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Die Kindertageseinrichtung Schatzinsel: Eine Beschreibung der untersuchten Einrichtung

rekonstruktiver Forschung und methodisches Vorgehen der ethnographischen Studie

II. Der Zugang zum Feld: Die Geschlechterforscherin in der

1. Die Kindertageseinrichtung Schatzinsel: Eine Beschreibung der untersuchten Einrichtung

Im Folgenden möchte ich die Kindertageseinrichtung, in der ich im Zeitraum von Mai 2011 bis Juli 2012 im Laufe von 14 Monaten eine teilnehmende Beobachtung durchgeführt habe, kurz vorstellen. Da ich in meiner Studie mittels der Perspektive auf Prozesse des doing gender empirisch auf die Mi-kroebene der Interaktionen fokussiere, nehme ich die Kindertageseinrichtung als organisationelle, strukturelle Mesoebene nicht dezidiert in den Blick.113 Die folgenden Ausführungen dienen also lediglich dazu, einen Einblick in das spezifische Setting der untersuchten Einrichtung zu gewähren, ohne dass an dieser oder anderer Stelle allgemeiner auf Kindertageseinrichtungen unter strukturellen Aspekten näher eingegangen wird.

Die Kindertagesstätte Schatzinsel114 befindet sich am Rande der Altstadt einer mittelgroßen norddeutschen Stadt. Auf zwei Etagen gibt es eine Krip-pen- und eine Kindergartengruppe, die von insgesamt 40 Kindern besucht werden können. Darüber, im zweiten Stock befinden sich die Büroräume, die für die Kinder nicht zugänglich und durch ein kleines Gitter im Treppenhaus abgeriegelt sind. Die Krippengruppe bietet die Möglichkeit, 12 bis 15 Kinder im Alter von zwei Monaten bis drei Jahren aufzunehmen, die Kindergarten-gruppe 25 Kinder im Alter von drei Jahren bis zur Einschulung. Gegründet wurde die Einrichtung 1981, seit 1992 ist sie eine anerkannte Kindertages-stätte mit einem eingetragenen Elternverein als Träger. Geöffnet ist die Ein-richtung montags bis freitags regulär im Zeitraum von 8.00 bis 16.00 Uhr. Es gibt jedoch die Möglichkeit, Sonderöffnungszeiten von 7.30 bis 8.00 Uhr sowie von 16.00 bis 17.00 Uhr zu vereinbaren.

Im Folgenden eine kurze Sequenz, die dem Beobachtungsprotokoll mei-nes ersten Erhebungstages in der Einrichtung entnommen ist:

Nach der Begrüßung bekomme ich eine Rundführung von der Leiterin Frau Sabine Jung durch das Haus. Sie berichtet, es handele sich in der

113 Das heißt jedoch nicht, dass die Kindertageseinrichtung als Setting bzw. spezifischer Kon-text nicht auch Einfluss auf die Geschlechterkonstruktionen der AkteurInnen hat bzw. auf Ebene dieser nachzeichenbar ist. Beispiele hierzu finden sich in Abschnitt C und D. An die-ser Stelle würde es jedoch zu weit führen, auf Kindertageseinrichtungen als u. a. historisch gewachsene Strukturen einzugehen.

114 Alle Namen von Einrichtungen und Personen wurden pseudonymisiert.

Einrichtung um offene Gruppen in Anlehnung an ein offenes Konzept.

Sie gibt weitere Hintergrundinformationen zur Institution. Es gibt eine Kindergartengruppe mit derzeit 20 Kindern inklusive eines Einzelinte-grationskindes namens Cora sowie eine Krippengruppe mit 15 Kindern.

Sie erzählt, die Eltern bewerben sich und würden nach Passung in die Gruppe ausgesucht. Ich bin etwas überrascht, denn sie berichtet, es sei wichtig, dass man sich vorstellen könne, mit den Eltern auch mal ein Bier trinken zu gehen. […] Sie erzählt weiter, dass es sich um ein großes Team handelt, da viele Teilzeitkräfte beschäftigt wären.

