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Aufklärung, Thematisierung und Bearbeitung von Rechtsextremismus

4 Geschlechtssensible Jugendarbeit

5.1 Aufklärung, Thematisierung und Bearbeitung von Rechtsextremismus

In der pädagogischen Praxis gibt es durchaus unterschiedliche Einschätzungen, inwieweit es sinnvoll ist oder gelingen kann, rechtsextreme Einstellungen im Rahmen von Bildungs-und Jugendarbeit direkt anzusprechen, zu diskutieren Bildungs-und zu bearbeiten. Wenn es auch Konsens unter Praktikerinnen und Praktikern ist, dass rechtsextreme und fremdenfeindli-che Einstellungen grundsätzlich nicht hingenommen werden sollen, so differieren die dar-aus abgeleiteten Strategien. Konfrontation und Auseinandersetzung werden von einigen Fachkräften bewusst gesucht. Sie unterstreichen die Bedeutung einer politischen Bildung, die über die rechtsextreme Ideologie und ihre historische Wurzeln aufklärt und sie ad ab-surdum führt. Andere meinen, wichtiger als überzeugende Rhetorik und Fakten sei es, au-thentisch eine andere Meinung zu vertreten, als erwachsener Ansprechpartner zu Verfügung zu stehen oder konkrete Hilfe zu leisten. In jedem Fall hängt dies damit zusammen, dass diese Fachkräfte ihre Arbeit auch politisch verstehen; ein solches Verständnis, das einen eigenen (politischen) Standpunkt und auch eine politische Zielrichtung beinhaltet, ist in der Jugend- und Sozialarbeit nicht selbstverständlich und wird nicht von allen Projekten

vertreten. So wird auch der politischen Bildung3 insgesamt unter den Praktikerinnen und Praktikern der Jugendarbeit sehr unterschiedliches Gewicht beigemessen, ebenso unein-heitlich ist ihre praktische Relevanz in den einzelnen Projekten und in den unterschiedli-chen Bereiunterschiedli-chen der Jugendhilfe.

Etwas anders stellt sich die Situation für Projekte dar, die sich selber als Bildungsträger verstehen und vor allem dem Bereich der außerschulischen Jugendbildung zugehören:

Zwar wird die große Relevanz der politischen Bildung betont, dafür wird aber häufig an-gezweifelt, ob sie eine geeignete Form der Auseinandersetzung für rechtsextrem orientier-te Jugendliche darsorientier-tellt. Dabei wird auch darauf verwiesen, dass politische Bildung von ihrem gesamten Herangehen nicht geeignet sei, etwas Spezifisches zu bekämpfen oder zu verhindern, sondern allgemein Menschen fördern und Sachverhalte klären soll. Es besteht unter den Praktikerinnen und Praktikern der Bildungs- und auch der Jugendarbeit aber im-merhin große Übereinstimmung darin, dass Bildungsarbeit mit rechtsextremen Jugendlichen besonderen Bedingungen unterliegt. Die Zusammenarbeit mit manifesten Rechtsextremen oder straffälligen Jugendlichen wird dabei von der Bildungsarbeit in der Regel als nicht möglich oder wünschenswert eingestuft, auch wenn dabei berücksichtigt wird, dass die Übergänge zwischen ‘normalen’ und ‘extremen’ Jugendlichen in der Praxis durchaus fließend sind. Extreme, straffällige oder gewalttätige Jugendliche, die häufig große Lernschwierigkeiten haben, sind also selten Zielgruppen der außerschulischen Bildung, sind aber in Einzelfällen dort anzutreffen.

Über freie Ausschreibungen von Verbänden oder Bildungsstätten sind auch weniger ma-nifest rechtsorientierte Jugendlichen kaum zu erreichen. Träger der Bildungsarbeit treffen vor allem dann auf diese Jugendlichen, wenn sie Angebote mit Schul- und Berufsschul-klassen realisieren oder mit Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zusammenarbeiten;

wobei solche Kooperationen mit Projekten der Jugend(sozial)arbeit bislang eher selten sind. Nur in einzelnen Fällen haben z.B. Praxisprojekte berichtet, dass mit einer Bildungsstätte, einem Verband oder auch einer Landeszentrale für politische Bildung ge-meinsame Veranstaltungen durchgeführt wurden oder engere Beziehungen bestünden.

