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AP 5: Entwicklung von Methodenentwürfen und deren Evaluation

4 Konzeption der Methoden des Speziellen Screenings

4.2 Methodenentwürfe zur Validierung

André Klußmann1), Ulf Steinberg2), Marianne Schust3), Bernd Hartmann4), Patrick Serafin1), Hansjürgen Gebhardt1)

1) Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER), Corne-liusstraße 31, 42329 Wuppertal

2) Ergonomieberatung Ulf Steinberg (ebus.), Dipl.-Ing. Ulf Steinberg, Rügenwalder Weg 52, 12621 Berlin

3) Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Nöldnerstraße 40–42, 10317 Berlin

4) ArbMedErgo, Hamburg, Steinbeker Grenzdamm 30d, 22115 Hamburg Aufbau der Bewertungsmöglichkeiten

4.2.1

Im Rahmen dieses Projektes wurden folgende Methodenvorentwürfe entwickelt bzw.

aktualisiert/überarbeitetet:

1. Leitmerkmalmethode zur Erfassung von Belastungen beim manuellen Heben, Halten und Tragen von Lasten (LMM-HHT) (Revision),

2. Leitmerkmalmethode zur Erfassung von Belastungen beim manuellen Ziehen und Schieben von Lasten (LMM-ZS) (Revision),

3. Leitmerkmalmethode zur Erfassung von Belastungen bei manuellen Arbeitspro-zessen (LMM-MA) (Revision),

4. Leitmerkmalmethode zur Erfassung von Belastungen bei Ganzkörperkräften (LMM-GK) (Neuentwicklung),

5. Leitmerkmalmethode zur Erfassung von Belastungen bei Körperzwangshaltun-gen (LMM-KH) (Neuentwicklung),

6. Leitmerkmalmethode zur Erfassung von Belastungen bei Körperfortbewegung (LMM-KB) (Neuentwicklung),

Eine Leitmerkmalmethode zur Bewertung von Mischarbeit (Kombination mehrerer Belastungsarten) wurde konzeptionell entwickelt, aber nicht validiert (Kap. 6).

Die sechs Methoden wurden als Papierversion (überschlägige Bewertung der Belas-tungsart) entwickelt. Darüber hinaus wurden auch erweiterte rechnergestützte MS Excel-Versionen (LMM-E) abgeleitet, mit denen die Bewertung von mehreren Tätig-keiten der gleichen Belastungsart in einer Schicht möglich ist. Die Methode zur Be-wertung von Mischarbeit ermöglicht die Kombination der sechs Belastungsarten für eine Ganzschichtanalyse und wird nur rechnergestützt entwickelt. Die rechnerge-stützten Versionen sind gegenwärtig Arbeitsversionen.

In Tabelle 4.1 und 4.2 sind die wesentlichen Aspekte der sechs Belastungsarten, bzw. der korrespondierenden Leitmerkmalmethoden in einer Übersicht beschrieben.

Tab. 4.1 Übersicht der Leitmerkmale der bereits existierenden drei Leitmerk-malmethoden und Veränderungen im Rahmen der Revision mit An-wendungsbeispielen

Abkürzung Schwerpunkt dieser LMM (Be-lastungsart)

Leitmerkmale, die in der revidierten

Ver-sion berücksichtigt werden Beispieltätigkeiten zu dieser Belastungsart

 Häufigkeit pro Schicht*

 Wirksames Lastgewicht*

 Lastaufnahmebedingungen**

 Körperhaltung*

 Ungünstige Ausführungsbedingungen

 Arbeitsorganisation/Zeitliche Verteilung dieser Belastungsart während der Schicht**

 Beladen/Entladen von Säcken,

 Sortieren von Paketen,

 Beladen von

 Weglänge und Zeitdauer pro Schicht*

 Zu bewegendes Lastgewicht und Flur-förderzeug bzw. Hängebahn/-kran*

 Beschaffenheit des Fahrwegs**

 Ungünstige Ausführungsbedingungen

 Ungünstige Eigenschaften Flurförder-zeug bzw. Hängebahn/-kran**

 Körperhaltung/Körperbewegung

 Arbeitsorganisation/Zeitliche Verteilung dieser Belastungsart während der Schicht

