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Forschungen zu Geschlecht im frühpädagogischen Kontext 55

A. Theorie- und empiriebasierte Annäherungen an den Forschungsgegenstand Geschlecht

II. Geschlecht im Feld der frühen Kindheit

1. Forschungen zu Geschlecht im frühpädagogischen Kontext 55

Auf gesellschafts- und bildungspolitischer Ebene gibt es in Deutschland – wenn auch nicht speziell und eigens für das Feld der Frühpädagogik – seit längerem Diskussionen zur Thematik Geschlecht, in denen es in der Regel im weitesten Sinne stets um die Verbesserung von Geschlechtergerechtigkeit geht. In den 1970er und 1980er Jahren beherrschte beispielsweise das The-menfeld der institutionen- und altersübergreifenden Benachteiligung von Mädchen die öffentlichen Diskussionen, was sich u. a. im sechsten Kinder- und Jugendbericht „Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland“ aus dem Jahre 1984 niederschlug. In der deut-schen Frühpädagogik stehen mittlerweile u. a. Fragen nach der Benachteili-gung von Jungen (vgl. Rohrmann/Thoma 1998) sowie derzeit prominent diverse Veröffentlichungen und Initiativen zu (mehr) Männern in Kinderta-geseinrichtungen (vgl. Rohrmann 2001; Rohrmann 2009; Cremers/Krabel 2011; Cremers et al. 2012) im Fokus der Geschlechterdiskussionen. Im Ge-gensatz zur verstärkten gesellschaftspolitischen Thematisierung der Gleich-stellung der Geschlechter im Zuge des Gender Mainstreaming, nimmt die wissenschaftlich-empirische Auseinandersetzung zur Thematik Geschlecht

55 In diesem Abschnitt greife ich zum Teil auf Inhalte bzw. Textpassagen zum Forschungs-stand zu Geschlecht im Feld der frühen Kindheit zurück, die ich bereits in Kubandt (2015) aufbereitet und hier um weitere, umfassendere Ausführungen ergänzt habe.

im Feld der frühen Kindheit nur langsam zu (vgl. Rohrmann 2009, Kuger et al. 2011). Rabe-Kleberg (2003) konstatierte schon vor mehr als zehn Jahren, dass der diesbezügliche Forschungsstand „insgesamt defizitär“ sei (ebd., S. 91). Seitdem hat sich an dieser Situation nicht viel verändert. Im deutsch-sprachigen Feld gilt nach wie vor, dass „speziell im frühpädagogischen Be-reich […] die empirische Befundlage […] lückenhaft und gesicherte Er-kenntnisse“ rar sind (Kuger et al. 2011, S. 269). Ziel der folgenden Ausfüh-rungen ist es nun, einen Überblick über einschlägige Studien zu geben und Forschungstendenzen in der empirischen Forschung zu Geschlecht im Feld der frühen Kindheit sowohl im deutschsprachigen Raum als auch internatio-nal nachzuzeichnen. Es kann hier nicht darum gehen, jede einzelne Studie aufzuführen, die Geschlecht in irgendeiner Form (mit)thematisiert. Ziel die-ses Abschnitts ist es vielmehr, einen Einblick zu gewähren, unter welchen empirischen Fragestellungen, d.h. wie das Thema Geschlecht im Feld der frühen Kindheit gehäuft wissenschaftlich fokussiert wird und welche Deside-rate aufzuzeigen sind.

Einschlägige internationale frühpädagogische Studien zu Geschlecht Während in frühpädagogischen Kontexten verortete Forschungsarbeiten zu Geschlecht in Deutschland in den letzten Jahren erst langsam zunehmen, gibt es gerade im englischsprachigen Raum seit Jahrzehnten zahlreiche Studien.

