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Resultate von Grenzsetzungen

3 Regeln und Grenzen in der pädagogischen Auseinandersetzung

3.4 Resultate von Grenzsetzungen

In der Praxis werden mit Grenzsetzungen unterschiedliche Erfahrungen gemacht. In Hinblick auf die frühen Phasen der Arbeit mit Jugendlichen berichten einige unserer Gesprächspartner von ihrem Eindruck, dass strengere Regeln zunächst hilfreich sind.

Dahinter steht offenbar die Erfahrung, dass es zwar möglich ist, im weiteren Kontakt mit Jugendlichen die einmal eingeführten Regeln zu lockern, dass es aber schwierig ist, etwas zu verbieten, was zunächst erlaubt war.

Hinsichtlich der Sanktionierung von Regelbrüchen wird deutlich, dass Pädagoginnen und Pädagogen oft Gratwanderungen vollführen müssen. Ahnden sie Regelverstöße kon-sequent, z.B. indem sie Jugendliche, die in einem Jugendclub Alkohol konsumieren, Hausverbot erteilen, nehmen sie in Kauf, dass sie diese Jugendlichen nicht mehr erreichen können. Vor dem Hintergrund dieser Befürchtungen werden Regelverstöße in einigen Projekten nicht immer verfolgt bzw. billigend in Kauf genommen. Als weitere Gründe für den gewährenden Umgang mit Regelverstößen nennt man den Wunsch, Eskalationen zu vermeiden und die praktischen Schwierigkeiten einer lückenlosen Überwachung. Das Hinnehmen von Regelverstößen dürfte in einigen Fällen zum Scheitern pädagogischer Angebote führen.1 In einigen Projekten wurde uns allerdings berichtet, dass regelverlet-zende Jugendliche sich umorientiert bzw. das Projekt verlassen haben, ohne dass sie durch die Pädagogen dazu gezwungen worden seien. Werden Verstöße konsequent sanktioniert, kann dies die Ultima Ratio sein, die das Scheitern der Arbeit mit einer bestimmten Klientel dokumentiert, z.B. wenn ein Club geschlossen wird oder regelverletzende Jugendliche von pädagogischen Angeboten ausgeschlossen werden. Im Kontext konsequenter Sanktionie-rungen werden jedoch auch produktive Entwicklungen beschrieben: Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter erwerben sich durch Konsequenz die Anerkennung der Jugendlichen, konformere Jugendliche werden innerhalb ihrer Cliquen gestärkt oder die ‘Unbelehrbaren’

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1 Im Rahmen unserer Recherchen sind wir nicht auf Projekte gestoßen, die von dieser Art des Scheiterns berich-ten. Einerseits ist es eine Frage der Perspektive - d.h. die betreffenden Pädagogen werden solche Entwicklungen unter Umständen nicht als Scheitern empfinden, jedenfalls nicht, solange sie im Projekt arbeiten - andererseits hängt dies mit der Auswahl der einbezogenen Projekte zusammen, d.h. es ist uns nicht gelungen, mit Mitarbeitern solcher Projekte zu sprechen, deren Scheitern offenkundig geworden ist.

Regeln und Grenzen

verlassen ein Projekt, während andere bleiben und sich dort zunehmend verbindlich en-gagieren.

Unabhängig davon, wie mit Regelverstößen umgegangen wird, beschreiben die befrag-ten Pädagoginnen und Pädagogen in ihren Arbeitsbereichen positive Entwicklungen, die sie mit ihren Standards, mit den aufgestellten Regeln bzw. den Grenzen, die sie Jugendlichen setzen, in Zusammenhang bringen. Wenn weniger aggressive Musik gehört wird, entspannen sich die Jugendlichen; wenn kein harter Alkohol getrunken wird, kom-men eher Gespräche miteinander zustande.

Es ist allerdings nicht zu unterschätzen, welche Bedeutung dem sozialen Umfeld pädagogischer Projekte in diesem Zusammenhang zukommt. Die Berichte aus den Projekten machen deutlich, dass durch das soziale Umfeld eine Vielzahl von Gelegenheiten geschaffen werden können, die den Bemühungen der Pädagogen zuwiderlaufen – vor allem hinsichtlich des oben genannten Umgangs mit Alkohol. So wird schließlich deutlich, dass die im Rahmen pädagogischer Angebote gesetzten Regeln und Grenzen erst dann tragfähig werden können, wenn sie in einem breiteren Kontext mitgetragen werden.