 Postzustellung mit Karre,

 Kommissionieren mit Wagen

LMM-MA

Manuelle Arbeitsprozesse

 Gesamtdauer dieser Tätigkeit pro Schicht*

 Art der Kraftausübung(en) im Finger-Handbereich in einer Norm-Minute*

 Kraftübertragung/Greifbedingungen Hand-/Armstellung und -bewegung

 Ungünstige Ausführungsbedingungen Körperhaltung/Körperbewegung

 Arbeitsorganisation/Zeitliche Verteilung dieser Belastungsart während der Schicht

 Montagetätigkeiten wie z. B. Montage von

* Im Vergleich zur bestehenden LMM wird dieses Merkmal in der überarbeiteten Version erheblich modifiziert.

** Im Vergleich zum bestehenden LMM wird dieses Merkmal in der überarbeiteten Version hinzuge-fügt.

Hinsichtlich der Komplexität und Genauigkeit gibt es verschiedene Stufen des Spezi-ellen Screenings. Die Ebene „LMM“ bildet dabei die klassische „Papier-Variante“ der LMM ab. Sie ist für eine Engpassbetrachtung geeignet. Sofern sich in einer Schicht mehrere Tätigkeiten bzw. Teil-Tätigkeiten gleicher Belastungsart ergeben, kann die LMM-E angewendet werden. Hier werden mit Hilfe von MS Excel mehrere Tätigkei-ten bzw. Teil-TätigkeiTätigkei-ten gleicher Belastungsart zu einem Risikowert verrechnet. So-fern mehrere Belastungsarten für eine Schicht detektiert werden, können diese mit der LMM-MB verrechnet werden. Die LMM-MB funktioniert ebenfalls MS Excel ba-siert. Hier werden keine Einzelmerkmale, sondern nur die Ergebnisse einzelner Be-wertungen miteinander verrechnet. Ob dabei die Ergebnisse aus der „LMM“ oder der LMM-E stammen, ist dabei unerheblich.

Tab. 4.2 Übersicht der Leitmerkmale der neu entwickelten drei Leitmerkmalme-thoden mit Anwendungsbeispielen

Abkür-zung Schwerpunkt dieser

LMM (Belastungsart) Leitmerkmale, die berücksichtigt

wer-den Beispieltätigkeiten zu

dieser Belastungsart

LMM-GK Ganzkörperkräfte

 Häufigkeit oder Dauer in einer Schicht

 Aktionskräfte

 Symmetrie der Kraftaufwendung

 Ungünstige Ausführungsbedingungen Körperhaltung/Körperbewegung

 Arbeitsorganisation/Zeitliche Vertei-lung dieser Belastungsart während der Schicht

 Bewegen von Ab-sperrschiebern,

 Arbeiten mit Win-den/Flaschenzügen,

 Arbeiten mit Hebeln, Brechstangen oder

 Dauer und zeitliche Verteilung ver-schiedener Rumpfhaltungen

 Dauer und zeitliche Verteilung der Hände über der Schulter bzw. körper-fern

 Dauer und zeitliche Verteilung von Knien, Hocken

 Ungünstige Ausführungsbedingungen

 Fliesenlegen,

 Gurkenernte i. Liegen

LMM-KB Körperfortbewegung

 Dauer in einer Schicht

 Art der Körperfortbewegung ein-schließlich getragene Last

 Lage des Lastschwerpunkts

 Art der Körperfortbewegung beim Fahren mit Transportgerät

 Fahrwegbedingungen (wenn die Ar-beitsaufgabe Fahren umfasst)

 Ungünstige Ausführungsbedingungen

 Arbeitsorganisation/Zeitliche Vertei-lung dieser Belastungsart während der Schicht

 Wartungsarbeiten an Beleuchtungsanlagen

LMM-MB Mischbelastung

 Beinhaltet eine Rechenvorschrift zur Verrechnung der Ergebnisse aus den o. g. LMM zu einer Gesamtbelastung

 Arbeitsplätze mit rele-vanten Anteilen un-terschiedlicher Belas-tungsarten in einer Schicht

Arbeitsplätze und Teil-Tätigkeiten (Kap. 4.2.2) lassen sich somit auf unterschiedliche Art und Weise betrachten.

