• Keine Ergebnisse gefunden

Retrosynthetische Aspekte zu einer diversitäts-orientierten Synthese der Iromycine

B. Theoretischer Teil

I. Hauptteil 1: Synthese der Iromycine

1. Retrosynthetische Aspekte zu einer diversitäts-orientierten Synthese der Iromycine

Der strukturelle Aufbau der Iromycine besteht aus zwei zentralen Strukturfragmenten, einem Pyridonring und einem ungesättigten C10-Seitenkettengerüst, die zur Erzielung einer größt-möglichen Diversität zunächst getrennt synthetisiert und erst in einem späteren Schritt gekup-pelt werden sollten.

Die in der Literatur beschriebenen Syntheseverfahren von Naturstoffen mit ähnlichem grund-strukturellem Molekülaufbau, bei denen die Synthese ausgehend von einem einzigen Struktur-fragment angelegt worden war, schienen für die Iromycinsynthese nicht in gleichem Maße geeignet. Unter anderem Oppolzer et al.[16] wandten eine derartige Vorgehensweise bei der Synthese des aus Geflügelnebennieren, Tuberkel Bazilli sowie Meeresmollusken isolierten Naturstoffes Deoxypolypropionat 40 als Pyronderivat an (vgl. Schema 8).

Schema 8. Synthese des Naturstoffes Deoxypolypropionat 40 nach Oppolzer.

O O

Die Verbindung 40 wurde von Oppolzer et al. im Rahmen einer 18-stufigen Synthese aus dem acyclischen Intermediat 39 dargestellt (vgl. Schema 8). Zur Darstellung des acyclischen Schlüsselintermediates 39 sowie zur Generierung der gewünschten Topizität der methyl-substituierten Stereozentren (absolute sowie relative Konfiguration) machte man sich unter Einsatz von chiralen Auxilarien, ausgehend von Crotonat 31 und dem (s)-2-Methyl-1-butanol 32, die kombinatorische Anwendung von Horner-Wittig- sowie 1,4-Additionsreaktionen zu Nutze. Hierbei stellten Oppolzer et al. zunächst das Intermediat 39 dar, das in einer Cyclisie-rungsreaktion mit DBU in einem letzten Syntheseschritt in das enantiomerenreine Pyronderi-vat 40 überführt wurde.

Im Gegensatz zu der Vorgehensweise von Oppolzer et al. erschien bei der Synthese des Iro-mycins A (23A) die frühe Einführung der Seitenkette wegen der bei Iromycin erhöhten An-zahl an Doppelbindungsfunktionen ungünstig, da hierdurch die möglichen Synthesemethoden limitiert worden wären. Zudem ermöglicht eine zunächst getrennte Teilsynthese der Seiten-kette deren Variation in wenigen Syntheseschritten. Gerade der Ermöglichung der Diversität der Seitenkette kommt bei der Iromycinsynthese besondere Bedeutung zu, da die Seitenket-tenenden aufgrund von NO-Synthase-Untersuchungen für die Biaktivität der Iromycine ver-antwortlich gemacht werden.

Zu den Naturstoffen, die eine grundstrukturelle Ähnlichkeit zu Iromycin A aufweisen und deren Synthese bereits Gegenstand der Untersuchungen zahlreicher Arbeitsgruppen[17] waren, zählen auch die Piericidine 45, 49 und 52 (vgl. Schemata 9, 10 und 11). Piericidine sind pro-totypische Mitglieder einer der wichtigsten Klassen von biologisch aktiven Naturstoffen, die aus Streptomyces mobaraensis und S. Pactam isoliert wurden.[17c] Ihnen wird unter anderem Cytotoxizität, anti-mikrobielle Wirkung sowie insektizidale Aktivität zugewiesen.[17a] Unter den Piericidinen ist insbesondere Piericidin A1 als effektiver Inhibitor der mitochondriellen Elektronen-Transportkette des Proteins NADH-Ubichinon-Reduktase und Antagonist des als Co-Enzym Qn bezeichneten Ubichinons 53 bekannt (vgl. Schema 12).[17b] Die Piericidine rie-fen daher großes synthetisches Interesse hervor. Den bislang veröfrie-fentlichten Arbeiten zur Piericidinsynthese[17] ist gemeinsam, dass zunächst zwei Molekülfragmente getrennt aufge-baut und erst in einem anschließenden Schritt zum Piercidin kreuzgekuppelt wurden.

