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Die Rolle Neuer Medien bei der Verbreitung der Hindutva- Hindutva-Ideologie

Die Tatsache, dass der Hindu-Nationalismus seit den 80er Jahren immer mehr an Einfluss gewinnt, hat auch mit der zunehmenden Verbreitung neuer Medien zu tun. Anustup Basu bezeichnet die gegenwärtige Hindutva-Bewegung gar als Hindutva 2.0.556 Mit neuen Medien sind nicht nur sogenannte soziale Medien (social media) wie etwa Facebook, Whatsapp etc.

gemeint, sondern vor allem das Fernsehen. Savarkar schrieb seine Schrift „Hindutva: Who is a Hindu?“ in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sieht man von der mündlichen Weitergabe von Botschaften einmal ab, waren es die Print-Medien, die lange Zeit das soziale Sprachrohr, auch für politische Botschaften, gewesen sind. Dies war insbesondere bei der urbanen Mittel, -und vor allem Oberschicht der Fall, die sich zunehmend von der britischen Kolonialherrschaft distanzierte. Mit dem zunehmenden Aufkommen des Fernsehers auch in Indien ab dem Jahr 1959557 ist die Welt eine andere geworden – auch in Bezug auf die Verbreitung der Ideologie des Hindutva. Heute besitzen rund 192 Millionen Haushalte in Indien einen Fernseher.558 Seit den 80er Jahren können sich im Land immer mehr Menschen einen Fernseher leisten und somit ist daraus ein echtes Massenmedium geworden.

In Bezug auf die Forschungsfrage dieser Arbeit kann folgendes festgehalten werden: Die zunehmende Verbreitung neuer Medien hat zwei wesentliche Folgen mit sich gebracht: Zum einen die schnellere Verbreitung politischer Botschaften auch in bisher entlegenere Regionen.

Eine weitere Folge war beziehungsweise ist, dass dadurch eine Homogenisierung hinduistischer Traditionen und Erzählungen erfolgt ist. Eine Homogenisierung, die auf Kosten der Lokaltraditionen einherging. Dies hatte aber auch eine zunehmende „Nationalisierung“ der Religion sowie der religiösen Epen zur Folge. Letzteres soll anhand eines Beispiels

556 Basu, Anustup: Hindutva as Political Monotheism, Duke University Press Durham: London: 2020. S.8 und S.150

557 Malinar, Angelika: Hinduismus, Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen: 2009. S.123

558 Number of TV households in India in 2016 with a forecast until 2021, by platform, in:

https://www.statista.com/statistics/694816/india-tv-households-platform (aufgerufen am 10.02.2021)

98 veranschaulicht werden. Als 1987 das Ramayana-Epos erstmals im Fernsehen ausgestrahlt wurde, waren die Einschaltquoten enorm.559 Rama ist die siebente Wiedergeburt des Gottes Vishnu und die Hauptfigur des in den hinduistischen Traditionen so berühmten Epos. In Indien wird Rama seit jeher große Verehrung zuteil. Anhand des Handelns des Hauptprotagonisten – des Gottes Rama – wird erkennbar, was hinduistische Kultur ausmacht.560 Auch für Gandhi war Rama der Archetyp eines gerechten Herrschers und er wünschte sich, dass der indische Staat sich nach dem Handeln Ramas orientieren werde, weshalb er ihn sich auch als Ramraj, als Reich Ramas, vorstellte.561Warum aber erfährt Rama im Hindu-Nationalismus so viel Verehrung? Der zeitliche Hintergrund, in dem die Ereignisse des Epos stattfinden, ist ein längst vergangenes goldenes Zeitalter. 562 Durch die mediale Verbreitung mythologischer beziehungsweiser religiöser Themen und Riten kommt es generell zwangsläufig zu einer zunehmenden Popularität einer Erzählweise oder eines Ritus auf Kosten der lokalen Traditionsmuster. Diese Entwicklung zuungunsten der Lokaltraditionen ist das, was mit Homogenisierung gemeint ist. Heute ist der Hindu-Nationalismus mit seiner Tendenz zur Homogenisierung von Mythen, Symbolen und der indischen Göttervielfalt zu einer der größten politischen und kulturellen Kräfte Indiens geworden, resümiert Kakar.563 Der andere Aspekt ist der der Nationalisierung. Mythen wie das Ramayana dienen nicht mehr einer religiösen Begründung sowie einer literarisch-kunstvollen Ausschmückung allein, sondern die Protagonisten und Protagonistinnen, die Helden und Heldinnen der Epen, sind Botschafter und Botschafterinnen der Vergangenheit; sie stehen für die hinduistische Welt, während die Welt

„da draußen“ das Gegenteil ist.564 Im Hindu-Nationalismus bekommt das Epos somit einen

559 Kakar /Kakar, Die Inder, S.135

560 Ebd.

561 Jürgenmeyer, Clemens: Koexistenz und Konflikt zwischen indischen Religionsgemeinschaften. Das Beispiel Ayodhya, in: Kerber, Walter (Hg.): Religion: Grundlage oder Hindernis des Friedens?, München: 1995. S.150

