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Geschlechterkonstruktionen in der Schatzinsel: Die Ambivalenzen der vermeintlich neutralen Fachkräfte 134

rekonstruktiver Forschung und methodisches Vorgehen der ethnographischen Studie

II. Der Zugang zum Feld: Die Geschlechterforscherin in der

2. Geschlechterkonstruktionen in der Schatzinsel: Die Ambivalenzen der vermeintlich neutralen Fachkräfte 134

2.1 Konstruktionen der Fachkräfte: Geschlecht =

Kinderthema bzw. Interessenfokus der Forscherin

In den ersten Wochen meiner teilnehmenden Beobachtung wurde bereits während der Annäherung an das Feld deutlich, dass Geschlecht offenbar ein Thema ist, das die Fachkräfte vor allem als Interessenfokus der Kinder kon-struieren. Bei der Vorstellung des Projekts in einer Teamsitzung (noch vor den ersten teilnehmenden Beobachtungen) berichten die Fachkräfte von vie-len verschiedenen Situationen im Alltag der Schatzinsel, in denen Geschlecht unter den Kindern zum Thema wird. Bei diesem ersten Kennenlernen der Teammitglieder wird mir beispielsweise von mehreren Fachkräften von ei-nem Mädchen innerhalb der Kindergartengruppe erzählt, das unbedingt ein Junge sein möchte.135 Obwohl ich von Beginn an mehrfach darauf hinge-wiesen habe, dass ich mich für die Bedeutung von Geschlecht im Alltag der Einrichtung insgesamt und für alle AkteurInnen der Einrichtung interessieren würde, festigt sich im Verlauf meiner Erhebung durch Gespräche mit den Fachkräften immer mehr der Eindruck, als gingen diese davon aus, dass mein Forschungsfokus auf Geschlecht allein den Kindern gelte. Die Erfahrung, dass die Fachkräfte mir gegenüber das Thema Geschlecht stets im Kontext mit den Kindern thematisieren und in der Regel nicht mit ihrer

Personen-134 Im Rahmen meiner beiden Artikel Kubandt (2015) und Kubandt (2016), die im Kontext meiner Dissertationsstudie entstanden sind, habe ich bereits auf einzelne Materialsequenzen zu den Mustern der Fachkräfte zurückgegriffen und Interpretationen dazu ausgeführt. Daher greife ich im Folgenden wiederholt auf einzelne Textpassagen aus diesen Artikeln zurück, die ich nun ergänze und mit weiteren Ausführungen kontextualisiere (vgl. Kubandt 2015, 2016).

135 Vgl. hierzu die Ausführungen zur Rolle der Forscherin in Abschnitt B.II.2., in deren Kon-text Mia bereits zum Thema wurde.

gruppe verbinden, zieht sich durch meinen gesamten Aufenthalt in der Ein-richtung. So werden Anekdoten über vermeintlich geschlechtlich konnotierte Interessen, Thematisierungen und Verhaltensweisen der Kinder in der Ein-richtung während meiner teilnehmenden Beobachtungen von den Fachkräften häufig zum Anlass für die Kontaktaufnahme zu mir genutzt. In den Interakti-onen mit den Fachkräften zeigte sich demnach während meines Forschungs-aufenthaltes durchgängig das Muster, dass diese Geschlecht als etwas kon-struieren, das als Thema lediglich im Kontext mit den Kindern relevant ist und den Interessen der Kinder selbst entspricht. In Kommentierungen und Adressierungen der Fachkräfte, die an mich als Forscherin gerichtet sind, vermitteln sie ihren Eindruck, dass Thematisierungen von Geschlecht bei den Kindern im Alltag häufig zu beobachten seien. Nachfolgend zeigt ein Se-quenzausschnitt eines Gesprächs mit der Fachkraft Anna exemplarisch auf, inwiefern die Fachkräfte bei den Kindern wiederholt geschlechtliche Rele-vanzsetzungen beobachten und in welcher Form sie typischerweise darüber berichten:

