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Risikokonzept als Grundlage der Beurteilung von Belastungen

AP 5: Entwicklung von Methodenentwürfen und deren Evaluation

2 Risikokonzept und Arten physischer Belastungen (Belastungsarten)

2.1 Risikokonzept als Grundlage der Beurteilung von Belastungen

André Klußmann1), Bernd Hartmann2), Falk Liebers3), Hansjürgen Gebhardt1), Matthias Jäger4), Dirk Ditchen5), Andrea Sinn-Behrendt6)

1) Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER), Corne-liusstraße 31, 42329 Wuppertal

2) ArbMedErgo, Hamburg, Steinbeker Grenzdamm 30d, 22115 Hamburg

3) Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Nöldnerstraße 40–42, 10317 Berlin

4) Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), Ardeystraße 67, 44139 Dortmund

5) Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), Alte Heerstraße 111, 53757 Sankt Augustin

6) Institut für Arbeitswissenschaft der Technischen Universität Darmstadt (IAD), Otto - Berndt - Straße 2, 64287 Darmstadt

2.1 Risikokonzept als Grundlage der Beurteilung von Belastungen

Im Risikokonzept von MEGAPHYS wird die Wahrscheinlichkeit einer körperlichen Überbeanspruchung mit möglichen negativen Folgen für die Gesundheit bewertet (Tab. 2.1). Es wird angenommen, dass mit zunehmender Belastungshöhe der jewei-ligen Belastungsart die Wahrscheinlichkeit von adversen Gesundheitseffekten zu-nimmt (z. B. Präsenz bzw. Prävalenz von Beschwerden/Erkrankungen). Die Wahr-scheinlichkeitsaussage bezieht sich vorrangig auf die Prävalenz an adversen Ge-sundheitseffekten in einem exponierten Kollektiv und basiert generell auf der An-nahme, dass Beschäftigte gegenüber der Belastungsart regelmäßig und längerfristig (zumindest 3 Monate) in der ermittelten Belastungshöhe exponiert sind.

Physische Belastungen können vielfältig sein. Um einen praxisgerechten Zugang zu sichern, werden sechs Belastungsarten unterschieden:

 Manuelles Heben, Halten und Tragen von Lasten,

 Manuelles Ziehen und Schieben von Lasten,

 manuelle Arbeitsprozesse,

 Ganzkörperkräfte,

 Körperzwangshaltungen,

 Körperfortbewegung.

Tab. 2.1 Bewertungsschema/Risikokonzept der Leitmerkmalmethoden

Risiko* Belastungshöhe a) Wahrscheinlichkeit einer körperlichen Überbeanspruchung

b) Mögliche gesundheitliche Folgen Maßnahmen gering

a) Eine körperliche Überbeanspruchung ist unwahrscheinlich.

b) Gesundheitsgefährdung nicht zu erwarten. Keine mäßig

erhöht

a) Eine körperliche Überbeanspruchung ist bei vermindert belastbaren Personen**

möglich.

b) Ermüdung, geringgradige Anpassungsbe-schwerden, die in der Freizeit kompensiert werden können.

a) Körperliche Überbeanspruchung ist auch für normal belastbare Personen** möglich b) Beschwerden (Schmerzen) ggf. mit

Funkti-onsstörungen, reversibel ohne

a) Körperliche Überbeanspruchung ist wahr-scheinlich.

b) Stärker ausgeprägte Beschwerden und/oder Funktionsstörungen, Struktur-schäden mit Krankheitswert z. B. Chondro-sen der LWS und HWS, ArthroChondro-sen, CTS.

Maßnahmen zur Gestal-tung sind erforderlich.

Sonstige Präventions-maßnahmen sind zu prüfen.

* Die Grenzen zwischen den Risikobereichen sind aufgrund der individuellen Arbeitstechniken und Leistungsvoraussetzungen fließend. Damit darf die Einstufung nur als Orientierungshilfe verstan-den werverstan-den. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass mit steigenverstan-den Punktwerten die körperli-che Belastung zunimmt.

** „Personen“ können im Sinne einer Gefährdungsbeurteilung die betroffenen Individuen sein; im Sinne einer Risikobewertung die „beabsichtigte Nutzerpopulation“.

