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Arbeitsentwürfe der Leitmerkmalmethoden, Stand 2017/2018

AP 5: Entwicklung von Methodenentwürfen und deren Evaluation

4 Konzeption der Methoden des Speziellen Screenings

4.4 Arbeitsentwürfe der Leitmerkmalmethoden, Stand 2017/2018

Vorbemerkungen 4.4.1

In den folgenden Kapiteln werden die Entwurfsversionen der Leitmerkmalmethoden aus den Jahren 2017/2018 dargestellt. Die im vorherigen Kapitel beschriebenen Vor-entwürfe aus dem Jahr 2015 wurden im Rahmen von weiteren Entwicklerworkshops und parallelen Berechnungen iterativ weiterentwickelt. Im Jahr 2017 wurde die Arbeit an diesen Entwürfen weitgehend abgeschlossen und dann u. a. Analysen zur Kon-vergenzvalidität (Kap. 5.5) sowie Erhebungen zur Reliabilität (Kap. 5.6) und zur Ob-jektivität (Kap. 5.7) durchgeführt. Zudem bildeten diese Methoden-Entwürfe die Grundlage für den Dokumentationsbogen (Anh. 2) zur Beschreibung der Belastun-gen an den untersuchten Arbeitsplätzen. Im Jahr 2018 wurden noch redaktionelle Änderungen an allen LMM und geringfügige Korrekturen an einzelnen Lastwichtun-gen der LMM-ZS vorLastwichtun-genommen. Diese Entwürfe (Anh. 3 bis Anh. 8) bildeten dann die Grundlage für die Prüfung der Kriteriumsvalidität (Kap. 5.4). Die Methoden wer-den im gesamten Bericht mit wer-den Jahren 2017/2018 bezeichnet.

Spezielles Screening „manuelles Heben, Halten und Tragen von 4.4.2

Lasten“ (Entwurf 2017/2018)

Patrick Serafin1), André Klußmann1), Andreas Schäfer1), Hansjürgen Gebhardt1), Ulf Steinberg2), Bernd Hartmann3), Felix Brandstädt4), Marianne Schust4)

1) Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER), Corne-liusstraße 31, 42329 Wuppertal

2) Ergonomieberatung Ulf Steinberg (ebus.), für die BAuA, Nölnerstraße 40–42, 10317 Berlin

3) ArbMedErgo, Hamburg, Steinbeker Grenzdamm 30d, 22115 Hamburg

4) Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Nöldnerstraße 40–42, 10317 Berlin

Merkmale der Leitmerkmalmethode „manuelles Heben, Halten und Tra-4.4.2.1

gen von Lasten“ (Entwurf 2017/2018)

Der Entwurf der Leitmerkmalmethode „manuelles Heben, Halten und Tragen von Lasten“ (Entwurf 2017/2018) enthält neben der Zeitwichtung fünf weitere Leitmerk-male. Die Merkmale setzen sich wie folgt zusammen:

4.4.2.1.1 Merkmal Zeitwichtung

Die Bestimmung der Zeitwichtung erfolgt anhand der Tabelle (Abb. 4.21) in Abhän-gigkeit der Häufigkeit (Anzahl der Wiederholungen) bei Hebe-, Absenk-, Umsetz-, Halte- oder Tragevorgängen (HHT-Vorgänge). Die angegebenen Zeitwichtungen entsprechen genau den darüberstehenden Häufigkeiten, sind also die Stützstellen der zugrundeliegenden Funktion.

Abb. 4.21 Zeitwichtung der LMM-HHT (Entwurf 2017/2018)

Überschlägig kann die am Arbeitsplatz tatsächlich ermittelte Anzahl der HHT-Vorgänge einfach der nächsthöheren Kategorie zugeordnet werden, z. B. für 80 er-mittelte HHT-Vorgänge wird in der Spalte 100 eine Zeitwichtung von 2,5 abgelesen.

Mittels linearer Interpolation erhält man ein genaueres, ggf. etwas günstigeres Er-gebnis.

(4.3)

mit x = Anzahl HHT-Vorgänge, y = Zeitwichtung

Beispiel 1: Gezählt wurden 800 HHT-Vorgänge, die interpolierte Zeitwichtung ist also zwischen den Werten für 750 und 1000 HHT-Vorgänge zu ermitteln.