Hierzu zählt beispielsweise die Längsschnittstudie von Turner (1991), die anhand von 40 Kindern (22 Mädchen und 18 Jungen) über mehrere Jahre hinweg „Relations between Attachment, Gender, and Behavior with Peers in Preschool“ (ebd., S. 1475) fokussierte, d.h. die Bedeutung von Geschlecht für das Verhalten und die Verbundenheit unter Kindern in einer Vorschule unter-suchte. Eine weitere, vielzitierte56 und vielfach übersetzte internationale Stu-die ist Stu-die Untersuchung von Davies (1989) mit dem Titel „Frogs and snails and feminist tales: preschool children and gender“. In dieser australischen Studie beobachtete und interviewte Davies Vorschulkinder57, im Zentrum

56 Wenn ich im Folgenden vielzitiert schreibe, beziehe ich mich unter anderem auf Angaben von Google Scholar im Hinblick auf die Häufigkeit, wie oft die Artikel in anderen wissen-schaftlichen Artikeln zitiert wurden. Als vielzitiert definiere ich hier Studien, die zum einen mehr als 30mal zitiert und zum anderen im frühpädagogischen Kontext immer wieder in unterschiedlichsten Quellen rezipiert wurden.

57 Wenn ich im Hinblick auf englischsprachige Studien von Vorschulkindern spreche, ist das dem Sachverhalt geschuldet, dass dies die gängige Übersetzung von preschool children ist.

Da je nach Land und Bildungssystem etwas Unterschiedliches mit dem Begriff verknüpft werden kann, darf diese Formulierung nicht automatisch im deutschen Sinne von Vor-schulkindern verstanden werden. Auch im Deutschen gibt es keine verbindliche, inhaltliche Bestimmung dieses Begriffes, so kann er für alle diejenigen Kinder stehen, die – unabhän-gig davon, ob sie bereits institutionell betreut werden oder nicht – im darauffolgenden Jahr erstbeschult werden. Darüber hinaus bezeichnet der Begriff in vielen

Kindertageseinrich-standen feministische Märchenerzählungen, die sie mit vier- bis fünfjährigen Kindern diskutierte. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl die befragten Jungen als auch die Mädchen entgegen den Bemühungen der Fachkräfte und der Eltern stets versuchten, die Märchen hinsichtlich stereotyper Geschlech-terbilder umzudeuten bzw. zum Teil in Richtung gängiger Geschlechterste-reotypen58 zu korrigieren. Davies spricht in diesem Kontext von der

„incorrigibility […] of gender“ (ebd., S. 141), also von der Unabänderlichkeit von Geschlechtlichkeit.

Die Studie von Davies ist ein Beispiel für die Tendenz englischsprachi-ger Studien speziell aus den 1970er bis 1980 Jahren, in feministischer Tradi-tion in Forschungskontexten explizit emanzipatorische Zielvorstellungen zu verfolgen. Das heißt, Intention vieler empirischer Arbeiten dieser Zeit war es, empirisch generierte Hinweise dafür zu erhalten, wie starre Geschlechterste-reotype zwischen den Kindern aufgelöst werden können und forschungsba-siert entsprechende Programme bzw. Maßnahmen zu entwickeln. Auch eine Nachfolgestudie von Davies mit ihrem japanischen Kollegen Kasama wird durch diese Intention bestimmt. So lautet eine leitende Forschungsfrage die-ser Nachfolgestudie: „How might teachers and parents work with Japanese children to ensure that they do not get caught in the traditional limitations of masculinity and femininity?“ (vgl. Davies/Kasama 2004). Die genannte Ten-denz gilt jedoch nicht, wie häufig konstatiert, nur für ältere Studien aus den besagten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts. Denn für den englischsprachi-gen Raum lassen sich auch aktuellere Studien finden, die analoge Ziele ver-folgen. Besonders prominent ist hier die Studie von Mindy Blaise (2005) mit dem Titel „Playing it Straight. Uncovering Gender Discourses in the Early Childhood Classroom“. Blaise verortet sich in feministisch-poststrukturalisti-scher Tradition, stellt Bezüge zur Queer Theory her und zeichnet in ihrer Untersuchung die heterosexuelle Matrix und hegemoniale Männlichkeit als wirksam für Institutionen der frühen Kindheit nach, die sie in Interaktionen von Fachkräften mit Kindern rekonstruiert. Ziel ihrer Veröffentlichung ist es, alternative Handlungsmodelle und Umgangsformen im Zusammenhang mit Geschlecht für Institutionen der frühen Kindheit zu etablieren (vgl. ebd.). In Anlehnung an dekonstruktivistische Ansätze geht es Blaise gesamtgesell-schaftlich langfristig sowohl um die Überwindung einer heterosexuellen Matrix als auch von hegemonialer Männlichkeit, wobei sie in der frühen