Die Unterscheidung begründet sich auf häufig bei der Arbeit vorkommende physiolo-gisch-biomechanische Belastungskonstellationen und deren Wirkung auf bestimmte Körperregionen oder Organsysteme des Menschen. Das sind insbesondere:

 die Belastung des Herz-Kreislauf-Systems durch den Energieverbrauch als Folge der Muskelarbeit,

 die biomechanische Belastung des Muskel-Skelett-Systems durch Kraftaufwen-dungen und -einwirkungen, Körperhaltungen und Körperbewegungen und

 das Verhältnis zwischen Intervallen mit hoher und geringer Belastung (Arbeits-dichteverteilung, Ausnutzung der Leistungsreserven, Beanspruchung von Struk-turen).

Hinsichtlich der Wirkungen der biomechanischen und physiologischen Belastung des Muskel-Skelett-Systems erfolgt die Differenzierung für folgende neun Körperregio-nen:

 Nacken/HWS,

 Schultern und Oberarme,

 Ellenbogen und Unterarme,

 Handgelenke und Hände,

 Oberer Rücken/BWS,

 Unterer Rücken/LWS,

 Hüfte/Oberschenkel,

 Knie,

 Sprunggelenk/Füße.

Darüber hinaus werden die Wirkungen von dynamischer Muskelarbeit auf das Herz-Kreislauf-System betrachtet.

Die Zusammenhänge zwischen den sechs Belastungsarten und den zehn Haupt-Zielregionen ist in Abbildung 2.1 dargestellt und wird in den folgenden Kapiteln für jede Belastungsart näher beschrieben.

Abb. 2.1 Zusammenhang zwischen Belastungsarten und Zielregionen. Die Pfeile kennzeichnen die jeweiligen Haupt-Zielregionen der Belastungsart.

Zu unterscheiden sind hier die Folgen der Überbeanspruchung für das Muskel-Skelett-System (Gelenke, Muskeln, Sehnen usw.) und für das Herz-Kreislauf-System. Die Höhe der Beanspruchung des Herz-Kreislauf-Systems durch intensive Muskelarbeit lässt sich relativ gut voraussagen.

Eine Prognose von tätigkeitsbezogenen Beschwerden und Erkrankungen des Mus-kel-Skelett-Systems ist meist nur bei erhöhten/hohen und einseitigen Belastungen möglich. Aufgrund eines komplexen Kausalgeflechts hängen Beschwerden nicht nur von der Arbeit, sondern auch von außerberuflichen Belastungen und der individuel-len Leistungsfähigkeit ab. Zu beachten ist auch, dass im Unterschied zur Bewertung von Gefahrstoffen mit großen Häufigkeiten unter nicht-exponierten und exponierten Personen gerechnet werden muss. Die z. B. in der TRGS 910 „Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen“ genannten Risikoschwellen für Krebserkrankungen sind ein Toleranzrisiko von 4 zusätzlichen Erkrankungsfällen pro 1.000 Beschäftigten über eine Expositionszeit von 40

Berufs-jahren (4:1.000) und ein Akzeptanzrisiko von 4:10.000/100.000 (4 zusätzliche Er-krankungsfälle pro 10.000 Beschäftigte, später 100.000 Beschäftigte in 40 Berufsjah-ren).

Die Risikoschwellen für Krebserkrankungen sind nur mit Einschränkungen auf die Auswirkung physischer Belastungen anzuwenden. Adverse Gesundheitseffekte, die durch physische Belastungen ausgelöst werden, können reversibel sein bzw. führen allenfalls zu chronischen Erkrankungen, i. d. R. ohne Todesfolge.

Krebserkrankungen treten vergleichsweise selten auf und sollten aufgrund der schweren Folgen verhindert werden. Beschwerden im Muskel-Skelett-System sind dagegen mit durchschnittlichen 12-Monatsprävalenzratios von 15 bis 70 % je nach Körperregion häufig. Das Auftreten von Arbeitsunfähigkeiten durch Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems liegt z. B. bei 100 Fällen pro 1.000 Versicherten pro Jahr (Rückenschmerzen) bzw. zwischen 10 und 20 Fällen pro 1.000 Versicherten bei anderen Muskel-Skelett-Erkrankungen (Schultererkrankungen, Gonarthrose, Epicon-dylitis). Welche zusätzlichen adversen Gesundheitseffekte im Zusammenhang mit physischen Belastungen noch akzeptiert bzw. noch toleriert werden, ist abhängig von den betrachteten adversen Gesundheitseffekten (Beschwerden, Erkrankungen, Un-fälle, Berufskrankheiten, Arbeitsunfähigkeit). Die Aussagen zur Wahrscheinlichkeit einer körperlichen Überbeanspruchung durch die zu beurteilende Tätigkeit sind des-halb nur als Orientierung zu verstehen.