→ Zeitwichtung = 6 + (7 - 6) / (1000 - 750) * (800 - 750) = 6,2

Beispiel 2: Gezählt wurden 40 HHT-Vorgänge, die interpolierte Zeitwichtung ist also zwischen den Werten für 20 und 50 HHT-Vorgänge zu ermitteln.

→ Zeitwichtung = 1,5 + (2 - 1,5) / (50 - 20) * (40 - 20) = 1,8

Sinnvoller Weise genügt eine Rundung auf eine Nachkommastelle.

Die kleinstmögliche Zeitwichtung ist 1, d. h. auch bei weniger als 5 HHT-Vorgängen wird mindestens mit einer Zeitwichtung von 1 gerechnet.

Extrapolation ist anzuwenden, wenn die ermittelten HHT-Vorgänge über 2.500 Mal pro Schicht liegen. Hierbei sind je 500 Wiederholungen eine Zeitwichtung von + 0,5 anzusetzen. Also 3.000 → Zeitwichtung = 10,5; 4.500 → Zeitwichtung = 12; usw.

4.4.2.1.2 Merkmal „Wirksames Lastgewicht“

Die Bestimmung der Lastwichtung erfolgt anhand der Tabelle getrennt für Männer und Frauen. Werden unterschiedlich schwere Lasten gehandhabt, ist eine häufig-keitsgewichtete Mittelwertbildung der Lastgewichte zulässig. Wird die Lastkategorie

≥25 Punkte erreicht, darf keine Mittelwertbildung erfolgen. Ist eine Mittelwertbildung nicht mehr zulässig, sind die Handhabungsvorgänge als getrennte Teil-Tätigkeiten zu erfassen (z. B. mit LMM-HHT-E). Die angegebenen Lastwichtungen entsprechen dem jeweiligen Ende der genannten Lastbereiche, d. h. ein Lastgewicht von 15 kg entspricht für Männer einer Lastwichtung von genau 8 Punkten, für Frauen von 12 Punkten (Abb. 4.22).

Abb. 4.22 Merkmal „Wirksames Lastgewicht“ der LMM-HHT

Überschlägig kann eine Lastwichtung einfach innerhalb des passenden Lastbereichs abgelesen werden, z. B. für ein Lastgewicht von 12 kg wird in der Zeile „>10 bis 15 kg“ für Männer eine Lastwichtung von 8, für Frauen von 12 abgelesen.

Mittels linearer Interpolation erhält man ein genaueres, ggf. etwas günstigeres Er-gebnis.

(4.4)

mit x = wirksames Gewicht, y = Lastwichtung

Beispiel: Das gemessene Lastgewicht beträgt 12 kg, die interpolierte Lastwichtung ist also in der Zeile „>10 bis 15 kg“ zu ermitteln.

→ Lastwichtung Männer = 6 + (8 - 6) / (15 - 10) * (12 - 10) = 6,8

→ Lastwichtung Frauen = 9 + (12 - 9) / (15 - 10) * (12 - 10) = 10,2 Sinnvoller Weise genügt eine Rundung auf eine Nachkommastelle.

Sofern bei Lasten ≤3 kg typische Umsetz-Bewegungsabläufe erkennbar sind, kann auch diese Methode angewendet werden. In diesem Fall sind als Lastwichtung für Männer 3 Punkte, für Frauen 4,5 Punkte anzusetzen. Sind keine typischen Umsetz-Bewegungsabläufe erkennbar, so ist ggf. LMM-MA anwendbar.

Durch die in der Lastwichtung eingezogenen Grenzen von 75, 85 und 100 Punkten können die Bewertungen natürlich sehr hoch werden. Dies ist so beabsichtigt und soll mit einem Endergebnis über 100 Punkten eine wahrscheinliche körperliche Überbeanspruchung sowie erforderliche Gestaltungsmaßnahmen deutlich aufzeigen.

4.4.2.1.3 Merkmal „Lastaufnahmebedingungen“

Unter dem Merkmal „Lastaufnahmebedingungen“ wird eine ggf. vorkommende ein-händige Lastaufnahme, eine unsymmetrische Lastverteilung und/oder ein instabiler Lastschwerpunkt bewertet (Abb. 4.23).