562 In den hinduistischen Religionen glaubt man an sogenannte Weltalter. Nach brahmanischer Überlieferung leben die Menschen heute im sogenannten Zeitalter des Kali Yuga. Dieses ist das „letzte Zeitalter“, welches mit dem Tod Krishnas begonnen hat. Nach der Überlieferung war dies der 18.Februar 3102 vor Christus. Das jetzige Zeitalter wird noch etwa 400.000 Jahre andauern, bis an dessen Ende die Welt in Feuer, Wind und sintflutartigen Regenfällen untergeht. Bis dahin sind es düstere, unheilvolle Jahre voller Kriege, Seuchen und Naturkatastrophen – alles Anzeichen dafür, dass die Menschen in immer stärkerem Maß die sozial-religiösen Normen des Dharma missachten würden. Zitiert nach: Schweizer, Gerhard: Indien & China. Asiatische Wege ins globale Zeitalter, Klett-Cotta Stuttgart: 2001. S.128-129

Schon die im 19. Jahrhundert gegründete Arya Samaj (Gemeinschaft der Arier) strebte nach einer Wiedererrichtung des goldenen Zeitalters des Hinduismus, welches für sie durch äußere Einflüsse verloren gegangen war. Vgl.: Gottschlich, Die indische Diaspora in den USA und ihre Rolle im Religionskonflikt in Indien, S.58

563 Kakar /Kakar, Die Inder, S.135

564 Basu, Hindutva as Political Monotheisn, S.8

Basu schreibt, dass man im Hindu-Nationalismus die Botschaft der Epen nicht mehr in einer religiösen Begründung etc. sieht. Persönliche Anmerkung: Womöglich wäre es besser, wenn man schriebe: „nicht mehr nur“

oder „nicht mehr ausschließlich“. Denn eine Verallgemeinerung würde der Komplexität als auch der

99 exklusiven wie auch einen inklusiven Charakter: Wir, die Hindus und die Anderen, die Muslime, Christen und der Islam sowie das Christentum.

Die damalige indische Regierung unter der Kongresspartei, die sich als säkular565 verstand, rechtfertigte die Unterstützung des staatlichen Fernsehsenders, der das Epos ausstrahlte, mit dem Argument, dass es sich um traditionelle Geschichten und nicht um religiöse Mythen handle.566 1988/89 wurde auch das Hindu-Epos Mahabharata ausgestrahlt.567 Auch in diesem Fall war das Argument der Regierung dasselbe. 568 Juergensmeyer schreibt, dass die Fernsehübertragung der Epen durch die enorme Zahl an Zuseher und Zuseherinnen die säkulare Politik negativ beeinflusst haben könnte und bei der Wiederbelebung569 der religiösen Politik durchaus eine Rolle gespielt haben könnte.570

Wie stark Rama ins Zentrum der Hindutva-Ideologie gerückt ist, hatte sich 2002 im nordwestindischen Bundesstaat Gujarat gezeigt, als es dort zu blutigen und äußerst brutalen Zusammenstößen zwischen aufgebrachten Hindus und der muslimischen Bevölkerung gekommen ist. Acharya Dharmendra, einer der Anführer der Vishva Hindu Parishad (VHP), ließ etwa vor einer Massenkundgebung verkünden, dass der, der Gott Rama nicht huldigt, ohne Wert sei.571

Viele der gegenwärtigen Hindu-Religionen (und nicht nur die Hindutva-Ideologie) „bedient“

sich der neuen Medien wie Fernseher, YouTube, Facebook etc. und bringt einem zunehmend größer werdenden Publikum die Geschichten und Epen ins Wohnzimmer. Dabei zum Tragen kommt aber auch die Selbstwahrnehmung von Hindus in der Moderne sowie das Aufwerfen der Frage, welche Akzente man gegenüber anderen Religionen und Kulturen setzen möchte.572

Vielschichtigkeit Indiens nicht gerecht werden. Richtig ist indes, dass sich, vor allem bei den Hindu-Nationalisten und Hindu-Nationalistinnen, die Botschaft gewissermaßen verlagert hat. Hin zu einem mehr oder weniger bewusst wahrgenommenen Botschaft „Wir und die Anderen“. Anbei der Originaltext von Basu: „Its defining themes and mythologies have been rendered spectral and auratic, no longer dependent on theological justification, literary elaboration, or historical apologies. This ecology comes with media protocols, ritual values, spectacle, and perception management; it involves instant, informational transfers between the past and the present, between science and dogma, and between the home and the world.“ Basu, Hindutva as Political Monotheism, S.8

565 An dieser Stelle sei nochmals in Erinnerung gerufen, was säkular im indischen Kontext bedeutete: Nämlich die Gleichbehandlung aller Religionen.

566 Juergensmeyer, Die Globalisierung religiöser Gewalt, S.179

567 Ebd.

568 Ebd.

569 Warum Wiederbelebung? Weil, wie im vorigen Kapitel ausführlich dargestellt, auch Gandhi im Zuge seines Freiheitskampfes religiöse Vorstellungen wie die der Gewaltfreiheit in seinem politischen Einsatz hineintrug.