Es gehört zumindest in den neuen Ländern mehr oder weniger zum Alltag der außer-schulischen Bildungsarbeit, dass unter den Teilnehmenden, die sich häufig aus Schulklassen zusammensetzen, zu einem erheblichen Teil rechtsorientierte Jugendliche ver-treten sind. Inzwischen sind einige Konzepte von Trägern der Bildungsarbeit entstanden, die versuchen auch Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus bei Schülern und Auszubildenden bewusst aufzugreifen, was im Schul- bzw. Berufschulalltag oft nicht ge-lingt oder nicht gewollt ist. Ein besonderer Schritt ist z.B., dass über einen längeren

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3 Wenn Bildungsarbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen immer auch eine politische Komponente hat, weil sie zu mehr Demokratie- und Empathiefähigkeit beitragen soll, sprechen wir von politischer Bildung im engeren Sinne, d.h. hiermit sind Bildungsangebote gemeint, die sich entweder mit politischen Sachverhalten, Einstellungen und Fragestellungen beschäftigen oder von ihrer Form her politische Erfahrungen wie Partizipation, Aushandeln von Kompromissen, Austragen von Konflikten etc. konkret ermöglichen.

Bildungsarbeit

Zeitraum mit einer Gruppe von Jugendlichen mehrere Seminare im Modulsystem durchge-führt werden und deren individuelle Entwicklung und Interessenlage auch in betreuten Kleingruppen und Einzelinterviews nachgespürt und festgehalten wird. Seminare oder Veranstaltungen direkt zu dem Thema „Rechtsextremismus“ anzubieten, hat sich allerdings nach Einschätzung von Bildungsreferentinnen und -referenten eher weniger bewährt. Zum einen empfiehlt es sich, wie bei anderen Problemkomplexen auch, nicht das ‘Gegen’ in den Vordergrund zu stellen, sondern zu versuchen beim Positiven anzusetzen und Werte wie Demokratie oder Toleranz, die vermittelt werden sollen, thematisch und methodisch in den Mittelpunkt zu stellen. Außerdem wird so nicht von vornherein den ‘Rechten’ in der Gruppe ein besonderes Forum geboten. Ansonsten zeigen die Erfahrungen, dass sich bei der Bildungsarbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen im Prinzip – neben den besonderen Herausforderungen – ähnliche Probleme und Fragen stellen wie bei allen anderen Teilnehmern: Auch hier gilt das Überwältigungsverbot, stattdessen muss das Interesse der Teilnehmenden gewonnen werden; dies gelingt jedoch nicht mit moralisierenden Belehrungen oder Verboten – Angebote müssen an den Erfahrungen und Fähigkeiten der Jugendlichen anknüpfen, sollen neue Einsichten und Erfahrungen ermöglichen und zur Stärkung von Identität und sozialer Kompetenz beitragen. Es bestand in den vorliegenden, wenigen Beispielen durchaus der Eindruck, dass dies auch bei rechtsorientierten Jugendlichen gelingen kann.

Der größere Anteil der Bildungsarbeit und der konkreten Auseinandersetzung mit rechtsextrem orientierten Jugendliche geschieht also – wenn überhaupt – in sozialpädago-gisch orientierten Projekten der Jugendarbeit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Teil der Praxisprojekte auch dargestellt hat, dass sie politische Diskussionen und die Thematisierung von Rechtsextremismus und seinen Ideologien bewusst vermeiden, weil sie solche Auseinandersetzungen als unfruchtbar erlebt haben, nur auf aufgesetzte Ideologiefragmente stoßen oder insgesamt die politischen Inhalte als vorgeschoben emp-finden. Einige Praktikerinnen und Praktiker beschränken sich daher auf Bildungsangebote und Aktivitäten, wie sie im Kapitel 5.2 beschrieben werden und die eher allgemeinen Unterstützungs- und Hilfscharakter haben. Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spra-chen auch an, dass sie solspra-chen politisspra-chen Gespräspra-chen und Themen bewusst ausweispra-chen, weil sie diese persönlich als verunsichernd erleben. Manchmal fehlen ihnen auch einfach die Worte. Einige fühlen sich politisch nicht bewandert und schlagfertig genug, um sich auf solche Auseinandersetzungen einzulassen, oder es entsteht der Eindruck, dass die Vorstellungen der Jugendlichen so absurd sind, dass es besser scheint, gar nicht darauf einzugehen. Manche interpretieren auch die vorgetragenen Äußerungen eher als Männlichkeitsrituale und das Interesse an körperlichen Auseinandersetzungen bzw. Gewalt scheint so sehr im Vordergrund zu stehen, dass sich politische und thematische Anknüpfungspunkte nur schwer finden lassen. Wenig Bedeutung wird der politischen Auseinandersetzung und Bildung in der Arbeit häufig auch mit gemäßigten („normalen“ ) rechtsorientierten Jugendlichen beigemessen, da diese in der Regel eher wenig politisch interessiert oder informiert sind und kaum Interesse an politischer Bildung zeigen.

