rileys, dessen Techniken des „Tape-Loop“

und „Tape-Delays“ Einfluss auf die musikalische Bearbeitung des Text-materials in der Faust-Produktion haben (vgl. Kiesler, Probenprotokoll 2014-06-18, 1). Die Tonbandschleifen-Technik „dient einzig der perma-nenten, prinzipiell unendlichen Wiederholung einer aufgenommenen Figur“, die Tape-Delay-Technik zielt auf ein kanonartiges Musizieren,

„ein spontanes Reagieren auf kurz zuvor gespielte Muster, das aus dem musikalischen Vordergrund unmittelbar in den Hintergrund tritt, um neue Improvisationsmuster gleichsam zu fordern“ (Götte 2000, 21 f.).

Beide Techniken bilden den Ausgangspunkt für das für die Minimal Music typische Prinzip der Phasenverschiebung, eine Technik, die Peer Baierlein für die Musikalisierung und Rhythmisierung einiger Texte nutzt.

3.3 Gesellschaftspolitischer und biografischer Kontext von Volker

Im Dokument Der performative Umgang mit dem Text (Seite 191-194)