Nachdem mich die Fachkraft Anna kurz nach meiner morgendlichen An-kunft in der Kita in einem Tür- und Angel-Gespräch nach meinem Pro-jekt gefragt hat und ich ihr erzähle, dass mich interessiert, wann und wie in der Kita Geschlecht bedeutsam wird, erzählt mir die Fachkraft, dass es ihr häufiger gerade beim Mittagessen auffalle, „wie wichtig es gerade den Größeren ist, zu klären, ob es nun ein Jungen- oder Mädchentisch ist, an dem sie sitzen“. So würde sie manchmal nur mitkriegen, dass die Kinder sagen würden „2:3!“ und wenn sie dann nachhake, erfahren, dass es darum gehe, „wie viel Mädchen, wie viel Jungen am Tisch sitzen und wer im Vorteil ist. Auch fällt mir auf, dass je älter die Kinder, desto wichtiger ist ihnen diese Unterscheidung. Oder auch beim Schwimmen!

Ich war jetzt zweimal dabei. Gerade beim Duschen oder in der Umklei-dung ist Jungen und Mädchen ein Thema.“

In einem spontanen Gespräch über mein Forschungsthema nennt Anna Bei-spiele von Situationen, in denen die Kinder Geschlecht thematisieren. Somit verknüpft sie meine Projekterläuterung wann und wie in der Kita Geschlecht bedeutsam wird mit Situationen, in denen Geschlecht von den Kindern auf-gegriffen wird. Entsprechende Beobachtungen hat Anna anscheinend mehr-fach sowohl beim Mittagessen als auch im Rahmen des Schwimmangebots der Schatzinsel in den Umkleidekabinen gemacht, an dem sie bis dato zwei-mal teilgenommen hat. In ihren Ausführungen bringt Anna das kindliche Interesse an der Thematik Geschlecht mit dem Alter der Kinder in Zusam-menhang und stellt eine kausale Verbindung zwischen den Differenzlinien Geschlecht und Alter her, indem sie ein wachsendes Interesse an der Ge-schlechterdifferenzierung auf den Alterszuwachs der Kinder zurückführt, wenn sie sagt: Auch fällt mir auf, dass je älter die Kinder, desto wichtiger ist

ihnen diese Unterscheidung. Im Kontext der beobachteten Mittagessenssitu-ationen berichtet Anna davon, dass sie durch Nachfragen von den Kindern eine Erklärung dafür erhielt, warum es den Kindern wichtig sei, deutlich zwischen Jungen- und Mädchentischen zu unterscheiden: Laut Aussage der Kinder sei diejenige Kindergruppe überlegen, die am Mittagstisch jeweils zahlenmäßig mit mehr Personen des gleichen Geschlechts vertreten ist. Somit verknüpfen die Kinder eine Mehrheit mit einem Vorteil gegenüber der ande-ren Gruppe.136 Warum und wie die Kinder Geschlecht in der Schwimmbad-umkleide thematisieren, wird hingegen von Anna nicht spezifiziert. Sie ver-weist hier lediglich darauf, dass es den Kindern auch hier wieder um die Geschlechterunterscheidung in Jungen und Mädchen zu gehen scheint. Da sie auf das Duschen und Umziehen verweist, kann hier lediglich vermutet wer-den, dass die Themen Jungen und Mädchen im Kontext von Nacktheit aufge-griffen werden.

Exemplarisch wird hier deutlich, dass die Fachkraft im Gespräch mit mir Geschlecht als einen Fokus der Kinder stark macht und auf welche Weise sie dies tut. Der folgende Materialausschnitt soll veranschaulichen, wie die Fachkräfte meinen Forschungsfokus auf Geschlecht typischerweise mit dem entsprechenden Interessenfokus der Kinder verknüpfen:

Ich verabschiede mich über das Wochenende. Die anwesenden Fach-kräfte und ich überlegen gemeinsam, an welchem Tag ich die kommende Woche wieder komme. Die Fachkraft Steffie erzählt mir, dass am kom-menden Dienstag Pfannkuchen gekocht werden und laut ihr gerade beim Kochen oftmals Themen wie Mädchen und Jungen bei den Kindern auf-kommen. Also vereinbaren wir, dass ich nächsten Dienstag wieder komme.