Für die Risikoaussage zur Wahrscheinlichkeit von körperlichen Überbeanspruchun-gen werden ArbeitsplatzbewertunÜberbeanspruchun-gen zugrunde gelegt, die zeitlich gewichtete tungen am Arbeitsplatz für eine 8h-Arbeitsschicht unter Berücksichtigung von Belas-tungsspitzen für jede der oben genannten Belastungsarten angeben.

2.2 Belastungsarten

Vorbemerkungen zu Belastungsarten 2.2.1

Im Folgenden findet sich eine Beschreibung der im Rahmen dieses Projektes be-handelten sechs Belastungsarten wieder. Diese Beschreibungen wurden von den Projektpartnern des MEGAPHYS-Projektes gemeinsam diskutiert. Sie bilden die Grundlage für die Entwicklung gemeinsamer Bewertungsmodelle, so dass sich ein aufeinander abgestimmtes Bewertungskonzept für alle drei Methodenebenen ergibt.

Jede Belastungsart wird zunächst allgemein beschrieben und von anderen Belas-tungsarten abgegrenzt. Die Belastungsart selbst wird dann unterteilt in „Hauptbelas-tungen“, „generelle Bedingungen“ und „belastungsartspezifische Bedingungen“. Die Hauptbelastungen beschreiben die wesentlichsten Aspekte einer Belastungsart. In den generellen Bedingungen werden die Bedingungen erfasst, die mehr oder weni-ger in allen Belastungsarten erscheinen können, deren Wirkung aber nicht so we-sentlich eingeschätzt wird wie die Wirkung der Hauptbelastungen. Über belastungs-artspezifische Bedingungen werden weitere Aspekte definiert, die am Rande dieser Belastungsart auftreten können, aber deren Wirkung als nicht so wesentlich einge-schätzt werden wie die Wirkung der Hauptbelastungen. Die sechs Belastungsarten sind Bestandteil der aktuell beschriebenen Gefährdungsfaktoren (BAuA, 2016). Ge-fährdungsfaktoren sind Gruppen von Gefährdungen, die durch gleichartige Gefah-renquellen oder Wirkungsqualitäten gekennzeichnet sind. Es werden unterschieden:

1. Mechanische Gefährdungen, 2. Elektrische Gefährdungen,

3. Gefahrstoffe,

4. Biologische Arbeitsstoffe,

5. Brand- und Explosionsgefährdungen, 6. Thermische Gefährdungen,

7. Gefährdungen durch spezielle physikalische Einwirkungen, 8. Gefährdungen durch Arbeitsumgebungsbedingungen, 9. Physische Belastung/Arbeitsschwere,

10. Psychische Faktoren, 11. Sonstige Gefährdungen.

Die Gruppe 9 unterteilt sich in sechs verschiedene Belastungsarten, die im Rahmen dieses Projektes angepasst bzw. konkretisiert wurden.

Tab. 2.2 Auszug aus dem „Ratgeber zur Gefährdungsbeurteilung – Handbuch für Arbeitsschutzfachleute“ (BAuA, 2016) zu Belastungsarten beim Ge-fährdungsfaktor „Physische Belastungen/Arbeitsschwere“ und Gegen-überstellung der Anpassungen der Bezeichnungen im Rahmen dieses Projektes

Nr. Bezeichnung im Handbuch (BAuA, 2016) Bezeichnung im Projekt 9.1 Heben, Halten, Tragen Mauelles Heben, Halten und

Tra-gen von Lasten

9.2 Ziehen, Schieben Manuelles Ziehen und Schieben von Lasten

9.3 Manuelle Arbeit mit geringen Körperkräften Manuelle Arbeitsprozesse 9.4 Zwangshaltung (erzwungene Körperhaltung) Körperzwangshaltung 9.5 Steigen, Klettern Körperfortbewegung 9.6 Arbeiten mit erhöhten Kraftanstrengungen und/oder

Krafteinwirkungen Ganzkörperkräfte

Belastungsart: manuelles Heben, Halten und Tragen von Lasten 2.2.2

Beschreibung der Belastungsart 2.2.2.1

Diese Belastungsart (Gefährdungsfaktor 9.1, Tab. 2.2) berücksichtigt das manuelle Heben, Halten und Tragen von Lasten ≥3 kg. Lasten können Gegenstände, Perso-nen oder Tiere sein. Verwandte Formen des Hebens – das Senken und (vorwiegend horizontale) Umsetzen – sind eingeschlossen.