tungen – so auch in der von mir untersuchten – diejenigen Kinder, die das letzte Jahr des Kindergartens vor der Schule besuchen. Manchmal bezeichnet er jedoch auch Kinder be-reits mehrere Jahre vor deren Schuleintritt als Kollektiv.

58 In Abschnitt D werde ich u. a. diskutieren, was Begriffe wie Geschlecht und Ungleichheit im Sinne von beispielsweise Geschlechterstereotypen eigentlich bedeuten. Meine These lautet, dass je nachdem, welche Vorstellungen von Geschlecht zugrunde gelegt werden, auch je unterschiedliche Vorstellungen von dem damit einhergehen, was letztlich stereotyp bzw. als problematisch zu erachten ist.

Kindheit ansetzt. Diese feministisch-politischen Ziele prägen auch ihre neue-ren Untersuchungen und Veröffentlichungen (vgl. Blaise 2009, Blaise 2010, Blaise/Taylor 2012).

In den bisher genannten Studien wird Geschlecht folglich vor allem als potenziell ungleichheitsgenerierende Problemkategorie bzw. bereits von vornherein als negativ markiert verwendet und dabei stets im Sinne von Un-terschieden zwischen Jungen und Mädchen fokussiert. Ähnliche Vorannah-men prägen die Forschungsbemühungen der australischen Genderforscherin Glenda MacNaughton (vgl. MacNaughton 2001, 2004). MacNaughton (2004) bezieht sich auf theoretische Grundlagen von Foucault, verortet sich selbst in einem feministischen Poststrukturalismus und propagiert „die Anwendbarkeit feministisch-poststrukturalistischer Theorien für ein Überdenken des Themas ,Gender‘ in der Pädagogik der frühen Kindheit“ (ebd., S. 345).59 MacNaughton kritisiert an den für lange Zeit gängigen Studien zu Geschlecht im Feld der frühen Kindheit, dass diese Stereotype zwischen den Geschlech-tern überbetonen und viele der Studien „etliche theoretische und praktische Lücken“ (ebd., S. 346) aufweisen würden:

„Bis in die Mitte der 80er Jahre haben zahlreiche Forschungsarbeiten aus Ländern wie den USA, Großbritannien und Australien detailliert darge-stellt, dass junge Kinder in frühpädagogischen Settings geschlechterste-reotyp spielen, denken und reagieren. In den 90er Jahren bestätigten For-schungsprojekte immer wieder, dass sich junge Kinder häufig hochgradig geschlechtsstereotyp verhalten“ (ebd., S. 345).

Auch Kelle (2004a) konstatiert für Studien aus dem anglo-amerikanischen Raum, dass gerade „in den 1960er und 1970er Jahren die eigenschaftspsy-chologische Frage nach Geschlechtstypik und Unterschieden zwischen Mäd-chen und Jungen im Hinblick auf Sozialverhalten und kognitive Fähigkeiten populär“ waren (ebd., S. 360).