Die gemeinsame Planung mit den Fachkräften, wann ich die Woche darauf am geeignetsten weiter teilnehmend beobachte, orientiert sich aus Sicht der Fachkraft Steffie anscheinend am sinnvollsten daran, wann sich im Alltag der Kindertageseinrichtung potenziell spannende Situationen für mein For-schungsprojekt ergeben. Dies verknüpft Steffie offensichtlich automatisch mit Situationen, in denen die Kinder Geschlecht zum Thema machen. Ihr Hinweis, Geschlecht werde beim Kochen von den Kindern häufig aufge-griffen, zeigt, dass Steffie offenbar bereits mehrfach mitbekommen hat, wie die Kinder in diesem spezifischen Kontext auf Geschlecht rekurrieren. Wie die Kinder dies tun, bleibt jedoch unerwähnt. Steffies Hinweis zeigt – wie die Aussagen der Fachkraft Anna in der Sequenz davor –, dass sie die ge-schlechtlichen Relevanzsetzungen der Kinder mit spezifischen Situationen verknüpft bzw. diesbezüglich situative Häufungen beobachtet hat. Steffis

136 Vgl. hierzu Abschnitt C.4.1. „Die nachträgliche Geschlechterkategorisierung“ als Muster der Kinder.

Vorschlag, nächste Woche Dienstag wieder zu kommen, wenn gekocht wird, verdeutlicht darüber hinaus, dass die Fachkräfte Geschlecht offenbar nicht als ein Thema ansehen, das im Alltag der Kindertageseinrichtung mit ihrer Per-sonengruppe zusammenhängt bzw. das sie selbst fachlich oder inhaltlich einbringen. Denn da Steffie mich auf einen Kontext verweist, in dem die Kinder die darauffolgende Woche Geschlecht eventuell aufgreifen, scheint es für sie keine Situationen im Alltag der darauffolgenden Woche zu geben, in denen die Fachkräfte Geschlecht beispielsweise inhaltlich oder im Rahmen eines Angebotes geplant aufgreifen.

Insgesamt wird am Beispiel der genannten Sequenzen deutlich, dass die Fachkräfte sowohl den Kindern als auch mir ein deutliches Interesse an der Thematik Geschlecht zuschreiben. Da Geschlecht den Fokus meiner Studie bildet, ist es nicht weiter verwunderlich, dass mir ein solches Interesse zuge-schrieben wird. Worin das spezifische Interesse der Kinder für die Fachkräfte begründet liegt, wird jedoch nicht rekonstruierbar. An den jeweiligen Zu-schreibungen der Fachkräfte Anna und Steffie fällt allerdings als Gemein-samkeit auf, dass beide Fachkräfte Geschlecht hier offenbar als etwas auf-greifen, das den Kindern nicht zu Eigen ist oder sie als Person kennzeichnet, sondern in ähnlicher Weise wie bei meinem Forschungsfokus als ein Thema dargestellt wird, mit dem sich die Kinder auseinandersetzen und das an spezi-fische Situationen bzw. Interaktionen geknüpft ist. Demzufolge verstehen die Fachkräfte Geschlecht hier offenbar nicht im Sinne einer omnirelevanten Hintergrundannahme oder als individuelle Eigenschaft, sondern als etwas, das situativ von den Kindern – oder eben von meinem Forschungsprojekt – relevant gemacht wird.

2.2 Alles im Blick: Die Fachkraft als neutrale BeobachterIn bzw. KommentatorIn

Wenngleich die wiederholte Zuschreibung der Fachkräfte, Geschlecht stehe sowohl für die Kinder als auch für mich als Forscherin im Interessenfokus, indirekt darauf verweist, dass Geschlecht für die Fachkräfte selbst weniger von Bedeutung ist, deuten die regelmäßig erzählten Anekdoten, Kommentie-rungen und Berichte über die Beobachtungen zu geschlechtlichen Relevanz-setzungen der Kinder darauf hin, dass ihnen das Thema Geschlecht im Alltag der Kindertageseinrichtung zumindest als für andere relevant auffällt. Die Vermutung, die Aufmerksamkeit der Fachkräfte für diese Thematik hänge allein mit meinem Aufenthalt im Feld und meinem entsprechenden For-schungsschwerpunkt zusammen, scheint nicht ganz plausibel, da mir bereits von Anfang an zahlreiche Anekdoten berichtet werden, wie die Kinder Ge-schlecht in den Alltag der Kindertageseinrichtung einbringen, die teilweise zeitlich lange vor meiner Erhebung liegen. Geschlecht wird dabei nicht als ein gemeinsames Thema konstruiert, sondern eindeutig als ein Fokus der

Kinder, der von den Fachkräften beobachtet und in Form von Anekdoten nachträglich kommentiert wird. An zahlreichen Stellen in meinem Material zeigt sich, dass die Fachkräfte als BeobachterInnen bzw. KommentatorInnen auftreten, die das Geschehen und die Kinder als AkteurInnen im Blick haben.