Genereller Aufbau der Bewertungsmöglichkeiten für die Ebenen des Speziellen Screenings:

 LMM (Leitmerkmalmethode): Mit einer belastungsartspezifischen Papier- und /Bleistift-Methode (Leitmerkmalmethode) erfolgt die Bewertung überschlägig für jede relevante Belastungsart über einen bestimmten Zeitabschnitt. Die Relevanz wurde z. B. vorher mit der Checkliste bestimmt.

 LMM-E (Erweiterte Leitmerkmalmethode): Mit einer belastungsartspezifischen rechnergestützten Methode (z. B. mit MS Excel) erfolgt die Bewertung mehrerer Tätigkeiten der gleichen Belastungsart. Die Verrechnung der Tätigkeiten erfolgt belastungsartbezogen.

 LMM-MB (Leitmerkmalmethode Mischbelastung): Mit einer rechnergestützten Methode (MS Excel) erfolgt die Bewertung bei mehreren Tätigkeiten aus unter-schiedlichen Belastungsarten über eine Arbeitsschicht (i. d. R. etwa 8 Stunden).

Die Verrechnung der einzelnen Leitmerkmale aus den sechs Belastungsarten er-folgt zielregionsbezogen (Aufsummierung der Belastungen jeweils für Schulter, Hand, Rücken, usw.).

Prinzipien zur Bewertung von Arbeitsplätzen mit ggfs.

4.2.2

verschiedenen Teil-Tätigkeiten

Üblicherweise setzt sich der Arbeitsplatz eines Beschäftigten aus mehreren unter-schiedlichen Tätigkeiten und Teil-Tätigkeiten zusammen (Abb. 4.2).

Abb. 4.2 Beispiel für die Untergliederung eines Arbeitsplatzes in Tätigkeiten und Teil-Tätigkeiten

Ein Arbeitsplatz12 beschreibt aus rechtlicher Sicht die berufliche bezahlte Tätigkeit, wie sie z. B. im Arbeitsvertrag definiert ist. Für eine Gefährdungsbeurteilung sollte zugrunde gelegt werden, dass die Tätigkeit (auch bei realer Besetzung durch Teil-zeitkräfte) üblicherweise über eine Arbeitsschicht von etwa 8 Stunden ausgeführt wird.

Ein Arbeitsplatz umschreibt damit aus arbeitswissenschaftlicher Sicht zugleich eine zweckgerichtete Tätigkeit zur Erfüllung einer Arbeitsaufgabe im Kontext ihrer Anfor-derungen, Belastungen und Bedingungen, in denen ein Beschäftigter arbeitet. Der Arbeitsplatz kann gegliedert werden in einzelne

 Tätigkeiten, die sich in der Regel weiter in

 Teil-Tätigkeiten mit unterschiedlichen Belastungssituationen gliedern lassen können.

Tätigkeiten und Teil-Tätigkeiten sind zeitlich und organisatorisch voneinander ab-grenzbare Teile eines Arbeitsplatzes. Sie sind charakterisiert durch typische Belas-tungs- und Beanspruchungssituationen.

Die Übergänge zwischen Tätigkeiten und Teil-Tätigkeiten sind nicht durch eine Regel festzulegen, sondern sie werden pragmatisch je nach Ablauf der Tätigkeiten am Ar-beitsplatz vorgenommen. Anzustreben ist, dass innerhalb einer Tätigkeit Zeitverläufe

12 Synonyme in verschiedenen Terminologien können auch Arbeitstätigkeit, Arbeitssystem, Arbeits-aufgabe oder Job sein. Gleiche Begriffe sind teilweise sehr unterschiedlich belegt. Daher wird im Rahmen dieses Projektes immer nur von „Arbeitsplätzen“ gesprochen.

hinreichender Dauer mit erheblich unterschiedlichen Anforderungs- und Belastungs-situationen als einzelne Teil-Tätigkeiten unterschieden werden.