Abb. 4.23 Merkmal „Lastaufnahmebedingungen“ der LMM-HHT

Werden z. B. zwei gleichartige Lasten an je einer Hand getragen, gilt dies als beid-händig und symmetrisch. Beispiele für einen instabilen Lastschwerpunkt sind der Pa-tiententransfer in Pflegeberufen oder instabile Kartonage-Paletten im Lebensmittel-bereich. Eine zweckmäßige Interpolation bei den Zwischenstufen ist zulässig.

4.4.2.1.4 Merkmal Körperhaltung

Bei der manuellen Handhabung von Lasten handelt es sich typsicherweise um dy-namische Vorgänge, in deren Verlauf eine Reihe unterschiedlicher Körperhaltungen eingenommen werden. Ein Beispiel ist das Aufnehmen einer Last nahe Bodenhöhe und anschließendes Abstellen in einem Regal über Schulterhöhe. Hierbei beginnt ein Vorgang je nach Arbeitstechnik mit einem tiefen Beugen des Oberkörpers bzw. ei-nem in die Hocke gehen, gefolgt von eiei-nem Aufrichten und anschließendem Anhe-ben der Arme zur Zielposition der Last.

Um solche Bewegungsabläufe besser bewerten zu können, werden zur Bestimmung der Haltungswichtung sogenannte Haltungssequenzen zur Einordnung der Grundhal-tung von Rücken und Beine verwendet (Abb. 4.24). Das heißt, jeder HalGrundhal-tungsse- Haltungsse-quenz wird eine Grundhaltung beim Start und beim Ziel der Lastenhandhabung zu-geordnet. Wobei die Bewegung in beide Richtungen erfolgen kann, d. h. die darge-stellten Piktogramme für die Körperhaltungen können sowohl Start als auch Ziel der Lastenhandhabung darstellen.

In Form von Zusatzpunkten werden dann getrennt von der Grundhaltung des Rü-ckens und der Beine weitere Aspekte wie Rumpfverdrehung und Rumpfseitneigung sowie die Hand- und Armhaltung berücksichtigt. Achtung: Die Summe der Zusatz-punkte ist auf 6 Punkte begrenzt. Auch wenn mehrere Zusatzbedingungen zutreffend sind, wird mit maximal 6 Punkten weitergerechnet (Abb. 4.24).

Die Umschreibungen zeitlicher Anteile bedeuten:

Selten: <5 % der Vorgangszeit

Gelegentlich: 5 %–<25 % der Vorgangszeit Häufig: 25 %–<75 % der Vorgangszeit Ständig: >75 % der Vorgangszeit

Abb. 4.24 Merkmal „Lastwichtung“ inklusive Zusatzpunkte der LMM-HHT

Alle Zusatzpunkte werden in zwei Ausprägungen angeboten (getrennt durch die ge-strichelte Linie), eine Doppelnennung beider Ausprägungen ist nicht möglich.

Als körperfern gilt, wenn der Lastschwerpunkt (meist gleich dem Kraftangriffspunkt) weiter als eine Unterarmlänge (Ellenbogen bis Handmitte/Griffachse) von der Kör-permitte entfernt ist.

Beispiel: Eine am Boden stehende Palette mit Kartons wird abgeräumt, die Kartons werden auf eine Arbeitshöhe von ca. 80 cm abgesetzt.

→ Wichtung zur Körperhaltung = 7 plus 1 Zusatzpunkt für körperfernes Greifen bei der Aufnahme der Kartons. Ggf. treffen auch weitere Zusatzpunkte, z. B. für eine Rumpfverdrehung zu.

Eine zweckmäßige Interpolation bei den Zwischenstufen ist zulässig.

4.4.2.1.5 Merkmal „Ungünstige Ausführungsbedingungen

Für die ungünstigen Ausführungsbedingungen werden Zwischenwichtungen für die einzelnen Aspekte vergeben und zu einem Gesamtwert addiert. Anders als bei den Zusatzpunkten für die Körperhaltung gibt es hier keinen Maximalwert. Eine zweck-mäßige Interpolation bei den Zwischenstufen ist auch hier zulässig (Abb. 4.25).