570 Juergensmeyer, Die Globalisierung religiöser Gewalt, S.179

571 Müller, Indien, S.103

572 Malinar, Hinduismus, S.125

100 Bezüglich neuer Medien und ihren Einfluss auf die Menschen allgemein (und nicht nur auf die Hindu-Nationalisten und Hindu-Nationalistinnen) soll auch ein Blick auf die Callcenter geworfen werden. Callcenter fungieren unter anderem als Help-Line für diverse Probleme oder Anfragen der Anrufer und Anruferinnen. Im Fokus soll hier die Hindu-Helpline stehen, welche 2011 von Pravin Togadia, einem politischen Weggefährten Modis, gegründet wurde. Nach einer Aussage der Organisation gab es einen Anrufer, der behauptete, gesehen zu haben, wie eine Kuh in eine muslimische Religionsschule (Madrasa) getrieben wurde.573 Die Mitarbeiter des Callcenters mutmaßten, dass die Tiere dort bestimmt geschlachtet werden würden.574 Nach der eben zitierten Quelle hätte einer der Mitarbeiter behauptet, dass die Religionsschulen

„Brutstätte des Terrors“ seien und diese durch den Verkauf des Fleisches finanziert worden wären.575 Gegen Togadia, dem Gründer jener Hindu-Helpline, sind bereits etwa zwanzig Anzeigen wegen Volksverhetzung eingegangen – mehr als gegen jeden anderen Politiker Indiens.576

Bezüglich der neuen Medien und ihrer Rolle bei der Verbreitung aller möglichen politischen Botschaften soll auch nicht vergessen werden, dass auch Indiens Premier, Narendra Modi, eine eigene Homepage hat sowie auch auf Facebook und Twitter aktiv ist.

Der Zusammenhang und die Wechselbeziehung von Hindutva und Neuen Medien ist nicht nur ein indisches, sondern ein globales Phänomen. Auch in Teilen der indischen Diaspora in den Vereinigten Staaten ist hindu-nationalistisches Denken verbreitet.577 Hindu-nationalistische Organisationen, die in Indien tätig sind, wurden sogar von manchen Menschen und Organisationen aus der indischen Diaspora gefördert und unterstützt.578 Das Internet spielt auch hier eine wichtige Rolle, denn es liefert zeit-und ortsunabhängige Informationen über religiöse Texte und deren Auslegung.579 Dadurch wird auch hindu-nationalistisches Gedankengut sehr leicht verfügbar und eine vornehmlich orientierungs- und identitätslose Generation nimmt jenes

573 Matthay, Sabina: Hindu-Fundis setzen Muslime unter Druck, in:

http://www.welt.de/politik/ausland/article132633070/Hindu-Fundis-setzen-Muslime-unter-Druck.html (aufgerufen am 11.02.2021)

574 Ebd.

575 Ebd.

576 Ebd.

577 Gottschlich, Pierre: Die indische Diaspora in den USA und ihre Rolle im Religionskonflikt in Indien, in: Kursawe, Janet (Hg.): Konfliktfaktor Religion?: Die Rolle von Religionen in den Konflikten Südasiens, Nomos Baden-Baden:

2013. S.53

578 Ebd.

579 Gottschlich, Die indische Diaspora in den USA und ihre Rolle im Religionskonflikt in Indien, S.58

101 Gedankengut unhinterfragt wahr.580 Gottschlich schreibt auch, dass viele Websites, die Hindutva-Ideologie verbreiten, in den USA erstellt werden.581

Conclusio

Aufgrund der Verfügbarkeit technischer Medien in immer breiteren Bevölkerungsschichten wird auch hindu-nationalistisches Gedankengut in bis dato entlegene Regionen gebracht. Dies ist ein Aspekt, den die technische Entwicklung mit sich bringt. Im Zusammenhang mit Hindutva und der damit zusammenhängenden Haltung gegenüber der muslimischen Minderheit und dem Islam sind aber auch folgende zwei Entwicklungen zu nennen: die der Homogenisierung und die der Nationalisierung von Traditionen, Geschichten und Epen. Lokale Traditionen und Erzählmuster verlieren ihre Bedeutung. Eine Neuinterpretation von Werten und Botschaften, welche die Epen erzählen, ist im Phänomen der Nationalisierung der Fall. Damit bekommen die Epen eine inklusive und eine exklusive Botschaft: Wir, die Hindus, und die

„Anderen“, dazu zählen auch indische Christen und Christinnen sowie indische Muslime und Musliminnen.

Im nächsten Kapitel geht es um den Ayodhya-Konflikt und um die Pogrome in Gujarat. Beide

„Ereignisse“ und die Folgen dieser belasten das Verhältnis zwischen beiden Religionsgemeinschaften schwer. Auch heute noch tragen die in diesem Zusammenhang nicht aus der Welt geschafften Gerüchte dazu bei, dass Vorurteile der muslimischen Bevölkerung gegenüber zugenommen haben.

580 Ebd.

581 Gottschlich, Die indische Diaspora in den USA und ihre Rolle im Religionskonflikt in Indien, S.53

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