Tätigkeiten/Teil-Tätigkeiten können in unterschiedlicher Abfolge ausgeführt werden (Abb. 4.3). Bevorzugtes Anwendungsgebiet für die Methoden des Speziellen Scree-nings sind die „immer gleich“ ablaufenden Tätigkeiten. Die notwendigen Arbeitsana-lysen zur Erstellung eines repräsentativen Belastungsprofils sind meist weniger auf-wendig.

Bei „wechselnden“ Tätigkeiten sind die Arbeitsanalysen aufwendiger und insgesamt auch ungenauer, da nicht alle vorkommenden Belastungen zum Zeitpunkt der Ar-beitsanalyse vorkommen und aus der Erfahrung heraus hinzugefügt werden müssen.

Grundsätzlich können aber auch diese Tätigkeiten mit den Methoden des Speziellen Screenings bewertet werden. Eine Möglichkeit ist hier die Beurteilung „typischer Tä-tigkeiten“ zum Beispiel in einem betrieblichen Tätigkeitskataster, die bei Bedarf und nach kritischer Überprüfung des Zutreffens der Beurteilungsdaten z. B. mit Hilfe ei-nes Tools zur Mischarbeit, der LMM für Mischbelastungen (LMM-MB), zu ganzen Ar-beitsplätzen zusammengefügt werden können.

„Unbestimmt“ ablaufende Tätigkeiten lassen sich bei erheblichen körperlichen Belas-tungen nicht mit den Methoden des Speziellen Screenings beurteilen.

Abb. 4.3 Unterschiedliche Arten von Arbeitsabläufen

Typisch für die „wechselnden“ Arbeitsabläufe sind erhebliche Schwankungen der Dauer/Häufigkeit und Intensität der Belastungen. Auch für Ereignisse die seltener (ein bis einige Male im Jahr) oder unregelmäßiger vorkommen, können die Methoden angewendet werden. Hierbei kann es allerdings zu deutlich erhöhten Punktwerten kommen, die das Risiko einer mittel- bis langfristigen Überlastung überschätzen.

Formeller Aufbau 4.2.3

Alle sechs Leitmerkmalmethoden-Entwürfe haben im Grundsatz den gleichen Auf-bau. Es sollen auf möglichst einfache Art und Weise die wesentlichen Belastungs-merkmale dokumentiert, dem Anwender Zusammenhänge deutlich gemacht und eine überschlägige Bewertung der Wahrscheinlichkeit einer körperlichen Überbeanspru-chung ermöglicht werden. Mögliche gesundheitliche Folgen sowie ein daraus resul-tierender Handlungsbedarf können hieraus abgeleitet werden. Auf einem zweiseiti-gen Formblatt wird zunächst die Zeitwichtung (Dauer, Häufigkeit, Strecke etc.) be-stimmt, dann werden die jeweiligen Hauptbelastungen (i. d. R. Lastgewicht oder Kraftausübung, Körperhaltung) und die Randbedingungen (z. B. Ausführungsbedin-gungen und Arbeitsorganisation) beschrieben. Die Punktwichtungen aller Merkmale werden aufsummiert und mit der Zeitwichtung multipliziert. Hieraus ergibt sich ein Gesamtpunktwert, der dann anhand des Risikoschemas bewertet werden kann. Zur Beurteilung sind grundsätzlich folgende Schritte erforderlich (Abb. 4.4):

1. Bestimmung der Zeitwichtung,

2. Bestimmung der Wichtung der Leitmerkmale, (Hauptbelastungen wie z. B. Kraft- oder Lasthöhe und Randbedingungen wie z. B. ungünstige Ausführungsbedin-gungen),