Abb. 4.25 Merkmal „Ungünstige Ausführungsbedingungen“ der LMM-HHT Untermerkmal: Hand-/Armstellung, -bewegung

Eine exakte Bestimmung der Gelenkbelastung ist aufgrund der vielen beteiligten Ge-lenke im Hand-Arm-Bereich nicht möglich, daher liegt das Augenmerk auf deutlich erkennbaren Abweichungen von der Mittellage und es wird eine überschlägige Ge-samteinschätzung vorgenommen. Orientierungswerte für Gelenkstellungen der Hand zeigt Abbildung 4.26. Alles außerhalb des grünen Bereichs zählt in diesem Zusam-menhang als schlecht. Ausschlaggebend ist die Dauer der Abweichungen, weniger der exakte Gelenkwinkel. Die Hand-/Armstellung wird in zwei Ausprägungen beur-teilt, eine Doppelnennung ist nicht möglich.

Abb. 4.26 Hilfestellung zur Bestimmung der Gelenkbelastung: Hand-/Armstellung, -bewegung

Die Häufigkeitsangaben sind wie folgt zu interpretieren:

 gelegentlich: 5 %–<25 % der Vorgangszeit

 häufig/ständig: >25 % der Vorgangszeit Kraftübertragung/-einleitung

Auch diese Ausführungsbedingung wird in zwei Ausprägungen beurteilt, „einge-schränkt“ und „erheblich behindert“, eine Doppelnennung beider Ausprägungen ist nicht möglich.

Beispiele für eine schlechte Kraftübertragung/-einleitung sind beispielsweise Kartons.

Die Kartons haben weder Griffe noch Einbuchtungen, die Oberfläche ist glatt. Griffige Arbeitshandschuhe können die Kraftübertragung/-einleitung begünstigen, aber auch hinderlich sein. Hier muss im Einzelfall abgewogen werden.

Umgebungsbedingungen

Niedrige Temperaturen und/oder Nässe z. B. in Kühl- oder Tiefkühlbereichen und Küchen, vor Regen und/oder Sonneneinstrahlung ungeschütztes Arbeiten im Freien, prozessbedingte Hitze oder Wärmestrahlung, usw. können hier berücksichtigt wer-den.

Räumliche Bedingungen

Die räumlichen Bedingungen werden in zwei Ausprägungen beurteilt, „einge-schränkt“ und „ungünstig“, eine Doppelnennung ist nicht möglich.

Achtung: Bei ungünstiger Bodenbeschaffenheit wie z. B. starke Verschmutzung, un-ebener oder grob gepflasterter Boden, Stufen/Schlaglöcher, stärkere Neigung 5–10°

oder allgemein eine eingeschränkte Standsicherheit sollte diese Teil-Tätigkeit mit der LMM-KB (Körperfortbewegung) bewertet werden! Bei stark eingeschränkter Bewe-gungsfreiheit, zu geringer Höhe oder allgemein Arbeiten auf engem Raum könnte ggf. die LMM-KH (Körperhaltung) angewendet werden.

Kleidung

Zusätzliche Belastung durch beeinträchtigende Kleidung oder Ausrüstung (z. B. Tra-gen schwerer ReTra-genjacken, GanzkörperschutzanzüTra-gen, Atemschutzgeräten, Werk-zeuggürteln o. ä.) kann hier mit maximal 1 Punkt berücksichtigt werden.

Erschwernis durch Halten/Tragen

Die zusätzliche Erschwernis durch das Halten oder Tragen von Lasten wird durch Zusatzpunkte unter dem Merkmal „Ausführungsbedingungen“ berücksichtigt. Es gel-ten:

Beim Halten:

Halten bis 5 s: → reiner Umsetzvorgang, keine Erschwernis durch Halten, Punktwert 0

Halten 5 s bis 10 s: → Erschwernis durch Halten, Punktwert 2

Halten >10 s: → deutliche Erschwernis durch Halten, Punktwert 5 Beim Tragen:

Tragen bis 2 m: → reiner Umsetzvorgang, keine Erschwernis durch Tragen,

Punktwert 0

Tragen 2 m bis 5 m: → Erschwernis durch Tragen, Punktwert 2

Tragen 5 m bis 10 m:→ deutliche Erschwernis durch Tragen, Punktwert 5

Tragen >10 m: → Sind Lasten über Strecken >10 m zu tragen ist diese Teil-Tätigkeit mit der LMM „Körperfortbewegung“ zu be-werten!