Während meiner Erhebung waren demnach insgesamt 35 Kinder in der Ein-richtung. Das Team der Einrichtung bestand aus insgesamt 12 weiblichen Fachkräften, die in der Regel in Teilzeit arbeiteten plus einer Köchin. Fünf der Fachkräfte waren der Krippengruppe zugeordnet und sieben Fachkräfte der Kindergartengruppe inklusive zweier Praktikantinnen. Kurz vor dem Ende meiner teilnehmenden Beobachtung übernahm ein männlicher Erzieher kurzfristig die Schwangerschaftsvertretung für eine Fachkraft der Kindergar-tengruppe. Da in der Schatzinsel zur Zeit meiner Erhebung neben Erzieherin-nen und einem Erzieher auch KinderpflegerinErzieherin-nen, eine Kindheitspädagogin, eine Heilerzieherin, Sozialassistentinnen sowie Praktikantinnen tätig waren, spreche ich im Folgenden, wenn ich auf die MitarbeiterInnen der Schatzinsel rekurriere, nicht von pädagogischen Fachkräften, sondern von Fachkräften allgemein, womit alle in der Schatzinsel tätigen, pädagogisch orientierten Berufsgruppen gemeint sind. 115 Denn wie bereits in Abschnitt A.II.3. ange-führt, erfolgt in Paragraph 7 des Kindertagesbetreuungsgesetzes (KiTaG) eine klare Zuordnung zu dem, was als pädagogische Fachkraft bezeichnet werden darf. SozialassistentInnen116 und PraktikantInnen fallen nicht darunter (vgl.

§ 7 (2)), entsprechend dem KiTaG zählen sie zu den Zusatzkräften (vgl.

§ 7 (5), vgl. hierzu auch § 4 KiTaG, Landesrecht Niedersachsen).

Räumlich ist in Abgrenzung zu anderen Einrichtungen, die nach dem of-fenen Konzept arbeiten, in der Schatzinsel auffällig, dass es im Gruppenraum der Kindergartengruppe keine festen Funktionsecken gibt, wie beispielsweise Bau-, Mal- oder Puppenecken. Lediglich im Krippenraum gibt es eine kleine Ecke, die vorwiegend als Bauecke und zum Teil auch von den Kindergarten-kindern genutzt wird. Im Unterschied zu anderen Kindertageseinrichtungen bewegen sich die Kinder – zumindest die Kinder der Kindergartengruppe – entsprechend dem offenen Konzept vorwiegend frei in der Einrichtung. So müssen sie sich nicht zwingend abmelden, wenn sie die Räume wechseln, von oben nach unten gehen oder umgekehrt. So wird den Kindern im

Tages-115 Die Köchin zähle ich folglich in diesem Zusammenhang nicht zum Begriff Fachkraft hinzu.

116 In Niedersachsen hat die Ausbildung als SozialassistentIn im bundesweiten Vergleich eine besondere Bedeutung. Sie gilt hier als Vorstufe der ErziehInnenausbildung.

verlauf eine große Wahlfreiheit zugestanden, wo sie sich aufhalten und wo-mit sie sich beschäftigen. Lediglich durch fixe Tagesstrukturen, wie bei-spielsweise das Mittagessen oder wöchentlich stattfindende spezifische An-gebote (Schwimmen, Musikschule, Vorschultreffen etc.), wird der Tag für die Kinder vorstrukturiert. Im Laufe der Erhebung ergaben sich daher häufig Situationen, in denen mehrere Kindergruppen und/oder einzelne Kinder ohne direkte Aufsicht für sich in den unterschiedlichsten Räumen spielten, wäh-rend sich andere Kinder gemeinsam mit einzelnen Fachkräften beschäftigten.

Dabei variierte, ob die Fachkräfte oder die Kinder gemeinsame Tätigkeiten initiieren, wie beispielsweise Bücher lesen oder Spiele spielen.

Im Selbstverständnis der Schatzinsel spielen Prinzipien wie Eigeninitia-tive und Mitbestimmungsrecht offenbar eine große Rolle. So wirbt die Ein-richtung auf ihrer Homepage mit Attributen wie einem „Ort der Begegnung“

und einer „wertschätzenden Kommunikation und der gegenseitigen Unter-stützung“ als leitende Prinzipien. Auch auf der Ebene des Teams hat nach Aussage der Fachkräfte das gemeinsame Mitspracherecht eine große Bedeu-tung in der EinrichBedeu-tung. So wurde bspw. die schriftliche Konzeption der Einrichtung, die keinem festen pädagogischen Modell folgt (Wir haben uns einfach mehrere Sachen rausgesucht, die gepasst haben), mit allen Mitar-beiterinnen im Team erstellt und bereits mehrfach gemeinsam überarbeitet.

