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Die Rolle von Geschlecht in den Bildungsplänen für den Elementarbereich

A. Theorie- und empiriebasierte Annäherungen an den Forschungsgegenstand Geschlecht

II. Geschlecht im Feld der frühen Kindheit

2. Die Rolle von Geschlecht in den Bildungsplänen für den Elementarbereich

Derzeit lässt sich in der Frühpädagogik im Zusammenhang mit Geschlecht keine differenzierte wissenschaftliche Theoriediskussion nachzeichnen. Das heißt jedoch nicht, dass Geschlecht kein Gegenstand ist, der nicht auch früh-pädagogisch diskutiert wird. Wie ich im Folgenden exemplarisch anhand der Bildungspläne69 für den Elementarbereich70 aufzeigen möchte, wird

Ge-69 Wenn im Folgenden von Bildungsplänen die Rede ist, so sind damit trotz der unterschiedli-chen Begrifflichkeiten alle Bildungs- Orientierungs- und Rahmenpläne der Länder für den Elementarbereich gemeint. So schreibe ich zunächst bei der Erstnennung den jeweiligen Originaltitel, im weiteren Verlauf verwende ich jedoch dann die allgemeine Bezeichnung Bildungsplan. Auch im Plural verwende ich im Folgenden die vereinheitlichende Bezeich-nung Bildungspläne. Dies dient in erster Linie der Lesbarkeit, da es sich häufig um sehr umständliche, lange Titel handelt, die nur schwer abzukürzen sind. Hier sei ergänzend er-wähnt, dass sich schon in der Varianz der Begrifflichkeiten und Titel Unterschiede ab-zeichnen, die sich auch inhaltlich zeigen, nicht nur für das Thema Geschlecht.

70 Ich spreche hier dezidiert vom Elementarbereich. Dieser ist laut Klinkhardt Lexikon Erzie-hungswissenschaft „die unterste Stufe des Bildungswesens; er umfasst alle öffentlichen und privaten Einrichtungen der außerfamiliären Erziehung und Bildung für Kinder bis zu ihrer Einschulung in die Grundschule“ (Reuter 2012, S. 299). Zwar gibt es auch Bildungspläne, die das Grundschulalter umfassen, da es sich bei den Bildungsplänen jedoch nicht um

schlecht im Themenfeld Kindertageseinrichtungen derzeit vor allem vor der Folie von Geschlechtergerechtigkeit erörtert. Das wundert insofern nicht, als seit der verbindlichen Einführung des Gender Mainstreaming die Kinder- und Jugendhilfe dazu aufgefordert ist, ihre Angebote und Arbeitsmethoden dahingehend zu überprüfen, ob diese die Chancengleichheit der Geschlechter fördern. Das betrifft unter anderem die Arbeit und den Umgang der frühpä-dagogischen Fachkräfte mit den Kindern in Kindertageseinrichtungen. So gilt es laut Paragraph 9, Abschnitt 3 des KJHG „die unterschiedlichen Lebensla-gen von Mädchen und JunLebensla-gen zu berücksichtiLebensla-gen, BenachteiligunLebensla-gen abzu-bauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern.“71 Hintergrund dieser Forderungen ist die Hypothese, dass der Kategorie Ge-schlecht eine den pädagogischen Alltag bestimmende Bedeutung bzw. zu-mindest ein wesentliches Strukturierungsmoment zukommt. Inwiefern dies tatsächlich zutrifft, ist bis jetzt jedoch nicht ausreichend erforscht worden.