4.4.2.1.6 Merkmal „Arbeitsorganisation/Zeitliche Verteilung“

Mit dem Merkmal „Arbeitsorganisation/Zeitliche Verteilung“ wird insbesondere die Gefahr übermäßiger muskulärer Ermüdung durch

 einseitige, gleichartige Belastungsmuster,

 hohe Arbeitsgeschwindigkeit und

 unzureichende Pausen berücksichtigt.

Abb. 4.27 Merkmal „Arbeitsorganisation/Zeitliche Verteilung der LMM-HHT

„Belastungswechsel“ beschreibt die Abfolge von andersartigen Belastungen mit deut-lich unterschieddeut-licher Inanspruchnahme von verschiedenen Muskelgruppen, variie-renden Krafthöhen, Bewegungsabläufen und Körperhaltungen. Betrachtet werden sowohl einzelne Arbeitsvorgänge als auch übergreifend der gesamte Arbeitsplatz.

 Gut: Häufig Belastungswechsel. Werden Arbeitsvorgänge nur zu einem geringen Zeitanteil ausgeführt (z. B. unter 2 Stunden pro Schicht), so kann „Gut: Häufig Belastungswechsel“ ausgewählt werden, sofern in den verbleibenden rund 6

Stunden auch Tätigkeiten mit anderen Belastungen (z. B. Belastung anderer Muskelgruppen) ausgeführt werden.

 Eingeschränkt: Selten Belastungswechsel. Alle Arbeitsvorgänge, die nicht in die Kategorie „Gut“ (s. o.) oder „Ungünstig“ (s. u.) eingeordnet werden können.

 Ungünstig: Kein/kaum Belastungswechsel. Wird ein Arbeitsvorgang überwiegend (z. B. mehr als 5 Stunden pro Schicht) ausgeführt und sind wenige Belastungs-wechsel enthalten (z. B. sich in kurzer Abfolge wiederholende gleiche Bewe-gungsabläufe), so ist „Ungünstig: kein/kaum Belastungswechsel“ auszuwählen.

4.4.2.1.7 Bewertung und Beurteilung

Die Bewertung jeder Teil-Tätigkeit erfolgt anhand eines tätigkeitsbezogenen Punkt-wertes (Berechnung durch Addition der Wichtungen der Leitmerkmale und Multiplika-tion mit der Zeitwichtung). Dieser Punktwert lässt sich einem Risikobereich zuordnen und daraus die Wahrscheinlichkeit einer körperlichen Überbeanspruchung und mög-liche gesundheitmög-liche Folgen sowie ein daraus resultierender Handlungsbedarf ablei-ten. Durch die in der Lastwichtung eingezogenen Grenzen von 75, 85 und 100 Punk-ten können die Bewertungen natürlich sehr hoch werden. Dies bedeutet aber nicht, dass ein Ergebnis von z. B. 300 Punkten dreifach schlechter sein muss, als ein Er-gebnis von 100 Punkten. Es gilt allgemein, dass ein Punktwert ab 100 Punkten Ge-staltungsmaßnahmen erforderlich macht.

Abb. 4.28 Bewertung und Beurteilung der Ergebnisse mit der LMM-HHT

Handlungsanleitung zur LMM-HHT (Entwurf 2017/2018) 4.4.2.2

Im Folgenden ist die Handlungsanleitung wiedergegeben, die sich in dieser Form auch auf der Rückseite des Formblattes (Anh. 3) befindet.

Zielstellung der Leitmerkmalmethode:

Die LMM sollen auf möglichst einfache Art und Weise die wesentlichen Belastungs-merkmale dokumentieren, dem Anwender Zusammenhänge deutlich machen und ei-ne überschlägige Bewertung der Wahrscheinlichkeit eiei-ner körperlichen Überbean-spruchung ermöglichen. Mögliche gesundheitliche Folgen sowie ein daraus resultie-render Handlungsbedarf können hieraus abgeleitet werden.