Demgegenüber wird die Thematisierung rechtsextremer Einstellungen und ihrer Hintergründe aus Sicht anderer Praktikerinnen und Praktiker eine bedeutende Rolle zuer-kannt. Diese passiert z.B. in der direkten politischen Auseinandersetzung mit den

rechtso-rientierten Jugendlichen, die im pädagogischen Alltag stattfindet und als implizite politi-sche Bildungsarbeit im Rahmen von Jugendarbeit bezeichnet werden soll. In den geschil-derten Praxissituationen geht es dabei fast ausschließlich um Auseinandersetzungen mit männlichen Jugendlichen. Dazu kommen explizite Bildungsveranstaltungen, die im Rahmen von Jugendarbeit auch vorkommen, die aber eher eine Ausnahme im Projektalltag darstel-len. Externe Referenten oder die Teilnahme an politischen Bildungsangeboten ergänzen also nur mehr das bestehende Angebot von Zeit zu Zeit, können aber eine wichtige Funktion haben, weil in solchen Veranstaltungen der Gruppendynamik und dem sozialen Lernen eine besondere Bedeutung zukommt.

Diese Praktikerinnen und Praktiker schreiben der politischen Bildung – insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, aber auch bezüglich der Vermittlung demokratischer Werte – im Rahmen ihrer Arbeit eine gewichtige Rolle zu. Sie sehen die rechtsextremen Einstellungen als Facette der Identität der Jugendlichen, mit der sie sich pädagogisch auseinander setzen wollen. Weil sich diese Jugendlichen politisch definieren, ist es in ihren Augen leichter, Anknüpfungspunkte zu finden, um sie für Themen wie Arbeitslosigkeit, Migration und/oder Geschichte zu interessieren. Gesucht wird auch häufig die Auseinandersetzung mit rechtsextremer Musik und Materialien, über die die Jugendlichen verfügen. Es wird außerdem immer wieder mit Filmen oder Videos gearbei-tet. Dabei geht es z.B. darum, Spielfilme, die die Jugendlichen vorschlagen oder favorisie-ren durchzuarbeiten4 oder Dokumentarfilme einzusetzen; inzwischen existieren einige ge-eignete Filmdokumentationen, die sich z.B. mit dem Leben von Skins und der rechtsex-tremen Szene auseinander setzen. Da viele der Jugendlichen sich außerdem nicht sehr gut ausdrücken können, gibt es auch gute Erfahrungen mit kreativen Methoden und dem Erstellen von Collagen, Videos oder Wandzeitungen. Dazu bedarf es aber besonderer Rahmenbedingungen oder Veranstaltungen mit kleineren Gruppen, die außerhalb des nor-malen Alltags – also nicht im Jugendclub oder in den Projekträumen – stattfinden. Nicht immer gelingt es, solche Veranstaltungen durchzuführen. Die Pädagoginnen und Pädagogen führen das gerade bei den extrem rechtsorientierten Jugendlichen darauf zurück, dass der Gruppendruck für diese Jugendlichen groß ist bzw. einzelne auch direkt abgehalten werden sich zu beteiligen. Gerade wenn es sich um größere Aktivitäten han-delt, z.B. bei einer Berlinfahrt mit Besuch des Bundestages, gelingt es nicht, die beson-ders problematischen Jugendlichen tatsächlich zur Teilnahme zu bewegen. Jugendliche be-richten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch davon, dass sie in ihrem rechtsextre-men Umfeld bewusst nicht darüber reden, wenn sie an solchen Bildungsveranstaltungen mit politischem Inhalt teilnehmen.