Wie eine entsprechende pädagogische Berücksichtigung im Alltag von Kin-dertageseinrichtungen bildungspolitisch gedacht und auf welche Art und Weise in diesem Zusammenhang Geschlecht frühpädagogisch zum Thema wird, lässt sich sehr anschaulich an den Bildungsplänen für den Elementarbe-reich aufzeigen. Diskowski (2012) versteht Bildungspläne72 „als Sammelbe-griff für normative Setzungen zur fachlichen Bestimmung der Kindertages-betreuung in Deutschland“ (ebd., S. 174) und spricht hierbei von einem

„Steuerungsinstrument“73 der Kinder- und Jugendhilfe (ebd., S. 175). Hoff-mann (2010a) konstatiert hingegen, dass nicht deutlich sei, ob Bildungspläne

„eine Steuerfunktion haben oder eher handlungsleitend sein sollen“ (ebd., S. 117).74 Ungeachtet dessen bieten die Bildungspläne allerdings eine gute Möglichkeit, nachzuzeichnen, wie Geschlecht für das Handlungsfeld

Kin-schulische Curricula o. ä. handelt, sondern diese primär für Einrichtungen der frühen Kind-heit konzipiert sind, greife ich auf oben genannte Begrifflichkeit zurück.

71 Hier offenbart sich auf Ebene des KJHG bereits das, was ich auch am Beispiel der Thema-tisierungen in den Bildungsplänen aufzeigen werde, nämlich eine Perspektive auf Ge-schlechterdifferenz und Unterschiede zwischen den Geschlechtern als Ausgangsannahme, wenn es um die Berücksichtigung von Geschlecht in frühpädagogischen Institutionen geht.

72 Im Hinblick auf diese Begrifflichkeit problematisiert Diskowski (2008) den „Umgang mit dem Bildungsbegriff [als] etwa [zu] leichtfertig; zu fragen wäre, ob es sich – in Anlehnung an Laewen und Andres (2002) – nicht eher um ,Erziehungspläne‘ als um ,Bildungspläne‘

handelt. Dies wäre jedenfalls so, wenn man ,Bildung‘ als die Tätigkeit der Kinder betrach-tet und ,Erziehung‘ als die beantwortende und herausfordernde Aktivität der Erwachsenen“

(ebd., S. 48) Letztlich vernachlässigt allerdings auch Diskowski diese Problematik bei sei-ner Begriffswahl. Da Bildungspläne mittlerweile zu einem gängigen Oberbegriff geworden ist, greife auch ich trotz der genannten Kritik im Folgenden hierauf zurück.

73 Diskowski (2008) spricht in diesem Zusammenhang von einem „Steuerungsdefizit in der Kindertagesbetreuung, der ihre Herkunft aus der Fürsorge bis heute anhaftet“ (ebd. S. 47, vgl. Auch S. 48 ff.).

74 So verweist Hoffmann (2010b) u. a. auf diverse Unterschiede hinsichtlich Verbindlichkeit und Regelungsgrad.

dertageseinrichtungen in den Bundesländern verhandelt wird. Zu diesem Zweck wurden im Rahmen dieser Dissertation die Bildungspläne der Länder untersucht, ohne den Anspruch erheben zu wollen, eine methodisch kontrol-lierte Diskursanalyse zu Geschlecht vollzogen zu haben. Des Weiteren geht es hier auch nicht darum, einen vollständigen Überblick über jegliche The-matisierung von Geschlecht in den einzelnen Bildungsplänen zu geben.

Vielmehr soll ein Eindruck davon vermittelt werden, in welchen Kontexten und wie Geschlecht im Hinblick auf die Berücksichtigung in elementarpäda-gogischen Institutionen überwiegend verhandelt und mit welchen normativen Vorstellungen Geschlecht dabei verknüpft wird. Im Folgenden werden daher exemplarisch besonders prägnante Zitatbeispiele herangezogen, um aufzuzei-gen, welche unterschiedlichen Relevanzsetzungen zu Geschlecht in den Bil-dungsplänen vertreten werden.

Unterschiedliche begriffliche und inhaltliche Ausdifferenzierungen zu Geschlecht

Vergleicht man die Thematisierung von Geschlecht in den Bildungsplänen, so fällt auf, dass dieser Kategorie sowohl rein quantitativ als auch inhaltlich eine unterschiedliche Gewichtung verliehen wird (vgl. auch Rohrmann 2009). Niesel (2008) und Kuger et al. (2011) konstatieren hierbei eine Vari-anz der Thematisierung zwischen einer „deutlichen Akzentuierung“ (bspw.

für Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg) im Gegensatz zu einem „Fei-genblattverdacht“ (Kuger et al. 2011, S. 270, vgl. auch Rohrmann 2009), wie beispielsweise im Saarländischen Bildungsplan. Trotz deutlicher Unter-schiede in Umfang und inhaltlicher Gewichtung, wird Geschlecht jedoch in nahezu allen Bildungsplänen für den Elementarbereich zumindest themati-siert. Dies verwundert nicht, da es den Vorgaben des Gemeinsamen Rahmens der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen entspricht (vgl.