 Heben, Umsetzen oder Senken ist das Bewegen einer Last von einer Position auf eine niedrigere, gleich hohe oder höhere Position durch menschliche Kraft.

 Halten ist das Fixieren einer Last auf einer bestimmen Position durch menschli-che Kraft als überwiegend statismenschli-cher Vorgang.

 Tragen ist der vorwiegend horizontale Transport einer Last, die nicht den Unter-grund berührt, mit menschlicher Kraft und durch Mitführen am Körper.

Abgrenzung zu anderen Belastungsarten 2.2.2.2

 Sofern die Last auch verändert wird, sind auch die Belastungsarten „Ganzkör-perkräfte“ und/oder „manuelle Arbeitsprozesse“ zu berücksichtigen.

 Sofern das Tragen der Last nicht ausschließlich horizontal oder in Verbindung mit erschwertem Gehen (z. B. Ackerboden, Leitern, Steigungen/Gefälle >10°) er-folgt, ist auch die Belastungsart „Körperfortbewegung“ zu berücksichtigen.

 Heben, Halten und Tragen von Lasten mit Hilfsmitteln wie Zangen oder Schau-feln ohne Veränderung/Bearbeitung des Transportgutes oder das Fan-gen/Werfen von Lasten ist in Abhängigkeit des Kraftniveaus den Belastungsarten

„Ganzkörperkräfte“ oder „manuelle Arbeitsprozesse“ zuzuordnen.

 Pflegetätigkeiten, die über die in dieser Belastungsart beschriebenen Definitio-nen von manuellem Heben, Halten und/oder Tragen hinausgehen, wie beim Pa-tiententransfer, sind der Belastungsart „Ganzkörperkräfte“ zuzuordnen.

Aspekte/Merkmale der Belastungsart

 Lastgewicht (manuelles Heben, Halten und Tragen von Lasten ≥3 kg) Generelle Bedingungen

 Arbeitsorganisation (z. B. Belastungswechsel)

 Arbeitsdichteverteilung (Belastungsverteilung über die Schicht)

 Ausführungsbedingungen (z. B. Boden, Nässe/Zugluft, Bewegungsspielraum)

 Körperhaltung

− Rumpf: Beugung, Verdrehung

− untere Extremitäten, insbesondere Knie

− obere Extremitäten, insbbesondere Nacken/HWS und Schulter Belastungsartspezifische Bedingungen

 Positioniergenauigkeit

 Bewegungsgeschwindigkeit

 Greifbedingungen/Kraftübertragung/Griffgestaltung

 Lastposition bezogen auf den Körper

− Heben, Halten ODER Tragen

− symmetrisch ODER asymmetrisch

− Art der Krafteinleitung/Kraftübertragungspunkt (z. B. Hand, Arm, Schulter)

− Höhe/Position Kraftangriffspunkt

− Greifausgangshöhe/Greifendhöhe

− Greifen über Schulterhöhe

− körperfernes/seitliches Greifen

 Haltungsstabilisierung/Kraftfluss (intern/extern)

 einhändig ODER beidhändig

 eine ODER mehrere Personen

Wirkungsprinzip 2.2.2.4

Das manuelle Heben, Halten oder Tragen von Lasten kann zu motorisch-biomechanischen Beanspruchungen insbesondere im Bereich des unteren Rückens wie auch in den oberen und unteren Extremitäten führen. Energetische Belastungen können zu Herz-Kreislauf-Beanspruchungen des gesamten Organismus führen (Abb. 2.2). Die Höhe der Beanspruchung und damit auch die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Überbeanspruchungen durch das manuelle Heben, Halten und Tragen von Lasten ist von der Höhe der o. g. Faktoren abhängig sowie den persönli-chen Voraussetzungen wie konstitutionelle Faktoren, Trainingszustand, Erfahrung in der ausgeübten Tätigkeit.