Eine etwas neuere vielzitierte Studie, die ebenfalls nach Unterschieden zwischen Jungen und Mädchen fragt, ist die Untersuchung von Durkin und Nugent (1998) mit dem Titel „Kindergarden children’s gender-role Expecta-tions for Television Actors“. Dabei untersuchten die Autoren die Erwartun-gen von 24 vier- und 24 fünfjähriErwartun-gen australischen Vorschulkindern (davon jeweils zwölf Mädchen und zwölf Jungen) im Hinblick auf das Geschlecht von unterschiedlichen Fernsehfiguren, die vorab nach Tätigkeiten beschrie-ben wurden. Dabei wurde von den Kindern erfragt, ob die beschriebeschrie-benen Tätigkeiten von Frauen, Männern oder beiden Geschlechtern ausgeführt würden. Es zeigte sich u. a., dass gerade bei stereotyp männlich konnotierten

59 Es handelt sich bei diesem Artikel um die deutsche Übersetzung von Renate Niesel für eine Veröffentlichung in Fthenakis W.E./Oberhuemer P. (Hg.) (2004): Frühpädagogik internati-onal: Bildungsqualität im Blickpunkt.

Tätigkeitsbeschreibungen auch bei den Kindern eine deutliche stereotype Zuschreibung nachgezeichnet werden konnte. An dieser Studie kann kritisiert werden, dass die Konfrontation der Kinder mit stereotyp markierten Tätig-keitsbeschreibungen entsprechende stereotype Zuschreibungen durch die Kinder geradezu evoziert. Eine solche Zuordnung durch die Kinder sagt also wenig darüber aus, mit welchen Tätigkeiten sie Geschlechtlichkeit von sich aus verknüpft hätten. Es kann also zumindest zur Diskussion gestellt werden, ob ein solches Vorgehen tatsächlich geeignet ist, um Erkenntnisse über ei-gene Geschlechtervorstellungen von Kindern zu ei-generieren.

Eine weitere vielbeachtete Studie ist die amerikanische Untersuchung von Neppl und Murray (1997) mit dem Titel „Social dominance and play patterns among preschoolers: Gender comparisons“. Neppl und Murray beob-achteten 48 Vorschulkinder beim Spiel, unterschieden dabei acht Mädchen-Mädchen-Zweiergruppen und sechzehn Mädchen-Jungen-Zweiergruppen.

Diese Spielgruppen wurden nach geschlechtlichen Differenzen erforscht, indem ihnen jeweils „masculine activity“ und „feminine activity“ (ebd., S. 385) angeboten, d.h. eher männlich oder weiblich konnotierte Tätigkeiten als Spielmöglichkeit offeriert wurden, mit denen sie sich frei beschäftigen konnten. Die Autorinnen kamen zu dem Ergebnis, dass geschlechtliche Un-terschiede im Spiel bestätigt werden können und die Kinder sich in denjeni-gen Spielen mehr engagieren, die ihrer Geschlechtlichkeit entsprechen. Auch diese Studie kann kritisiert werden, da Geschlechterstereotype bereits auf Ebene der Anlage von den Forscherinnen eingebracht werden, die gegebe-nenfalls von den Kindern nur reproduziert werden. Bei den vielzitierten Stu-dien im englischsprachigen Raum zeigt sich folglich auch über die 1970er Jahre hinaus, dass besonders häufig Unterschiede zwischen Jungen und Mäd-chen Gegenstand der sowohl quantitativ, qualitativ als auch an mixed-me-thods ausgerichteten Studien sind. Indem die AutorInnen jeweils gesell-schaftlich-kulturelle Aspekte der Genese von Geschlechterdifferenz betonen, fokussieren alle bisher genannten Studien zwar in der Regel auch im weites-ten Sinne auf Geschlecht als soziale Kategorie, allerdings steht dabei häufig das Thema Geschlechterdifferenz im Zentrum der Untersuchungen und nicht speziell die Prozesse der Geschlechterdifferenzierung, wie in meiner Studie.

Das heißt, den meisten Studien liegt offenbar die in konstruktivistischer Per-spektive kritisierte Vorstellung einer Unterscheidung in sex (biologisches Geschlecht) und gender (soziales Geschlecht) zugrunde (vgl. Abschnitt A.I.1.2.). Geschlechtliche Unterschiede werden demnach in diesen Studien bei der Fokussierung auf gender als sozialem Geschlecht bereits auf Basis von sex vorausgesetzt (vgl. A.I.2.1.).60

60 Demzufolge sagt ein Rekurs auf den Begriff gender noch nichts darüber aus, ob eine sozial-konstruktivistische Position oder eine andere Vorstellung von Geschlecht im Rahmen der Studien verfolgt wird, wie beispielsweise eine Differenzperspektive.