3. Multiplikation der Wichtungspunkte für die Zeitwichtung mir der Summe aus den Wichtungspunkten der Leitmerkmale (Haupt- und Nebenbelastungen),

4. Bewertung/Beurteilung.

Abb. 4.4 Grundsätzlicher schematischer Aufbau aller Leitmerkmalmethoden Die Papierversionen der Entwürfe der Leitmerkmalmethoden unterteilen sich dann jeweils in ein Deckblatt (Kurzvorstellung der Methode und Abgrenzung zu anderen

Belastungsarten), dem eigentlichen Formblatt (Seiten 2 und 3) und einer kurzen Handlungsanleitung (Seite 4). Beispielhaft ist in Abbildung 4.5 der Aufbau dargestellt.

Abb. 4.5 Aufbau der Leitmerkmalmethoden am Beispiel eines Methodenentwurfs aus dem Jahr 2015 zum „manuellen Ziehen und Schieben von Flurför-derzeugen“ (LMM-ZS)

Zeitwichtungen in den Leitmerkmalmethoden 4.2.4

Einleitung 4.2.4.1

Die Leitmerkmalmethoden (LMM) dienen zur Beurteilung und Gestaltung von berufli-chen Tätigkeiten mit körperliberufli-chen Belastungen. Hierbei werden ausschließlich nega-tive Beanspruchungsfolgen betrachtet, welche im Zusammenhang mit einer körperli-chen Überlastung stehen. Das heißt, weder nachteilige Effekte auf Gesundheit und Wohlergehen durch einen Mangel an körperlichen Belastungsreizen (Unterforderung) noch vorteilhafte Effekte wie Training können mit Hilfe der Leitmerkmalmethoden be-urteilt werden. Es wird von einer Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der Belas-tungshöhe und der Wahrscheinlichkeit einer körperlichen Überbeanspruchung aus-gegangen (Kap. 5.4.2). Mathematisch wird die Belastungshöhe (LMM-Punktwert) durch das Produkt aus der zeitlichen Einwirkung (Dauer und/oder Häufigkeit) und der Intensität der Belastung beschrieben. Die zeitliche Einwirkung wird in den Leitmerk-malmethoden durch die sogenannte Zeitwichtung charakterisiert, während die Belas-tungsintensität durch die Punktsummen aus Aspekten wie beispielsweise Krafthöhe, Lastgewicht oder Körperhaltung bestimmt wird. Nach Abstimmungen im Entwickler-team zu den neu- bzw. weiterentwickelten Methoden wurde beschlossen, für die neuen Methodenentwürfe eine für alle Belastungsarten möglichst einheitliche Zeit-wichtung zu verwenden. Hierdurch soll u. a. der Wiedererkennungswert erhöht und die Vergleichbarkeit zwischen den Belastungsarten verbessert werden. Auch mit Blick auf eine mögliche Mischbewertung mehrerer während einer Schicht auftreten-den Belastungsarten kann die Vereinheitlichung der Zeitwichtung als vorteilhaft an-gesehen werden. Bedingt durch die Charakteristika der Belastungsarten hinsichtlich der typischen Dauer und Intensität der Belastung ergeben sich jedoch unterschiedli-che Anforderungen an die Skalierung und den Verlauf der Zeitwichtung. Dennoch wurde festgelegt, dass alle Zeitwichtungen in den Papierversionen von Werten zwi-schen 1 und 10 skaliert sind (Extrapolation ist möglich), wobei sich der Betrag der Zeitwichtung in der Regel nach der Dauer der jeweiligen Belastung richtet.

Charakteristika der betrachteten Belastungsarten und daraus erwach-4.2.4.2

sende Anforderungen an den Verlauf der Zeitwichtung

Die im vorherigen Kapitel genannten Belastungsarten können grob in zwei Gruppen eingeteilt werden: Zum einen gibt es Belastungsarten, in denen die Belastungsdauer, je nach Intensität der Belastung, sehr stark schwanken kann. Sehr intensive Arbeit kann hierbei nur über einen eher kurzen Zeitraum geleistet werden, während länger-dauernde Belastungen eher mit einer geringeren Belastungsintensität einhergehen.