Abb. 2.2 Zusammenhang zwischen der Belastungsart „Heben/Halten/Tragen“

und den Zielregionen. Dicke/farbige Pfeile kennzeichnen die Hauptziel-regionen (hier Hüfte, unterer Rücken/LWS, Hand-/Handgelenke, Schul-ter/Oberarm und das Herz-Kreislauf-System).

Abhängig von der Art, Dauer und der Intensität der Belastungen können akute Beein-trächtigungen und chronische Gesundheitsschädigungen entstehen:

Akute Gesundheitsbeeinträchtigungen sind insbesondere

 im unteren Rücken plötzlich auftretende Überlastungen der Muskeln und Bänder des Rückens wie Verhebeereignisse mit Rückenbeschwerden und Lumboischi-algien,

 an den oberen Extremitäten Überbeanspruchungen der Muskulatur, der Bänder, der Schleimbeutel, der Sehnen- sowie Sehnenansätze (Beschwerden, Schmer-zen).

 Als Folgen von Heben, Halten oder Tragen von Lasten sind auch Verletzungen durch Unfälle (z. B. Quetschung, Stauchung, Prellung) zu beachten.

Chronische Gesundheitsschädigungen durch länger dauernde Expositionen sind ins-besondere

 bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges und regelmäßiges Heben oder Tragen schwerer Lasten sowie der

Halswirbelsäu-le durch das langjährige und regelmäßige Tragen schwerer Lasten auf der Schul-ter bzw. dem Kopf,

 Erkrankungen der Kniegelenke.

 Darüber hinaus sind Veränderungen im Zusammenhang mit Druckerhöhungen im Bauchraum (z. B. Hernien) sowie an den Beinen (z. B. Varizenbildung an Wa-den) als Beanspruchungsfolgen zu beachten.

Mögliche „messbare Outcomes“

2.2.2.5

A. Biomechanische Betrachtung

Hohe Belastung des unteren Rückens mit bevorzugter Betrachtung der Druck-kräfte und Beugemomente auf die Bandscheiben der Lendenwirbelsäule sowie der Asymmetrie-kennzeichnenden Belastungsgrößen (Torsions-/Seitbeuge-momente).

B. Medizinische Betrachtung

Prävalenz und Beschwerden/Erkrankungen: Die Belastungen können insbeson-dere Beschwerden/Erkrankungen in den Bereichen unterer Rücken, Hände-/Handgelenke und Schulter/Oberarm verursachen, bei Lastenhandhabungen auf der Schulter zusätzlich im Bereich Nacken/HWS. Bei höheren Häufigkei-ten/Dauern, schwereren Lasten und längeren Wegstrecken können auch erhöhte Belastungen der unteren Extremitäten Hüfte-/Oberschenkel, Sprunggelenk/Füße und insbesondere Knie auftreten.

C. Energetische Betrachtung

Bei höheren Häufigkeiten/Dauern, schwereren Lasten und längeren Wegstre-cken können auch erhöhte Belastungen des Herz-Kreislauf-Systems (erhöhte Herzschlagfrequenz, erhöhter Sauerstoff-Verbrauch (O2-Verbrauch)) auftreten.

D. Psychophysische Betrachtung

Subjektives Beanspruchungsempfinden: Es wird von einem erhöhtem Anstren-gungsempfinden ausgegangen.

E. Muskelphysiologische Betrachtung

Elektromyographische Aktivität, lokale Muskelermüdung und gehäufte Muskel-verspannung.

F. Betrachtung des Last-/Kraftniveaus

Last- bzw. Krafthöhen können Hinweise auf die Ausführbarkeit/Erträglichkeit ge-ben.

Tab. 2.3 Übersicht der zur Evaluierung der Methoden für die Belastungsart „He-ben, Halten und Tragen“ möglichen zu betrachtenden Outcomes sowie ein Ranking der Relevanz/Aussagekraft und Realisierbarkeit

Outcomes Bezug Q*5 Relevanz/Aussage u.