Philips et al.[17a] berichteten von der Synthese des 7-Demethylpiericidins A1 (45) (vgl. Schema 9). Hierbei gingen sie bei der retrosynthetischen Syntheseplanung im Gegensatz zu Oppolzer

von der Darstellung zweier Kettenfragmente 42 und 44 aus und nahmen einen Bindungsbruch an den mit C-6' und C-1 bezeichneten Zentren des Piericidins an. Zur Darstellung des Haupt-grundgerüstes 42 als eines der Molekülfragmente ausgehend von dem Bromid 41 nutzte man die sich für eine Funktionalisierung besonders eignende freie ortho-Position des Pyridinringes aus. Die geplante Pd-katalysierte Kreuzkupplung der Stannylverbindung 42 sowie der Seiten-kette 44 führte man im Wege einer Stille-Kupplung durch und erhielt nach anschließender Entschützung das gewünschte Piericidin 45.

Schema 9. Synthese des Naturstoffes 7-Demethylpiericidin A1 (45) nach Philips.

N

Rapoport et al. versuchten bei der Synthese der Piericidine 49 (vgl. Schema 10) deren starke Toxizität, die die Anwendbarkeit des Naturstoffes limitierte, unter Beibehaltung der antago-nistischen Eigenschaften der Piericidine gegenüber dem Ubichinon CoQn 53 herabzuset-zen.[17b] Auch dieser Arbeitskreis nahm den retrosynthetischen Bindungsbruch zwischen der C-6' und der C-1-Position der Piericidinverbindung vor. Als Seitenkettenfragmente für die

Kreuzkupplung wurden Prenylbromide 48 aus Prenol, Geraniol, Farnesol, Phytol bzw. Sola-nesol dargestellt. Desweiteren setzten Rapoport et al. genauso wie Philips et al. Brommethyl-pyridin 46 als Hauptgrundgerüst ein. Die Synthese des Piericidins 49 wurde über eine Trans-metallierung des Brommethylpyridins 46 und die anschließende Kupplung des hieraus resul-tierenden Lithiopyridins 47 mit dem Prenylbromid 48 unter Einsatz von Buthyllithium vorge-nommen.

Schema 10. Synthese der Piericidine 49 nach Rapoport.

Br H

Als weitere Piericidin-Analoga wurden die Piericidine A1 und B1 (52) von Boger et al.[18] über 26 Stufen synthetisiert (vgl. Schema 11).

Schema 11. Synthese der Piericidine A1 und B1 (52) nach Boger.

N

Anders als Philips et al. und Rapoport et al. nahmen Boger et al. im Rahmen der retrosyntheti-schen Überlegungen einen Bindungsbruch an der C1- und C2-σ-Bindung zwiretrosyntheti-schen dem Hete-rocyclus und dem Seitenkettenfragment an, wodurch das Piericidin in zwei Segmente, das Ringsystem 50 und die Seitenkette 51, aufgespalten wurde. Zur Synthese der Piericidine ver-wendeten Boger et al. als Molekülfragmente das heterocyclische Pyridinylbromid 50 und das Tetraenstannat der Seitenkette 51, die über eine Pd-katalysierte Stille-Kupplung verknüpft und nach abschließenden Entschützungsschritten in die gewünschten Piericidine (52) als Kreuzkupplungsprodukte überführt wurden.

Als weiterer wichtiger Naturstoff, der eine strukturelle Ähnlichkeit mit den Iromycinen auf-weist, ist das bereits oben genannte und als Ubichinon 53 bekannte Co-Enzym Qn (n = 1 – 12) zu nennen, das als essentielle Komponente der zellularen Humanbiologie als reduktiver Car-rier fungiert und als Antagonist der o.g. Piericidine gilt, woraus die Wichtigkeit der syntheti-schen Darstellung der Verbindung 53 resultiert (vgl. Schema 12).

Schema 12. Synthese des Ubichinons 53 (CoQn) nach Lipshutz.

O

Die Synthese der Ubichinone stand daher im Fokus der Arbeiten von Lipshutz et al.[19], die die Ubichinone in einer Übergangsmetall-katalysierten Kreuzkupplungsreaktion ebenfalls ausgehend von zwei Molekülfragmenten darstellten. Im Rahmen der Retrosynthese nahmen Lipshutz et al. analog der Vorgehensweise von Boger et al. den Bindungsbruch zwischen der C-1' und der C-2'-Position der Seitenkette vor (vgl. Schema 12), wodurch sich das Halogenid 55 und das Alkin 57 ergaben. Entsprechend des retrosynthetischen Aufbaus gelang ihnen die Ni-katalysierte Kreuzkupplung des Chlorids 58 mit dem aus dem Alkin 57 dargestellten Alan 59 zu dem Ubichinon-Vorläufer 60.