Des Weiteren wurde gemeinsam im Team nach einer Vorstellung von mir darüber entschieden, ob ich das Forschungsprojekt in der Einrichtung durch-führen dürfe. Anhand der folgenden Sequenz, die sich während meiner Teil-nahme an einer Teamsitzung nach ca. fünf Monaten meines Aufenthalts in der Einrichtung vollzog, an der die Köchin und alle Fachkräfte teilnahmen, wird exemplarisch deutlich, dass sowohl Abläufe, Inhalte als auch geplante Angebote und Veranstaltungen stets gemeinsam verhandelt und diskutiert und die in der Einrichtung Tätigen bei jeglichen Entscheidungsprozessen gleichwertig beteiligt werden:

Als erstes werden Anna und Ingrid von der Leiterin Sabine gebeten, von ihren Fortbildungen zu erzählen. Anna erzählt, dass sie eine Fortbildung zum Thema „Energie und Umwelt erleben“ gemacht habe und der Inhalt der Fortbildung das Thema war, wie man nachhaltig mit Ressourcen um-gehen könne. Viel mehr und konkreter wird sie nicht, es wird auch nicht nachgefragt. Dann erzählt Ingrid von ihren zwei Fortbildungen. Die erste ging um „Selbstkonzepte von Vorschulkindern“, von der sie nur knapp erzählt. Die andere Fortbildung ging um die Frage, woraus Aufmerksam-keitsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten resultieren können. Das hätte laut Ingrid „mit frühkindlichen Reflexen und deren Integration“ zu tun, da gäbe es spannende Forschungen aus England und Frau Merkel hätte das ja auch. Ich verstehe nicht recht, was sie genau meint, frage aber auch nicht nach. Generell wird nicht nachgefragt. Die einzige, die die Aussagen mehrfach kommentiert bzw. nachfragt ist die Köchin

Si-mone, was mich amüsiert, da sie mehr an den fachlichen Themen interes-siert zu sein scheint als die Fachkräfte. Die Leiterin Sabine übernimmt wieder das Wort und schlägt vor, mit dem TOP Elternabend anzufangen, der geplant werden müsse. Daraufhin übergibt sie Katrin das Wort, die mir vorschlägt, dass ich zu Beginn des Elternabends, wie vorab verein-bart, erst mein Projekt vorstellen und dann Fragen der Eltern beantworten solle. Ich stimme zu. Dann würde das „Thema Fünfertreff“ (so wird die Vorschule in der Schatzinsel genannt) anstehen, dann das Thema „Spiel-zeugtag“, danach Vertretung Susanne, dann würde sie gerne ein paar Ausschnitte der Waldtage zeigen, die sie mit der Videokamera aufge-nommen haben. Dann käme das Thema „Gruppensituation und Einge-wöhnung“. Anna wirft ein, dass es dazu gar nicht viel zu berichten gäbe, es hätte ja dieses Jahr völlig problemlos geklappt. Dann solle eine Infor-mationsbroschüre zum Thema „Darf mein Kind in den Kindergarten?“

ausgeteilt werden. Zudem müsse Geld für die Portfolioarbeit eingesam-melt werden: 10 Euro. Es wird u. a. diskutiert, ob 2-3 Euro für die Later-nen eingesammelt werden sollen, die für das LaterLater-nenfest am 11.11. ge-bastelt werden. „Oder soll lieber ein Obolus für Weihnachtsgeschenke, Laternenfest und Adventskalender zusammen erhoben werden?“ fragt Sabine. Es wird diskutiert und man ist sich nicht einig, was besser ist. Ich halte mich bei den Diskussionen zurück, habe aber das Gefühl, wenn ich wollte, könnte ich mich gerne beteiligen. Nach längerem hin und her wird sich dafür entschieden neben dem Portfoliogeld gar kein Geld ein-zusammeln, sondern lieber beim Laternenfest die Kinder mit kleinen Sparschweinen herumzuschicken für eine Spende. Es wird geplant, wie das Laternenfest am 11.11. ablaufen soll. Für 17 Uhr ist ein Treffen im Garten angedacht. Es ist noch zu klären, wer was macht. Im Team wird entschieden, dass die Eltern beim morgigen Elternabend gefragt werden und dass sie dieses Jahr den Part der Organisation übernehmen sollen, da letztes Jahr der Krippenelternabend kurz vor dem Fest war und die Eltern der Krippenkinder damals für die Vorbereitungen verantwortlich ge-macht wurden. Dann wird in die Runde gefragt, ob es dieses Jahr denn ein Martinsstück geben solle. Die Mitarbeiterinnen sind sich nicht einig, ob St. Martin gespielt werden solle, obwohl sie alle darin übereinstim-men, dass die Kinder immer ganz begeistert bei der Sache sind.