Beispielhaft zu nennen sei hier die Körperfortbewegung (KB). Das Besteigen von Lei-tern oder Treppensteigen stellt eine hohe Belastungsintensität dar. Wenn dies wäh-rend einer Arbeitsschicht vorkommt, dann wahrscheinlich nur über eher kurze Zeit-abschnitte in Bezug auf die gesamte Arbeitsdauer. Langsames Gehen auf ebenem Untergrund hingegen stellt eine deutlich geringere Belastungsintensität dar, so dass hier eine deutlich höhere Expositionszeit möglich ist. Ähnlich verhält es sich auch bei der manuellen Handhabung von Lasten (HHT). Lastgewichte schwanken hier von eher geringen Lasten, welche pro Arbeitsschicht sehr häufig gehandhabt werden müssen (können) bis hin zu hohen Lastgewichten, bei denen deutlich geringere Häu-figkeiten typisch sind. Diesen Trend verdeutlicht Abbildung 4.6. Diese zeigt die Ver-teilung von Lastgewichten bei der manuellen Lastenhandhabung in Abhängigkeit der Handhabungshäufigkeit. Die Daten stammen aus einer Auswertung der Datenbank des Belastungs-Dokumentations-Systems (BAB/BDS) (Klußmann et al., 2013) des Instituts für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER) für 5.186 industrielle (Teil-)Tätigkeiten mit manueller Lastenhandhabung, überwiegend aus den Bereichen Chemie, Metall und Elektro. Der Datensatz kann zwar nicht als reprä-sentativ angesehen werden, verdeutlicht aber, dass in der Praxis hohe Lastgewichte eher mit geringen Handhabungshäufigkeiten einhergehen, während bei geringeren Lastgewichten durchaus auch hohe Handhabungshäufigkeiten vorkommen können.

Neben den bereits gennannten Belastungsarten KB und HHT, sind auch die Belas-tungsarten GK und ZS zu dieser Gruppe zu zählen. Bei diesen BelasBelas-tungsarten ergibt sich der Bedarf eines nichtlinearen, einer Potenzfunktion folgenden Verlaufs der Zeitwichtung. Um bei hohen Belastungsintensitäten und geringen Expositionszei-ten eine ausreichende Differenzierbarkeit im unteren Bereich der Zeitwichtung zu ermöglichen, braucht es zu Beginn einen steilen Anstieg, der sich dann im weiteren Verlauf – bei höheren Expositionszeiten kann mit einer eher geringen Belastungsin-tensität gerechnet werden – zusehends abflacht. Zusätzlich folgt die Wichtung der In-tensität, wenn erforderlich, einem tendenziell exponentiellen Verlauf, so dass diese mit zunehmender Höhe stärker ins Gewicht fällt.

Abb. 4.6 Anteil der Lastgewichte in Prozent und absolut (Zahlen in den Balken) bei der manuellen Lastenhandhabung in Abhängigkeit der Handha-bungshäufigkeit, 5.186 Vorgänge (Teil-Tätigkeiten) in 2.065 Arbeitsplät-zen (Arbeitsschichten) mit HHT; Auswertung der BAB/BDS-Datenbank des Instituts ASER e.V. für industrielle Tätigkeiten überwiegend aus den Bereichen Chemie, Metall und Elektro (eigene Auswertungen, 2015)

Zum anderen gibt es Belastungsarten, welche sich typischerweise durch eine, in Be-zug auf eine Arbeitsschicht, längere Expositionszeit und/oder einem eher gleichblei-benden Niveau der Belastungshöhe auszeichnen. Hierzu zählen die Belastungsarten