Forschungstendenzen im deutschsprachigen Raum

Die wenigen deutschsprachigen Studien der letzten Jahre legen ihren Schwerpunkt unter anderem auf die Bedeutung von Geschlechtlichkeit in Peergruppen (vgl. Brandes 2008; Rohrmann 2008), geschlechtsbezogene Wissenskonzepte von Kindergartenkindern (vgl. Kasüschke 2008) oder bei-spielsweise eine geschlechtsspezifische Körper- und Bewegungssozialisation (vgl. Hunger 2010a, 2011, 2012). Die meisten Studien in Deutschland behan-deln somit einzelne Spezialthemen zu Geschlecht, wie beispielsweise die Untersuchungen von Ina Hunger. Hungers aktuellste Studie „Geschlechtsspe-zifische Körper- und Bewegungssozialisation in der frühen Kindheit“ (2008-2014) nimmt sowohl die Gruppe der Kinder, Eltern als auch der ErzieherIn-nen in den Blick. Ziel dieser qualitativen Studie ist es, „unter der Perspektive Körper und Bewegung empirischen Aufschluss über das geschlechtsspezifi-sche Wissen, Denken und Verhalten von Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren zu erhalten“ sowie „auf[zu]decken, welches (Problem-)Bewusstsein bei Erzieher/innen und Eltern in Bezug auf geschlechtsspezifische Sozialisa-tion und Erziehung im Kontext von Körper und Bewegung vorliegt“ (Hunger 2010b, S. 151, vgl. Hunger 2011). Auch wenn Hunger nicht explizit auf fe-ministisch-politisch orientierte Sollensvorstellungen rekurriert, wird anhand der letztgenannten Fragestellung jedoch offensichtlich, dass Geschlecht zu-mindest potenziell als Problemkategorie markiert wird. Zudem fokussiert Hunger durch die Perspektive auf Geschlechtsspezifik wiederum analog zu englischsprachigen Studien auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Das Thema Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen nahm Tim Rohr-mann (2008) zum Anlass für seine Studie „Zwei Welten? – Geschlechter-trennung in der Kindheit. Forschung und Praxis im Dialog“. Die Frage nach dem „Ausmaß“ und der „Bedeutung“ von „Unterschieden zwischen den Ge-schlechtern“ (ebd., S. 31) ließ er u. a. im Rahmen von ExpertInneninterviews und diversen Gruppendiskussionen von VertreterInnen aus Wissenschaft und Praxis erörtern. Ausgehend von seinen empirischen Ergebnissen, erarbeitete Rohrmann ein Modell, „das die Tendenz zur Geschlechtertrennung als we-sentlichen Kristallisationspunkt geschlechtsbezogener Entwicklung und So-zialisation begreift“ (ebd., S. 28, S. 331 ff.). Auch die Studie von Ahnert61 et

61 An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass Ahnert disziplinär aus dem entwicklungspsy-chologischen Umfeld stammt. So ist Geschlecht seit längerem ein Forschungsgegenstand, der in psychologischen Studien fokussiert wird. Da es sich bei der vorliegenden Dissertati-onsstudie um eine erziehungswissenschaftliche Untersuchung handelt, werden psychologi-sche Studien zum großen Teil ausgespart, außer sie sind wie die Studie von Ahnert dezi-diert im Feld der Kindertageseinrichtungen bzw. in frühpädagogischen Kontexten angesie-delt. Hier könnte man analog der in der Einleitung diskutierten Frage nach einer erzie-hungswissenschaftlichen Spezifik auch fragen: Was macht eine Studie zu einer frühpäda-gogischen Studie? Im Hinblick auf den vorliegenden Forschungsstand habe ich mich dafür entschieden, alle diejenigen Studien zu berücksichtigen, die im weitestend Sinne im