Achtung:

Dieses Verfahren dient der orientierenden Beurteilung der Arbeitsbedingungen beim Heben, Halten und Tragen von Lasten. Trotzdem ist bei der Bestimmung der Zeit-wichtung sowie der Wichtungspunkte für die Leitmerkmale (Wirksames Lastgewicht, Lastaufnahmebedingungen, Körperhaltung, ungünstige Ausführungsbedingungen (Summe aller Zwischenwichtungspunkte) und Arbeitsorganisation/zeitliche Vertei-lung) eine gute Kenntnis der zu beurteilenden Teil-Tätigkeit unbedingte Vorausset-zung. Ist diese nicht vorhanden, darf keine Beurteilung vorgenommen werden. Grobe Schätzungen oder Vermutungen führen zu falschen Ergebnissen.

Vorgehen:

Die Beurteilung erfolgt grundsätzlich für Tätigkeiten. Treten innerhalb einer Teil-Tätigkeit geringe Abweichungen z. B. bei Lastgewicht und/oder Körperhaltungen auf, so sind Mittelwerte zu bilden. Treten innerhalb eines Arbeitstages mehrere Tätigkeiten mit deutlich unterschiedlichen Bedingungen oder innerhalb einer Teil-Tätigkeit stark wechselnde Bedingungen auf, sind diese getrennt einzuschätzen und zu dokumentieren. Die Wahrscheinlichkeit einer körperlichen Überbeanspruchung kann nur beurteilt werden, wenn alle während eines Arbeitstages vorliegenden kör-perlichen Belastungen beurteilt werden. Für eine zusammenfassende Beurteilung deutlich unterschiedlicher Lastenhandhabungen kann z. B. die LMM-HHT-E verwen-det werden.

Bei Überschneidungen zu anderen Belastungsarten ist zu prüfen, ob auch weitere LMM angewendet werden müssen

(siehe hierzu http://www.baua.de/leitmerkmalmethoden/).

Zur Beurteilung sind 3 (ggf. 4) Schritte erforderlich:

1. Bestimmung der Zeitwichtung,

2. Bestimmung der Wichtung der Leitmerkmale und 3. Bewertung/Beurteilung. Als Ergebnis kann ggfs. ein

4. Schritt erforderlich sein, der die Ableitung und Umsetzung von Gestaltungs-maßnahmen und die Vorsorge beinhaltet.

Die Bestimmung der Lastwichtung erfolgt anhand der Tabelle getrennt für Männer und Frauen. Werden unterschiedlich schwere Lasten gehandhabt, ist eine häufig-keitsgewichtete Mittelwertbildung der Lastgewichte zulässig. Wird die Lastkategorie

≥25 Punkte erreicht, darf keine Mittelwertbildung erfolgen. Ist eine Mittelwertbildung nicht mehr zulässig, sind die Handhabungsvorgänge als getrennte Teil-Tätigkeiten zu erfassen (z. B. mit LMM-HHT-E). Die Bestimmung der Wichtungspunkte für die

wei-teren Merkmale erfolgt nach dem oben beschriebenen Vorgehen. Zweckmäßige In-terpolation bei Zwischenstufen ist zulässig.

Zeitwichtungen <1 dürfen nicht vergeben werden, die Zeitwichtung ist immer mindes-tens 1!

Durchführung der Dokumentation und der Bewertung/Beurteilung:

1. Schritt: Bestimmung der Zeitwichtung

Die Bestimmung der Zeitwichtung erfolgt anhand der Tabelle in Abhängigkeit der Häufigkeit (Anzahl der Wiederholungen) bei Hebe-, Absenk-, Umsetz-, Halte- oder Tragevorgängen innerhalb der zu beurteilenden Teil-Tätigkeit.

2. Schritt: Bestimmung der Wichtung der weiteren Merkmale

Die Bestimmung der Wichtungspunkte für Lastaufnahmebedingungen, Körperhal-tung, ungünstige Ausführungsbedingungen und Arbeitsorganisation/zeitliche Vertei-lung erfolgt nach dem oben beschriebenen Vorgehen. Zweckmäßige Interpolation bei Zwischenstufen ist zulässig. Als körperfern gilt eine Distanz zwischen Brust – Hand-mitte von mehr als 17 cm (5 %-Perzentil, europäischer Wert).

3. Schritt: Die Bewertung und Beurteilung

Die Bewertung jeder Teil-Tätigkeit erfolgt anhand eines tätigkeitsbezogenen Punkt-wertes (Berechnung durch Addition der Wichtungen der Leitmerkmale und Multiplika-tion mit der Zeitwichtung). Dieser Punktwert lässt sich einem Risikobereich zuordnen und daraus die Wahrscheinlichkeit einer körperlichen Überbeanspruchung und mög-liche gesundheitmög-liche Folgen sowie ein daraus resultierender Handlungsbedarf ablei-ten.