3.5 Resümee

In der Praxis besteht weitgehend Einvernehmen darüber, dass Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter neben der grundsätzlichen Akzeptanz, die sie ihren Klienten als Personen entgegenbringen sollen, diesen gegenüber auch einen Entwicklungsauftrag haben, der es erforderlich macht, bestimmte Einstellungen oder Verhaltensweisen zu missbilligen, dage-gen zu intervenieren oder Grenzen zu setzen. Dabei wurde allerdings deutlich, dass Grenzsetzungen in der pädagogischen Arbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen einen komplexen Prozess darstellen, in dem ständig die Balance zwischen der Bestätigung der Jugendlichen und ihrer Konfrontation mit Anforderungen und Entwicklungsaufgaben gehal-ten werden muss. Wenn Grenzen zu weit gezogen oder Grenzverletzungen nicht überzeu-gend geahndet werden, riskiert man z.B. rechtsextreme Organisationen, Alkoholkonsum oder Gewalttätigkeit zu bestärken. Rigide Formen der Grenzsetzung bergen demgegenüber die Gefahr, die Zielgruppe nicht mehr erreichen zu können. In jedem Einzelfall ist abzu-wägen, ob bei einer bestimmten Intervention nicht vielleicht die unerwünschten Konse-quenzen dominieren.

In der Praxis werden Interventionsbedarf und Grenzen sowohl auf der Grundlage per-sönlicher Einschätzungen oder pädagogischer Erwägungen als auch anhand strafrechtlicher Kriterien bestimmt. Abgesehen von solchen Fällen, in denen massiven Abweichungen mit Bezug auf verschiedene dieser Begründungszusammenhänge begegnet wird, dominiert in der Regel entweder die Orientierung an externen, sachlichen Kriterien (Gesetze, Listen in-dizierter Musiktitel) oder am persönlichen Empfinden der Pädagoginnen und Pädagogen.

Beide Varianten bergen Risiken, wenn sie isoliert praktiziert werden oder unvermittelt ne-beneinander stehen. Eine ausschließliche Orientierung an extern-sachlichen Kriterien kann als Zeichen von Unsicherheit ausgelegt werden, während die alleinige Bezugnahme auf

Empfindungen der Sozialpädagogen die Gefahr der persönlichen Willkür birgt. Vor diesem Hintergrund scheint es besonders wichtig, sich bei Grenzsetzungen auf sachliche und per-sönliche Begründungen zu beziehen, diese transparent zu machen und überzeugend zu vermitteln.

Schwierig sind Grenzsetzungen dann, wenn kein Bedarf dafür gesehen wird. In Hinblick auf verschiedene Aspekte wurde deutlich, dass Pädagogen nicht immer über die notwen-digen Informationen oder Diagnosekompetenzen verfügen, um Interventionsbedarf zu er-kennen, z.B. bei chemischen Drogen, Tabletten oder volksverhetzender Musik. Einerseits wäre es notwendig, durch Fortbildungsveranstaltungen die entsprechende Sensibilität zu fördern, andererseits kann nicht erwartet werden, dass pädagogische Praktiker hinsichtlich der gesamten Bandbreite jugendkultureller Entwicklungen gleichermaßen kompetent sind und auch jederzeit entsprechend reagieren können. Es erscheint daher notwendig, dass man sich auch in der pädagogischen Arbeit mit rechtsgerichteten Jugendlichen durch die Kooperation mit entsprechenden Fachleuten Expertisen von außen holt.

Unabhängig davon, ob es um Alkohol, Gewalt oder rechtsextreme Organisationen geht, scheint es besonders wichtig zu sein, produktive Formen der Partizipation Jugendlicher an den Prozessen der Grenzsetzung zu erreichen. Grenzen und Regeln müssen von Sozial-pädagoginnen und -pädagogen dann nicht mehr gegen die Jugendlichen durchgesetzt wer-den, wenn es in einer Einrichtung oder einem Projekt gelingt, die jugendlichen Klienten – oder zumindest einen substanziellen Teil von ihnen – davon zu überzeugen, dass sie die angebotenen Freiräume und Möglichkeiten besser nutzen können, wenn Alkoholexzesse nicht an der Tagesordnung sind, rechtsextreme Organisationen nicht dominieren und kei-ner Angst vor Gewalt haben muss. In den Berichten der Praktikerinnen und Praktiker fin-den sich verschiefin-dentlich gelungene Beispiele für eine solche Partizipation der Jugend-lichen an Prozessen der Grenzsetzung, während sie auf konzeptioneller Ebene in der Regel nicht thematisiert wird.

Abschließend kann festgehalten werden, dass in Bezug auf Regeln und Grenzsetzungen in der Arbeit mit rechtsgerichteten und rechtsextremen Jugendlichen ein breites Spektrum unterschiedlicher Einschätzungen und Erfahrungen erkennbar ist. Dem reichhaltigen, aber wenig gebündelten Praxiswissen stehen auf konzeptioneller Ebene nur relativ bescheide-ne und inkonsistente Vorstellungen gegenüber. Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, dass Pädagoginnen und Pädagogen Gelegenheit erhalten, Erfahrungen und Positionen zu Interventionen und Grenzsetzungen regelmäßig zu thematisieren und aus-zutauschen, um die Chancen und Grenzen ihrer Arbeit erkennen zu können. Darüber er-scheint es geboten, dieses Praxiswissen auch verstärkt für die Konzeptionsentwicklung zu nutzen.

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