An den zahlreichen Diskussionen und Verhandlungen zeigt sich, wie sich die Mitarbeiterinnen an den Besprechungen und Entscheidungen beteiligen.

Auch ich empfinde die Situation so, als ob ich ebenfalls eine Art Mitsprache-recht hätte und mich an der Diskussion einrichtungsrelevanter Entscheidun-gen und PlanunEntscheidun-gen durchaus aktiv beteiliEntscheidun-gen könnte. Dadurch, dass ich mich jedoch zurückhalten darf und bei den Berichten zu den Fortbildungen auch keine große Beteiligung der Fachkräfte erfolgt, scheint es keine Plicht zu geben, an den Diskussionen zu partizipieren. Interessant ist, dass Themen

besprochen werden, die scheinbar von allen gemeinsam entschieden werden, auch wenn es beispielsweise nur die Kindergartengruppe betrifft, wie u. a. der Elternabend. Das heißt, sowohl Leiterin, Kindergarten- und Krippenkräfte sowie die Köchin überlegen gemeinsam und versuchen sich auf konsensuelle Entscheidungen zu verständigen. Den Eindruck flacher Hierarchien und de-mokratischer Strukturen ergibt sich für mich auch im Alltag meiner Be-obachtung, so dass ich lange nicht einschätzen kann, wer von den Fachkräf-ten welche fachliche Position in den Gruppen einnimmt. Hierzu ein Se-quenzauszug, der sich nach mehreren Monaten teilnehmender Beobachtung ereignet hat:

Ich komme an und höre schon aus dem Außenbereich viele laute Kinder-stimmen durcheinander juchzen. Ich gehe nicht über den offiziellen Ein-gang, sondern über das Gartentor nebendran hinein, das mir von der Kö-chin Simone aufgemacht wird. Ich sehe mehrere Fachkräfte auf Stühlen und Bänken in Kleingruppen sitzen, zum Teil mit Kindern auf dem Schoß, die anderen Kinder flitzen wild herum. Sowohl die Krippen- als auch die Kindergartengruppe ist heute draußen. Ich begrüße alle mit

„Hallo zusammen“ und spreche dann erst die Kindergarten-Fachkräfte Anna und Steffie an, die zusammen sitzen und dann die Krippenkräfte Natascha, Steffie und eine neue, sie heißt ebenfalls Anna117 und ist die Vertretung für Ingrid. Ich erfahre, dass Ingrid momentan „dauerkrank ist“. Ich frage, ob ich noch ein paar Daten für meine Auswertung abfra-gen dürfe. Nacheinander frage ich dann Anna, Steffie und Natascha so-wie die andere Steffie nach ihrer Ausbildung, ihrer Funktion in der Gruppe sowie nach ihrem Geburtsdatum. Auch über die nicht Anwesen-den werde ich auf Nachfrage informiert. Ich habe Anwesen-den Eindruck, dass die Positionen wie Leitung und auch die Ausbildung etc. aus Sicht der Fach-kräfte nicht so relevant für die tatsächliche Arbeit zu sein scheinen. So weiß Anna z. B. gar nicht, welche Ausbildung und Funktion bzw. Posi-tion Ingrid hat bzw. wie man das nennt (einige Zeit später erfahre ich von Ingrid selbst, sie ist die Zweitkraft und ausgebildete Erzieherin). Auch gibt Steffie den Kommentar ab: „Du hast nicht gemerkt, wer die Grup-penleitung ist? Ist ja schön, dass man das im Alltag so nicht merkt.“ Ich gehe weiter zu Natascha, sie gibt mir gemeinsam mit Steffie Auskunft über die Krippengruppe. Unter anderem erfahre ich im Gespräch neben-bei, dass die Leiterin Sabine derzeit auf Bildungsurlaub ist.