4. Schritt: Gestaltung und Vorsorge

In Ergänzung zu den auf Basis der Risikobewertung abzuleitenden präventiven Maßnahmen gilt:

 Ab dem Risikobereich 3 „wesentlich erhöht“ sind in der Regel Gestaltungsmaß-nahmen sowie weitere kollektive und individuelle PräventionsmaßGestaltungsmaß-nahmen not-wendig. Arbeitsmedizinische Vorsorge nach ArbMedVV ist anzubieten*.

 Gestaltungs- und Präventionsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Be-schäftigtengruppen (z. B. Jugendliche oder Leistungsgewandelte) sind unabhän-gig von der Belastungshöhe und gegebenenfalls im Einzelfall zu betrachten, wie z. B. im Rahmen der Wunschvorsorge.

 Durch Aufsuchen der höchsten Punktwerte der Leitmerkmale können die Ursa-chen erhöhter Belastungen erkannt und Änderungen angestoßen werden. Gestal-tungsbedarf sollte auch geprüft werden, wenn Einzelmerkmale maximale Wich-tungen aufweisen. Gegebenenfalls vorhandene Hinweise auf Einschränkungen der Ausführbarkeit bei den Wichtungen einzelner Merkmale sind zu beachten.

*) Stand ArbMedVV im Juni 2019

Spezielles Screening „manuelles Ziehen und Schieben von 4.4.3

Lasten“ (Entwurf 2017/2018)

Ulf Steinberg1), Marianne Schust2), Felix Brandstädt2), Patrick Serafin3), André Klußmann3), Hansjürgen Gebhardt3)

1) Ergonomieberatung Ulf Steinberg (ebus.), für die BAuA, Nölnerstraße 40–42, 10317 Berlin

2) Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Nöldnerstraße 40–42, 10317 Berlin

3) Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER), Corne-liusstraße 31, 42329 Wuppertal

Merkmale der Leitmerkmalmethode „manuelles Ziehen und Schieben 4.4.3.1

von Lasten“ (Entwurf 2017/2018)

Der Entwurf der Leitmerkmalmethode „Ziehen und Schieben“ (Entwurf 2017/2018) enthält neben der Zeitwichtung sechs weitere Leitmerkmale. Die Merkmale setzen sich wie folgt zusammen:

4.4.3.1.1 Merkmal Zeitwichtung

Die Bestimmung der Zeitwichtung erfolgt anhand der Tabelle (Abb. 4.29). Alternativ kann die Weglänge oder die Gesamtdauer der Vorgänge mit Ziehen/Schieben inner-halb der betrachteten Teil-Tätigkeit verwendet werden. Falls die Weglänge gemes-sen oder abgeschätzt werden kann, ist diese bevorzugt zu verwenden. Eine zweck-mäßige Interpolation ist zulässig.

Abb. 4.29 Zeitwichtung der LMM-ZS (Entwurf 2017/2018)

Die Skalierung der Zeitwichtung ist nichtlinear. Die Begründung ist, dass „intensive Arbeit“ nur über eine vergleichsweise kurze Zeitdauer geleistet werden kann, dabei aber eine hohe physische Beanspruchung darstellt. Längerdauernde Belastungen sind mit wenig anstrengender Arbeit assoziiert. Eine Skalierung nach einer Potenz-funktion kann den Bereich der kurzen Belastungszeiten besser differenzieren.

Es wurde eine korrigierte Potenzfunktion bestimmt, die für alle Belastungsarten mit nichtlinearer Zeitwichtung, also HHT, ZS, GK und KB gleichermaßen anzuwenden ist:

0,56 0,44 ∗ , (4.5)

Dabei wird die Zeit t direkt als Dauer in Minuten angegeben.

Da in den LMM 2017 die „alte“ Bewertungsstufung von 10, 25, 50 auf 20, 50 und 100 verdoppelt wurde und da es in der LMM-ZS 2017/2018 zusätzliche Leitmerkmale gibt, mussten die Zahlen der Zeitwichtungen verkleinert und Dezimalstellen einge-führt werden. Daraus ergibt sich die Zeitwichtungstabelle, wie sie auf dem Formblatt dargestellt ist.