Dies kann als eine Form von Neutralität interpretiert werden: Die Fachkräfte beobachten, kommentieren in der Regel zeitlich nachgeordnet und nicht in situ, bleiben dadurch aber beispielsweise im Hinblick auf die Geschlech-terthematik ein Stück weit außen vor bzw. konstruieren sich als am Gesche-hen unbeteiligt. Anhand des nachfolgenden Materialauszugs wird diese Hal-tung exemplarisch rekonstruierbar:

Während ich mit Sid, Timm und Lukas im Gruppenraum spiele, werden diese auf diverse Schmuckstücke (Ketten, Armreifen, Ohrringe, Ringe) aufmerksam, die auf einem kleinen Tisch liegen und von denen keiner von uns weiß, woher diese stammen. Timm und Lukas nehmen mehrere Schmuckstücke und pieksen mich damit, ketten mich damit an und sa-gen, sie würden mich jetzt verarzten bzw. Blut abnehmen, es müsse da-bei etwas wehtun und pieksen. Ich spiele mit, nach einer Weile lassen sie ab vom Schmuck und gehen rüber in den Mattenraum. Kurz danach fragt mich die Gruppenleitung Katrin, ob ich den Schmuck in die Schatzinsel mitgebracht habe. Ich verneine und sage ich wüsste auch nicht, woher dieser stamme. Daraufhin sagt sie: „Ich dachte schon, wie cool für dich mit den Jungs und dem Schmuck, aber jetzt haben sie ja nicht wirklich mit dem Schmuck gespielt, es war also doch nicht so geeignet gewesen.“

Der Sequenzausschnitt beschreibt ein gemeinsames Spiel von Sid, Timm, Lukas und mir, bei dem die drei Jungen zufällig herumliegende Schmuckstü-cke zweSchmuckstü-ckentfremden, um mich zu verarzten. Im weiteren Verlauf der Se-quenz kommentiert die Leitung der Kindergartengruppe Katrin diese Szene-rie nachträglich mir gegenüber. Zum einen verweist ihre Frage, ob der Schmuck von mir sei darauf, dass sie wohl vermutet, ich hätte Schmuck mit-gebracht, um eventuell zu sehen, wie die Kinder darauf reagieren bzw. mit diesem spielen würden. Durch ihre Kommentierung Ich dachte schon, wie cool für dich mit den Jungs und dem Schmuck, aber jetzt haben sie ja nicht wirklich mit dem Schmuck gespielt, es war also doch nicht so geeignet gewe-sen scheint sie in Anlehnung an meinen Forschungsfokus eine Opposition zwischen den drei Jungen und dem vermeintlich weiblich konnotierten Schmuck zu thematisieren. In dieser Logik ist auch ihre Frage verständlich, ob der Schmuck von mir in die Einrichtung mitgebracht worden sei, denn augenscheinlich ist sie davon ausgegangen, dass ich im Sinne eines wissen-schaftlichen Experiments mit dem Schmuck etwas vermeintlich stereotyp Weibliches aktiv in die Einrichtung mitgebracht habe, um zu sehen, wie sich die Kinder damit beschäftigen. Interessant ist die veränderte Wertung in ihrer Aussage: Zunächst konnotiert sie die Opposition Jungs und Schmuck mit