Der Vorzug der Synthesemethode nach Lipschutz gegenüber den Vorgehensweisen von Phi-lips, Rapoport und Boger besteht darin, dass durch die Annahme eines Bindungsbruches an der C-1'- und C-2'-Position der Seitenkette und eine hieraus folgende Fragmentierung des Zielmoleküls in das Allylhalogenid 55 und das Alkin 57, eine Methylierung und Funktionali-sierung der Seitenkette in einem einzigen Syntheseschritt ermöglicht wird. Die Carboalumi-nierung des Alkins 57 führte auf diese Weise sowohl zu einer selektiven Methylierung der Dreifachbindung als auch zur Generierung einer Doppelbindungsbildung mit einfacher Geo-metrie.

Für das retrosynthetische Konzept der Iromycinsynthese wurde ebenso wie Lipschutz ein Bin-dungsbruch an der C-1'- und C-2'-Position der Seitenkette des Iromycins 23 geplant (vgl.

Schema 13). Neben den bereits oben erwähnten Vorzügen der Synthesemethode über eine Carboaluminierung des Alkins, erschien dieses Retrosynthesekonzept im Fall des Iromycins auch deshalb vorteilhaft, da sich die aus dem Bindungsbruch resultierende Methylgruppe an der C-6-Position des Pyridonrings aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften für eine Funktio-nalisierung in besonderem Maße eignet. Demzufolge bietet eine Analyse des Molekülaufbaus für die geplante Kreuzkupplung der beiden Strukturfragmente drei potentielle Ringsysteme, nämlich α-Pyridon 62, α-Pyron 63 und α-Pyridin 71 (vgl. Schema 13), an. Die Grundstruktur der genannten Ringsysteme ist bereits aufgrund der wissenschaftlichen und synthetischen Erforschung ähnlicher Verbindungen Gegenstand zahlreicher Publikationen.[20]

Alkylpyridine wie die Verbindung 71 sind unter anderem befähigt, Reaktionen wie Seitenket-ten-Halogenierungen und oxidative Funktionalisierungen einzugehen und weisen eine Acidi-tät der direkt zum Heterocyclus benachbarten C-H-Bindungen auf, die in 2-, 4- und 6-Stellung stärker ausgeprägt ist als in 3- bzw. 5-Stellung (vgl. Schema 13). Die leichte

Deprotonierbar-keit an der 2-, 4- und 6-Position wird durch die Mesomerie-Stabilisierung des entsprechenden Carbanions unter Beteiligung des Ringstickstoffs hervorgerufen.[21] Dementsprechend dürfte das Alkylpyridin 71 trotz des Vorhandenseins mehrerer Alkylgruppen am Ring bevorzugt an der Methylgruppe der C-6-Position basenvermittelte Reaktionen eingehen[21] und wird daher als eines der potentiellen Ringsysteme für die Darstellung des Iromycins in Betracht gezogen.

Das Alkylpyridin 71 (R = Ac) ist durch zweifache Acylierung aus dem Pyridon 62 darstellbar.

Schema 13. Retrosynthetische Analyse des Iromycins.

Durch ihre spezielle 4-Hydroxy-Gruppe sind Pyridone (pKs = 11) und Pyrone (pKs = 14) schwache Säuren. Die physikalischen und chemischen Eigenschaften des Pyridons und des Pyrons entsprechen denen eines ungesättigten Lactams bzw. Lactons.[22] Sie besitzen eine ähnliche elektronische Struktur und zeigen eine Seitenketten-Reaktivität. Die Carbonylgruppe übt durch den –M-Induktiven Effekt einen Einfluß auf die Substituenten am Ring aus. Die Methylgruppen in 6-Position sind daher für eine Funktionalisierung aktiviert und somit leicht für eine Derivatisierung zugänglich. Die Pyridonstruktur und deren O-Analoga sind bereits aus vielen Publikationen bekannt und wurden in zahlreichen Arbeitskreisen[20] in verschiede-nen Varianten als Gegenstand der Synthese untersucht und funktionalisiert. Ebenso wurden des öfteren Pyrone aus den entsprechenden Tricarbonylen synthetisiert.

Bei dem Aufbau des Seitenkettenfragmentes wurde die Methylierung des Alkins 36 zum Al-ken 35 und dessen anschließende metallkatalysierte Kreuzkupplung mit dem Ringsystem un-ter Bildung einer C–C-Bindung anvisiert (vgl. Schema 13). Die Auswahl eines aus einem Al-dehyd und dem Vinylgrignard-Reagenz 68 darstellbaren Allylhalogenids 67 bestimmt bereits zu Beginn der Synthese die Struktur des Seitenkettenfragmentes und gewährleistet die ge-wünschte Variabilität des Syntheseweges auch für Naturstoffderivate.

2. Synthese der Iromycine A und R ausgehend von der Kreuzkupplung von