JMK/KMK 2004). Dort heißt es, dass es „für eine ganzheitliche Förderung Aspekte zu beachten [gilt], die für alle Inhalte gleichermaßen von Bedeutung sind und den Charakter von Querschnittsaufgaben haben“ (ebd., S. 4). Zu diesen sechs Querschnittsaufgaben zählt u. a. auch eine „geschlechtsbewusste pädagogische Arbeit“ (ebd.). Entsprechend dazu ist in sechs Bildungsplänen (Bayern, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-An-halt) die Geschlechterthematik ausdrücklich auch als Querschnittsaufgabe der pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen benannt.

Da die Bildungspläne in den letzten Jahren zum Teil mehrfach überar-beitet wurden, zeigt sich anhand der Ergänzungen, dass der Thematik Ge-schlecht offenbar eine immer stärkere Berücksichtigung zuteilwird. Am deutlichsten wird dies am Beispiel des Bildungsplans des Landes Baden-Württemberg mit dem Titel „Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in baden-württembergischen Kindergärten und weiteren Kindertageseinrichtun-gen“ in der Aktualisierung von 2011; dort steht im Vorwort:

„Der weiterentwickelte Orientierungsplan wurde insbesondere im Kapi-tel ,Festlegungen und Freiräume‘ angepasst und es wurden Passagen auf-genommen, die von fachlicher Seite in der Zwischenzeit gewünscht wur-den: Geschlechtersensible Erziehung und Bildung (Stärkung des Gender-Aspekts) […]“ (ebd., S. 1).

Bei den Thematisierungen in den Bildungsplänen ist auffällig, dass Ge-schlecht jeweils mit Begrifflichkeiten wie geGe-schlechtersensibel (vgl. Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Sachsen), genderbewusst (vgl. Niedersachsen, Schleswig-Holstein), geschlechterbe-wusst (vgl. Sachsen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen) oder genderorientiert (vgl. Schleswig-Holstein) einhergeht, ohne dass deutlich wird, ob die Be-griffe synonym verwendet werden oder mit unterschiedlichen Vorstellungen von Geschlecht verknüpft sind. Der Rekurs auf mehrere Begriffe, wie zum Beispiel in den Bildungsplänen von Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein, verweist auf einen eher synonymen Gebrauch. Die Unterscheidung zwischen gender und Geschlecht in anderen Bildungsplänen scheint jedoch inhaltlich begründet. Allerdings wird in den meisten Bildungsplänen nicht hergeleitet, was mit den verwendeten Begrifflichkeiten verbunden ist und wie sie sich von anderen unterscheiden. An dieser Stelle kann Knapps (2001) Hinweis im Kontext der Geschlechterforschung geltend gemacht werden, dass im Hinblick auf die Verwendung der Kategorie Geschlecht zu allererst zu klären wäre, was mit dieser inhaltlich verbunden wird. Eine solche inhalt-liche Konturierung der Kategorie Geschlecht scheint eine wesentinhalt-liche Vo-raussetzung für einen Aufschluss darüber, was mit Vorstellungen von ge-schlechtersensibel, gendersensibel, genderbewusst oder geschlechterbewusst verknüpft wird. Dies wäre meines Erachtens zudem eine Voraussetzung da-für, um die damit verbundenen Anforderungen einordnen zu können (vgl.