Realisierbarkeit (1 gering/3 hoch) erhöhte Bandscheibendruckkräfte

(Bestimmung: Druckkraft und kumulative Dosis (Dortmunder)) A 3 3 erhöhte Torsions-/Beugemomente

(Bestimmung: Momente und Kriterien (Tichauer)) A 3 3 erhöhte Prävalenz von Beschwerden

(Befragung: Schmerzen, Missempfindungen) B 1 3 erhöhtes Anstrengungsempfinden (Befragung: Borg-Skala) D 1/4 3 erhöhtes Kraftniveau (Messung: Lastgewicht) F 2/3 3 erhöhtes Auftreten von anamnestischen/klinischen Hinweisen auf

typische Funktionsstörungen/Erkrankungsbilder des

Muskel-Skelett-Systems (med. Anamnese/Untersuchung) B 1 2 erhöhte Herzschlagfrequenz (Messung: HSF) C 3 2

erhöhter Energieumsatz (Messung: O2-Verbrauch) C 3 2 erhöhte Anteile statischer und/oder dynamischer Muskelaktivität

(Messung: EMG) E 3 1

*Quellen: 1: Befragung/Untersuchung, 2: Arbeitsanalyse allgemein, 3: Individuelle Messung von 1–2 Probanden pro/am Arbeitsplatz (AP), 4: Individuelle Befragung von 1–2 Probanden pro/am AP

Beispiele für Tätigkeiten mit hohen Belastungen durch Heben, Halten 2.2.2.6

und Tragen

 Auf-/Abladen von Säcken,

 Sortieren von Paketen,

 Beladung von Maschinen ohne Hebehilfen,

 Kommissionieren,

 Umladen palettierter Waren,

 Richtarbeiten am Dach von Hand,

 Kinderbetreuung in KITAs,

 manueller Krankentransport (ohne Ziehen und Schieben von Betten, Rollstühlen etc.)

Belastungsart: Manuelles Ziehen und Schieben von Lasten 2.2.3

Beschreibung der Belastungsart 2.2.3.1

Diese Belastungsart (Gefährdungsfaktor 9.2, Tab. 2.2) berücksichtigt das Fortbewe-gen einer Last ≥3 kg durch menschliche Kraft mit Körperfortbewegung auf rollendem Hilfsmittel mit Druck des Körpers über die Arme und Hände gegen die Last (ben) oder Zug an der Last durch Hände und Arme (Ziehen). Das Ziehen und Schie-ben erfolgt in der Regel mit Hilfsmitteln (z. B. Flurförderzeuge wie Karren, Wagen, Roller, Trolleys, (Müll-)Container, Gleiswagen, Rollenbahnen, Kugelbahnen,

5 Nicht alle der hier genannten möglichen Outcomes wurden für die Evaluierung verwendet.

bahnsysteme) ohne deren Veränderung und/oder Bearbeitung der Last. Lasten kön-nen Gegenstände oder Persokön-nen sein.

Abgrenzung zu anderen Belastungsarten 2.2.3.2

 Ohne Berücksichtigung von Kraftaufwendungen zum Bewegen von Werkzeugen oder Produkten innerhalb des Bereichs eines Arbeitsplatzes (ansonsten – ab-hängig vom Kraftniveau – Belastungsart „Manuelle Arbeitsprozesse“ oder „Ganz-körperkräfte“ verwenden).

 Gleiten von Kisten, Material über den Boden oder Tisch ist – abhängig vom Kraftniveau – der Belastungsart „Manuelle Arbeitsprozesse“ oder „Ganzkörper-kräfte“ zuzuordnen.

 Arbeit mit Manipulatoren und vergleichbaren technischen Hilfsmitteln oder das Bewegen von Lasten auf Rollenbahnen/Kugelbahnen bei geringer Körperfortbe-wegung fällt – abhängig vom Kraftniveau – in die Belastungsart „Manuelle Ar-beitsprozesse“ oder „Ganzkörperkräfte“.

 Lastgewicht/Hilfsmittel: manuelles Schieben oder Ziehen von Lasten ≥3 kg inkl.

− Ankippen (z. B. bei Müllbehältern, Sackkarren)

− Anheben (z. B. bei Schubkarren)

− Lenken/Manövrieren

− Bremsen/Beschleunigen

 Beispiele für manuelles Bewegen von Flurförderzeugen mit Körperfortbewegung

− Einrad-Karren (z. B. Schubkarren)

− Zweirad-Karren (z. B. „Japaner“, Sackkarre, Müllbehälter)

− Wagen ohne Bockrollen (nur Lenkrollen), z. B. Einkaufswagen

− Roller (z. B. Rollbrett), Trolleys

− Wagen mit Bockrollen (z. B. auch Krankenhausbetten, Müll-Container) mit und ohne Deichsel in unterschiedlicher Rollenanordnung