„Manuelle Arbeitsprozesse (MA)“ und „Körperzwangshaltung (KH)“. Erfahrungen im Entwicklerteam belegen, dass die Expositionszeiten pro Schicht bei manuellen – ins-besondere repetitiven – Tätigkeiten meist länger im Vergleich zur reinen Expositi-onsdauer z. B. bei der Lastenhandhabung (also der Dauer, während die Last tat-sächlich in den Händen gehalten wird) ist. Dabei verteilen sich die Belastungsintensi-täten bei manuellen Tätigkeiten eher gleichmäßig über die Schicht und besondere Belastungsspitzen kommen eher selten vor. Auch die Bewertung von Körperhaltun-gen betrachtet eher längere Tätigkeitsabschnitte mit einer regelmäßig wiederkehren-den Verteilung verschiewiederkehren-dener Haltungsbelastungen. Für diese Art von Belastungen kann die Zeitwichtung gut durch einen linearen Verlauf abgebildet werden.

Verlauf der Zeitwichtungen 4.2.4.3

Wie schon bei den Leitmerkmalmethoden zur Beurteilung von manuellem Heben, Halten und Tragen von Lasten aus dem Jahr 2001 (Jürgens et al., 2001), von manu-ellem Ziehen und Schieben von Lasten aus dem Jahr 2002 (Jürgens et al., 2002) und von manuellen Arbeitsprozessen aus dem Jahr 2012 (Steinberg et al., 2012), kommen daher bei den neu- und weiterentwickelten Methodenentwürfen, je nach An-forderungen, eine lineare bzw. eine nichtlineare Zeitwichtung zum Einsatz. Die Ver-läufe der Zeitwichtungen sind in Abbildung 4.7 dargestellt. Wie man erkennt verlau-fen die Zeitwichtungen der neuen Entwürfe bis zu einem Wert von 10. Beim

nichtli-528 160 109 195

20 50 100 500 1000 1500 > 1500

Anteil

Häufigkeitsklassen (bis ... Lastenhandhabungen pro Teil-Tätigkeit)

5 kg > 5-15 kg > 15-25 kg > 25 kg

nearen Verlauf wird der Wert bei einer Expositionszeit von ca. 480 Minuten erreicht, während er beim linearen Verlauf erst nach einer Expositionszeit von 600 Minuten er-reicht wird. Die Methodenentwürfe sind grundsätzlich auf die Bewertung einer in Deutschland üblichen Schichtdauer von 480 Minuten ausgelegt. Die Erweiterung der Skala auf 600 Minuten beim linearen Verlauf ist hierbei darauf zurückzuführen, dass bei den Belastungsarten MA und KH der Anteil der tatsächlichen Expositionszeit an der Schichtdauer tendenziell größer ist, als bei den übrigen Belastungsarten. Durch die Erweiterung der Skala auf 600 Minuten können so auch Schichtmodelle mit einer von 480 Minuten abweichenden Schichtdauer oder mögliche Überstunden mit einbe-zogen werden. Diese Schichtmodelle oder Überstunden sind zwar auch beim Vor-handensein der übrigen Belastungsarten denkbar, jedoch ist es hier eher unwahr-scheinlich, dass man hinsichtlich der tatsächlichen Expositionszeit während einer Ar-beitsschicht auf Werte größer als 480 Minuten kommt. Die hier angegebenen Wer-tebereiche gelten allerdings lediglich für den in den Papierversionen der Methoden-entwürfe dargestellten Bereich. Inter- und Extrapolation ist bei Bedarf zulässig.

Bei der Inter- und Extrapolation wird die lineare Zeitwichtung ZWl in Abhängigkeit der Expositionszeit t in Minuten mit nachfolgender Geradengleichung bestimmt:

(4.1)

Ursprünglich wurde festgelegt, dass auch bei Expositionsdauern kleiner als 30 Minu-ten die lineare Zeitwichtung immer mindesMinu-tens einen Wert von 0,5 annehmen soll.

Dies führte in der Feldstudie bei der Beurteilung der gesamten Schicht mit mehreren kurzen Teil-Tätigkeiten zu extrem hohen unplausiblen Beurteilungen (Punktsum-men). Daraufhin wurden die linearen Zeitwichtungen ohne Festlegung eines Mini-mums nach Gleichung 4.1 berechnet (Kap. 5.3).