Die Fachkräfte scheinen zu begrüßen, dass ich trotz meines nun doch bereits längeren Aufenthalts in der Einrichtung nicht zuordnen kann, wer welche Position in den jeweiligen Gruppen und auch welchen Ausbildungsgrad

in-117 Während meiner Erhebungsphase befanden sich zwei namensgleiche Steffies und Annas als Fachkräfte in der Schatzinsel.

nehat. Auf Nachfrage erfahre ich, dass sich die Leiterin Sabine mit Natascha die Gruppenleitung der Krippengruppe teilt. Anna und Katrin leiten gemein-sam die Kindergartengruppe.118 Da dies erst durch meine Nachfragen explizit zum Thema wird, sind diese Informationen anscheinend im Alltag weder für die Fachkräfte noch für mich relevant. So wurde mir bis dato auch nicht an-hand von unterschiedlichen Aufgabenverteilungen deutlich, wer welche Funktion bzw. Position innehat. Jede Fachkraft scheint flexibel die unter-schiedlichsten Aufgaben zu übernehmen, ohne dass es klare Vorgaben bzw.

Zuordnungen zu speziellen Aufgaben zu geben scheint. Während mir das in den einzelnen Gruppen erst sehr spät aufgefallen ist, erstaunt es mich bereits viel früher, als die Fachkräfte je nach Bedarf bzw. spontan auch Aufgaben übernehmen, die nichts mit ihrer Gruppe zu tun haben:

Felix und Jolie kommen die Treppe runter, wollen dann allerdings gleich wieder hoch laufen, die Kindergartenfachkraft Steffie holt sie allerdings gleich wieder runter. Ich bin überrascht, dass sie sich für die Krippenkin-der verantwortlich fühlt bzw. die Situation regelt, während die Krippen-fachkräfte schon in der Garderobe sind. Danach gehe auch ich in die Garderobe zum Anziehen. Viele der Kindergartenkinder sind bereits draußen. Ich bin erneut überrascht, dass als alle Kindergartenkinder draußen sind, die Kindergartenkraft Anna ein paar der Krippenkinder mit anzieht.

Hier zeigt sich, dass zum einen die Krippenfachkraft Steffie unaufgefordert dafür sorgt, dass die Kindergartenkinder Felix und Jolie, wie alle anderen Kindergartenkinder auch, nach unten in die Garderobe bzw. nach draußen gehen. Zum anderen hilft die Gruppenleitung Anna unaufgefordert dabei, die Krippenkinder anzuziehen, nachdem sie damit fertig ist, die Kindergarten-kinder für den Außenbereich anzuziehen. Es wird demnach sichtbar, dass man sich im Team der Schatzinsel automatisch gegenseitig und gruppen-übergreifend unter die Arme greift. Dies kann unter anderem eine Folge des offenen Konzepts sein, was in der Einrichtung damit einhergeht, dass die Kindergartenkinder und die Krippenkinder alle Räumlichkeiten gemeinsam nutzen können. So kommt es während meiner Beobachtungen häufig zu Situ-ationen, wo Kindergartenkinder außerhalb der Schlafenszeiten in den Schlaf-räumen der Krippenkinder spielen, oder einzelne Krippenkinder bei den grö-ßeren Kindern in den Kindergartenräumen sind. Sowohl in der gegenseitigen Hilfsbereitschaft als auch in der Vielfalt der Möglichkeiten, sich auf die ganze Einrichtung zu verteilen, lassen sich die Prinzipien Freiwilligkeit und Freiheit wiederfinden. Diese Prinzipien begegneten mir auch in meiner Rolle als Forscherin in der Einrichtung. So wurde mir von Anfang an die

Möglich-118 Dass sich immer zwei Fachkräfte die Gruppenleitung teilen, spricht ebenfalls für die eher flache Hierarchiestruktur in der Einrichtung.

keit geboten, mich während meiner teilnehmenden Beobachtung völlig frei und unbeaufsichtigt in der Einrichtung zu bewegen sowie flexibel zwischen Krippe- und Kindergartengruppe hin und her zu pendeln. Auch wurden mir nie feste Tage oder Zeiten vorgeschrieben, sondern vielmehr machte ich Vorschläge, wann ich das nächste Mal wieder käme, die stets angenommen wurden, ohne dass ich mich zeitlich vorab zu genau festlegen musste. Die Prinzipien Freiheit und Autonomie, die ich auch im Umgang mit den Kindern beobachtete, galten somit auch für mich als Außenstehende.