Die im Rahmen der Literaturauswertung und bei eigenen Untersuchungen vorgefun-denen maximalen täglichen Weglängen beim Bewegen von Flurförderzeugen liegen bei 23 km. Wegen des begrenzten Platzbedarfs auf dem Formblatt endet die Tabelle bei 20.000 m bzw. 480 Minuten. Für darüber hinausgehende Weglängen bzw. Dau-ern kann die Zeitwichtung nach der o. g. Formel errechnet werden. Im industriellen Bereich sind eher geringere Weglängen anzutreffen. Typisch für lange Wege sind Verteilfahrten bei der Postzustellung, Sammeltouren bei der Müllabfuhr und der in-nerbetrieblichen Logistik wie z. B. Kommissionieren und Bettentransport in großen Kliniken.

Die Wichtung basiert auf mittleren Arbeitsgeschwindigkeiten und häufig vorkommen-den Arbeitsabläufen. Dabei sind folgende Beziehungen zu berücksichtigen:

• Die Dauer der Belastung eines einzelnen Arbeitsvorgangs ist abhängig von der Geschwindigkeit der Arbeitsausführung.

• Die Dauer der arbeitstäglichen Gesamtbelastung ist abhängig vom Arbeitspen-sum.

• Bei festem Arbeitspensum sinkt die Belastungszeit, je schneller gearbeitet wird.

• Beim Abweichen von einer optimalen Arbeitsgeschwindigkeit (zu schnell oder zu langsam) nimmt die Beanspruchung zu.

Unter Berücksichtigung dieser Beziehungen sind im Rahmen des Speziellen Scree-nings vereinfachende Setzungen für die LMM-ZS vorgenommen worden.

Für die zusätzliche Darstellung der Weglänge wird eine mittlere Bewegungsge-schwindigkeit von 0,7 m/s bzw. 2,5 km/h angenommen. Die Annahme der Bewe-gungsgeschwindigkeit von 2,5 km/h begründet sich aus der internationalen Fachlite-ratur und eigenen Messungen. Sie ergibt sich als Mittelwert aus Start-, Stopp- Lenk- und anderen Manövern. Höhere Bewegungsgeschwindigkeiten sind möglich, insbe-sondere bei langen Wegen ohne Hindernisse und geringen Fahrwiderständen.

Für höhere Geschwindigkeiten kann beim Ziehen und Schieben von 1,1 m/s ≙ 4,0 km/h ausgegangen werden. Aufgrund eines besseren biologischen Wirkungsgra-des beim Laufen mit 4,0 km/h gegenüber 2,5 km/h und Wirkungsgra-des geringeren Zeitbedarfs ergeben sich hinsichtlich der physischen Beanspruchung Unterschiede, die im Rah-men des Speziellen Screenings aber vernachlässigt werden. Bei erheblichen Abwei-chungen von diesen Geschwindigkeitsbereichen sollten weitergehende Arbeitsanaly-sen vorgenommen werden. Die höheren Aktionskräfte infolge höherer MasArbeitsanaly-senträg- Massenträg-heitskräfte bei schnellerer Bewegung werden pauschal durch 2 Zusatzpunkte beim Merkmal „Ungünstige Ausführungsbedingungen“ berücksichtigt.

Für höhere Geschwindigkeiten kann beim Ziehen und Schieben von 1,1 m/s ≙ 4,0 km/h ausgegangen werden. Aufgrund eines besseren biologischen Wirkungsgra-des beim Laufen mit 4,0 km/h gegenüber 2,5 km/h und Wirkungsgra-des geringeren Zeitbedarfs ergeben sich hinsichtlich der physischen Beanspruchung Unterschiede, die im Rah-men des Speziellen Screenings aber vernachlässigt werden. Bei erheblichen Abwei-chungen von diesen Geschwindigkeitsbereichen sollten weitergehende Arbeitsanaly-sen vorgenommen werden. Die höheren Aktionskräfte infolge höherer MasArbeitsanaly-senträg- Massenträg-heitskräfte bei schnellerer Bewegung werden pauschal durch 2 Zusatzpunkte beim Merkmal „Ungünstige Ausführungsbedingungen“ berücksichtigt.