ihrer Kommentierung wie cool für dich positiv. Dadurch, dass die Jungen anscheinend anders als von ihr erwartet mit dem Schmuck gespielt haben, wird die ursprüngliche positive Wertung durch ihre Aussage aber jetzt haben sie ja nicht wirklich mit dem Schmuck gespielt, es war also doch nicht so geeignet gewesen dann jedoch eher negativ ausgerichtet. Hier wird offen-sichtlich, dass Katrin eine implizite Vorannahme hatte, wie die Jungen auf den Schmuck reagieren würden und was daran spannend für mich gewesen wäre. Allerdings wird nicht deutlich, inwiefern sie meint, dass die Jungen nicht wirklich mit dem Schmuck gespielt hätten, da sich die Jungen über län-gere Zeit mit dem Schmuck beschäftigt und mit mir Verarzten gespielt hat-ten. Ihre Aussage kann einerseits so verstanden werden, als ob die Jungen lediglich kurz mit dem Schmuck gespielt haben oder aber sie ist insofern zu interpretieren, dass die Jungen aus ihrer Sicht anders als erwartet mit dem Schmuck umgegangen sind, da die Jungen den Schmuck zweckentfremdet haben, indem die Armreifen, Ohrringe und Ringe als medizinische Geräte Verwendung fanden. Alles in allem wird jedoch in der Sequenz beispielhaft rekonstruierbar, dass Katrin die situative Relevanz der Thematik Geschlecht wieder auf der Ebene der Kinder ansiedelt und durch ihre Kommentierung wie cool für dich auch mir zuordnet. Sie als Fachkraft inszeniert sich erneut als unbeteiligte Beobachterin bzw. Kommentatorin der kindlichen Aktionen.

Interessant ist an dieser Stelle, dass der Fachkraft hier allerdings nicht be-wusst zu sein scheint, dass sie durch ihre nachträgliche Kommentierung die geschlechtlichen Relevanzsetzungen im Hinblick auf Jungen und Schmuck und damit das Thema Geschlecht selbst tendenziell im Sinne von Stereotypen einbringt.

Insgesamt treten die Fachkräfte wiederholt als vermeintlich unbeteiligte BeobachterInnen auf, die Geschlecht selbst nicht zum Thema machen. Aber gerade in ihren Kommentierungen zeigen sich häufig deutliche geschlechtli-che Relevanzsetzungen ihrerseits. Inwiefern diese mit potenziellen Reifizie-rungsprozessen der Fachkräfte einhergehen, rekonstruiere ich ausführlich im Abschnitt C.2.6. Der obige Sequenzauszug steht an dieser Stelle lediglich exemplarisch für eine in den Materialien als typisch rekonstruierte Haltung der Fachkräfte in der Schatzinsel: Zum einen beobachten die Fachkräfte Situ-ationen im Alltag der Kindertageseinrichtung, in denen Geschlecht ihrer Ansicht nach bei den Kindern relevant wird. Zum anderen kommentieren sie ihre Beobachtungen nachträglich mir gegenüber, da dies dem Interessenfokus meiner Forschung entspricht. Hier wird deutlich, dass vom Standpunkt der Fachkräfte aus Relevanzen von Geschlecht aufseiten der Kinder bestehen, die offenbar im Alltag der Schatzinsel wiederholt das Thema Geschlecht aufgrei-fen (vgl. Abschnitt C.2.1.). Des Weiteren zeigen meine Analysen, dass die Fachkräfte sowohl sich als auch mich als eine Art externe BeobachterInnen ansehen, die die Kinder im Blick haben. Mein Interesse gilt für sie offenbar speziell dem Thema Geschlecht, während dies für die Fachkräfte selbst kein

spezifischer Fokus zu sein scheint, sondern einer, den sie zwar mit im Blick haben, der von ihnen jedoch nicht als speziell bedeutsam hervorgehoben wird. Hier könnte man Bezüge zu den Ausführungen in den Bildungsplänen in Abschnitt A.II.2.2. und 2.3. herstellen, in denen Geschlecht als Quer-schnittsdimension dargestellt wird, die im Alltag neben allen anderen Aufga-ben von den Fachkräften mit berücksichtigt werden kann. Wenngleich die Haltung der Fachkräfte im Hinblick auf die Relevanz von Geschlecht in der Schatzinsel zunächst wie eine unbeteiligte Außenperspektive erscheint und nicht wie eine Berücksichtigung, zeigte sich im Rahmen meiner Analysen jedoch, dass sich die Fachkräfte durchaus gegenüber der Thematik Ge-schlecht fachlich positionierten. Auf welche Weise dies erfolgt, steht im nachfolgenden Abschnitt im Zentrum meiner Ergebnisdarstellungen.