2. Zur Rolle als ForscherIn – zwischen Subjektivität, (Re-)Konstruktion und Reifikation

2.1 Das Postulat der Selbstreflexion – Subjektivität und Konstruktivität im Forschungsprozess

Geht man methodologisch davon aus, dass soziale Wirklichkeit stets kon-struiert ist und nimmt man dies für die Konstruktionen der FeldakteurInnen an, kann die Tätigkeit von ForscherInnen keiner anderen Logik folgen. Im Sinne von Alfred Schütz (1971) liegen dem Alltag sogenannte Konstruktio-nen ersten Grades zugrunde, und die „KonstruktioKonstruktio-nen, die der Sozialwissen-schaftler benützt, sind daher sozusagen Konstruktionen zweiten Grades: Es sind Konstruktionen jener Konstruktionen, die im Sozialfeld von den Han-delnden gebildet werden“ (Bohnsack 2010, S. 6, Herv. M.K.). So konstatiert Schütz (1974), „[d]er Aufbau der Sozialwelt ist ein sinnhafter einmal für die in der Sozialwelt Lebenden, dann aber auch für die Sozialwissenschaften, welche die ihnen vorgegebene Sozialwelt deuten“ (ebd., S. 89). Was diese Perspektive für den Forschungsgegenstand und -prozess bedeutet, bringt Bohnsack (2010) in seinem Werk Rekonstruktive Sozialforschung treffend auf den Punkt:

„Die Besonderheit sozialwissenschaftlichen Denkens besteht also darin, dass sich nicht nur dieses Denken selbst aus Interpretationen, Typenbil-dungen, Konstruktionen zusammensetzt, sondern dass bereits der Gegen-stand dieses Denkens, eben das soziale Handeln, das Alltagshandeln auf unterschiedlichen Ebenen durch sinnhafte Konstruktionen, durch Typen-bildungen und Methoden vorstrukturiert ist.“ (ebd., S. 23, Herv. i. O.) Aus einer sozialkonstruktivistischen Perspektive auf soziale Wirklichkeit folgt demnach konsequenterweise, dass ForscherInnen auch eigene Erkennt-niswege und -prozesse einer genauen Beobachtung und Reflexion unterzie-hen müssen:

„Methodologisch impliziert der Konstruktivismus einen Reflexivitätsef-fekt. Wenn Wissen, Diskurse, epistemische Praktiken zum zentralen Ge-genstand der Analyse werden, führt an der Selbtseinschließung der Be-obachter kein Weg vorbei“ (Hirschauer 2011, S. 103, Herv. i. O.).

Ähnlich argumentiert auch Breuer (2003) in seinem Artikel „Subjekthaf-tigkeit der sozial-/wissenschaftlichen Erkenntnistä„Subjekthaf-tigkeit und ihre Reflexion“.

So bemängelt Breuer, dass trotz eines weit verbreiteten Konsens’ qualitativer ForscherInnen im Hinblick auf die Annahme, die soziale Wirklichkeit der untersuchten AkteurInnen sei stets konstruiert, dies nicht konsequent zu Ende gedacht werde:

„Nach unserer Ansicht ist die soziale Welt von ihren Mitgliedern kon-struiert, mit Strukturen und Bedeutungen versehen, interpretiert etc.; sie besitzt in der Sicht ihrer Bewohner also Merkmale, die sie selbst in sie hineintragen, die sie ihr verleihen. Aber: das wissenschaftliche Bild, das wir uns von dieser Welt machen, besitzt einen höheren epistemologi-schen Status, es besitzt ,absolute‘, ,objektive‘ Züge. Das impliziert die Selbsttäuschung, als erkenntnisproduzierende/r Forscher/in nicht ein ,subjekthaftes System‘ mit spezifischer Charakteristik bzw. nicht Mit-glied einer sozialen Welt zu sein, die unsere Konstruktionen mitbe-stimmt. Das bedeutet eine Entkoppelung, eine Spaltung von Epistemolo-gie und Methodik, von theoretischer und praktischer Selbst-/reflexivität, von Bekenntnis und Handeln“ (ebd., Absatz 18, Herv. i. O.).119

Breuer plädiert daher für eine „sozialwissenschaftliche Analyse des Gesamt-prozesses der wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion – im Idealfall unter

Breuer plädiert daher für eine „sozialwissenschaftliche Analyse des Gesamt-prozesses der wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion – im Idealfall unter