Abschnitt A.II.3.). Lediglich im Bayerischen, im Thüringer und im Berliner Bildungsplan lassen sich theoretische Bezüge anhand einzelner Formulierun-gen nachzeichnen – wenngleich diese häufig nur indirekt abzulesen sind und dabei eine Vorkenntnis von Theorien der Geschlechterforschung vorausset-zen. So wird im Abschnitt zu den Leitgedanken des Bayerischen „Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung“75 (2012) unter dem Unterpunkt „Mädchen und Jungen – geschlechtersensible Erziehung“ (S. 121 ff.) kurz aufgeführt, welche Vorstellungen von Geschlecht im Bildungsplan zugrunde gelegt werden:

„Die Entscheidung, ob ein Kind ein Mädchen oder ein Junge wird, wird von der Natur gefällt. Was es bedeutet, männlich oder weiblich zu sein,

75 Im Folgenden mache ich eine Ausnahme und spreche vom Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan, da sich diese Kurzform in frühpädagogischen Diskussionen als feststehen-der Begriff etabliert hat.

ist hingegen weitgehend beeinflusst von der jeweiligen Kultur und Ge-sellschaft, in der ein Kind aufwächst und den damit verbundenen ge-schlechterspezifischen Erfahrungen. Während die Natur vorgibt, welches biologische Geschlecht einem Menschen zugeordnet werden kann, ent-wickelt das Kind durch die Interaktion mit anderen eine soziale Ge-schlechtsidentität.“ (ebd., S. 121).

Hier wird erkennbar, dass der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan einer Einteilung in sex („biologisches Geschlecht“) und gender („soziales Geschlecht“) folgt, es wird also dezidiert zwischen biologischem und sozia-lem Geschlecht unterschieden. Auch dem aktualisierten Berliner Bildungs-plan mit dem Titel „Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertages-pflege“ (2014) liegt offenbar eine solche Vorstellung von Geschlecht zu-grunde:

„Kinder wachsen als Mädchen oder Junge auf. Sie alle sind Kinder und sie unterscheiden sich in ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Was ein Mäd-chen ist, was ein Junge ist, wird biologisch und sozial-kulturell unter-schieden“ (ebd., S. 20).

Im weiteren Verlauf des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans (2012) zielen die Ausführungen vor allem auf das soziale Geschlecht ab. In diesem Zusammenhang wird die Kindertageseinrichtung beispielsweise als ein neben der Familie wesentlicher Einflussfaktor auf die Ausbildung der sozialen Ge-schlechtsidentität dargestellt:

„Für die Entwicklung der Geschlechtsidentität sind die Jahre in der Kin-dertageseinrichtung von besonderer Bedeutung. Kinder setzen sich inten-siv damit auseinander, was es ausmacht, ein Junge oder ein Mädchen zu sein und welche Rolle sie als Mädchen bzw. Jungen einnehmen können.

Sie sind nicht nur Empfänger der gesellschaftlichen Botschaften, wie sie z. B. durch Medien (etwa Bücher, Zeitschriften, Comics, Fernsehen, Filme, Computerspiele) vermittelt werden, sondern sie sind auch aktive Gestalter ihrer Geschlechtsidentität, indem sie aus den Angeboten ihres Umfeldes auswählen und sich im Spektrum der Möglichkeiten, männlich oder weiblich zu sein, positionieren. Dafür sind die Erfahrungen ent-scheidend, die Kinder in der Familie und in der Kindertageseinrichtung selber machen können“ (ebd., S. 121 f.).

Hier zeigt sich eine weitere Tendenz in den Bildungsplänen: Häufig ist die Rede von der Institution Kindertageseinrichtung, diese Formulierung dient jedoch scheinbar als Code bzw. begrifflicher Stellvertreter für das Miteinan-der Miteinan-der KinMiteinan-der und Fachkräfte im institutionellen Kontext. So wird zwar häufig die Institution aufgeführt, in der Regel ist damit jedoch die Gemein-schaft der AkteurInnen gemeint. Das heißt, es wird offenbar die Vorstellung vertreten, die Kindertageseinrichtung bilde den Ort der institutionell

ge-rahmten Begegnungen, in denen in Interaktionen geschlechtliche Erfahrun-gen gemacht werden. Im Sächsischen Bildungsplan, dem „Leitfaden für pä-dagogische Fachkräfte in Krippen, Kindergärten und Horten sowie für Kin-dertagespflege“ (2011), heißt es beispielsweise im Hinblick auf die zuvor konstatierte Querschnittsdimension hierzu:

„Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen sind Orte, die bestehende Geschlechterverhältnisse sowohl reproduzieren als auch mit-gestalten. Aus diesen Gründen ist es wesentlich, sowohl sensibel mit Unterschiedlichkeiten, – zum Beispiel in Bezug auf Herkunft oder Ge-schlecht – umzugehen, als auch die Stärken der Mädchen und Jungen wahrzunehmen, um gerechte Bildungschancen für alle bieten und umset-zen zu können“ (ebd., S. 12).

Unterschiede zwischen den Geschlechtern als Ausgangsfolie bzw. kon-statierter Normalfall

Interessant ist darüber hinaus an obigem Zitat, dass Geschlecht im Sinne von Unterschiedlichkeiten und Stärken auf Ebene einzelner Geschlechter aufge-griffen wird, d.h. hier offenbar Differenzen zwischen den Geschlechtern als gegeben vorausgesetzt werden. An späterer Stelle des Sächsischen Bildungs-plans heißt es, es sei wichtig, „dass Mädchen und Jungen soziale Gestal-tungsspielräume zur Verfügung stehen, die ihnen eine aktive Auseinanderset-zung mit ihrer eigenen Geschlechtlichkeit ermöglichen und zulassen“ (ebd., S. 17). Auch hier wird wiederum erkennbar, dass Differenzen zwischen den Kindern konstatiert werden, die es fachlich anzuerkennen gilt. So wird folg-lich sowohl eine Differenzperspektive auf Geschlechtfolg-lichkeit als auch eine positive Markierung von geschlechtlichen Unterschieden offensichtlich.

Diese Tendenzen werden auch im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan (2012) erkennbar, wenn elf „Bildungs- und Erziehungsziele“ für die Kinder aufgeführt werden, die u. a. wie folgt lauten: „Das andere Geschlecht als gleichwertig und gleichberechtigt anerkennen“, „Unterschiede zum anderen Geschlecht wahrnehmen und wertschätzen“ oder „Die eigenen geschlechts-stereotypen Erwartungen an sich und andere kritisch hinterfragen“ (ebd., S. 122). Hier wird der normative Auftrag an die Kindertageseinrichtung deut-lich und welche Ziele im Hinblick auf die Geschlechtdeut-lichkeit von Kindern verfolgt werden sollen. Des Weiteren wird gerade durch die zwei erstge-nannten Zielformulierungen ersichtlich, dass Unterschiede zwischen den Geschlechtern offenbar als Normalfall vorausgesetzt und zum Ausgangs-punkt der pädagogischen Einflussnahme werden. Indem im Kontext ge-schlechtlicher Unterschiede auf die Wörter „anerkennen“ und „wertschätzen“

rekurriert wird, zeigt sich eine eindeutige positive Markierung von differenti-eller Geschlechtlichkeit in Form von typischen Anerkennungssemantiken.

Tatsachenbehauptungen und Realisierbarkeit von Geschlechterge-rechtigkeit: Ist-Zustand versus Soll-Zustand

Des Weiteren findet sich in einigen Bildungsplänen die Tendenz, Formulie-rungen zu wählen, die eine bereits erfolgte fachliche Berücksichtigung von Geschlecht suggerieren bzw. als selbstverständlich darstellen. Beispielsweise wird in den „Bildungs- und Erziehungsempfehlungen für Kindertagesein-richtungen in Rheinland-Pfalz“ (2014) die „Geschlechtssensible Pädagogik“

auch als eine Querschnittsaufgabe formuliert und als „in der gesamten päda-gogischen Arbeit mitgedacht“ bezeichnet (ebd., S. 19). Im Niedersächsischen

„Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich nieder-sächsischer Tageseinrichtungen für Kinder“ (2005) wird Geschlecht ebenfalls als eine Querschnittsdimension proklamiert und mit dem Begriff „Genderbe-wusstsein“ verknüpft. Zum Thema Geschlecht heißt es dort: „Jedes Kind erfährt auch in der Kindergruppe, dass Jungen und Mädchen alle Erfahrungs-felder in gleicher Weise offen stehen und dass eingrenzende Geschlechtsrol-lenmuster überwunden werden können“ (ebd., S. 36). Analog zu den Ausfüh-rungen im Sächsischen Bildungsplan wird im Niedersächsischen Bildungs-plan somit ebenfalls von Unterschieden ausgegangen, die es anzuerkennen und zu berücksichtigen gilt. Während im Sächsischen Bildungsplan aller-dings davon gesprochen wird, dass ein sensibler Umgang mit Geschlecht im Alltag angestrebt wird, da Geschlechterverhältnisse in frühpädagogischen Institutionen sowohl reproduziert als auch vermittelt werden (vgl. ebd., S. 12), entsprechen die genannten Formulierungen in den Bildungsplänen von Rheinland Pfalz und Niedersachsen hingegen einer bereits erfolgten Realisie-rung dieser Bestrebungen im Sinne eines Ist-Zustandes. Dieser Eindruck mag auf unterschiedlichen Formulierungspräferenzen der jeweiligen AutorInnen beruhen, kann jedoch auch so gedeutet werden, dass die genannten Ansprü-che im NiedersächsisAnsprü-chen und Rheinland-PfälzisAnsprü-chen Bildungsplan als po-tenziell einfach realisierbar dargestellt werden. Ähnliche Forderungen zur Berücksichtigung von Geschlecht im Sächsischen Bildungsplan werden hin-gegen eher vage und vorläufiger als Zielformulierung – d.h. als Soll-Zustand – gestaltet, die noch nichts über die Realisierbarkeit aussagt.

Geschlecht als eine Differenzlinie unter vielen

Auch in den Bildungsplänen lässt sich die gleiche Tendenz ablesen, die be-reits in den theoretischen Ausführungen zur Geschlechterforschung (vgl. Ab-schnitt A.I.) sowie für die Forschungsbemühungen im Feld der Frühpädago-gik (vgl. A.II.1.) aufgezeigt wurde, nämlich dass Geschlecht in den letzten Jahren häufig mit anderen Differenzlinien zusammen in den Blick genommen wird. Im Bildungsplan des Landes Berlin (2014) erfolgt beispielsweise eine Subsumption von Geschlecht unter das Oberthema „Gleichheit und Unter-schiede“ (vgl. ebd., S. 20 ff.). Im Bildungsplan von Baden-Württemberg (2011) erfolgt die Thematisierung im Kontext des Oberpunktes

„Anerken-nung von Verschiedenheit“ und wird gemeinsam mit „ethnische[n], kultu-relle[n] und religiöse[n] Unterschiede[n]“ und weiteren Differenzlinien wie bspw. Alter genannt:

„Dies76 bezieht sich auf das jeweils andere Geschlecht und auf ethnische, kulturelle und religiöse Unterschiede, auf Alter, Krankheit und Behinde-rung“77 (ebd., S. 7, vgl. auch S. 46).

Gerade der Rekurs auf das Thema „Anerkennung von Verschiedenheit“ mar-kiert hier erneut deutlich sowohl eine Differenzperspektive auf Geschlecht als auch eine positive Konnotation der Bedeutung von Differenzen. Die Wahl der genannten Differenzlinien orientiert sich offenbar am Deutschen Grund-gesetz, dessen entsprechender Artikel im Baden-Württembergischen Bil-dungsplan unter der Überschrift „Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Gemein-samkeit“ zitiert wird:

„Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, sei-ner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevor-zugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ (Grundgesetz Artikel 3, Absatz 3, zit. n. Bildungsplan BW 2011, S. 14, Herv. i. O.)

Im weiteren Verlauf des Bildungsplans wird auf die Bedeutung von diversen Differenzlinien für die Entwicklung und das Leben von Kindern hingewie-sen: „Geschlechtsrollen-, religions-, kultur- oder milieuspezifische Orien-tierungen prägen die kindliche Lebens- und Lernumgebung“ (ebd.).