Besondere Methoden oder gar Konzepte liegen dieser impliziten Bildungsarbeit nicht zugrunde, einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sprechen von politischer Bildung, für an-dere ist es eher Bestandteil ihrer normalen ‘Beziehungsarbeit’. In den Interviews wurde

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4 Hierbei muss allerdings von den Fachkräften reflektiert werden, dass Spielfilme häufig den rechten Jugendlichen die Identifizierung mit der Täter-Rolle ermöglichen (z.B. Erfahrungen mit Spielbergs „Schindlers Liste“) und gera-de gera-deshalb von gera-den Jugendlichen gewünscht wergera-den.

Bildungsarbeit

deutlich, dass es in Hinblick auf die Form der politischen Auseinandersetzungen in der Praxis innerhalb von grundsätzlich ähnlichen Ansätzen und Arbeitsformen ganz unter-schiedliche Strategien gibt, die wohl mehr in der Persönlichkeit der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als in unterschiedlichen Konzepten begründet sind:

Einige betonen, dass sie bewusst und auch gern und offensiv die Auseinandersetzung su-chen und diese als besondere pädagogische Chance und Herausforderung sehen; andere führen diese Auseinandersetzung eher, weil sie sie für politisch oder pädagogisch geboten halten, auch wenn es ihnen eher schwerfällt und in jedem Fall zusätzlicher inhaltlicher und methodischer Vorbereitungen bedarf. Grundsätzlich übereinstimmend wird aber von allen Fachkräften die Überzeugung vertreten, dass es darauf ankomme, die eigenen Grenzen und Meinungen deutlich zu machen und dies möglichst authentisch und dadurch glaubwürdig zu vertreten. Negative Erfahrungen liegen allerdings vor, wenn versucht wird, mit morali-schen Appellen, bloßen Verboten oder Bekenntnissen aufzutreten, während interessiertes Nachfragen Jugendliche häufig überrascht und auch verunsichert. Es ist aber auch nicht jede Situation geeignet, um auf provozierende Bemerkungen oder Meinungen ernsthaft zu reagieren. Ignorieren, lachen oder zurückpöbeln sind erprobte Übergangslösungen bis sich wiederum eine Situation ergibt, die eine ernsthaftere Diskussion zulässt und die ange-sprochenen Fragen gemeinsam zum verabredeten Thema gemacht werden können. Die Pädagoginnen und Pädagogen haben sich häufig zwar solides Wissen über zentrale Themen wie Rudolf Hess, rechtsextreme Symbole und Organisationen erworben; aber für eine intensivere Auseinandersetzung bedarf es einer inhaltlichen und methodischen Vorbereitung, zumal mitunter Jugendliche darunter sind, die bereits Schulungen hinter sich haben oder sich über das Internet mit neuesten rechtsextremen Theorien und Strategien vertraut machen. Auch wenn es in der Gruppe oder Clique häufig Wortführer gibt, die un-belehrbar wirken, werden solche Gespräche und thematischen Beschäftigungen als sinn-voll eingeschätzt, weil es unter den Jugendlichen fast immer unentschiedene oder Mitläufer gibt, die sich neu orientieren können. Als Gesprächsmethode in offenen Diskussionen, aber auch in Gruppensituationen setzen einige – in den Praxisbeispielen vor allem männliche Pädagogen – bewusst auf Konfrontation, paradoxe Interventionen und Provokation, eine Ausbildungen oder Fortbildung – z.B. in Mediation, Konfliktmanagement oder als Trainer – haben die Mitarbeiter in der Regel nicht bzw. nur dann, wenn sie vorwiegend im Bereich der Antigewalt- und Aggressivitätstrainings arbeiten. Es wird von den Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen in diesem Zusammenhang allerdings auch auf die eigenen Grenzen verwiesen, Bildungsarbeit mit diesen schwierigen Zielgruppen zu leisten, und deutlich gemacht, dass man sich hier nicht immer unterstützt, kompetent und methodisch gerüstet fühlt. In der konkreten Auseinandersetzung gibt es immer wieder Situationen, die verunsichernd wirken, weil es an einer erkennbaren Strategie und Methode oder auch ein-fach an geeigneten Rahmenbedingungen fehlt.