Die nichtlineare Zeitwichtung ZWnl wird Abhängigkeit der Expositionszeit t in Minuten mit nachfolgender Potenzfunktion bestimmt:

0,56 0,44 ∗ , (4.2)

Hierbei wurde zusätzlich festgelegt, dass die nichtlineare Zeitwichtung, genau wie in der Papierversion, mindestens 1 betragen soll.

Abb. 4.7 Verlauf der Zeitwichtungen der Leitmerkmalmethoden LMM-HHT 2001, LMM-ZS 2002, LMM-MA 2012 und der Verlauf der linearen sowie nicht-linearen Zeitwichtung der neu- bzw. weiterentwickelten Methodenent-würfe (linear 2018 hier noch mit Minimum 0,5 dargestellt)

Berücksichtigung von Geschlecht und Lebensalter in den 4.2.5

Leitmerkmalmethoden Hintergrund

4.2.5.1

Die natürlichen körperlichen Leistungsvoraussetzungen für körperliche Belastungen von Frauen und Männern sind unterschiedlich. Daraus folgt, dass bei einer Betrach-tung der zulässigen körperlichen BelasBetrach-tungen im Arbeitsprozess Unterschiede der Richtwerte und Risikobewertungen für körperliche Belastungen zu machen sind, so-weit dadurch eine relativ gleiche oder hinsichtlich der gesundheitlichen Risiken ver-gleichbare Beanspruchung erreicht wird.

Diese Unterscheidung ist rechtlich zulässig, denn sie widerspricht nicht dem Allge-meinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG, 2006), das Benachteiligungen u. a. aus Gründen des Geschlechts verhindern oder beseitigen soll. In § 8 (Zulässige unter-schiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen) wird eingeschränkt, dass eine unterschiedliche Behandlung zulässig ist, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG, 1996) konkreti-siert, dass mittelbar oder unmittelbar geschlechtsspezifisch wirkende Regelungen (nur) zulässig sind, wenn dies aus biologischen Gründen zwingend geboten ist (§ 4 Allgemeine Grundsätze).

Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, welche geschlechtsspezifischen Unterschiede der zumutbaren körperlichen Belastung bei der Beurteilung von Arbeitsplätzen mit bestimmten körperlichen Belastungsarten erforderlich sind, um den Zweck des Schutzes vor körperlichen Über- und Fehlbelastungen angemessen zu erreichen.

Dabei wird von der im Projekt MEGAPHYS vereinbarten Gliederung der Belastungs-arten sowohl nach physiologischen als auch nach praxisorientierten Kriterien der Er-gonomie und Sicherheitstechnik ausgegangen.

Biologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern 4.2.5.2

Wesentliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen hinsichtlich der körperli-chen Leistungsfähigkeit bestehen insbesondere der Körpermasse und der Körperhö-he.

Die Unterscheide der Körpermasse insgesamt betragen (Greil, 1989)13

 für Männer zwischen 20 und 29 Jahren 75,4 (68,6–101,6) kg, für Frauen 60,9 (49,8–75,4) kg. Sie ist bei Frauen damit 19 % geringer.

 für Männer zwischen 50 und 59 Jahren 84,3 (70,3–108,8) kg, für Frauen 75,4 (68,8–101,6) kg. Sie ist bei Frauen damit 11 % geringer.

Die Unterscheide der Körperhöhe insgesamt betragen (Greil et al., 2008)

 für Männer zwischen 20 und 29 Jahren 179,9 (170,7–189,7) cm, für Frauen 165,8 (156,3–176,6) cm. Sie ist bei Frauen damit 7,8 % geringer.

 für Männer zwischen 50 und 59 Jahren 177,9 (169,5–185,9) cm, für Frauen 162,4 (154,9–175,1) cm. Sie ist bei Frauen damit 8,7 % geringer.

Der Anteil aktiver Muskelmasse liegt beim normalgewichtigen Mann bei

Der Anteil aktiver Muskelmasse liegt beim normalgewichtigen Mann bei