2.3 Die Fachkraft als neutralisierende Instanz: „Wir behandeln alle gleich!“

Hinsichtlich der bisher konturierten Geschlechterkonstruktionen der Fach-kräfte könnte der Eindruck entstehen, Geschlecht wäre für sie etwas, dem ihrerseits im Alltag der Kindertageseinrichtung (pädagogisch) wenig Bedeu-tung zugeschrieben wird. Allerdings haben meine Analysen offenbart, dass Geschlecht für die Fachkräfte durchaus ein Thema ist, gegenüber dem sie sich auch fachlich positionieren. Hierzu ein Auszug aus einem Gespräch zwischen Tür und Angel mit der Fachkraft Anna kurz nach meiner morgend-lichen Ankunft in der Einrichtung, nachdem ich ihr auf Nachfrage zu meinem Forschungsprojekt berichtet habe, dass mich die Relevanzsetzungen von Geschlecht im Alltag von Kindertageseinrichtungen interessieren:

Anna sagt: „Ich versuche ja, möglichst geschlechtsneutral zu handeln.

Ich versuche nicht zu differenzieren, auch wenn es manchmal auch sinn-voll sein kann. Aber dieses ganze hellblau und rosa mache ich nicht mit.“137

Im Gespräch verwendet die Fachkraft Anna den Begriff geschlechtsneutral und betont, sie versuche nicht zu differenzieren. Warum sie ein solches Vor-gehen favorisiert, wird nicht expliziert, jedoch scheint der Versuch, nicht zu differenzieren ein Anspruch zu sein, den sie in ihrer Arbeit verfolgt. An-schließend relativiert sie ihre Aussage und ergänzt, dass es auch manchmal sinnvoll sein könne zu differenzieren. Dabei lässt sie offen, wann eine Diffe-renzierung nach Geschlecht ihrer Meinung nach situativ angeraten ist. Die Fachkraft spezifiziert hingegen, warum sie versucht, nicht zu differenzieren:

137 Die folgenden Ausführungen zu dieser Sequenz beziehen sich u. a. auf einzelne Textteile, die ich bereits in Kubandt (2016) veröffentlicht habe.

Aber dieses ganze hellblau und rosa mache ich nicht mit. Hier verweist Anna auf eine gängige stereotype Farbverteilung nach vermeintlich geschlechtlich bedingten Vorlieben: rosa für Mädchen, hellblau für Jungen. Aufschlussreich ist dabei, dass Anna Differenzen zwischen den Geschlechtern direkt mit Stereotypen assoziiert (hellblau und rosa). Zur Vermeidung einer Orientie-rung an Geschlechterstereotypen wird von ihr das Nichtdifferenzieren bzw.

Geschlechterneutralität als bevorzugtes Prinzip benannt.

Die Haltung der Fachkräfte, Unterschiede im Sinne eines gerechteren Umgangs mit Geschlecht zu negieren bzw. die Gleichbehandlung der Ge-schlechter zum Prinzip zu erheben, zeigte sich wiederholt bei der teilneh-menden Beobachtungen und kann als eine anscheinend favorisierte Neut-ralisierung bezeichnet werden. Hierzu ein weiteres Beispiel, das den vermut-lich fachvermut-lich motivierten Umgang der Fachkräfte mit dem Thema Geschlecht im Alltag der Kindertageseinrichtung veranschaulicht. Es handelt sich um einen Sequenzauszug, in dessen Rahmen die Gruppenleitung Katrin im Laufe eines Elternabends die Filmvorführung eines Videos vom wöchentlich statt-findenden Waldtag der Kindergartengruppe präsentiert und für die Eltern kommentiert:

Katrin betont bei der Präsentation des Filmausschnittes den Eltern ge-genüber, dass der Wald ja auch so prima wäre, weil sich typische Freundschaftsgruppen auflösen würden, jeder mit jedem spielen und zum Beispiel Geschlecht gar keine Rolle spielen würde, was sie sehr positiv

Katrin betont bei der Präsentation des Filmausschnittes den Eltern ge-genüber, dass der Wald ja auch so prima wäre, weil sich typische Freundschaftsgruppen auflösen würden, jeder mit jedem spielen und zum Beispiel Geschlecht gar keine Rolle spielen würde, was sie sehr positiv