− Schienengebundene Transportmittel, z. B. Gleiswagen, Hängebahnen Generelle Bedingungen

 Arbeitsorganisation (z. B. Belastungswechsel)

 Arbeitsdichteverteilung (Belastungsverteilung über die Schicht)

 Ausführungsbedingungen (z. B. unebener Boden, Nässe/Zugluft, fehlender Be-wegungsspielraum)

 Körperhaltung

− Rumpf: Beugung, Verdrehung

− untere Extremitäten, insb. Knie

− obere Extremitäten, insb. Nacken/HWS und Schulter

Belastungsartspezifische Bedingungen

 Positioniergenauigkeit

 Bewegungsgeschwindigkeit

 Greifbedingungen/Kraftübertragung/Griffgestaltung

 Lastposition bezogen auf den Körper

− Ziehen ODER Schieben

− symmetrisch ODER asymmetrisch

− vorwärts ODER rückwärts

− Art der Krafteinleitung/Kraftübertragungspunkt (z. B. Hand, Arm, Schulter)

− Höhe/Position Kraftangriffspunkt

− Greifhöhen (rechts/links, zeitlich veränderlich)

− Greifen über Schulterhöhe

− körperfernes/seitliches Greifen

 Haltungsstabilisierung/Kraftfluss (intern/extern)

 einhändig ODER beidhändig

 eine ODER mehrere Personen

 Rollen/Räder bei Flurförderzeugen/Rollen-/Kugelbahnen

− Zustand der Rollen (Verschleiß)

− Art der Rollen (Gummi, Hartkunststoff, …)

− Anordnung der Rollen

− Art der Lager

Wirkungsprinzip 2.2.3.4

Das manuelle Ziehen oder Schieben von Lasten führt durch Krafteinsatz des Körpers zu einer Beanspruchung mit Wirkungen auf

 die Gelenke der oberen und der unteren Extremitäten,

 die Wirbelsäule und

 das Herz-Kreislauf-System (Abb. 2.3).

Die Höhe der Beanspruchung und damit auch die Wahrscheinlichkeit für das Auftre-ten von Überbeanspruchungen durch das Ziehen oder Schieben ist von der Ausprä-gung der o. g. Faktoren abhängig sowie den persönlichen Voraussetzungen wie kon-stitutionelle Faktoren, Trainingszustand, Erfahrung in der ausgeübten Tätigkeit.

Abb. 2.3 Zusammenhang zwischen der Belastungsart „Ziehen/Schieben“ und den Zielregionen. Dicke/farbige Pfeile kennzeichnen die Hauptzielregi-onen (hier unterer Rücken/LWS, obere Extremitäten und das Herz-Kreislauf-System).

Mögliche „messbare Outcomes“

2.2.3.5

A. Biomechanische Betrachtung

Es kommt zu Belastungen insbesondere des unteren Rückens, so dass die Druckkräfte und Beugemomente auf die Bandscheiben der Lendenwirbelsäule sowie die Asymmetrie-kennzeichnenden Belastungsgrößen (Torsions-/Seitbeugemomente) bevorzugt betrachtet werden sollten.

B. Medizinische Betrachtung

Prävalenz und Beschwerden/Erkrankungen: Die Belastungen können insbeson-dere Beschwerden/Erkrankungen in den Bereichen unterer Rücken, Hand-/Handgelenke, Ellenbogen/Unterarm und Schulter/Oberarm verursachen. Bei hö-heren Häufigkeiten/Dauern, schwereren Lasten und längeren Wegstrecken kön-nen auch erhöhte Belastungen der unteren Extremitäten auftreten.

C. Energetische Betrachtung

Bei höheren Häufigkeiten/Dauern, Lasten oder längeren Wegstrecken können auch erhöhte Belastungen des Herz-Kreislauf-Systems (erhöhte Herzschlagfre-quenz, erhöhter O2-Verbrauch) auftreten.

D. Psychophysische Betrachtung

Subjektives Beanspruchungsempfinden: Es wird von einem erhöhtem Anstren-gungsempfinden ausgegangen.

E. Muskelphysiologische Betrachtung

Elektromyographische Aktivität, lokale Muskelermüdung und gehäufte Muskel-verspannung.

F. Betrachtung des Last-/Kraftniveaus

Last- bzw. Krafthöhen können Hinweise auf die Ausführbarkeit/Erträglichkeit ge-ben.