früh-al. (2006) legt den Fokus bei Geschlecht auf das Thema Differenzen und Unterschiede. Ahnert et al. haben anhand einer Metaanalyse von mehreren Studien Einflussfaktoren auf die ErzieherInnen-Kind-Bindungen sowohl für Kindertageseinrichtungen als auch für die Tagespflege herausgearbeitet. Ein wesentliches Ergebnis dieser Metaanalyse war, dass Mädchen in der Regel bessere Bindungen zu den ErzieherInnen aufbauten als die Jungen. Als Ursa-che dafür wurden geschlechterstereotype Tendenzen der meist weibliUrsa-chen ErzieherInnen vermutet, denen die Mädchen eher entsprächen und es diesen daher leichter gemacht werde, stabilere Bindungen zu ihnen aufzubauen.62

Eine der wenigen deutschsprachigen Studien, die nach eigenen Angaben Geschlechterkonstruktionen im Sinne von doing gender im elementarpäda-gogischen Kontext in den Blick nimmt, ist die Untersuchung von Röhner (2007). Darin wird erforscht, wie Kinder mit Migrationshintergrund in der Peerinteraktion des Kindergartenalltags an der Konstruktion von Geschlecht beteiligt sind. In dieser Studie wurden im Rahmen einer Sekundäranalyse 40 Beobachtungsprotokolle quantitativ nach Aktivitäten von Jungen und Mäd-chen ausgezählt, die die freien Spielphasen dominieren. Des Weiteren unter-suchte Röhner die Spielpraxen von Jungen und Mädchen jeweils auf ge-schlechtsspezifische Themen, Inhalte und Interaktionsstile. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich kindliche Konstruktionsprozesse vor al-lem an Stereotypen orientieren und geschlechtergetrennte Spielwelten im frühen Kindesalter bestätigt werden: „Gleichwohl gibt es Hinweise darauf, dass starre Geschlechtergrenzen im Einzelfall in Frage gestellt und tendenzi-ell überwunden werden können“ (ebd., S. 323). Alles in allem entsteht im Hinblick auf die dargelegten Ergebnisse der Sekundäranalyse der Eindruck, dass stereotype Vorstellungen von Geschlechtlichkeit lediglich reproduziert werden, ohne dass Aussagen über das Relevanzsystem der AkteurInnen des Feldes generiert werden. Entgegen der eigenen Intention scheint somit viel-mehr auch hier das Thema Geschlechterdifferenz der AkteurInnen behandelt zu werden, statt der Doing-Gender-Prozesse des Geschlechterdifferenzierens.

So lassen sich häufig Studien finden, die disziplinär nicht in der (erziehungs-wissenschaftlichen) Geschlechterforschung verortet sind, die nach eigenen Angaben in konstruktivistischer Perspektive einem Doing-Gender-Ansatz verpflichtet sind, dabei jedoch Geschlecht partiell lediglich reifizieren63,

pädagogischen Kontext von Kindertageseinrichtungen angesiedelt sind, auch wenn sie dis-ziplinär woanders verortet sind.

62 Hier sei nur kurz erwähnt, dass auch psychologische Studien in der Regel vor allem Differenzen zwischen den Geschlechtern in den Blick nehmen.