Unter dem Punkt „Mädchen und Jungen“ wird die Geschlechterthematik und ihre Bedeutung für die Kinder dann speziell ausgeführt:

„Mit einem Jahr ungefähr unterscheiden Jungen und Mädchen Personen nach dem Geschlecht, nach spätestens zwei Jahren ordnen sie sich selbst mit großer Sicherheit dem ,richtigen‘ Geschlecht zu. Beim Spielen sind Jungen und Mädchen bestrebt, so zu tun, als beherrschten sie bereits die Rollen, um die sie noch ringen. Sowohl Jungen wie Mädchen stellen sich besonders typisch dar, wie um herauszufinden, wie es ist, ein ,richtiger‘

Junge oder ein ,richtiges‘ Mädchen zu sein“ (ebd., S. 14, Herv. i. O.).

Auch hier zieht sich die Differenzperspektive in Form einer durchgängigen Verwendung der Begriffe „Mädchen“ und „Jungen“ durch, indem die rein begriffliche geschlechtliche Unterscheidung mit inhaltlichen Unterschieden verknüpft wird. Im Kontext der Thematik „Geschlechtssensibilität“ wird

76 „Dies“ verweist hier ganz allgemein auf die Anerkennung von Verschiedenheit.

77 Interessant ist hier die Formulierung das andere Geschlecht im Kontext der Anerkennungs-thematik.

beispielsweise die Vorannahme geäußert, dass Jungen und Mädchen anders auf männliche und weibliche Fachkräfte reagieren:

„Mädchen und Jungen reagieren durchaus unterschiedlich auf weibliche und männliche Erziehungspersonen. Eine geschlechtersensible Erziehung und Bildung geht darauf bewusst ein“ (ebd., S. 17).

In beiden Zitaten zeigt sich folglich, dass Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen bereits zum Ausgangspunkt für eine geschlechtersensible Erzie-hung genommen werden, auf die es fachlich zu reagieren gilt.78 Demgemäß wird eine Vorstellung von Geschlecht transportiert, die im Sinne einer Diffe-renzperspektive (vgl. Abschnitt A.I.1.1.) Unterschiede zwischen den Ge-schlechtern als der institutionellen Bildung, Erziehung und Betreuung vor-gängig konstatiert. Ob das Ziel der genannten „geschlechtersensiblen Erzie-hung“ dann entgegen den gesetzten Vorannahmen von Differenz in der Her-stellung von Gleichheit oder aber in der uneingeschränkten Berücksichtigung der jeweiligen Unterschiede liegt, wird nicht deutlich. Wenngleich der Bil-dungs- und Erziehungsplan des Landes Bayern (2012), der derzeit in der fünften, erweiterten Auflage vorliegt, Geschlecht zwar in einem eigenen Unterpunkt „Mädchen und Jungen – geschlechtersensible Erziehung“

(S. 121 ff.) thematisiert, fällt der Abschnitt hier ebenfalls unter die Oberthe-matik Differenzen im Kontext des Kapitels „Umgang mit individuellen Un-terschieden und soziokultureller Vielfalt“ (S. 117 ff.). Dieses Kapitel ist wie-derum unter der Oberthematik „Themenübergreifende Bildungs- und Erzie-hungsperspektiven“ subsumiert (S. 84 ff.). Dabei ist unter anderem die Rede davon, dass „Unterschiede zwischen den Kindern, z. B. in Geschlecht,

(S. 121 ff.) thematisiert, fällt der Abschnitt hier ebenfalls unter die Oberthe-matik Differenzen im Kontext des Kapitels „Umgang mit individuellen Un-terschieden und soziokultureller Vielfalt“ (S. 117 ff.). Dieses Kapitel ist wie-derum unter der Oberthematik „Themenübergreifende Bildungs- und Erzie-hungsperspektiven“ subsumiert (S. 84 ff.). Dabei ist unter anderem die Rede davon, dass „Unterschiede zwischen den Kindern, z. B. in Geschlecht,