Tab. 2.4 Übersicht der zur Evaluierung der Methoden für die Belastungsart „ma-nuelles Ziehen und Schieben“ möglichen zu betrachtenden Outcomes sowie ein Ranking der Relevanz/Aussagekraft und Realisierbarkeit

Outcomes Bezug Q*6 Relevanz/Aussage u.

Realisierbarkeit (1 gering/3 hoch) erhöhte Prävalenz von Beschwerden

(Befragung: Schmerzen, Missempfindungen) B 1 3 erhöhtes Anstrengungsempfinden (Befragung: Borg-Skala) D 1/4 3 erhöhtes Kraftniveau (Messung: Lastgewicht, Aktionskräfte i. S.

v. Hand/Arm- od. Ganzkörperkräften) F 2/3 3 erhöhte Bandscheibendruckkräfte

(Bestimmung: Druckkraft und kumulative Dosis (Dortmunder) A 3 2 erhöhte Torsions-/Beugemomente

(Bestimmung: Momente und Kriterien (Tichauer)) A 3 2 erhöhtes Auftreten von anamnestischen/klinischen Hinweisen

auf typische Funktionsstörungen/Erkrankungsbilder des

Muskel-Skelett-Systems (med. Anamnese/Untersuchung) B 1 2 erhöhte Herzschlagfrequenz (Messung: HSF) C 3 2

erhöhter Energieumsatz (Messung: O2-Verbrauch) C 3 2 erhöhte Anteile statischer und/oder dynamischer Muskelaktivität

(Messung: EMG) E 3 2

*Quellen: 1: Befragung/Untersuchung, 2: Arbeitsanalyse allgemein, 3: Individuelle Messung von 1–2 Probanden pro/am Arbeitsplatz (AP), 4: Individuelle Befragung von 1–2 Probanden pro/am AP

Beispiele für Tätigkeiten mit hohen Belastungen durch Ziehen und 2.2.3.6

Schieben

Hohe Belastungen beim Ziehen und Schieben können verschiedene Ursachen ha-ben. Die Höhe der Belastung ergibt sich immer aus der Kombination von Dauer, Lastmasse, Flurförderzeug, Fahrwegbeschaffenheit, Körperhaltung sowie weiteren Faktoren. Dementsprechend zahlreich sind die Kombinationsmöglichkeiten, die trotz unterschiedlicher Lastmasse (hoch, mittel, gering) zu hohen Belastungen führen:

 Beispiel für hohe Lastmasse: 1.100 kg Ladung mit einem Gabelhubwagen auf nicht optimalem Fahrweg, 500 m Fahrweg/Tag

 Beispiel für mittlere Lastmasse: 250 kg Krankenhausbettentransport (zentrale Desinfektion), optimaler Fußboden, enge Durchfahrten, 10 km/Tag

 Beispiel für geringe Lastmasse: 110 kg Müllcontainer unter wechselnden Stra-ßenverhältnissen, hohe Bewegungsgeschwindigkeit, enge Passagen, 4 km/Tag

Belastungsart: Manuelle Arbeitsprozesse 2.2.4

Beschreibung der Belastungsart 2.2.4.1

Diese Belastungsart (Gefährdungsfaktor 9.3, Tab. 2.2) berücksichtigt gleichförmige, sich wiederholende Bewegungsabläufe und Kraftaufwendungen der oberen Extremi-täten ggf. unter der Verwendung von Instrumenten, kleineren Werkzeugen oder handgeführten Maschinen, meist stationär im Sitzen oder Stehen. Arbeitsaufgabe ist

6 Nicht alle der hier genannten möglichen Outcomes wurden für die Evaluierung verwendet.

die Bearbeitung (Veränderung) des Arbeitsgegenstandes oder die Bewegung (Hand-habung) von kleinen Gegenständen zumeist bis ca. 3 kg.

Abgrenzung zu anderen Belastungsarten 2.2.4.2

 Sofern die Tätigkeit das Bewegen von Lasten ≥3 kg beinhaltet sind auch die Be-lastungsarten „Heben, Halten, Tragen“ und/oder „Ziehen und Schieben“ zu be-rücksichtigen.

 Sofern die Tätigkeit das häufige Aufbringen von hohen Kräften, z. B. bei der

 Sofern die Tätigkeit das häufige Aufbringen von hohen Kräften, z. B. bei der