63 Unter dem Begriff der Reifikation diskutieren bspw. Diehm et al. (2010) am Beispiel von ethnischer Differenz die Gefahr durch einen Fokus auf Differenz entsprechende Kategorien zu verstärken bzw. diese erst herzustellen. Unter Abschnitt B.II.2. wird auf diese Proble-matik ausführlicher eingegangen.

indem sie das voraussetzen, was sie eigentlich untersuchen wollen.64 Der Studie von Röhner (2007) könnte beispielsweise ein solches Vorgehen unter-stellt werden, da deren Interpretationen zum Teil den Eindruck erwecken, dass allgemeine stereotype Geschlechtervorstellungen von Jungen und Mäd-chen durch den forsMäd-chenden Blick von außen an das Datenmaterial herange-tragen und als vermeintliche Perspektive der untersuchten Kinder bestätigt werden. Es wird nicht ersichtlich, ob zumindest im Sinne einer kritischen Selbstbetrachtung der eigenen Forschungsleistungen reflektiert wird, inwie-fern Geschlechterdifferenzen lediglich durch den forschenden Blick dem Material aufoktroyiert, d.h. reifiziert werden.

In einer aktuelleren Studie von Kuger et al. (2011), die im Rahmen der Längsschnittstudie BIKS-3-8 entstanden ist, kommen die AutorInnen zu dem Ergebnis, dass sich nur wenige Unterschiede im Verhalten zwischen Jungen und Mädchen zeigen, die zudem nicht durchgängig Stereotypen entsprechen und dass diese im Laufe der Kindergartenzeit abnehmen. Weiter wird kon-statiert, dass ErzieherInnen nur sehr begrenzt geschlechtsspezifisches Ver-halten der Kinder forcieren. Ähnlich wie in der Studie von Röhner (2007) werden auch bei Kuger et al. (2011) Jungen und Mädchen auf ihre von sich aus initiierten Aktivitäten untersucht und dann verglichen, wodurch auch hier wieder sichtbar wird, dass eine Perspektive auf Unterschiede die Forschun-gen leitet.

Thorne (1990) würde an den bisher sowohl international als auch natio-nal genannten Forschungsstudien vor allem kritisieren, dass in ihnen Jungen und Mädchen als Geschlechtergruppen vergleichend gegenübergestellt wer-den. Auf diese Weise würden Kohärenzen innerhalb der Jungen- und Mäd-chengruppe überbetont und dadurch große Variationen innerhalb der ge-schlechtlichen Gruppen ausgeblendet (vgl. auch Breidenstein/Kelle 1998).

Bohmeyer (2012) spricht bei einem solchen Vorgehen von „einer vereinheit-lichenden Kollektivierung: Die Mädchen und die Jungen werden einander als homogene Gruppen gegenübergestellt“ (ebd., S. 310). Auch Kelle (2004a) sieht eine Gegenüberstellung von Mädchen und Jungen in Forschungsarbei-ten kritisch und beruft sich dabei auf Hagemann-White (1984):

„Auf der Basis einer Zusammenschau vorliegender Studien […] kommt Hagemann-White zu dem Schluss, dass signifikante Unterschiede kaum feststellbar oder als methodische Artefakte anzusehen sind. Selbst die größten Unterschiede, die zwischen den Geschlechtern berichtet würden, seien weit geringer als die Variation innerhalb eines Geschlechts. […] Es

64 Meine Vermutung ist, dass viele Studien, die Geschlecht in den Fokus nehmen, aber keinen disziplinären Bezug zur (erziehungswissenschaftlichen) Geschlechterforschung und ent-sprechenden Theoriediskussionen haben, in ihren Forschungen eine vereinfachte Vorstel-lung von doing gender vertreten.

ist sozialwissenschaftlich wenig sinnvoll, nach unterschiedlichen fixen Eigenschaften von Mädchen und Jungen (jeweils als Gesamtgruppe) zu fragen“ (Kelle2004a, S. 360).

Doch auch bei Kuger et al. (2011) wird eine solche Perspektive eingenom-men. Anders als bei Röhner (2007) wird hier jedoch die von Thorne (1990) genannte Problematik zumindest diskutiert:

„In der gegenwärtigen Diskussion sollten also häufiger die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen in den Hintergrund und die vielen Ge-meinsamkeiten in den Mittelpunkt gerückt werden“ (Kuger et al. 2011, S. 284).

Zwar unterscheiden sich die zwei genannten deutschen Untersuchungen von

Zwar unterscheiden sich die zwei genannten deutschen Untersuchungen von